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Lee Jeno

Montag

Ich befinde mich gerade auf dem Rückweg aus der Innenstadt, da ein paar Sachen für die Schule besorgen musste, als mir plötzlich Jaemin's älterer Bruder Junseo entgegenkommt.

"Hey Jeno, wie geht's?", begrüßt er mich freundlich, als er mich erkennt und bleibt stehen. Er sieht müde aus, aber das ist in unserem Alter wahrscheinlich relativ normal.

"Hm, ja gut und dir?", entgegne ich und weiß nicht so recht, was ich sagen soll. Jaemin hat meine Nachricht immer noch nicht gelesen, was mir eigentlich nur noch mehr gezeigt hat, dass ich mich nicht weiter mit ihm befassen sollte. Aber irgendwie ist mir die Sache doch nicht ganz geheuer.

"Mir auch. Was macht die Schule?"

"Alles gut soweit. Du Junseo, kannst du mir vielleicht eure neue Adresse geben? Jaemin hat das irgendwie verpeilt.", frage ich dann und hänge ein kurzes, aufgesetztes Lachen dahinter. Ich bin mir nicht sicher, ob er weiß, was bei uns los ist, also tu ich einfach so, als wäre alles normal.

"Huh? Ja klar.", er lacht ebenfalls leise und nennt mir die Adresse. Dann muss er auch schon weiter. Ich bedanke mich noch und dann gehen wir in getrennte Richtungen.

Es ist wahrscheinlich der größte Fehler überhaupt, jetzt zu ihm zu gehen, aber ich will einfach persönlich mit ihm reden. Und da ich jetzt so die Chance dazu bekommen habe, kann ich mich nicht zurückhalten. Ich will nur, dass er mir sagt, was los ist und dann kann ich ja wieder gehen. Von mir aus auch für immer.

Als ich bei dem Wohnblock angekommen bin, klingle ich und kurz darauf kann ich durch ein Surren die untere Tür öffnen. Ein paar Stockwerke muss ich noch hochgehen und stehe dann vor der geöffneten Tür.

"Jeno, wie schön dich zu sehen!", begrüßt seine Mum mich herzlich und streicht mir über die Wangen. Ich weiß, dass sie mich wirklich gern hat, aber mir geht es genau so. Sie ist eine total liebe Frau. Aber sie sieht schlecht aus; wahrscheinlich hat sie wieder mit ihren Depressionen zu kämpfen.

"Hallo.", entgegne ich mit einem Lächeln und trete dann in die Wohnung.

"Ich leg mich wieder hin, du kommst so zurecht, oder?", fragt sie, nachdem sie die Haustür hinter uns geschlossen hat. Ich nicke sofort und daraufhin geht sie auch relativ direkt in ihr Schlafzimmer. Ich sehe ihr noch kurz nach und hoffe wirklich sehr für sie, dass es ihr bald besser geht.

Dann sehe ich mich um. Ich war noch nie hier, also weiß ich nicht mal, wo Jaemin's Zimmer ist. Ich finde es aber dennoch recht schnell, denn Yeona's und Yujun's sind mit passenden Bilder und Postern geschmückt. Zuerst gehe ich versehentlich in das Badezimmer, das nächste muss dann allerdings das von Jaemin sein.

Ich klopfe kurz, erhalte aber keine Reaktion und mache die Tür dann einfach auf. Als ich eintrete stocke ich, denn Jaemin liegt in einer nicht normal aussehenden Position auf dem Boden.

Als ich mich wieder gesammelt habe, knie ich mich schnell zu ihm, nehme sein Gesicht in meine Hände und schlage ihm sanft auf die Wange, um ihn aufzuwecken. Das tut er aber nicht. Leicht panisch fühle ich nach seinem Puls, aber dieser ist da, wenn auch schwach. Also versuche ich weiter ihn wachzubekommen.

Ich war wirklich kurz davor, den Notarzt zu rufen, als der Junge vor mir endlich seine Augen aufschlägt und mich orientierungslos ansieht. Um ehrlich zu sein bin ich mir nicht mal sicher, ob er überhaupt richtig anwesend ist.

"Hey Jaemin, ich bin's. Geht's dir gut? Was ist überhaupt los?", frage ich möglichst ruhig, um ihn nicht komplett zu überfordern.

Jaemin sieht mich weiter einfach nur an, fängt dann aber plötzlich unregelmäßig und schnell an zu atmen. Außerdem zittert er extrem und Tränen beginnen über seine Wangen zu rollen. Scheint so, als wäre das eine Panikattacke...

Um eine Papiertüte zu finden, die seine Atmung beruhigen könnte, hab ich jetzt keine Zeit. Stattdessen ziehe ich ihn fest in meine Arme und versuche ich mit Worten zu beruhigen.

"Komm schon, Kleiner... Tief ein- und ausatmen. Ich weiß, dass das jetzt schwer ist, aber du schaffst das."

Es dauert wirklich eine ganze Weile, aber die ist es mir wert, denn immerhin liegt der Jüngere jetzt ruhig in meinen Armen. Vorsichtig stehe ich auf und hebe ihn hoch, um ihn auf sein Bett zu legen.

Er kaut auf seiner Lippe herum und erweckt damit den Eindruck, etwas sagen zu wollen, weshalb ich ihn fragend und abwartend ansehe.

"Danke Jeno... Wirklich. A-Aber du solltest jetzt lieber gehen..."

Ich muss zugeben, dass ich irgendwie nicht mit einer Aussage in dieser Richtung gerechnet habe. Viel eher habe ich mir erhofft, dass ich jetzt endlich erfahren kann, was los ist. Es wird ja sicherlich einen guten Grund haben, dass er zusammengebrochen ist und so lange bewusstlos war.

"Jaemin- Bitte rede mit mir und schick mich jetzt nicht weg."

Doch er schüttelt den Kopf und beharrt darauf, dass ich gehe. Kurz versuche ich noch ihn umzustimmen, merke aber, dass es keinen Zweck hat. Seufzend nicke ich und stehe aus meiner hockenden Position auf.

"Gut... Wie du willst.", sage ich enttäuscht, verlasse sein Zimmer und danach die Wohnung.

Was hab ich ihm denn getan, dass er mir anscheinend so misstraut?

sweet lies - nominWhere stories live. Discover now