Die Suche nach Unsterblichkei...

By LisMari94

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Als Waisenkind auf der Straße war es Eliza nie wichtig ihre Eltern zu finden. Im Gegenteil sich selbst einen... More

Einleitung
1. Der Auftrag eines Fremden
2. Keine Wahl
3. Nicht die erste Wahl
4. Erinnerungen einer alten Dame
5. Wertvoll und Wertlos
6. Ein unbedachter Kuss
7. Schwierige Gefühle
8. Postkarte mit froher Botschaft
9. Die Wahrheit
10. Ein Wunder
11. Eifersucht und ihre Folgen
12. Schick wie Vivian Ward
13. Der unsterbliche Club
14. Das Sexleben deiner Eltern
15. Verfolgung im Regen
16. Gefunden
17. Verzweifelte Lügen
18. Was zurück bleibt
19. Ein Anrecht
20. Am Ende der Welt
21. Die Heimkehr
22. Hast du einen Plan?
24. Epilog

23. Unsterblich

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By LisMari94

Tristan saß seinem Feind gegenüber. In seinem langen Leben hatte er nicht viele Menschen als seine Feinde betrachtet, doch Rupert Sangai hatte es geschafft sich diese Bezeichnung zu verdienen.

"Wo hast du dich nur zwei Jahrzehnte verkrochen, Tristan?", Sangai schwenkte ein Glas teuren Scotch in seiner Hand und betrachtete ihn interessiert. Liebend gerne hätte Tristan ihm den Alkohol ins Gesicht geschmissen und wäre aus dem makellos ausgestatteten Büro geflohen, aber Vincent brauchte Zeit um Eliza zu finden und genau diese würde Tristan ihm liefern.

Gleichgültig ließ er seinen Blick über die Einrichtung schweifen. Bücherregale mit alten Büchern, Vitrinen mit Artefakten aus längst vergangener Zeit und Aktenschränke voll mit höchstwahrscheinlich vertraulichen Informationen zu einflussreichen Persönlichkeiten.

Seit er ihn kannte, war Sangai von Macht und Reichtum besessen. Er hatte auch soweit Tristan wusste, nie eine Beziehung geführt. Er empfand Mitleid für den Mann vor ihm. Sicherlich musste er einsam gewesen sein und würde mit dieser Einsamkeit auch sterben.

Dasselbe galt für ihn, Tristan. Sein Schicksal war bereits klar gezeichnet, irgendwann in der Zukunft würde er erneut sterblich werden und schließlich den Weg allen sterblichem gehen. Bis dahin jedoch konnte er sich kein glückliches Leben vorstellen. Alles was er sich wünschte, war Cataleya zu folgen, bei ihr zu sein, endlich Ruhe zu finden.

"Nun? Hast du keine Antwort für mich?", stichelte Sangai und riss ihn aus seinen trübsinnigen Gedanken. Noch war sein Ende nicht gekommen. Er musste zumindest dafür sorgen, dass Eliza lebend aus dieser Hölle entkam. Das war er ihr, nach allem was sie seinetwegen erdulden musste, schuldig. Er lehnte sich seufzend zurück.

"Ich habe mich entspannt und die Jahre genossen. Ich habe es schließlich nicht eilig. In dieser Hinsicht bin ich wahrlich froh ein Unsterblicher zu sein." Ein säuerlicher Ausdruck trat auf Sangais Gesicht und Tristan wusste, dass er einen Nerv getroffen hatte.

"Alleine? Ich muss sagen, ich war überrascht, Cataleya nicht an deiner Seite zu sehen. Schließlich geht es hier auch um ihre Tochter und sie war schon immer solch eine Bärenmutter."

Die Erwähnung Cataleyas raubte Tristan für einen Moment den Atem, doch er zwang sich die Bemerkung mit einem wütenden Blick zu beantworten.

"Stimmt, sie wäre hier. Was mich mehr interessiert, was tut Eliza an diesem Ort? Was sollte ihre Entführung?" Achselzuckend trank Sangai einen kleinen Schluck.

"Ich brauchte sie für meine Forschung. Eigentlich wollte ich dich und Cataleya, aber leider hat die Suche nach euch zu lange gedauert. Ewig lange Jahre habe ich alle möglichen Schnüffler beauftragt und schließlich sogar eure eigene Tochter und trotzdem hat es nichts gebracht. Also habe ich mit dem nächst besten vorlieb nehmen müssen. Und Eliza hat nicht enttäuscht."

"Wie meinst du das?", fragte Tristan und hatte ein schlechtes Gefühl im Magen. Was hatte dieser kranke Bastard mit seiner Tochter angestellt? Sangai stand auf und lehnte sich vor ihm an den Schreibtisch.

"Die Wissenschaftler haben das Unsterblichkeitsgen endlich entschlüsseln können. Mithilfe deiner kleinen Tochter werde ich schon bald wieder einer von euch sein."

"Schwachsinn! Niemand hat es geschafft, unsere Unsterblichkeit zu verstehen oder gar abzufüllen. Du lügst." Sangai kicherte leise und stellte sein Glas ab. Langsam wanderte er um Tristan herum und genoss seine Machtposition sichtlich. Mit kontrolliertem Atem beschwor Tristan sich zur Ruhe.

"Wieso sollte ich? Ich habe bereits gewonnen. Du und Eliza werdet mein Heim nie wieder verlassen und mit eurer Hilfe werden meine Wissenschaftler mich zum mächtigsten Mann der Welt machen. Wie viel glaubst du würden die reichen, der reichen für ein Unsterblichkeitselixier ausgeben? Ich werde unantastbar sein."

Das gierige Blitzen in Sangais Augen war unverkennbar. Er sagte die Wahrheit. Tristans Herz klopfte wie wild in seiner Brust. Mit diesem Wissen würde er die Welt vernichten.

"Oh aber das beste weißt du ja noch gar nicht. Deine kleine Eliza ist auch unsterblich. Die Wissenschaftler konnten mir leider nicht sagen ob ihr Gen bereits aktiviert ist oder nicht, aber die Tatsache bleibt. Wenn ihr brav seid, werdet ihr in meinem Kerker die Unendlichkeit miteinander haben. Ist das nicht schön? Und wenn ich mich recht entsinne, wäre sie das erste eurer Kinder, dass unsterblich ist."

Tristan kämpfte mit dem Schock. Medina, Benjamin, Noah, Alice, Jack, Pran, Kamika, Jasmin, Samir, Dimetra...die Gesichter seiner Kinder rauschten wie ein wirbelwind in ihm. Keines von ihnen war unsterblich gewesen, jedes von ihnen war alt geworden und schließlich gestorben. Und jedes Mal hatte es ihn innerlich zerrissen, genauso schlimm war es für Cataleya gewesen. Dennoch hatten sie die Elternschaft begrüßt und genossen und dabei die Hoffnung auf ein unsterbliches Kind längst aufgegeben.

Er konnte nicht glauben, dass das Universum wirklich so grausam war, Cataleya sterben zu lassen, nur um deren Unsterblichkeit auf die Tochter zu übertragen. Oder vielleicht war es nichts mystisches, nichts göttliches, sondern einfach Wissenschaft. Nichts davon war wichtig.

Eliza war alles das zählte. Zornig richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und ballte die Hände.

"Sie wird ihr Leben nicht in Gefangenschaft fristen. Soweit werde ich es nicht kommen lassen."

"Und was willst du dagegen tun?",zischte sein Gegenüber gehässig. Tristan war bereit zuzuschlagen, ihm das freche Grinsen aus dem Gesicht zu hämmern, als plötzlich der Feueralarm anging. Überrascht zuckten sie beide zusammen.

"Was zum Teufel?", murmelte Sangai und wollte aus dem Raum gehen. Dies war seine Chance. Schnell packte er seinen Feind von hinten und warf ihn zu Boden. Tristan sah Rot, sein gesamter Körper war von Hass erfüllt. Hass auf diesen Mann, der seinem Kind Schmerzen zugefügt hatte.

Mit aller Kraft schlug er Sangai mehrmals ins Gesicht, traf sowohl Nase als auch Jochbein und hörte die Knochen unter seinen Fäusten brechen. Blut spritze, aufgebrachtes, schmerzerfülltes Brüllen war zu hören.

Tristan ließ nicht nach, hielt nicht an, schlug immer weiter bis Sangai ihn mit voller Wucht im Magen traf. Würgend schuf er Abstand zwischen sich und ihn. Versuchte verzweifelt zu atmen und die schwarzen Flecken in seinem Sichtfeld zu unterdrücken.

"Du Arschloch!", schrie Sangai schnaufend über den Feueralarm und hielt sich die blutende Nase. Mit einem lauten Brüllen stürzte Sangai sich auf ihn und schlug ihn gegen das Bücherregal. Vereinzelte Schriftstücken fielen zu Boden und wurden zu stolperfallen.

"Dafür wirst du büßen!"

"Wohl kaum!", entgegnete Tristan und drängte ihn zurück. Er war sein langes Leben lang immer an körperlicher Arbeit und besonders an Kampfstilen interessiert gewesen. Cataleya hatte ihm vieles beigebracht. Sangai, dessen Interesse eher beim Intrigenspinnen lag, hatte ihm nur wenig entgegen zu setzten.

Besonders da Tristan mit der Wut eines Vaters kämpfte. Immer und immer wieder prügelte er auf Sangai ein. Selbst das Aufblitzen eines klingenartigen Objektes hielt ihn nicht davon ab weiter auf ihn einzuschlagen.

Erst mit dem scharfen Schmerz und dem langsamen, aber stetigem fließen seines Blutes sah er an sich herab. Ein Messer stand kerzengerade aus seinem Bauch, lang und scharf genug um großen Schaden anzurichten. Nur dieser kurze Blick hatte gereicht. Er wusste nun, dass er den Kampf schnell beenden musste oder Gefahr lief Sangai entwischen zu lassen.

"Haha, jetzt wird Eliza..wohl alleine bleiben.", keuchte Sangai schmerzerfüllt vor ihm. Er konnte sich kaum noch bewegen, seine zittrigen Beine hielten ihn nur mit Mühe aufrecht, dennoch schien er überzeugt mit dieser Attacke gewonnen zu haben.

Unbeeindruckt zog Tristan das Messer aus seinem Bauch, spürte warmes Blut über seinen Körper fließen, beschloss es zu ignorieren und kam Sangai näher. Dieser erkannte seinen Fehler und versuchte mit schreckensweiten Augen zu fliehen. Leider nicht schnell genug.

Zielsicher traf Tristans Messerstich Sangais rechte Lunge und ließ ihn endgültig zu Boden gleiten. Der überraschte Blick seines Feindes war fotoperfekt und machte sein eigenes Ende etwas süßer.

Schwer atmend drückte er auf die stark blutende Wunde in seinem Bauch und verließ das Büro. Er musste Vincent und Eliza finden.

ELIZA

"Wir kommen wir hier raus?", fragte Eliza über den Lärm des Brandschutzmelders. Der Alarm hatte sie im zweiten Stock überrascht. Hier sahen die Flure ganz anders aus als in dem Medizinischen Stockwerk. Luxuriös und elegant zeigten sich lange blutrote Teppiche und gerahmte Fotos an den Wänden.

Überall liefen junge Burschen und Männer herum, doch kein einziger von ihnen schien Notiz von ihrer Flucht zu nehmen. Zu sehr war das eigene Überleben wichtiger. Der Rauch wurde dichter und die Angst lebendig geröstet zu werden wuchs mit jeder verstreichenden Minute.

"Wir müssen erst Tristan holen.", entgegnete Vincent atemlos.

"Tristan? Mein Vater, Tristan?" Vor Schreck riss sie die Augen weit auf. Vincent nickte. "Ohne ihn hätte ich es nie hier rein geschafft."

"Und meine Mutter? Ist sie auch hier?" Vincents kummervolles Kopfschütteln ließ eine traurige Antwort vermuten.

"Warum nicht?", fragte sie zögerlich, unsicher ob sie diese Information wirklich wissen wollte.

"Sie ist kurz nach deiner Geburt gestorben. Dein Vater...er hat das Ganze nicht so gut verkraftet."

Sie selbst hatte ebenso Schwierigkeiten mit dieser simplen Tatsache umzugehen. Verunsichert dachte sie an Cataleya, an die Frau, die sie geboren hatte. Die Frau, deren Armreif sie trug und deren Aussehen sie besaß. Wer war sie wohl gewesen? Würde sie sie nun, da sie niemals die Möglichkeit hätte Cataleya zu treffen, vermissen?

"Da ist er!", rief Vincent aus und zeigte auf eine sich nähernde Gestalt. Der Mann, der ihnen entgegen lief, sah genauso aus wie auf den Bilder, die Eliza gefunden hatte. Ihr Vater, groß, rothaarig...und verletzt.

Sie sah das leuchtende Rot durch den Stoff seines T-Shirts schimmern und spürte klamme Furcht durch ihre Adern rauschen. Da war zu viel Blut. Schleppend kamen sie einander näher. Besorgt überließ Vincent sie seinem Bruder und eilte Tristan entgegen.

"Was ist passiert?", fragte er aufgebracht und stützte den Unsterblichen bis sie bei Hunter und Eliza ankamen. Tristan zeigte ihnen ein schiefes Lächeln.

"Sangai...er wird niemanden mehr etwas antun können. Ich habe ihn getötet." Hunters Mund stand weit offen und tatsächlich sahen die Gesichter der anderen nicht weniger erstaunt aus. Tristans Blick wanderte zu ihr. Sie konnte die vielen Gefühle in seinen Zügen kaum auseinanderhalten. Reue, Furcht, Trauer hielten sich die Waage mit Liebe und Bewunderung.

"Elizabeth..", hauchte er und versuchte sich an einem kleinen Lächeln. Vorsichtig und etwas ungeschickt umarmte er sie. Sie waren beide verletzt, was Nähe zu einem potentiell tödlichen Unterfangen machte.

Trotzdem war er warm und als er ihren Namen wiederholte und ihr zärtlich über den Kopf strich, fühlte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben geborgen. Das war ihr Vater, ihre Familie. Und er war gekommen um sie zu retten.

"Du bist verletzt.", merkte Eliza zittrig an und wollte ihn stützen, doch ihr fehlte die Kraft. Ohne zu zögern übernahm Vincent ihre Absicht und half ihm aufrecht stehen zu bleiben.

"Sangai ist wirklich tot? Wirklich?", entgeistert unterbrach Hunter sie. Tristan bestätigte angespannt und blickte zu Vincent.

"Das macht dich zum alleinigen Erbe."

"Obwohl ich nicht weiß, was davon noch übrig sein wird. Wir haben alles in Brand gesetzt.", entgegnete Vincent skeptisch mit Blick auf die näher kommenden Flammen und den ebenso tödlichen Rauch.

"Apropos, wir sollten verschwinden.", meinte Hunter, nahm wieder Elizas Arm und stützte sie auf ihrem Weg nach draußen. Gemeinsam quälten sie sich aus der lodernden Hölle in die eiskalte Luft des sibirischen Nordens. Die Sonne ging gerade unter und ließ den Schnee, der vor dem brennenden Gebäude lag, hell glitzern.

Erschöpft brachen sie zusammen. Der Schnee unter Tristan färbte sich schnell mehr und mehr rot und selbst in ihrem geschwächten Zustand erkannte Eliza, dass sein Leben zu Ende ging. Überfordert robbte sie zu ihm und beugte sich über sein Gesicht. Seine blutverschmierte Hand streichelte sanft ihre Wange.

"Du siehst deiner Mutter so ähnlich.", hauchte er glücklich während Eliza ihr Gesicht betrübt in seine Hand schob. Langsam verschwamm die Welt unter ihren Tränen. Ihr Vater sah sie niedergeschlagen an. In seinen Augen erkannte sie eine unglaubliche Last während sein Körper langsam ausblutete. Sein Leben verging unter ihren Händen.

"Kannst du..kannst du dich an sie erinnern?", fragte er schwer atmend. Wie sollte sie? Cataleya war bei ihrer Geburt gestorben, hatte nie die Möglichkeit sie kennenzulernen. Kopfschüttelnd wischte sie sich die Tränen von der Wange.

"Ich habe nur Gefühle, Bilder, die ich mit ihr verbinde." Zum ersten Mal dachte Eliza an Cataleya als ihre Mutter. Sie schloss die Augen und beschwor sie vor ihrem geistigen Auge. Mama..Unendliche Liebe verbunden mit überwältigender Trauer flutete durch ihren Körper.

"Sag es mir bitte...", bettelte Tristan während er stumm weinte. Eliza atmete zittrig ein.

"Ich weiß, dass sie mich geliebt hat, dass sie mutig war, eine Kämpferin... Aber auch sehr traurig." Tristan lächelte, doch seine Augen verloren zusehends den Fokus.

"Sie hat dich geliebt...das haben wir beide. Ich wollte nicht...gehen..verzeih mir. Ich war nicht stark...genug."

"Du bist zurück gekommen.", hauchte sie und drückte sich an seine kalte Brust, "du bist für mich zurück gekommen. Ich vergebe dir, Papa. Ich liebe dich!"

"Ich liebe dich auch, Eliza, sehr sogar. Bitte vergiss das niemals."

Mit einem Lächeln auf den Lippen starb Tristan in den Armen seiner Tochter.

Eliza weinte, fühlte die Welt um sich herum dunkel werden. Sie verlor mit ihm einen Teil von sich selbst, verlor die Möglichkeit ihn kennenzulernen, eine Beziehung aufzubauen. Es gab so vieles, dass sie noch nicht wusste, aber so gerne über ihn lernen würde. Schluchzend legte sie den Kopf auf seine unbewegte Brust und schrie ihren Kummer heraus.

"Eliza." Vorsichtig umfassten warme Hände sie von hinten und zogen sie von dem erkalteten Leichnam.

"Eliza, alles wird wieder gut. Ich bin da. Ich bin da." Vincent presste sie an sich, flüsterte leise Worte des Trostes und konnte doch nicht mehr tun als sie zu halten.

All ihre Probleme, das Ungesagte, die Lügen waren in diesem Moment nicht wichtig, genauso wenig wie sie in ihrem Gefängnis wichtig gewesen waren. Sie brauchte Vincent, sie brauchte einen Anker um sich in diesem furchtbar komplizierten und oftmals grausamen Universum nicht zu verlieren.

Sie wusste nicht wie lange sie in seinen Armen gelegen hatte, als Hunter sie mit ernster Miene in die Gegenwart zurück zog.

"Ich glaube wir haben ein Problem.", flüsterte er und zeigte auf die Ziehsöhne Sangais. Viele von ihnen waren durch die Flammen aus dem Gebäude geflohen. Ihre rußgeschwärzten Gesichter starrten hilflos und panisch zu ihrem ehemaligen Zuhause.

Unsicher suchten sie in den Überlebenden nach dem Mann, dessen Existenz ihre berechtigte. Immer wieder wurde nach Sangai gefragt und schließlich konnten auch Vincent und Eliza das Gemurmel nicht mehr ignorieren.

"Ich denke..ich muss etwas sagen.", flüsterte Vincent und sah sie zweifelnd an. Sie erkannte die alte Angst wertlos zu sein in seinen Augen und küsste ihn sanft. Niemals wieder wollte sie diese Furcht sehen.

"Tu es."

"Und danach reden wir..über alles. Ich muss dir so vieles erklären."

"Ich warte auf dich. Geh." Nickend stand er auf und ließ sie bei ihrem Bruder, der ihr lächelnd eine Decke um die Schultern legte und sie auf die Motorhaube von Vincents Mietauto hob.

Sie sah zu wie Vincent sich nervös vor seine Ziehbrüder stellte, hinter ihm die Flammen des zerstörten Gebäudes und mit erhobenen Armen um deren Aufmerksamkeit bat.

"Ich weiß, die meisten von euch, können mich nicht unbedingt leiden, aber hört mir zu bevor ihr euch eine Meinung bildet. Ich bin Sangais leiblicher Sohn, sein Fleisch und Blut, obwohl mir das nicht viel bedeutet. Wichtiger ist, dass dieser Mann, der Mann, der viele von euch aus prekären Situationen barg, tot ist." Rufe wurden laut, Beschimpfungen, Fragen.

"Seid ruhig! Und hört zu!", brüllte Hunter und tatsächlich verstummte die Meute mit eingezogenen Schwanz. Dankbar nickte Vincent seinem Bruder zu.

"Sangai war aber mehr als das. Er war ein Arschloch, der unsere Furcht, unsere Hilflosigkeit ausnutze. Wie vielen von uns hat er Schmerzen zugefügt? Sei es nun psychisch oder physisch. Wie er uns behandelte, war nicht richtig."

"Aber wir hatten ein Dach über dem Kopf! Jetzt haben wir nichts!", rief jemand aus der Menge und wurde mit einigem Beifall unterstützt. Vincent nickte und verschränkte nachdenklich die Arme. "Naja, ganz so stimmt das nicht. Ich bin Sangais Erbe, habe laut Gesetzt Anrecht auf all seine Besitztümer."

"Und das hilft uns wie?", kam es von seinen Ziehbrüdern, "du wirst dir alles unter den Nagel reißen und wir gehen zurück auf die Straße. Ohne Sangai haben wir nichts!" Und mit dieser Auffassung, hatte Sangai seine Armee jahrhundertelang unter Kontrolle gehalten. Kopfschüttelnd trat Vincent näher.

"Das stimmt nicht! Ihr seid so viel mehr als dieser Mann. Jeder von euch ist klug und stark. Ich habe nicht vor, dass Geld meines Vaters zu verprassen. Aber wir werden eine andere Lösung für uns finden. Ein Zuhause. Eine Heimat, die wir gerne besuchen. Eine Familie, die sich wirklich als solche bezeichnen darf. Mit Geborgenheit und Liebe. Als Sangai mich als Kind in dieses Gebäude gebracht hat, war ich totunglücklich. Statt der Liebe meiner Pflegeeltern, erwartete mich nur seine Grausamkeit und die Kälte dieses Ortes. Ich hätte mehr verdient und genauso ist es bei euch! Ihr verdient mehr. Und gemeinsam können wir uns das erbauen."

Für einen Augenblick sanken seine Worte, wurden verarbeitet und verdaut. Niemand sagte etwas, doch jeder dachte nach.

"Ich würde gerne sehen, was wir erreichen können, Bruder.", meinte Hunter zuversichtlich. Zu ihrer Überraschung sah sie sowohl in Hunters als auch in den Gesichtern der anderen Kindersoldaten exakt die Emotionen von denen Vincent gesprochen hatte.

Andere stimmten ihm verbal zu und schon bald veränderte sich die Stimmung zu einem freudigen Neuanfang. Vincent warf ihr lachend einen Blick zu. Er war glücklich und das erste Mal seit sie ihm kannte hoffnungsvoll. Mit schnellen Schritten war er wieder bei ihr und umfasste ihr Gesicht mit seinen warmen Händen.

Stirn an Stirn lächelte er sie den Tränen nahe an.

"Wenn ich dir nicht begegnet wäre...ich liebe dich." Sie weinte mit ihm, fühlte dasselbe tief in ihrem Herzen. Zusammen hatten sie sich eine Zukunft erschaffen, unbehelligt von den Schatten der Vergangenheit.

Tristan 2000 Wien

"Sie hat meine Augen.", merkte Tristan an und lächelte breit, als er in das Gesicht seiner Tochter sah, Deren Blick wanderte neugierig über sein Antlitz. Ein aufgewecktes kleines Mädchen.

Das kleine Bündel in seinen Armen war das jüngste seiner Kinder, ein Geschenk wie jedes davor. Sie besaß zwar seine Augen, doch eindeutig die Haare und den dunkleren Hautton der Mutter. Tristan erkannte, dass sie nicht nur eine Schönheit sondern auch eine Kämpferin werden würde. Sein Herz platzte fast vor stolz.

"Und meine schönen Haare.", entgegnete Cataleya glücklich. Sie war noch immer etwas blass nach der schweren Geburt, doch der Arzt meinte, sie brauche nur etwas Ruhe. Tristan war entschlossen ihr diese zu geben und seine Liebste nach Strich und Faden zu verwöhnen.

"Sie wird einmal genauso schön wie du.", meinte er freudestrahlend und drückte Cataleyas Hand liebevoll.

"Ich hoffe nur auch so klug."

"Das versteht sich von selbst. Ich kann es nicht erwarten ihr die Welt zu zeigen. Osmann wird sich freuen ein weiteres Kind in seinem Haus zu haben. Vielleicht werden sie und Vincent Freunde oder gar ein Paar?!" Cataleya lachte und schüttelte amüsiert den Kopf.

"Plan doch nicht ihr ganzes Leben schon. Sie erst eine halbe Stunde alt." Tristan konnte sich nicht zurückhalten. Er war glücklich. Das Neugeborene begann zu weinen.

"Gib mir meine Tochter.", bat seine Geliebte sanft und streckte die Arme nach ihr aus. Tristan setzte sich neben Cataleya auf das Krankenbett und legte seine Tochter vorsichtig in die Arme ihrer Mutter. Cataleya stillte sie geschickt und strich dabei über den kleinen Kopf des Kindes. Eine Krankenschwester trat ein und lächelte die beiden freundlichen an.

"Haben Sie sich schon für einen Namen entschieden?", fragte sie neugierig. Tristans Blick wanderte zurück zu Cataleya. Sie hatten natürlich über Namen gesprochen. Sie sprachen immer sehr ausführlich über die Namen ihrer Kinder. Sie machten diese auch durchaus von der Zeit und dem Land abhängig in dem sie gerade lebten.

"Naja..wir haben ein paar zur Auswahl.", antwortete Tristan unsicher.

"Lassen Sie sich nur nicht zu lange Zeit. Sonst schleicht sich ein Kosename ein und dann heißt das Kind für immer Schnuki." Offenbar sprach sie aus Erfahrung. "Ich denke, Elizabeth wäre schön. Er klingt toll. Aber mein Mann hier wäre eher für Rebecca. Was denken Sie?", Cataleya blickte die Krankenschwester schelmisch grinsend an.

"Also ich finde Elizabeth auch sehr schön."

"Das war klar. Sie haben sich jetzt von meiner Frau beeinflussen lassen.", meinte Tristan gespielt genervt. Cataleya lachte entspannt und...griff sich an die Stirn.

"Cat? Was ist los?" Sie gab keine Antwort, stattdessen fiel sie zurück in die Kissen und ließ ihre Tochter los. Schnell fing Tristan sein Kind auf, während die Krankenschwester nach einem Arzt schrie.

"Cataleya! Cataleya!", keine Reaktion. Er schüttelte sie an den Schultern, doch ihre Augen blickten starr ohne Fokus an die Decke. Sein Herz setzte aus. Sie atmete nicht. Angst schnürte ihm die Kehle zu, Panik ließ ihn zittern. Ärzte stürmten in den Raum, begannen mit der Reanimation.

Die Krankenschwester zwang ihn aus dem Raum. Das Baby weinte unaufhörlich, doch über das Rauschen in seinen Ohren konnte Tristan nichts anderes hören. Die Krankenschwester redete mit ihm, gestikulierte.

Er sah es nicht. Vor seinem geistigen Auge, war Cataleya, leblos, kalt. Minuten vergingen bis die Ärzte endlich aus dem Raum traten und ihm mit bekümmerter Miene vom Tod seiner Frau berichteten.

Er konnte es nicht verstehen. Was sagten diese Männer in weiß? Wo war Cataleya? Was war passiert? Alles schien weit weg und verdreht. Cataleya konnte nicht tot sein, konnte ihn nicht verlassen. Sie war doch unsterblich, sie hatten einander die Unendlichkeit versprochen.

Sie würde ihn niemals verlassen! Die Krankenschwester neben ihm sprach tröstende Worte und nahm ihm das Neugeborene schließlich ab.

"Ich werde Elizabeth füttern und baden. Danach sind wir gleich wieder da.", hauchte sie. Tristan blieb unbewegt sitzen. Seine Gedanken rasten.

Was sollte er tun? Was nur? Was? Sein Blick fiel auf das Zimmer in dem er vor ein paar Minuten noch mit Cataleya gelacht hatte. Kraftlos stand er auf und torkelte hinein. Dort, auf dem Bett lag seine Frau. Ihre Augen waren geschossen, ihr Brustkorb still. Kein Herzschlag, keine Wärme. Ihr Lächeln war verschwunden.

Schwer atmend zwang er sich dazu näher zu treten und ihr sanft über das Haar zu streichen. So konnte es doch nicht enden? Zitternd kniete er vor dem Leichnam seiner Geliebten und versuchte die Realität zu verstehen.

Er konnte es nicht, konnte nicht leben. Er musste verschwinden, wollte im Grunde aufhören zu existieren. Der Gedanke an die Tochter kam in seiner Trauer nur schwerlich zur Geltung.

Wie in Trance jedoch schaffte er es einen Zettel vom Nachtisch zu nehmen und darauf zu schreiben. Er sah nicht zurück als er aus dem Krankenhaus lief, dem Ort an dem sein Herz gestorben war.

Kurz danach schlenderte die Krankenschwester zurück zu dem Platz an dem sie den Vater hatte sitzen lassen. Von ihm fehlte jede Spur. Auf seinem Sitz lag bloß ein Zettel auf dem zwei Namen standen.

Cataleya und Tristan.

Anmerkung der Autorin: Dieses letzte Kapitel tat echt weh. Musste ein paar harte Entscheidungen treffen. Hoffe es hat euch gefallen :)

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