Die Suche nach Unsterblichkei...

By LisMari94

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Als Waisenkind auf der Straße war es Eliza nie wichtig ihre Eltern zu finden. Im Gegenteil sich selbst einen... More

Einleitung
1. Der Auftrag eines Fremden
2. Keine Wahl
3. Nicht die erste Wahl
5. Wertvoll und Wertlos
6. Ein unbedachter Kuss
7. Schwierige Gefühle
8. Postkarte mit froher Botschaft
9. Die Wahrheit
10. Ein Wunder
11. Eifersucht und ihre Folgen
12. Schick wie Vivian Ward
13. Der unsterbliche Club
14. Das Sexleben deiner Eltern
15. Verfolgung im Regen
16. Gefunden
17. Verzweifelte Lügen
18. Was zurück bleibt
19. Ein Anrecht
20. Am Ende der Welt
21. Die Heimkehr
22. Hast du einen Plan?
23. Unsterblich
24. Epilog

4. Erinnerungen einer alten Dame

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By LisMari94

Mit einer Karte und Google maps ausgestattet machten sie sich daran die Adresse ihrer Eltern zu suchen. Es war bereits Nachmittag als sie durch die engen Gassen wanderten. Eliza musste ihrem Reisebegleiter recht geben. Die Altstadt war schön. Die Gebäude hatten einen anderen Stil und überall konnte man die Geschichte der Stadt fühlen.

Am liebsten wäre sie ziellos umher geirrt und hätte sich alles angesehen. Noch nie zuvor hatte sie die Lust zu reisen verspürt. Ihre primären Bedürfnisse nach Nahrungsmittel und einem Dach über dem Kopf hatten ihre Neugierde auf die Welt stets behindert.

"Übrigens ist der neue Lippenstift sehr schön. Er steht dir.", platzte Vincent überraschend neben ihr heraus und lächelte sie schüchtern an. Verwundert blickte sie weg und strich sich die Haare hinter die Ohren.

"Ähm, ja, danke. Es war eine gute Idee shoppen zu gehen." Er grinste sie an. Eliza wusste nicht so recht, was sie mit dieser Aussage anfangen sollte. Flirtete er mit ihr? Nein, wohl kaum. Das warme Gefühl in ihrem Bauch ignorierend lenkte sie ihre Schritte eine weitere Straße entlang. Es gab schließlich wichtigeres.

"Du sagtest vorhin ich sei wertvoll. Inwiefern? Ich verstehe das ganze einfach nicht.", meinte sie zögerlich. Vincent zuckte mit den Achseln und steckte die Hände in seine Lederjacke.

"Ich weiß es selbst nicht so genau. Ich war nie wirklich einer von Sangais Lieblingen, also hat er mir nicht viel erzählt. Aber ich weiß, dass ihm deine Eltern wichtig sind. Den Rest werden wir wohl so herausfinden müssen." Es war dieses wir, das nicht in ihr Konzept passte.

"Ich bin mir nicht sicher ob ich dir vertrauen kann.", gestand sie unwillig und erntete ein trauriges schiefes Lächeln ihres Begleiters.

"Das kannst du nicht. Wir haben alle unsere Rollen zu erfüllen. Das einzige, dass wir tun können ist, währenddessen Spaß zu haben." Mit dieser Philosophie kam Eliza klar. Sie hatte sie bereits ihr Leben lang angewandt.

"Da vorne müsste es sein.", meinte Vincent und zeigte auf ein dreistöckiges Wohnhaus. Die Fassade war bereits alt und beschädigt, doch das Straßenschild war eindeutig erkennbar.

"Hoffen wir mal, dass da jemand lebt, der englisch kann...", murmelte Eliza und wappnete sich innerlich.

"Ist gar nicht nötig. Ich kann ein bisschen ungarisch. Nicht viel, aber es wird sicher reichen um ein paar simple Fragen zu stellen."

"Okay. dann los." Sie läutete an der letzten Adresse ihrer Eltern an und wurde sofort reingelassen. Das Wohnhaus innen sah nicht besser aus als die Fasade. Zielsicher gingen sie zu der Tür auf der in schönen Buchstaben >Nagy< stand.

"Anscheinend lebt Pavlo hier nicht mehr.", flüsterte Eliza und klopfte an die Holztür. Eine ältere Damen öffnete sie und lächelte freundlich. Vincent trat vor und begrüßte sie auf Ungarisch. Er sprach noch einige Sätze, doch die alte Damen schien von Wort zu Wort verwirrter. Eliza hatte das Gefühl Vincents ungarisch war bei weitem schlechter als dieser sich eingestehen wollte. Die Haustür wurde weiter geöffnet und ein junger Mann trat neben die ältere Frau.

"Entschuldigung, was reden Sie da?", fragte der junge Mann etwas ärgerlich auf Englisch und erleichtert seufzte Eliza.

"Es tut uns leid, Sie zu stören. Wir haben ein paar Fragen über das Paar das hier vor 20 Jahren gewohnt hat.", antwortete sie ihm ebenfalls auf Englisch.

Der junge Mann nickte leicht und übersetzte ihre Worte ins ungarische. Er hatte kurze dunkle Haare und ein markantes Kinn. Ein paar Pfunde zu viel auf den Hüften und mehrere Ringe an den Fingern. Die ältere Frau nickte hektisch und zog Eliza in die Wohnung. Überrascht folgte Vincent ihr hinein. Gemeinsam wurden sie auf ein buntes Sofa gesetzt. Die Frau nahm ihnen gegenüber Platz, der junge Mann setzte sich neben sie. Die Wohnung war eindeutig das Domizil einer Oma wie man sie aus den Filmen kannte. Überall standen kleine Figuren und Bilder herum. Alles war mit einem Blumenmuster versehen und Eliza konnte sogar frische Kekse riechen. Ein kleines wohliges Paradies.

"Ich bin Lazslo. Das hier ist meine Großmutter Judith. Ich werde so gut es geht übersetzen, aber erwartet euch nicht zu viel. Also, was wollt ihr wissen?", brummte der junge Mann. Eliza lächelte die Frau an und holte das Bild ihrer Eltern heraus.

"Das hier sind meine Eltern. Vor etwa genau zwanzig Jahren haben sie in dieser Wohnung gewohnt. Kann sie sich an sie erinnern?" Judith nahm zittrig das Bild entgegen. Ihr Blick war traurig und sofort fragte Eliza sich ob sie eine schmerzende Geschichte erwartete. Laszlo übersetzte schnell und abgeharkt.

"Cat und Tristan. Sie haben in dieser Wohnung gewohnt, bevor sie sie meiner Großmutter überlassen haben. Sie sind weggezogen. Für Jahre waren sie Nachbarn gewesen. Meine Großmutter hatte viel Kontakt zu ihnen, hat sie sehr gemocht. Fast so etwas wie Familie."

"Kannst du dich auch an sie erinnern?", fragte Eliza Laszlo. Dieser schüttelte den Kopf.

"Ich war damals noch nicht mal auf der Welt." Judith strich liebevoll über das Bild und beugte sich dann vor um Elizas Hand zu greifen. Eliza verstand Judiths ungarisch nicht, doch alleine der Tonfall rührte sie zu Tränen.

"Du erinnerst sie an Cataleya. Stolz und stark. Eine Kämpferin."

"Auf dem Bild ist sie schwanger. Warum hat sie das Baby nicht behalten? Warum hat sie mich nicht behalten?", hauchte Eliza erstickt. Judith schüttelte krampfhaft den Kopf und ihre Stimme wurde lauter. Lazslo kam kaum mit dem übersetzten hinterher.

"Meine Großmutter war da als Cataleya den Schwangerschaftstest gemacht hat und sie kann sich noch genau an ihren Gesichtsausdruck erinnern. Damals hat sie sie ebenfalls gefragt, warum sie nicht überglücklich war. Schließlich waren die beiden verheiratet und könnten sich ein Kind leisten. Cataleya hat meiner Großmutter nie eine Antwort darauf gegeben."

Etwas in Eliza hatte gewusst, dass es niemals so einfach sein würde. Vincent schaltete sich ein. Sein Englisch war schlecht, aber er schien trotzdem entschlossen sich am Gespräch zu beteiligen.

"Wohin sind sie gegangen?" Judith zuckte mit den Schultern. Sie schien keine Antwort zu haben. Nun wenn es keinen Weg nach vorne gab, musste man den Weg nach hinten nehmen.

"Woher sind sie gekommen?", fragte Eliza und wartete. Judith sprang auf und ging so schnell sie konnte in den Nebenraum. In peinlicher Stille saßen sie ihrem Übersetzter gegenüber. Als Judith wieder auftauchte hielt sie eine Schuhschachtel in den Händen. Vorsichtig legte sie sie in Elizas Schoss.

"Das haben deine Eltern vor all diesen Jahren zurückgelassen."

Unsicher hob Eliza den Deckel der Schachtel an. In ihr ruhten Kleinigkeiten. Ein tiefroter Schal, eine bemalte Holzbox, Postkarten und Stoffbänder. Vermutlich noch vieles mehr, doch bevor Eliza Zeit hatte wirklich darin zu stöbern, griff Judith hinein und holte eines der Stoffbänder heraus. Die alte Frau griff nach einer von Elizas langen Haarsträhnen und begann das Band hinein zu flechten. Dabei erzählte sie weiter.

"Anscheinend hat deine Mutter ihr Haar oft mit diesen Bändern verziert. Meine Großmutter und sie haben viele Stunden damit zugebracht sich Frisuren zu machen."

Es war etwas so simples, doch gerade darin lag die Macht. Eliza spürte die sanften Hände der Großmutter und die salzigen Tränen auf ihren Wangen. Ihre Mutter war ebenfalls vor Judith gesessen und hatte dasselbe gefühlt wie sie. Die Verbundenheit ließ sie laut schluchzen.
Judith war fertig mit ihrem Zopf und umfasste Elizas Gesicht lächelnd. Ihre runzeligen Hände waren warm und sicher. So jemand in Elizas Leben wäre eine Bereicherung gewesen. Judith sprach weiter.

"Sie sagt, du kannst die Box mitnehmen und alles darin behalten. Das meiste davon hat überhaupt keinen Wert." Zumindest nicht für ihn.

"Danke, für die Sachen und für ihre Hilfe.", meinte Eliza aufrichtig. Judith winkte ab und beugte sich noch einmal vor. Laszlo tat es ihr gleich und hörte hoch konzentriert zu.

"Deine Eltern haben mal von Belgrad berichtet. Großmutter hat sie überhört als sie über ihren Namen sprachen. Pavlovic hießen sie damals. Sie kommen also ganz sicher nicht aus Ungarn. Mehr kann sie euch leider nicht sagen."

"Das ist bereits mehr als wir gehofft hatten. Vielen Dank.", antwortete Eliza und schloss die Schuhschachtel wieder. Im Hotel würde sie jeden einzelnen Gegenstand genauestens untersuchen. Vincent und sie gingen zur Tür, doch bevor sie die Wohnung verließen, drückte Vincent Laszlo noch ein dickes Bündel Geldscheine in die Hand. Verwirrt blickte Laszlo auf das Geld.

"Was soll das?"

"Für eure Hilfe.", entgegnete Vincent lächelnd und nahm Eliza die Schachtel ab. Judith winkte ihnen nach als sie den Flur entlang aus dem Wohnhaus gingen.

"Was sollte das denn?", fragte Eliza unsicher. Vincent zuckte unbeteiligt mit den Schultern.

"Ist Sangais Geld. Ich dachte mir, die zwei könnten es sicher gebrauchen." Erstaunt weiteten sich Elizas Augen. Dieser Mann..ihr fehlten die Worte.

"Mach das aber nicht bei jedem den wir sehen. Das könnte uns ins Schwierigkeiten bringen." Nickend gab Vincent ihr recht und sie beließ es dabei. Mit dem Taxi fuhren sie zurück zu ihrem schicken Hotel und bestellten sich Essen auf ihr Zimmer.

Die Aussicht von ihrem Balkon auf die Abendlichter Budapests war wunderschön. Friedlich lag die Stadt im Halbdunkel der Dämmerung. Eliza strich sich müde über die Augen. Ihre Beine schmerzten vom vielen gehen. Vincent stellte die Schachtel auf Elizas Nachkasterl und gesellte sich zu ihr ans Fenster.

"Die Stadt ist wirklich schön.", gestand sie ihm zögerlich. Vincent nickte.

"Ich bin froh, dass du es auch so siehst. Der Tag heute war erfolgreich." Das war er tatsächlich. Schon am ersten Tag hatte Eliza mehr über ihre Eltern gelernt als sie je erhofft hatte. Etwas summte und suchend sah Eliza sich um. Ein Handy. Vincents Handy.

Seufzend starrte er darauf. Der Name am Display war Sangai. Natürlich musste er ihm Bericht erstatten. Es reichte nicht, dass dieser Bastard sie gechippt hatte.

"Geh nur. Erzähl ihm was wir heute gemacht haben." Sie sah eine Erwiderung in seinen Augen, den Willen ihren Erwartungen zuwider zu handeln, doch er tat es nicht. Stattdessen verschwand er gleichgültig ins Bad und hinterließ Eliza mit einem unguten Gefühl im Magen.

Beinahe hätte sie vergessen, dass er nicht ein Freund, sondern ein Wachhund war. Es klopfte an der Tür und das Essen wurde auf einem kleinen Serviertisch hereingefahren. Es sah gut aus und roch himmlisch. Dankend gab sie dem Angestellten Trinkgeld und nahm sich ihren Teller. Der Esstisch stand bei dem großen Fenster und sich auf dem Sessel zusammenkauernd aß sie.

Ihren Blick hielt sie auf dem Sonnenuntergang. Er hatte etwas beruhigendes. Vincent kam aus dem Badezimmer, schnappte sich ebenfalls sein Essen und setzte sich ihr gegenüber.

"Und was hat er gesagt?", murmelte Eliza mit unterdrückter Wut im Bauch. Vincent ließ wieder einen seiner langen Seufzer raus und warf das Handy auf sein Bett. Natürlich waren es zwei getrennte Betten. Sie bezahlten genug um nicht in einem Doppelbett schlafen zu müssen, außerdem war das schon nahe genug. Sie waren Fremde und wenn es nach Eliza ging würde es auch so bleiben.

"Er ist ungeduldig..wollte wissen wohin es jetzt geht."

"Gute Frage."

"Hast du eine Antwort für ihn?" Eliza schüttelte den Kopf.

"Noch nicht. Aber ich werde nach dem Essen mal nach dem Namen Pavlovic suchen. Vielleicht haben sie ja noch Verwandte in Belgrad oder haben den Namen weiterhin benutzt." Kauend schüttelte er den Kopf.

"Du solltest nach dem Essen eine Runde schlafen. Du warst schon müde, als ich dich heute früh in dem Cafe getroffen habe."

"Ich habe die Nacht durchgemacht. Das ist nicht neues für mich. Ich schaff das schon." Vincent schien nicht überzeugt.

"Warum hast du nicht geschlafen? Gab es eine wilde Party auf der du sein musstest?" Eliza legte den Kopf schief.

"So etwas in der Art. Ich werde trotzdem weiterarbeiten." Sich geschlagen gebend nickte Vincent und stopfte weiter essen in seinen Mund. Eliza hatte bereits genug und stand auf. Ein leichter Schwindel ließ sie nach der Lehne des Stuhles greifen. Sofort war Vincent auf den Beinen und griff nach ihrem Arm. Eliza riss sich energisch los.

"Es geht schon."

"Nein offensichtlich nicht. Das hier wird kein Sprint, Eliza. Es ist ein Marathon und du bist fertig. Geh duschen, entspann dich und morgen früh finden wir heraus, wohin wir als nächstes müssen."

Nur ungern gab sie ihm recht. Es erschien ihr falsch, aber seine Worte trafen ins Schwarze und so nickte sie einverstanden und ging ins Bad. Sie verschloss die Tür hinter sich und betrachtete ihr Spiegelbild. Dunkle Augenringe und eine bleiche Hautfarbe berichteten von Stress und Angst. Nur widerwillig löste sie Judiths Zopf in ihrem Haar und strich es glatt. Ungelenk zog sie sich aus und trat in die luxuriöse Dusche. Das warme Wasser fiel wie Regentropfen auf ihren Körper und langsam entspannte sie sich.

Die Welt verschwamm hinter dem Wasserdampf und erlaubte ihr frei zu atmen. Über eine halbe Stunde später trat sie aus der Dusche. Sie trug einen neuen Pyjama. Teure Seide, in einem tiefen blau und einem Spitzenmuster an den Ärmeln.

Noch nie zuvor hatte sie Geld für Schlafkleidung ausgegeben, aber das Gefühl der Seide war unbeschreiblich. Zart und sanft strich sie über ihr erhitzte Haut und ließ Eliza wohlig seufzten. Vincent saß im Bett und starrte auf den Fernseher auf der gegenüberliegenden Wand. Er hatte ein Video aufgedreht, das anscheinend Sehenswürdigkeiten in Budapest beschrieb.

"Fühlst du dich jetzt besser?", fragte er und sah sie an. Seine Augen weiteten sich und der Mund blieb für einen Moment offen stehen. Normalweise hätte Eliza das als staunen übersetzt, doch an ihrem Outfit gab es nichts zu bestaunen.

Sowohl die Pyjamahose als auch das Oberteil hatten eine absolut durchschnittliche Länge und zeigten nicht besonders viel Haut. Sie trug sogar noch einen leichten BH. Unsicher runzelte sie die Stirn und setzte sich ebenfalls auf ihr Bett.

"Ja, das Badezimmer ist toll."

"Das ganze Hotel ist super! Ich meine das Essen und dann diese Betten!" Vincent begann zu schwärmen. Seine kindliche Freude über die kleinen Dinge war ansteckend und auch Eliza musste sich eingestehen, dass sie noch nie so entspannt aus einer Dusche gekommen war.

Sie lehnte sich zufrieden gegen das Kopfteil ihres Bettes und zog Judiths Schachtel auf ihren Schoss. Neugierig wie sie war, konnte sie diese Aufgabe nicht auf morgen verschieben. Vincent schaltete Musik ein und beugte sich dann nach vorne um ihr über die Schultern sehen zu können.

Nacheinander legte sie alle Gegenstände auf ihrem Bett aus und betrachtete sie. Der dunkelrote Schal hatte eine interessante Musterung, goldene Fäden zeichneten Mandalas in den Stoff. Die Postkarten und Briefe waren mit Schnüren zusammengebunden. Eliza wollte sich jeden einzelnen durchlesen, aber nicht in dieser Nacht. In der Holzbox lag eine Kette, ein Lederband an dessen Schnur eine goldene Münze hing. Sie schien alt zu sein.

"Die ist schön.", meinte Vincent und streckte die Hand vor. Eliza legte sie auf seine Handfläche und besah sich den Inhalt weiter. Unter dem Schal war ein Armreifen gelegen, ebenfalls Gold, aber so dreckig und abgenützt, dass ihn Judith wohl nicht als solchen erkannt hatte.

Eliza erkannte eine Gravur auf der Innenseite und beschloss die Säuberung dieses Accessoires mit auf ihre Aufgabenliste zu stellen.

"Das sind echt interessante Sachen." Vincent gab ihr die Kette zurück und nacheinander räumte Eliza alles wieder ein. Sie waren tatsächlich interessant.


Tristan- 1150 heutige Rom

Er war alleine in einer der Büchereien des katholischen Sitztes Roms. Alle anderen Geistlichen hatten sich bereits zur Nachtruhe zurückgezogen, doch Tristan konnte nicht. An diesem Tag lag sein Herz besonders schwer, als er an seine Vergangenheit dachte.

So viele Jahren waren vergangen seit seiner Jugend in dem kleinen Kloster in Irland. Er konnte sich kaum noch an die Menschen dort erinnern, nur Brian war ihm weiterhin im Gedächtnis geblieben. Sein bester Freund...nun tot. Er war vor Jahren an Altersschwäche gestorben, doch Tristan fürchtete das er seinem Freund niemals folgen würde.

Trotz der vergangen Zeit war Tristans Äußeres jung und vital. Niemand hätte ihn über vierzig geschätzt. Im Gegenteil viele behandelten ihn jünger. Solange niemand in seiner Heimat Fragen gestellt hatte, war er dort geblieben. Erst danach hatte er eine Entscheidung treffen müssen.

Seine Klosterbrüder hätten ihn natürlich dennoch nicht ausgestoßen, jedoch war die Ferne mit den Jahren reizvoll geworden. Er hatte jedes Buch der kleinen bescheidenen Bücherei gelesen und war bereit gewesen ein neues Abenteuer zu erleben. So wie einst Brian hatte es ihn in die fernen Länder gezogen.

Er war durch das Land gezogen, hatte Sprache gelernt und Fertigkeiten erworben. Immer in den Klöstern seines Glaubens als Missionar willkommen. Am Ende allerdings war die Neugierde nach seinem Sinn des Lebens drängender.

Wieso alterte er nicht? Wieso kamen und gingen Krankheiten bei ihm, kosteten ihn aber nie das Leben? Sein Weg hatte ihn nach Rom geführt und einige kleinere Lügen hatten ihm den Eintritt in die Büchereien der Kirche ermöglicht. Seit Jahrzehnten arbeitete er die Kirchenbücher durch, erfuhr grausame Geheimnisse und schreckliche Lügen.

Eine Antwort auf seinen Zustand fand er nicht. Noch wollte er nicht aufgeben. Seufzend starrte er aus dem hohen Fenster in die Nacht hinaus. Er war nie religiös gewesen und nach all den Jahren im Dienste der Kirche hatte sich diese Einstellung nur verfestigt, aber was anderes als irgendein göttlicher Scherz könnte es gewesen sein ihn zu erschaffen.

Ein einsamer Wanderer. Ein ewiger Wanderer. So hatte ihn einst, dass Mädchen seiner Träume genannt. Fünfzig Jahre nach Brians verschwinden, war sie an der Klostertür aufgetaucht. Wunderschön und Klug. Sanftmütig hatte sie sein Herz erobert während er ihres brechen musste. Er hätte ihr niemals ein Leben an seiner Seite versprechen können.

Obwohl er es sich gewünscht hätte. Er wäre gerne Vater geworden, hätte zu einer Familie gehört. Nun war sie vermutlich tot wie auch seine Eltern und Geschwister, sie alle waren den Weg gegangen, den nur er nicht zu beschreiten in der Lage war. Er war zu einer Legende in seinem ehemaligen Kloster geworden, eine verrückte Geschichte.

"Bruder Tristan.", hauchte der alte Bartholomäus und hustete stark. Tristan drehte sich lächelnd zu dem betagten Bibliothekar um.

"Bruder Bartholomäus. Was macht Ihr noch zu dieser späten Stunde hier?"

"Ich habe dein Licht gesehen und wollte sicher gehen, dass es dir gut geht." Tristan schlug die Augen nieder und starrte auf seine Finger.

"Das ist sehr freundlich von Euch, doch es geht mir gut. Nur etwas nachdenklich." Der alte Mann trat näher. Seine runzeligen Hände berührten Tristans.

"Für mich sieht es nicht so aus. Was bedrückt dich, Junge." Die Tatsache, dass ich lange kein Junge mehr bin, dachte Tristan. Sein Blick hob sich und seufzend sah er in die müden Augen des alten Mannes. Es waren dieselben Augen, die auch Tristan besaß, doch schien es niemand zu bemerken.

"Ich wünschte ich wüsste die Antwort auf den Sinn meines Lebens.", murmelte er und hörte schallendes Gelächter seines Gegenübers.

"Den kann ich dir verraten!", brummte der alte Mann und drückte Tristans Schulter, "eine gute Frau und Wein." Irritiert runzelte Tristan die Stirn. "Das kann ich mir nicht vorstellen." Bartholomäus schüttelte vehement den Kopf.

"Glaub mir, Junge. So lohnenswert die Hingabe zu Gott auch ist, Vergnügen und wahrhaftige Freude findest du hier kaum. Alles verstaubte Traditionalisten. Wenn ich dir einen Rat geben kann, dann hör zu. Geh raus und lehne keine noch so bizarre Einladung ab. Genieße das Leben, wir haben nur eines."

Immer noch lachend ging der alte Mann fort und hinterließ Tristan mit einer Idee. Die Jahre im Kloster hatten ihn nicht weiter gebracht. Warum also nicht dem Weltlichen eine Chance geben?

Anmerkung der Autorin: Ich mag es, dass diese Geschichte weniger Mord und Totschlag hat als meine üblichen Sachen. Ist mal was neues :)

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