Tanz für mich, Sing für uns!

By Ternoa

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Leichte Bekleidung, gedimmtes, violettes Licht, gaffende Augen und eine jede Menge Spaß - das ist die Welt vo... More

Kapitel 1 - Nach der Schule ist vor dem Spaß
Kapitel 2 - Meine ganz eigene Welt
Kapitel 3 - Adonis
Kapitel 4 - Mondenschein und Kerzenlicht
Kapitel 5 - Dans le love game
Kapitel 6 - Zu Besuch bei Bennylein
Kapitel 7 - Freundschaft
Kapitel 8 - Sehnsucht und Stolperdraht
Kapitel 9 - Nanana Come On!
Kapitel 10 - Picknick auf der Wiese
Kapitel 11 - Let me introduce you to my body
Kapitel 12 - Ein sonniger Tag am See
Kapitel 13 - Unter freiem Nachthimmel
Kapitel 14 - Teuflische Engel
Kapitel 15 - Zwei für eine Nacht
Kapitel 16 - Verwirrende Gespräche
Kapitel 17 - Kleiner Snack für Zwischendurch
Kapitel 18 - Dubiose Geschenke
Kapitel 19 - Unverhoffte Begegnungen und erleuchtende Worte
Kapitel 20 - Tanz für mich...
Kapitel 21 - ...Sing für uns!
Kapitel 22 - Aphrodite
Kapitel 23 - Gelbe und rote Rosen
Kapitel 25 - Schweigsame Dunkelheit
Kapitel 26 - Dunkle Schweigsamkeit
Kapitel 27 - Der dornenbesetzte Brief
Kapitel 28 - Verwelkte Rosen
Kapitel 29 - Leere Gläser
Kapitel 30 - Ein Ozean aus Nebel und Tränen
Kapitel 31 - Der goldene Ring

Kapitel 24 - Das Gewitter

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By Ternoa

»Kilian! Jetzt beeil dich mal endlich!«
Aus dem Bad drang nur ein unverständliches Grummeln, was durch die Tür zusätzlich noch gedämpft wurde. Ich lief im Flur auf und ab, von der Tür bis ans Ende des Ganges, wo der Spiegel mein wunderhübsches Gesicht reflektierte. Ich blieb bei diesem Anblick kurz stehen, betrachtete mich ausgiebig und zwinkerte mir selbst zu. Mit meiner rechten Hand fummelte ich unterdessen unbeirrt an dem Ring herum, welcher auf meinem Ringfinger an der linken Hand steckte. In letzter Zeit ist er zu einem Ventil mutiert, an welchem ich immer und überall herumspielte, falls ich zu viel Energie intus hatte.


Ein genervter Seufzer tropfte von meiner Lippe und von meiner Ungeduld gepackt öffnete ich die Tür zum Badezimmer. Kilian stand vor dem Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. In der Hand hielt er einen gebrechlich anmutenden Rasierer, der durch sein schaumiges Gesicht fuhr. Irritiert hielt er in der Bewegung inne und schielte zu mir herüber.


»Also falls du aufs Klo musst - tu dir keinen Zwang an«, meinte er und grinste mich an. Ich verdrehte die Augen.
»Ich war schon, aber danke für das Angebot.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Kilian abwartend an. Dieser zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und setzte die Rasierklinge wieder an seinem Kinn an. Ganz langsam und mit chirurgischer Präzision wählte er den richtigen Winkel aus, kniff die Augen zusammen und lehnte sich näher zum Spiegel, sodass er - hoffentlich fehlerfrei - überprüfen konnte, ob er auch den richtigen gewählt hatte. Die Klinge näherte sich dem Schaumwald, verharrte jedoch plötzlich in der Luft - und machte keine Anstalten bis zum nächsten Ostern alle Barthaare Kilians hinfort zu rasieren. Bei diesem Anblick kochten mir die Augen über und stöhnend warf ich meinen Kopf in den Nacken.


»Wenn du solange, wie du zum Rasieren brauchst, mal beim Sex an Ausdauer hättest...« Er ignorierte mich. Eiskalt. Anstatt endlich den lästigen Haaren den Gar aus zu machen, schmierte er sich aber nur eine weitere Portion Schaum in die Fresse. Ein kehliges Grummeln, gemischt mit einem Schluck Frustration, entfuhr mir.


»Ich suche mir derweil ein bequemes Grab aus - und einen netten Grabstein noch dazu. Du weißt ja, wo du mich dann findest.« Ein Kichern kam von Kilian. Ich drehte mich um und schritt aus dem Bad wieder heraus. Mit einem kräftigen Schwung warf ich die Tür zurück ins Schloss und lief erneut ziellos im Flur umher. Rasierer waren doch eigentlich wie Kühe. Im tiefsten Winter fraßen sie sich durch eine dicke Schneedecke und zupften die letzten Grasstummel ab... Wann wird wohl die erste Firma auf die Idee kommen, tatsächlich einen kleinen Knopf an den Dingern anzubringen, der leise »Muuhh« Geräusche von sich gab?


Ich holte mein Handy heraus, um nach der Uhrzeit zu schauen. Mit einem unterdrückten Stöhnen rutschte es dann auch wieder in meine Hosentasche zurück. Bis der Typ fertig war, konnte ich locker noch drei heftige Orgien feiern...


»Bit du soweit?« Kilians Frage kam so unerwartet, dass ich erschrocken zusammenzuckte. Er schloss hinter sich die Tür und nahm sich seine Jacke von dem Kleiderhaken. Misstrauisch verengte ich meine Augen zu schlitzen und musterte sein viel zu perfektes Gesicht. Ich trat näher an ihn heran, legte ihm eine Hand auf das Kinn, sodass er innehalten musste, als er gerade dabei war, seine Jacke über die Arme zu ziehen. Perplex strich ich über die Stellen, wo vorher noch strubbelige Härchen zu spüren waren. Weg - alle.


»Ich hasse dich«, seufzte ich, als Kilian begann zu lachen. »Du hast mich also die ganze Zeit nur verarscht? Du warst schon längst fertig?« Als Antwort erhielt ich ein breites Grinsen. Ich nahm meine Hand von seinem Kinn und griff stattdessen nach einer von Kilians Jacken, welche wir in seinem Schrank gefunden hatten. Sie war bereits etwas älter und ihm dementsprechend auch zu klein - mir jedoch passte sie nahezu perfekt.


»Wenn eure Majestät dann endlich bereit ist...« Ich beendete meinen Satz nicht, sondern öffnete stattdessen die Tür und schritt hinaus - dicht gefolgt von Kilian. Dieser schloss hinter sich die Tür und schloss gründlich ab, dann trat er an meine Seite und gemeinsam liefen wir zu seinem Auto auf dem Parkplatz. Auf dem Weg fanden sich unsere Hände und verschränkten sich zärtlich ineinander.


Das Gewitter, welches schon am Himmel thronte, als ich aus der Schule kam, saß noch immer mit seinem fetten Hintern in der Ferne und hatte sich seitdem kaum bewegt. Lediglich ab und an war noch ein Grollen zu vernehmen, aber ich bezweifelte, dass es heute noch in unsere Richtung ziehen würde. Fasziniert von dem Schauspiel über meinem Kopf blickte ich in den Himmel. Auf der einen Seite das strahlend helle Blau eines sommerlichen Himmels, welches immer mehr korrumpierte und vom Teufel verunreinigt wurde, bis es dunkler und bedrohlicher wurde, sich mit schwarzen Tupfern schmückte und schließlich auf der anderen Seite, dort, wo das Gewitter saß, gänzlich in der Schwärze versank.


»Hast du Angst vor Gewittern?«, fragte mich Kilian und trug mich mit seinen federleichten Worten sanft zurück zur Erde.
»Nein.« Zur Bekräftigung schüttelte ich akribisch den Kopf und schaute ihn verschmitzt an.
»Du etwa, Adonis?« Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen.
»Als ich noch klein war.« Mittlerweile waren wir am Auto angekommen, stiegen in die Karosserie ein und fuhren auch gleich schon los. Wir redeten noch ein wenig länger über Kilians Sorgen und Ängste als kleines niedliches Kind, während ich ihn durch die Straßen zur Bar meines Onkels lotste. Endlich war der Tag gekommen, an dem ich die beiden einander vorstellen konnte. Ich hatte bereits die ganze Woche über auf diesen Moment hin gefiebert - und endlich war es soweit. Schon wieder musste mein Ring als Beruhigungsmittel herhalten. Gnadenlos wurde er hin und her geschoben, gedreht, manchmal auch abgestreift und auf einen anderen Finger gesteckt.


»Sag mal Sam, wo genau führst du mich hier eigentlich entlang?«, fragte mich Kilian misstrauisch und beäugte mit einer reichlichen Dosis Skepsis unsere Umgebung durch die Frontscheibe.
»Ach, nur geradewegs in unseren Sexkeller, keine Sorge. Hier jetzt links abbiegen.« Kilian tat wie befohlen und schaute für einen Bruchteil einer Sekunde zu mir. In seinem Blick lag eine Mischung aus Belustigung und Furcht.
»War doch nur Spaß«, meinte ich, in der Hoffnung, ihm die Furcht wieder nehmen zu können.
»Dir könnte ich das durchaus zutrauen, Sam.« Ein schmeichelndes Schmunzeln stahl sich auf meine Lippen.
»Hier jetzt rechts. Such dir einen Parkplatz aus, Schätzchen.« Sobald wir standen und Kilian den Motor verstummen ließ, sprang ich auch schon aus dem Auto und machte mich zielstrebig auf den Weg. Kilian schloss hinter mir noch das Auto ab, hatte aber keinerlei Problem zu mir aufzuholen.


»Also? Wenn nicht euer Sexkeller, wohin dann?«, fragte er mich neugierig, als wir nebeneinander herliefen und er einen Arm um meine Schulter legte. Auch ohne einen Blick konnte ich das Grinsen aus seiner Stimme heraushören.
»Mein Onkel hat sich selbstständig gemacht«, begann ich zu erzählen. »Gemeinsam mit seinem Freund betreibt er eine Bar gleich dort hinten.« Mit dem Kopf nickte ich in die Ferne.
»Warte. Also der...«
»...Partner von meinem Onkel, exakt«, beantwortete ich Kilians Frage noch bevor er ausgesprochen hatte - und schon verstummte er zufrieden.


»Es ist aber eine ganz spezielle, wie du wissen musst. Sie ist extra für Männer wie dich und mich konzipiert.« Neugierig auf eine Reaktion, blickte ich hinauf zu Kilian, in dessen Blick ich tausend Fragen umherschwirren sah.
»Wenn man Lust hat, kann man dort ein bisschen quatschen, einander kennen lernen oder auch etwas Erfrischendes trinken. Und wenn es mal ganz dringend in der Hose juckt, dann gibt es natürlich auch dafür Abhilfe.« Ein Lächeln zog meine Mundwinkel in die Höhe, während sich Kilians Stirn in Falten legte.


»Also so eine Art Minibordell im Hinterzimmer?«
»Exakt, nur dass es sich nicht im Hinterzimmer, sondern im ersten Stock befindet.«
»Aha...«
Mittlerweile liefen wir bereits durch die schmaleren Gassen der hiesigen Häuser, welche uns direkt zu unserem Ziel führen würden. Unsere Schritte hallten geisterhaft von den Ziegelmauern zurück, während die Bauten uns die letzten Strahlen der Sonne klauten, welche sich in der Ferne hinter den Horizont schob.


»Und dein Onkel ist damit einverstanden, dass du in die Bar ein- und ausmarschieren kannst, wann immer du willst?«, fragte Kilian. Ein kräftiger Windstoß sauste vorbei und warf Kilians Locken in alle Richtungen.
»Ja klar, das ist doch quasi ein Familienbetrieb. Wieso also nicht?« Kilian spielte mit seiner freien Hand an einem seiner Ohranhänger, während sein Blick vor uns auf die Straße fiel. Als ich wieder zu ihm blickte, drehte er den Kopf und unsere Blicke trafen sich.


»Nein, nein, nein, nicht du auch noch!«, beschwerte ich mich, als mir dämmerte, was er damit meinte. »Ich bin doch kein Kleinkind mehr, Kilian. Ich kann das ab, wenn mich auch mal alte Säcke anglotzen und anfangen zu sabbern.«
»Trotzdem gefällt mir der Gedanke nicht...«
»Ja, kann ich verstehen, mir gefällt er auch nicht sonderlich.« Ein Schütteln durchzuckte meine Glieder.
»Aber wie gesagt, ich kann es ab. Außerdem braucht mich mein Onkel. Ohne mich würde er sicherlich nicht einmal halb so viel Umsatz machen wie derzeitig.« Voller Stolz strahlte ich Kilian an. Dieser schaute mich aber nur unschlüssig an und nahm seinen Arm von meiner Schulter.


»Wie genau meinst du das, Sam?«, fragte er mich verwirrt.
»Naja, ich helfe eben ab und zu auch mal ein wenig aus. Je nach dem, wann ich Zeit habe.«
»Also... Tische abwischen? Gläser putzen und so?« Da wir bereits fast da waren und ich schon das blinkende Schildchen sehen konnte, beschleunigte ich meine Schritte und hüpfte aufgeregt voran.
»Unter anderem, ja.«




»Unter anderem, ja.« Drei Worte. Drei Worte, die sich wie ein Speer durch Kilians Brust bohrten. Sein Magen zog sich zusammen, während seine Gedanken böse Dinge flüsterten.
»Kilian?« Sam hatte bemerkt, dass Kilian stehen geblieben war. Irritiert drehte er sich um und zog eine Augenbraue in die Höhe.


»Was genau meinst du mit, unter anderem?«, fragte Kilian den Jungen, die Stimme so hart wie Stein, mit einer Füllung aus Unglaube. Sein Blick war starr auf Sam gerichtet - ausgehöhlt. Dem Jüngeren drehten sich die Innereien um, als dieser Kilian näher musterte. Für Sam sah Kilian so aus, als erblickte dieser soeben ein Mammut, welches sich durch die Gassen quetschte, direkt hinter Sams Rücken. Eine Flut voll Panik brach in seinem Kopf aus, rauschte durch seinen Körper und seine Finger begannen zu zittern. Ein Gedanke jagte den anderen, sodass sie sich einander in die Schwänze beißen konnten. Doch bevor sie ihn überwältigten, setzte Sam erneut zum Sprechen an - allerdings wurden seine Worte jäh durch ein reißerisches Donnern erstickt.


Als er in den Himmel schaute, sah er, wie sich die Wolken über ihren Köpfen auftürmten. Das dunkle Tuch der Nacht legte sich über den Himmel. Das Gewitter war aus seinem Schlaf erwacht und hatte sich tatsächlich noch mit seinem fetten Leibe über die halbe Stadt geschoben. Nun thronte es bedrohlich hoch über ihnen, jeder Zeit bereit tausende Pfeile gen Erde zu entsenden. Als Sam wieder zu Kilian schaute, bohrten sich dessen Blicke immer noch in seine Brust.


»Wir sollten uns beeilen und rein gehen, Kilian, sonst werden wir noch nass.« Doch Kilian regte sich nicht. Nichts. Kein Zittern. Kein Blinzeln. Keine Bewegung in den Augen.
»Antworte mir zuerst.« Kilian machte ihm Angst. Sams Herz raste wild in seiner Brust umher.
»Naja... Also manchmal... da... da wollen die Kunden eben meine Dienste in Anspruch nehmen.« Sam drehte den Ring auf seinem Finger immer schneller und scheuerte sich beinahe die Haut auf. Als die Worte seinen Mund verlassen hatten, setzte sein Herz kurz für einige Schläge aus. Ein weiteres Grollen war zu hören, welches Sam aus seiner Starre riss. Dieser lief auf Kilian zu legte ihm eine Hand auf die Brust.


»Jetzt lass uns endlich rein gehen. Sonst wirst du noch von einem Blitz getroffen«, feixte er und rang sich ein Lächeln ab. Die Hand auf Kilians Brust brannte sich förmlich durch seine Kleidung und direkt in seine Haut. Ein Stechen begann sich in Kilians linken Seite auszubreiten, ein Stechen, welches sich ohne Gnade durch sein Fleisch bohrte.


»Nein Sam.« Seine Stimme war ein Flüstern, der heiße Stein war aufgeschmolzen. Sanft, aber doch bestimmend, drückte er Sams Arm von sich. »Ich habe es mir anders überlegt. Ich will deinen Onkel doch nicht mehr kennen lernen.« Mehr sprach er nicht. Noch bevor Sam die Bedeutung der Worte auch nur erahnen konnte, drehte sich Kilian um und ging davon. Ohne einen letzten Blick kehrte er Sam den blanken Rücken zu. Ein weiteres Grollen erleuchtete den Himmel und ließ Sam zusammenzucken. Mit weit aufgerissenen Augen rannte er Kilian hinterher und holte ihn auch recht schnell wieder ein.


»Kilian, warte doch!« Er reagierte nicht.
»Kilian! Wo willst du denn hin? Jetzt warte doch!« Nichts. Sam sprintete ein kurzes Stück, sodass er direkt vor Kilian zum Stehen kam, woraufhin dieser anhielt. Sam wollte Kilian festhalten, doch dieser wischte seine Arme zur Seite.


»Fass mich nicht an«, fauchte Kilian beinahe wie eine Raubkatze. In diesem Moment brodelten seine Augen über und die Flammen zischten. Sams Körper begann zu beben, seine kalten Finger zitterten noch immer, während seine Augen einen trüben Glanz annahmen.
»Wie kann jemand nur seinen eigenen Neffen zum Prostituierten machen?«, presste Kilian zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Doch plötzlich verflüchtigte sich seine Wut auf Sams Onkel und schlug auf eine andere Tatsache um. Mit dem ersten Regentropfen, der aus dem Himmel fiel und direkt auf Kilians Kopf landete, brannte sich die überwältigenden Krallen der Erkenntnis in seinen Schädel.


»Kilian, er hat mich zu nichts gezwungen, ich habe das alles freiwillig gemacht!«, versuchte sich Sam zu verteidigen. »Hörst du mir zu?« Nein, nein das tat Kilian nicht. Er war viel zu beschäftigt mit sich selbst. Sein Herz explodierte, die Rippen zersprangen, der Magen quetschte sich zusammen und die Beine wurden weich. Mit geweiteten Augen sah Kilian auf den Jungen vor sich. Plötzlich kam ihm dieser so unendlich fremd vor. Als stände nicht Sam vor ihm, sondern irgendein dahergelaufener Typ, der aus irgendeinem Club gestolpert war.


»Freiwillig...« Es war ein zarter Hauch, ein warmes Lüftchen, was in der Kälte der abendlichen Nacht sofort erstarb. Zwei unsichtbare Hände legten sich um Kilians Hals und drückten immer weiter zu, seine Brust wurde durch die Regentropfen wie mit einem Eisenhammer eingeschlagen.
»Ja, freiwillig«, bestätigte Sam. Erleichterung huschte über sein Gesicht, welche jedoch sofort von ihm abließ, als er Kilians Blick begegnete.


»Du... Du hast freiwillig mit... mit anderen Typen...« Kilians Stottern verstummte, als seine Stimme brach. Eine unsägliche Flut an Gefühlen stürzte über ihm zusammen und er war kurz davor innerlich zu zerreißen. Jede Faser seines Körpers war angespannt und drohte zu zerspringen, seine Augen glänzten und ergrauten zugleich.


»Du hast mich betrogen«, flüsterte er vor sich hin. Seine Worte wurden durch das Prasseln des Regens erwürgt - doch Sam verstand sie dennoch. Bevor dieser zu einer Antwort ansetzen konnte, schob ihn Kilian ungestüm bei Seite und lief weiter.


»Kilian!« Sams Haar war durch den Regen komplett nass geworden und vereinzelte Strähnen hingen ihm in der Stirn. Die Regentropfen kullerten ihm über die Nase, die Wangen und stürzten sich vom Kinn aus in die Tiefe. Auf ihrem Weg nahmen sie die Tränen mit, welche in Sams Augen standen. Er wusste, er hatte es versaut, er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte - einen unbeschreiblich großen.


»Kilian!« Als Sam den Besagten einholte und eine Hand auf dessen Schulter legte, schnellte Kilian herum und schlug ohne Vorwarnung Sams Arm fort. Die Stelle des Aufpralls fühlte sich wie der Biss eines wilden Hundes an. Voller Entsetzen schaute Sam zu seinem Gegenüber auf.
»Du hast einfach so mit anderen Typen gefickt.« Kilians Stimme zitterte wie trockene Blätter im Herbstwind. Es war nicht mehr als ein Flüstern. Seine Haare hingen ihm klitschnass am Kopf, ein Rinnsal an Wasser tropfte von ihnen herab. »Du hast es rücksichtslos ausgenutzt.«
»Das war lange bevor wir uns kannten!«, log Sam ungeniert. Sein Blick verschwamm unter all dem Wasser - ob nun Tränen oder Regen konnte er nicht sagen.


»Du hast es sicher genossen... All die Schwänze... Du hast es geliebt, oder?«
»I-ich... Kilian, nein, du... Ich...« Ein Schluchzen drang aus seinem Mund heraus. Wild schüttelte er den Kopf und Regentropfen sprangen in alle Richtungen.
»Kilian...«
»Hör endlich auf meinen Namen zu sagen.« Kilians Stimme bebte, wurde lauter.
»Aber...« Sam streckte seine Hand aus, aber Kilian wich zurück.
»Und hör endlich auf mich anfassen zu wollen.«
»Hör mir doch wenigstens zu...« Ein Donnern zerriss den Himmel. »...Das alles ist schon ewig lange her!«


»Nein...« So scharf wie eine Klinge, schnitt Kilians Antwort in Sams Brust. Er zitterte, die Kälte fraß sich durch seinen Leib. Er kämpfte mit sich selbst, nicht gänzlich eine Sturzflut an Tränen loszutreten, während Kilian versuchte, den Sturm im Inneren nicht nach draußen zu tragen - doch beide scheiterten.


»Du hast nie wirklich damit aufgehört, oder? Du konntest nie genug bekommen. Und ich habe dir nicht alles geben können.«
»Kilian, du redest Unsinn, das stimmt alles nicht! Du hast...«
»Sei ruhig!« Kilians gellender Schrei prallte an den Hauswänden ab und drosch immer wieder auf Sam ein. »Du bist eine widerliche Nutte und nicht mehr als das!« Sein Gebrüll ließ Sam erschaudern. Letztendlich brach der Damm und Sam konnte die Tränen nicht mehr halten. Er weinte, er weinte ungehalten, während der Schock seinen Körper lähmte.


»Nein... Sag das nicht... Bitte...« Seine Stimme war wie zersplittertes Glas und konnte den Regen kaum übertönen. »Kilian, aber ich liebe...«
»Halt den Mund!« Voller inbrünstiger Wut stieß Kilian Sam nach hinten. Letzterer strauchelte und drohte in den nassen Dreck zu fallen, konnte sich aber wieder fangen.


»Kilian...«
»Du sollst aufhören meinen Namen zu sagen!«, brüllte Kilian Sam entgegen, welcher sich unter dem Zucken seines Körpers und der Last seiner Tränen hinkniete und zusammenkauerte.
»Ich w-wollte das nicht... I-ich...« Er verstummte, schluchzte und weinte. Tausend Messer bohrten sich ihm ins Herz. Er wusste, dass es alles seine Schuld war. Er hatte die Stiche verdient. Er konnte genau hören, wie sein Herz zerbrach, wie etwas in ihm erlosch.


»Ich hasse dich, Sam...« Ein bestialischer Schrei entfuhr Sam. Nichts, nichts auf dieser Welt konnte seinen Schmerz beschreiben. Er schrie in sich hinein, fiel auf die Knie und in die Fluten seiner Tränen, welche seine Knie wie in frisches Blut tauchten. Er bekam kaum noch Luft, das trockene Schluchzen raubte ihm die Kontrolle über seinen Körper, seine Nase lief ungehalten.


»K-Kilian... Aber...« Sam schaute auf. Kilian thronte über ihm, den Blick voller Verachtung. Tropfen des Hasses fielen auf Sam hinab und raubten ihm die ohnehin verworrene Sicht. Kilian wollte diesen elenden Haufen vor ihm los werden, so schnell wie möglich abhauen - doch er konnte nicht. Stille Tränen schlitterten über sein Gesicht und er zog die Nase hoch. Die Wut hielt seine Trauer unter Kontrolle. Er wollte zutreten, doch er konnte nicht. Er wollte ihm aufhelfen, doch er konnte nicht. Er wollte fortlaufen, doch er konnte nicht.


»Ich hasse dich.« Drei Worte, drei tiefe Stiche in Sams Brust. Kilians Stimme bebte noch immer. Endlich riss er sich von Sams Anblick los und lief davon. Aber Sam wollte ihn nicht gehen lassen, er wollte endlich aus diesem Alptraum aufwachen. Verheult und durch das Schluchzen an Kraft beraubt quälte er sich auf die Beine und hastete Kilian nach. Er konnte, er wollte ihn nicht gehen lassen. Er wollte ihn bei sich wissen, ihn nicht gehen lassen.


»Kilian, bitte, bleib!« Donner zerriss die Dunkelheit, als Sam seine Arme um Kilian schlag. Was dann geschah, bekam er kaum mehr mit. Kilian riss sich von ihm los, fuhr herum und zischte ihm wirre Worte zu, die er nicht mehr verstand. Sein Gesicht flog zur Seite und ein diabolischer Schmerz brannte auf seiner Wange. Mit gequollenen Augen schaute er zu Kilian.
»Nein, nein, nein...« Immer wieder wisperte er dieses eine Wort. Er schniefte lautstark und wimmerte, als er sich eine Hand an die Wange hielt.


»Ich will dich nie wiedersehen! Verschwinde endlich!«, brüllte Kilian voller Zorn, sodass Sams Ohren schmerzten. Ein letzter Stoß und die Lanze bohrte sich durch Sams Herz, seine Atmung stockte, sein Herzschlag setzte aus.


»A-aber ich l-liebe dich...«




»A-aber ich l-liebe dich...« Kilian verschwand hinter dem Regenvorhang und entschwand aus meinem Blickfeld. Er war fort... weg, einfach so, ohne mich...
Der Regen prasselte unentwegt auf mich herab, meine Kleidung war wie meine Haare völlig durchnässt. Meine Augen schmerzten, mein ganzer Körper schmerzte. Meine Blicke bohrten sich in die Leere, in der Hoffnung, Kilian würde zurück kommen - doch er war fort. Meine Wange glühte, meine Finger zitterten, meine Beine wurden schwach und klappten schließlich ein. Ich sackte ohne Gegenwehr zusammen und klatschte in eine Pfütze auf den harten Steinboden. Meine Finger krallten sich in das nasse Gestein, meine Augen wurden erneut geflutet und ein gigantischer Wasserfall brach aus mir hervor. 


»K-kilian... K-k-kil-lian...« Immer wieder schluchzte ich dieses eine Wort, diesen einen Namen, während ich ungehalten weinte und die Tränen sich in meine Haut schnitten. Meine Nase lief und immer wieder zog ich sie nach oben - bis mich irgendwann die Kräfte verließen. Ich ließ sie laufen, genauso wie die Tränen, gab mich ohne Kampf geschlagen. Ich konnte nicht mehr, fühlte mich schwach, leer. Mir war übel. Alles in mir schrie danach endlich aufzuwachen, endlich aufzuwachen und in diese haselnussbraunen Augen schauen zu können. Doch tief in mir wusste ich, dass das niemals mehr geschehen würde...


»Kilian...« Ich zerbrach, sackte weiter in mich, heulte ganze Ozeane, blutete aus alten wie neuen Narben und Wunden und überließ schlussendlich dem Schmerz meinen Kadaver...

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