Die Suche nach Unsterblichkei...

By LisMari94

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Als Waisenkind auf der Straße war es Eliza nie wichtig ihre Eltern zu finden. Im Gegenteil sich selbst einen... More

Einleitung
1. Der Auftrag eines Fremden
2. Keine Wahl
3. Nicht die erste Wahl
4. Erinnerungen einer alten Dame
5. Wertvoll und Wertlos
6. Ein unbedachter Kuss
7. Schwierige Gefühle
8. Postkarte mit froher Botschaft
9. Die Wahrheit
10. Ein Wunder
11. Eifersucht und ihre Folgen
12. Schick wie Vivian Ward
13. Der unsterbliche Club
14. Das Sexleben deiner Eltern
15. Verfolgung im Regen
16. Gefunden
17. Verzweifelte Lügen
18. Was zurück bleibt
19. Ein Anrecht
21. Die Heimkehr
22. Hast du einen Plan?
23. Unsterblich
24. Epilog

20. Am Ende der Welt

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By LisMari94

Zitternd vor Kälte, Schwitzend vor Anstrengung und Erschöpft von einer langen Reise blieb Vincent vor einem einsamen Haus am Ende der Welt stehen. Es regnete in Strömen, die Nacht war längst angebrochen und tauchte alles in grausige Schwärze.

Er war durch Städte und Dörfer gewandert, hatte ein ums andere Mal ein Bild von Tristan und Cataleya hergezeigt und war ums wiederholte mal weitergeschickt worden. Es fühlte sich an als hätte er ganz Island erkundet. Nun endlich stand er vor dem Haus, dass Nachbarn ihm beschrieben hatten. Es stand auf einer verlassenen Klippe weit ab von allem das man Zivilisation nennen konnte.

Vincents Herz klopfte wie wild, seine Gedanken rasten. Hinter dieser einfachen Holztür warteten Elizas Eltern. Was sollte er ihnen sagen? Wie sollte er sich vorstellen? Überfordert blieb er im Regen stehen. In unregelmäßigen Abständen erwischte ihn eine Sturmböe und klatschte den eisigen Regen in sein Gesicht. Kälte kroch langsam in seine Knochen. Plötzlich öffnete sich die Tür der Hütte und im Licht des Wohnzimmers stand eine Gestalt. Ein Mann.

"Willst du noch lange dort stehen?",rief er ihm zu und erschrocken öffnete Vincent den Mund.

"Äh...nein?"

"Gut, dann komm rein.", brummte der Fremde und ließ die Tür offen stehen. Hastig beeilte sich Vincent ins Trockene zu gelangen.

"Leg deinen Mantel ab und zieh die Schuhe aus. Ich will hier nicht überall Wasser haben.", hörte er aus der angrenzenden Küche und tat wie ihm befohlen. Seinen völlig durchnässten Mantel und die tropfenden Schuhe stellte er neben die Eingangstür.

"Auf der Bank sind frische Sachen.", merkte der Fremde immer noch mit dem Rücken zu ihm an. Zögerlich sah Vincent sich die Kleidung an. Ein einfaches braunes Sweatshirt und eine blaue Jeans. Sollten ihm von der Größe aus passen.

Hatte sein Gastgeber wirklich schon so lange auf sein Eintreten gewartet, dass er die Zeit gehabt hatte, Kleidung in der richtigen Größe zu finden? Schlimmer noch, war er tatsächlich so lange vor dieser Hütte gestanden? Vincent hatte jegliches Gefühl für die Zeit verloren.

Ungelenk zog er sich um und versuchte dabei einen Blick auf den Fremden zu erhaschen. Dieser stand mit dem Rücken zu ihm vor einem kleinen Kochtopf. Er konnte die Statur des Mannes unter dem weiten grauen Pullover kaum erkennen und im schummrigen Licht der einzelnen Glühbirne war die Haarfarbe nicht auszumachen.

Ob dies wirklich Elizas Vater war?, schoss des Vincent durch den Kopf. Dazu gab es in der kleinen Hütte kaum Anzeichen für eine weitere Person, geschweige denn eine weibliche. Seine Hoffnung endlich das richtige Haus gefunden zu haben schwanden dahin. Dennoch konnte er die Frage nicht unausgesprochen lassen.

Neu eingekleidet und endlich wärmer werdend trat er in die Wohnküche.

"Ähm...mein Name ist Vincent. Ich..ich bin auf der Suche nach jemandem. Einem Mann namens Tristan und seiner Frau Cataleya. Haben Sie zufällig schon mal von ihnen gehört?", fragte er zögerlich.

Die Gestalt des Mannes verkrampfte sich, während scheppernd ein Häferl am Boden zersplitterte. Reflexartig bückte Vincent sich um die Scherben aufzuheben, sein Gastgeber tat dasselbe und in dieser einen Sekunde sahen sie sich ins Gesicht.

Was Vincent sah, erstaunte ihn vollkommen. Rote Haare, blaue Augen und die Grübchen, die auch Elizas Gesicht zierten....Tristan. Er war es wirklich. Kein Jahr gealtert, keine Falten oder weiße Haare. Unsterblich, Unvergänglich.

Der einzige Unterschied in den Bildern ihrer Nachforschungen war der rote Bart, der wild wuchernd die Hälfte von Tristans Gesicht in anspruch nahm.

"Woher kennst du diese Namen?", zischte Tristan misstrauisch.

"Ich wollte nicht...ich wollte Sie nicht erschrecken.", stammelte Vincent als Tristan übel gelaunt, die Reste des Häferls wegwarf und nach dem pfeifenden Teekessel griff.

"Hast du nicht. Ich war nur überrascht weiter nichts. Du hast meine Frage nicht beantwortet, Junge." Tausend Antworten rasten durch Vincents Kopf, doch die einfachste war es die aus seinem Mund kam.

"Ich bin ein Freund Ihrer Tochter, Eliza." Tristan hielt in seiner Bewegung für einige Sekunden inne und holte tief Luft. Bedächtig griff er nach zwei neuen Häferln und füllte sie mit Tee. Er roch süßlich und verbreitete diesen angenehmen Geruch im ganzen Haus.

"Sie schickt dich um mich zu finden?", mutmaßte Tristan und drehte sich vorsichtig mit zwei vollen Behältern um. Ein Häferl wanderte in Vincents kalte Finger und dankbar nahm er den Trunk entgegen.

Ohne auf eine Antwort oder gar Reaktion zu warten ließ Tristan sich in einen großen Kaminsessel fallen. Unsicher folgte Vincent ihm und wählte einen Hocker daneben aus. Einen zweiten Sessel konnte Vincent nirgends entdecken.

"Nein, so etwas hätte sie gar nicht nötig. Eliza ist wirklich gut darin Menschen zu finden."

"Warum bist du dann hier und nicht sie?", Tristans Blick war auf die orangenen Flammen des kleinen Kamins gerichtet. Der gleichgültige Gesichtsausdruck und die verschlossene Haltung sorgten für ein ungutes Gefühl in Vincents Magen. Sein Häferl langsam im den Händen drehend versuchte er Tristan eine Antwort auf dessen Frage zu geben.

"Das ist eine lange und...komplizierte Geschichte." Er hörte Tristan laut seufzen.

"Beantworte die Frage. Dann entscheide ich ob ich den Rest überhaupt hören will." Furchtsam nahm Vincent einen Schluck aus seiner Teetasse und nickte.

"In Ordnung. Ich bin hier...weil Eliza es nicht mehr sein kann. Rupert Sangai hat sie entführt." Tristans Kiefer verspannte sich. "Sangai..ich kenne ihn. Was will er mit Eliza?"

"Es ist nicht Eliza, die er will. Eigentlich wollte er euch, also dich und Cataleya. Aber weil wir euch nicht finden konnten hat er entschieden sie zu entführen." Zornig nickte Tristan und ballte die Hände zu Fäusten.

"Was glaubt er damit zu bewerkstelligen? Warum will er uns?"

"Er hat begonnen zu altern und.."

"Und er denkt, dass er mit unserer DNA diesen Prozess wieder umkehren kann? Schwachkopf!", er stand wütend auf und ging stampfend einige Schritte durch das bescheidene Wohnzimmer, "was glaubt dieser Idiot eigentlich. In all diesen Jahrhunderten konnte niemand den Zustand herbeiführen noch verändern. Und er wird sicherlich nicht der erste sein, dem es gelingt."

Vincent stand ebenfalls auf, die Teetasse stellte er auf den kleinen Beistelltisch auf dem auch Tristans Tasse unberührt abkühlte.

"Er ist fest entschlossen." Schnaubend raufte Tristan sich die Haare.

"Das waren andere vor ihm noch viel mehr, glaub mir. Sangai ist ein Idiot, diesem Hirngespinst nachzulaufen anstatt seine verbleibende Zeit sinnvoll zu nutzen."

Irgendwo gab Vincent ihm durchaus recht, doch würde ihm diese Tatsache nicht helfen Eliza zu befreien. Im Gegenteil sie machte Sangai um ein vielfaches gefährlicher. Plötzlich richtete Tristan seinen Blick auf ihn und trat angespannt näher.

"Was willst du hier? Bist du nur hier um mir diese Nachricht zu überbringen?", fragte er frustriert und Vincent antwortete sofort mit vehementem Kopfschütteln.

"Nein, ich brauche deine Hilfe um sie zu retten." In jedem dieser Wörter steckte seine ganze Verzweiflung, seine Hoffnung und seine tosende Angst. Tristans Antwort würde über Elizas Schicksal entscheiden und seiner vorherigen Reaktion nach zu urteilen, erwartete Vincent etwas völlig anderes als Tristan ihm gab.

"Ich kann dir nicht helfen.", meinte dieser leise und wandte sich von ihm ab. Vincents Blut begann zu kochen und unbewusst ballte er die Hände zu Fäusten. Was sollte das bedeuten? Warum weigerte sich dieser Mann seiner Tochter zu helfen?

Wie kam es das wild Fremde wie Mila oder Sahana bereit waren Eliza ihre Hilfe ohne großes Aufhebens anzubieten und Abdel und Tristan, unsterblich und mit langer Familiengeschichte weigerten sich ihr den kleinen Finger zu reichen. Besonders von Tristan hatte er mehr erwartet. Hitzig griff er nach dessen Schulter und drehte ihn zu sich.

"Das hat Abdel Osmann auch gesagt bevor ich ihn umgestimmt habe. Ich werde nicht aufgeben, nicht aufhören, bis ich sie gerettet habe und Sangai für seine Verbrechen büßt!" Überraschung blitzte in den Augen seines Gegenübers auf.

"Woher kennst du Eliza?" Vincent musste schlucken, mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet.

"Ich..Wir..,", er ergab sich der Wahrheit und beichtete mit gesenktem Kopf, "Sangai hat mich beauftragt ihre Nachforschungen über dich und Cataleya zu überwachen und Bericht zu erstatten."

"Und jetzt bist du hier und bittest mich dir in die Höhle des Löwen zu folgen?", schnaubend befreite er sich von Vincents griff, "soweit ich weiß, wirst du mich einfach an Sangai ausliefern und eine Belohnung kassieren." Natürlich dachte er das...Vincent hatte ihn keinen Grund gegeben ihm zu vertrauen, aber damit sein Plan funktionierte musste Tristan ihm vertrauen. Hektisch griff er sich in den Nacken und zeigte Tristan die Wunde.

"Ich habe den Peilsender entfernt. Ich gehöre nicht mehr zu Sangai..bitte du musst mir das glauben. Ich musste damals so handeln wie er es mir aufgetragen hat. Ich hatte keine Wahl. Er war alles was ich kannte und ich wurde zur Folgsamkeit erzogen, also.."

"bist du seinen Anweisungen gefolgt. Sangai hat seine Ziehsöhne nie gut behandelt. Schlechter jedoch hatte es sein leiblicher Sohn." Das Wissen in Tristans blauen Augen war unverkennbar. Vincent nickte niedergeschlagen. Er schämte sich für seinen dummen Gehorsam.

Immer wieder hatte er die Gelegenheit gehabt, fortzugehen, abzuhauen und war doch aus Angst geblieben und nun hatte diese Furcht einer Person geschadet, die ihm wichtig war.

"Bitte...ich weiß, du kennst mich nicht..aber ich würde dich nicht hintergehen. Alles was ich will ist Eliza retten." Tristans Gesicht war eine undurchsichtige Maske, er zeigte ihm keine Reaktion mit der Vincent seine nächsten Argumente planen konnte. Da sein Gegenüber stumm blieb, beschloss er eine andere Frage zu stellen.

"Woher? Woher weißt du das Sangai mein Vater ist?" War denn seine Abstammung so offensichtlich? Tristan verschränkte langsam die Arme und sah ihn kummervoll an.

"Ich war da, als du geboren wurdest. Ich habe mit Eleanora und Abdel auf deine Geburt angestoßen. Es tut mir leid, was danach geschehen ist. Eleanora war eine beeindruckende Frau und liebevolle Mutter. Du hättest an ihrer Seite nur Liebe und Geborgenheit erfahren." Traurig lächelte Vincent, er wusste tief in seinem Herzen, dass Tristans Worte der Wahrheit entsprachen.

"So wie Eliza an deiner und Cataleyas. Ich kann verstehen warum mein Leben diesen Weg gegangen ist, aber ich kann einfach nicht nachvollziehen warum ihr Eliza in einem Waisenhaus vollkommen alleine gelassen habt. Bei all unseren Nachforschungen habt ihr nie ein Kind zurück gelassen. Erwachsene ja, aber niemals ein Kind. Ein paar eurer Freunde im unsterblichen Club meinten ihr hättet es nicht ertragen ein weiteres Kind in die Welt zu setzen nur um es sterben zu sehen. Ihr wolltet es loswerden. Stimmt das?" Ärger spiegelte sich in Tristans Gesicht.

"Lass mich raten, Rose und Dianan, vielleicht sogar Nicole und Nio? Was ist mit Shimazu und Celeste? Diese Gerüchteverbreiter. Nichts als tratschen. Ihr hättet dort nie hingehen dürfen."

"Uns blieb keine andere Wahl! Es war unsere einzige Spur um euch zu finden.", verteidige Vincent sich und irgendwie auch die Unsterblichen aus dem Club. Er mochte nicht alle, aber zumindest waren sie höflich gewesen und bereit Informationen zu teilen.

"Sie haben gelogen. Wann immer das Universum uns mit einem Kind beschenkt hat, waren Cataleya und ich nur glücklich. Niemals hätten wir...", der Satz verlor sich in einem gequälten Gesichtsausdruck. Vincent harkte nach, er wollte es nun endlich wissen.

"Niemals hättet ihr was? Ein Kind zurück gelassen? Warum dann Eliza? Warum ist sie anders?" Er konnte flüssigen Stein durch Tristans Körper wandern und jeden Muskel erstarren sehen. Selbst die Fähigkeit zu atmen schien seinem Gastgeber abhanden gekommen zu sein. Vorsichtig um ihn nicht zu zerbrechen trat Vincent näher.

"Tristan?" Ein Ruck ging durch seine Gestalt und brachte das Leben zurück in den Unsterblichen.

"Es ist spät."

"Nein ist es nicht," Vincent war nicht bereit locker zu lassen," ich will eine Antwort! Was war an Elizas Geburt so anders, dass ihr sie aufgegeben habt?" Düstere Trauer zog über Tristans Gesicht und umhüllte seinen Körper wie eine kugelsichere Weste. Sein gesamtes Sein strahlte Abneigung und Zorn aus. Vincent wusste auch ohne verbale Antwort, dass seine Frage einen furchtbaren Nerv getroffen hatte.

"Du wirst deine Antworten nicht kriegen, Junge! Also hör auf zu Fragen.", knurrte Tristan zurück und versuchte in das angrenzende Schlafzimmer zu gehen. Vincent stellte sich ihm dreist in den Weg.

"So leicht wirst du mich nicht los. Wenn du mir schon keine Antworten geben willst, dann hilf mir wenigstens Eliza vor Sangai zu retten." Für einen Moment sah er Sehnsucht in Tristans Augen, den Wunsch zu helfen, doch viel zu schnell war seine gewohnt abweisende Maske wieder da.

"Ich bin niemandem eine Hilfe."

"Na gut. Dann sag mir wo ich Cataleya finden kann. Ich nehme nicht an das sie hier wohnt. Vielleicht will sie ja ihrer Tochter helfen." Der Blick des Unsterblichen wanderte zu Boden, wich gekonnt seinem aus.

"Das kann ich dir nicht sagen." Aufstöhnend griff Vincent in seine Haare. Eine Beziehungskrise zwischen Elizas Eltern war das letzte, dass er nun brauchte.

"Wieso nicht?", fragte er frustriert. Tristan antwortete ihm nicht, stand nur mit hängenden Schultern vor ihm. Vielleicht würde eine feinfühligere Strategie bessere Ergebnisse bringen, schoss es Vincent durch den Kopf.

"Tut mir leid wenn ihr gerade eine Beziehungskrise habt, aber Elizas Leben hängt davon ab, dass ich mit einem von euch durch die beschissene Eingangstüre von Sangais Festung gehe. Ansonsten sterbe ich noch bevor ich klingeln kann."

"Ich kann dir nicht helfen", murmelte Tristan wieder und versuchte an ihm vorbei zu kommen. Zornig hielt Vincent ihn dieses Mal nicht auf.

"Eliza hatte recht, als sie nicht nach euch suchen wollte. Ihr habt euch bei ihrer Geburt einen Scheiß um sie geschert und jetzt seid ihr auch noch für ihren Tod verantwortlich. Sangai wird sie töten! Verstehst du mich! Er wird sie umbringen.."

Etwas nasses Tropfe auf seine Wangen und verwirrt sah Vincent zur Decke, doch es war kein Regen, der langsam über sein Gesicht lief.

Tränen. Tränen, weil er endlich ausgesprochen hatte, was er selbst nicht wahrhaben wollte. Es bestand die Chance, dass Eliza längst tot war. Ihr Lächeln huschte durch seine Gedanken und verstärkten die Trauer in seinem Herzen. Zögerlich trat Tristan wieder auf ihn zu.

"Wer ist sie für dich?", hauchte er und in diesem Augenblick erkannte Vincent den eigenen Verlust in den Augen seines Gegenübers.

"Ich liebe sie. Mein Herz gehört ihr." Tristan griff in seinen Nacken und zog ihn zu sich. Die Umarmung war ungelenk und seltsam, aber all das war Vincent nicht wichtig. Die menschliche Nähe war mehr wert.

Vincent konnte durch das Rauschen in seinen Ohren kaum Tristans Worte ausmachen. Als er sie dann endlich begriff blieb sein Herz stehen. "Cataleya ist tot."

ELIZA

Trübsinnig sah sie aus dem Fenster in ihrem Zimmer und beobachtete das Schneetreiben. Sie mussten hoch oben sein, die Bergspitzen waren so nah. Ein Schneesturm tobte vor ihren Augen und beinahe konnte sie die Kälte durch das Panzerglas spüren.

Oder war es die generelle Taubheit ihres Körpers? Vor mehr als drei Stunden hatte ein Pfleger sie in den Sessel gehoben und ihr eine Dosis von Gott weiß was verabreicht.

Eliza war daraufhin völlig benebelt gewesen. Jetzt endlich fing sie wieder an sich und ihre Umgebung wahrzunehmen. Vom Flur jenseits ihrer Tür hörte sie Stimmen und Leute. Ob wohl bald wieder jemand käme um sie zurück ins Land der Träume zu spritzen?

Ein Teil von ihr wollte vergessen, wollte ihre ausweglose Lage verdrängen, aber ein anderer Teil hatte das Bedürfnis zu schreien und zu kämpfen. Welcher davon die Oberhand hatte hing von der Tageszeit ab und den Abständen ihrer Eingriffe.

Noch hatten die Ärzte nichts gefunden und gingen zu weit invasiveren Eingriffen über. Ihr dummes Herz hegte dennoch die kleine Hoffnung, dass irgendjemand sie retten käme, das sie jemandem etwas bedeutete.

Cataleya 1970 Norwegen

Eng umschlungen lag sie in den Armen ihres Liebsten. Es war ihr der schönste Ort der Welt. Die bunten Decken bildeten ein behagliches Nest um sie und nah an ihrem Ohr konnte sie das stetige Schlagen von Tristans Herz hören. Sie war glücklich.
Vor etwas mehr als einem halben Jahr waren sie in den Norden gereist und schließlich in diesem bescheidenen Dorf sesshaft geworden. Sie bewohnten ein kleines Häuschen in einer winzigen Siedlung. Gerade genug Leute um sich gegenseitig zu helfen wenn es ernst wurde.
Obwohl es gerade fünfzehn Uhr war, zeigte sich die Welt hinter ihren Fenstern in einem unheimlichen Schwarz. Die Sonne war bereits wieder untergegangen und hatte sie in der Dunkelheit zurückgelassen. Hoch oben im Norden war das üblich und nach mehreren Monaten in der Kälte des Polarkreises war Cataleya den Tagesrhytmus gewohnt. Allerdings sorgte die lange Nacht für mehr Schläfrigkeit und mehr Pausen im Bett. Keiner von ihnen beschwerte sich darüber. Im Gegenteil, es war Jahre her, dass sie der Zweisamkeit so fröhnen konnten.
"Ist es schon wieder Zeit aufzustehen?", fragte Tristan brummend und strich ihr sanft über den Kopf. Dieser lag schwer auf seiner nackten Brust. Lächelnd sah Cataleya zu ihm auf.
"Nein. Alles gut. Wir können noch liegen bleiben." Eine dreiste Lüge, aber eine für die sich Cataleya nicht im geringsten schämte. Tristan seufzte zufrieden und presste ihre nackten Leiber aneinander. Wohlig genoss sie das Gefühl seiner Haut auf ihrer und musste an all die Jahrhunderte an seiner Seite denken.
Es gab auf dieser Welt niemanden, den sie so liebte wie diesen Mann. Er war ihre zweite Hälfte, ein Teil ihres Herzens und ihrer Seele. Sie wollte sich nicht vorstellen wie es ohne ihn auf diesem Planeten aussehen würde. Cataleya wusste, dass es ihm genauso ging. Sich auf die Unterlippe beißend blickte sie ihm ins Gesicht und erkannte einen skeptischen Ausdruck in seinen schönen Augen.
"Wirklich? Warum sagen mir deine Augen dann etwas anderes?"
"Keine Ahnung was dir meine Augen sagen, aber mein Mund sagt, wir können noch im Bett bleiben." Ein Lächeln umspielte seinen Mundwinkel als er sich über sie beugte und nach dem Wecker griff. Lachend versuchte sie ihn aufzuhalten. Minutenlang rangelten sie um die Uhr und endeten mit Cataleya triumphierend auf ihm, den Wecker auf den Boden werfend. Rund ums Bett lagen dicke Tierfelle, sodass der Wecker weich landete.
"Ich sagte, wir bleiben liegen.", befahl sie spielerisch und stütze die Hände in die Hüften. Tristan lachte und ließ seinen gierigen Blick über ihren Körper wandern.
"Okay, eure Hoheit. Wir bleiben liegen. Aber was sollen wir den ganzen Tag in diesem Bett tun?" Sie beugte sich vor und küsste ihn lang und tief. An seinen Lippen murmelte sie.
"Ich denke uns fällt da schon was ein." Stunden später knurrten die Mägen und zwangen die Verliebten doch in die Küche. Weder Cataleya noch Tristan scherten sich um Kleidung und liefen einfach nackt herum. Die Küche war mit dem Wohnzimmer verbunden in dessen Zentrum ein altmodischer Kamin stand.
Hinter der Hüte hatte der Vormieter sogar eine Sauna gebaut und freudig nahmen sie auch diese Möglichkeit zur Entspannung an.
In angenehmer Stille bereiteten sie ein kleines Mahl vor.
Cataleya liebte die Tatsache, dass sie diesen Mann so gut kannte. Sie wusste, was er mochte und was nicht, welche Speise ihn verrückt machten und welche Berührungen ihn verführten. Ihr Herz raste jedes Mal wenn er sie anlächelte. Sie saßen bereits vor dem Kamin und aßen als Tristan sie streng ansah.
"Wenn du heute nicht arbeiten gehen willst, sollten wir Bescheid sagen." "Okay, ich will heute nicht arbeiten." Verwirrt legte er den Kopf schief, als hätte er nicht damit gerechnet, dass sie wirklich zuhause bleiben wollte. "Aber wir sollten." Cataleya zuckte mit den Achseln, biss von ihrem Sandwich und grinste ihn an.
"Und? Ist doch egal. Wir sagen, wir sind krank und gönnen uns diesen Tag. Es ist sowieso viel zu spät." Erschrocken suchte Tristans Blick die Uhr. Mit hängenden Schultern wandte er sich wieder ihr zu.
"Mist...du hast recht." Cataleya musste lachen und rutschte näher. Mit einem breiten Grinsen legte sie ihr Essen weg und begann ihn zu küssen. "Dann haben wir jetzt viel Zeit." Tristans düstere Stimmung war schnell verflogen und genauso uninteressant wie das Sandwich.

Anmerkung der Autorin: Ich habe so lange mit mir gekämpft wie ich dieses Kapitel schreiben soll. Für mich ist jetzt der Höhepunkt, endlich ist die Suche zu Ende...aber was Vincent gefunden hat..:( als ich dieses Buch angefangen habe, hat diese Begegnung in meinem Kopf noch ganz anders ausgesehen. Auch wenn es manchmal nicht so wirkt, aber ich hasse es meine Charaktere unglücklich zu sehen oder sie sterben zu lassen.

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