Back to Life

By _time_to_fly_

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*** WATTYS 2018 GEWINNER *** Nachdem Betty den Kampf gegen den Krebs verloren hat, hinterlässt sie nichts als... More

Prolog
1. Brief
Challenge Nr. 1
1. Antwort
2. Brief
Challengen Nr. 2
2. Antwort
3. Brief
Challenge Nr. 3
3. Antwort
4. Brief
Challenge Nr. 4
4. Antwort
5. Brief
Challenge Nr. 5
5. Antwort
6. Brief
Challenge Nr. 6
6. Antwort
7. Brief
Challenge Nr. 7
7. Antwort
8. Brief
Challenge Nr. 8
8. Antwort
9. Brief
Challenge Nr. 9
9. Antwort
10. Brief
Challenge Nr. 10
10. Antwort
11. Brief
11. Antwort
12. Brief
Challenge Nr. 12
12. Antwort
Epilog
Danksagung

Challenge Nr. 11

50 9 4
By _time_to_fly_













***

Bumm. Bumm. Bumm.

Klopf. Klopf. Klopf.

Mein Herz.

Bumm. Bumm. Bumm.

Zu schnell.

Klopf. Klopf. Klopf.

Viel zu schnell.

Bumm. Klopf. Klopf.

Das Schlagen in meinem Kopf.

Ich kann es nicht fassen, nicht drehen, nicht wenden. Ich kann es nur fühlen, spüren, nicht realisieren.

Es ist eine Tatsache. Ein messbarer Bestand. Das Pochen des Herzens.

Bumm. Bumm. Klopf. Klopf.

Angst. Angst, das Gefühl, dass dahinter steckt.

Angst zu versagen, Angst nicht zu bestehen. Angst einfach so zu vergehen.

Angst vor der Ungewissheit, vor mir selbst. Eine blühende Blume, die einfach in sich zusammen fällt.

Angst sich zu drehen am selben Fleck. Nicht voranzukommen, zurückzufallen. Die Zukunft, ach du Schreck.

Bumm. Klopf. Klopf. Bumm.

Das Schlagen des Herzens zu schnell und zu breit. Eine Auswirkung, eine simple Reaktion Meinerselbst.

Dazu Schweiß, ein Rinnsal das läuft über die Stirn.

Der Klos in meinem Hals, der da steckt und nicht vor will, auch nicht zurück.

Übelkeit, erbrechen, zittern, ein mich Überrollen.

Angst.

Bumm. Bumm. Klopf.

Und dann die Gewissheit.

Die Gewissheit ich bin nicht allein.

Die Gewissheit, es hat keine Macht. Dieses Gefühl hat keine Macht. Sämtliche Auswirkungen davon haben keine Macht.

Es ist ein Gefühl. NUR ein Gefühl.

Keine andauernde Realität, nichts was für immer besteht.

Etwas was kommt und vergeht.

Entgegen dem Allem, was mich hinunter ziehen will - Gefühle, Gedanken, Reaktionen meines eigenen Ichs - Gibt es nur eine Sache die vollkommen ist. Vollkommen beständig, keinesfalls vergänglich.

Der Glaube.

Mein Glaube.

Meine persönliche Beziehung zu Gott.

Etwas konstantes, festes, unangreifbares.

Liebe, Ruhe, Frieden in ihm - meinem Vater.

Größer als jedes Gefühl.

Größer als jeglich simple Reaktion.

Jegliches lächerliche Klopfen des Herzens.

Bumm. Bumm.

Es schwächt ab.

Klopf. Klopf.

Es wird weniger.

Das Wissen er hat gesiegt. Das Wissen, dass er mich liebt.

Bumm.

Eingebettet in seiner Macht. Umgeben von seiner Kraft.

Klopf.

Normalität.

Mein Glaube besteht.

***



Ich lege den Stift zur Seite. Wie im Trance schlüpfe ich aus meiner Jogginghose und ziehe mir eine Jeans über. Setzte einen Fuß vor den anderen. Es funktioniert, ich bewege mich. Die Treppen hinunter. eine Sekunde einatmen, zwei Sekunden ausatmen. Ich zähle die Schläge meines Herzens. Meine Winterjacke hat den Regen auch schon einmal besser abgehalten. Die kalte Luft schlägt mir entgegen. Ich erzittere. Nehme den Autoschlüssel meiner Oma vom Schlüsselbrett. Es regnet in Strömen. Auf den wenigen Metern bis zur Garage werde ich klatschnass. Spüre das Wasser unter meiner Schuhsohle. Es ist ein unangenehmes Gefühl. Oma hat keine Sitzheizung. Eine am Lenkrat schon zweimal nicht. Fröstelnd drehe ich den Schlüssel im Zündschloss. Das Auto springt an. Es ist, als hätte es längst darauf gewartet. Auf meine Anwesenheit. Endlich wieder einmal im Auto zu sitzen. Selbst zu fahren. Ich lächle. Ein Stoßgebet. Dann richtige ich meine Konzentration vollkommen auf die Straße. Rückwärts fahre ich aus der Einfahrt. Mein Herz pocht wieder ein paar Schläge schneller, als ich mich in den Verkehr einfädle. Dennoch bin ich erstaunlich ruhig. Es ist als ob Gott direkt neben mir sitzt und auf mich aufpasst.

Ich fühle mich frei und unabhängig. Beginne irgendwann leise zu beten. Nur während ich an den roten Ampeln stehe, ansonsten bin ich viel zu sehr mit dem Verkehr um mich herum beschäftigt. Plötzlich fällt mein Blick auf einen Mann am Straßenrand. Ich schätze ihn auf etwa 30 Jahre. Er wirkt jung und gesund, nicht als würde er Hilfe gebrauchen. Ich bremse - trotz allem. Weiß selbst nicht so genau warum. Mitten auf der vollen Straße. Die Autos hinter mir beginnen zu hupen. Ich hasse ihre Ungeduld. Ich setzte den Blinker. Halte am Straßenrand einer Hauptstraße an. Ich weiß dass es verboten ist. Ich versuche nachzudenken. Meine Gedanken lassen sich nicht ordnen. Ich denke an Bettys Brief. Schaue dann wieder zu diesem Mann, der immer noch an der selben Stelle steht. Es scheint als könnte er sich nicht bewegen. Es ist ein inneres Bedürfnis, etwas das mich dazu drängt auszusteigen und zu helfen. Ich weiß nicht warum, er scheint absolut fit. Mein Verstand wehrt sich.

Ich ordne mich wieder in den Straßenverkehr ein. Versuche ihn aus meinen Gedanken zu streichen. Ich komme keine zehn Meter weit. Als ich das nächste Mal anhalte, das Hupen der Autos völlig ignoriere und nicht einmal einen Blinker setzte, stehe ich genau neben dem vielleicht 30-jährigen. So aus der Nähe könnte er auch 40 sein. Er steht da, sein Gesicht starr und eingefallen. Er schaut gerade aus, aber es wirkt nicht so, als würde er irgendetwas wahrnehmen. Als ich aussteige nehme ich seine Hände wahr. Die eine zittert, die andere hält sich verkrampft an seiner Jacke fest.

Er zuckt nicht einmal zusammen, als sich meine Hand auf seine Schulter legt. Ich frage, ob ich etwas für ihn tun kann. Keine Reaktion. Ich weiß nicht mehr genau was ich gebetet habe. Etwas von Freiheit und davon, dass die Angst gehen muss. Der heilige Geist hat durch mich gesprochen, ich hatte damit nichts zu tun.

Für einen Moment zittern nicht nur seine Hände, sein gesamter Körper durchfährt ein merkwürdiges Zucken. Vielleicht hätte es mir Angst machen müssen. Stattdessen bin ich ganz ruhig. Fokussiert. Ich spüre, dass meine Aufgabe an diesem Ort beendet ist. Erst im Auto fällt mir ein Gott für das Geschehene zu danken. Mein Blick schweift zurück an jenen Platz, an dem der Mann gerade noch gestanden hatte. Er ist nicht mehr zu sehen. Ich kann ihn auch durch einen suchenden Blick nicht erkennen. Ich weiß nicht, ob es ihn je gegeben hat.


Ich bin verwirrt, als ich planlos durch die langen Gänge des Verlages laufe. Mein Ziel ist das Aufnahmezimmer. Ich habe vergessen wo ich hin muss. Meine Gedanken kreisen ständig. Ich weiß nicht wohin damit. Ich kann sie nicht einfangen, ich kann nicht innehalten. Ich drehe noch durch. Ich denke an hundert verschiedene Sachen gleichzeitig. Okay, wenn ich es mir genau überlege, sind es vielleicht nur zwei.

Das vor mir liegende Treffen mit Anayo und seiner Frau macht mir Angst. Ich weiß nicht was auf mich zukommen wird. Ich bin unsicher. Ich schwitze. Meine Schritte sind langsam, würde am liebsten sofort umdrehen, einfach alles hinter mir lassen. Es geht nicht. Selbst wenn mein Körper flieht, meine Gedanken bleiben. Meine Gedanken die an so vielen verschiedenen Orten gleichzeitig sein können. Bei Philipp, Milena ab und zu. Eigentlich will ich daran nicht denken. Die Begegnung mit dem Mann vorhin auf der Straße. Auch daran will ich meine Gedanken nicht verschwenden. Es verwirrt und verunsichert mich. Am liebsten würde ich gar nichts mehr denken. Neigens mehr sein. Vielleicht bei Betty. In Gottes Himmelreich.

Stattdessen irre ich nach wie vor planlos durch die vielen Gänge des Verlages. Wochenende. Da ist wieder einmal niemand, den ich fragen könnte. Das Haus ist wie ausgestorben. Ich zwinge mich zur Konzentration. Ich bin jetzt hier. Körperlich anwesend in diesem Gang. Ich bin auf dem Weg ins Studio. Punkt. Darauf sollte ich mich fokussieren. Vollkommen. Darauf sollte ich meine Gedanken ausrichten.

Irgendwie schaffe ich es tatsächlich meine Orientierung wiederzufinden. Normalerweise bin ich gut in solchen Dingen. Wenn da nur meine Gedanken nicht wären, und die Angst, gemischt mit tausend anderen Gefühlen. Ich kann es nicht so recht beschreiben, ich weiß es ja selbst nicht einmal. Betty das genaue Gegenteil. Ob nun auf der Straße, bei irgendwelchen Spaziergängen oder Besuchen in etwas größeren Städten, ich habe stets gerne das Navi gespielt. Manchmal da sind wir den gleichen Weg hunderte von Male gelaufen und Betty war dennoch immer an der gleichen Kreuzung verwirrt, in welche Richtung wir nun gehen mussten. Links oder rechts, gerade aus oder gar zurück. "Zu abstrakt", meinte meine beste Freundin stets augenzwinkernd. Stattdessen konnte sie mir die nicht abstrakten, die realen Dinge stets ganz genau erzählen. Welchem Menschen wir wo das letzte Mal begegnet sind. Wie er aussah. Das Gänseblümchen das irgendjemand herausgerissen hatte, der Baum der in den letzten zwei Wochen mindestens drei Blätter verloren hat. Spaß beiseite, als ob das links abbiegen weniger real als der Marienkäfer ist. Ich schweife ab. Meine Gedanken bringen mich irgendwann noch um.

Vorsichtig öffne ich die schwere Türe, die mir von der anderen Seite aus sofort aus der Hand gerissen wird. Als hätte Uta direkt dahinter gelauert und auf meine Ankunft gewartet. Ganz erschrocken stehe ich im Raum und werde sofort ganz herzlich umarmt. Etwas zu fest wieder einmal, langsam sollte ich es gewohnt sein. Ich lächle, als mich auch Anayo herzlich begrüßt.

Die Kinder scheinen heute nicht anwesend zu sein. Stattdessen öffnet sich die Türe erneut, gerade als sie Utas Mann schließen will.

Das Blut gefriert mir in den Adern als ich ihn da stehen sehe. Seine braunen Locken umspielen sein Gesicht und heben seine glänzenden Augen perfekt hervor. Ich schlucke als er mir lächelnd zunickt.

"Hallo zusammen", er formt die Worte mit den Händen - Gebärdensprache. Ich bin die einzige die es versteht. Ich bin stolz auf mich, übersetzte die wenigen Worte den anderen beiden Anwesenden.

"Was macht er hier?", frage ich Uta. Es mag unhöflich sein, nicht das was man von einem kleinen, schüchternen, introvertierten Mädchen zu erwarten scheint. Es ist mir egal.

"Ich will nicht, dass er dabei ist." Ich will das hier allgemein nicht tun. Nicht hier sein. Nicht verzweifelt, verwirrt und wütend sein. Es ist komisch. Nur in seiner Gegenwart bin ich so aufbrausend, teilweise wütend, manchmal enttäuscht und ein anderes Mal wiederum einfach nur unfassbar glücklich. Da sind Emotionen die ich nur bei ihm spüren kann. Es sind die verschiedensten Ebenen, aber sie alle sind da, mal mehr mal weniger, aber da ist etwas. Keine Leere, ich fühle mich vollständig, ich fühle mich echt. Ich fühle als ob ich leben würde, im hier und jetzt, mit all den verschiedensten Gefühlen. Nicht abwesend in einer Gedankenwelt, beherrscht und mit dem Körper anwesend irgendwo, ohne jegliche Gefühle, jedenfalls keine die ich wage zum Ausdruck zu bringen. Das Chaos in meinem Kopf nach außen zu tragen.

"Ich dachte er tut dir vielleicht gut."

Uta scheint absolut keine Reue zu zeigen. Sie scheint wieder einmal viel zu selbstsicher. Warum auch immer heute will ich nicht nachgeben.

"Ich glaube das habe ich immer noch selbst zu entscheiden."

Uta zuckt nur die Schultern, Anayo grinst spöttisch. Philipp scheint ziemlich verwirrt. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass er nichts versteht.

"Also wollen wir anfangen?"

"Nein.", ich verschränke die Arme vor der Brust.

Eigentlich will ich gar nicht so zickig reagieren. Ich weiß ja, dass es die beiden nur gut mit mir meinen. Aber irgendwie macht es mir Spaß. Es macht mir Spaß einmal nicht einfach nur introvertiert und traurig zu sein. Es macht mir Spaß mich das erste Mal seit Monaten zu wehren, zu widersprechen.

"Du willst also so feige sein und es nicht einmal versuchen?"

Ich bin immer wieder erstaunt, wie mich Uta binnen so kurzer Zeit, so gut zu kennen scheint. Ich merke für einen Moment wie ich strauchle. Mich entschuldigen will, ich weiß ja dass sie recht hat.

"So habe ich das nicht gesagt, ich will dass euer Besuch hier geht."

Ich schaue zu Philipp rüber, dieser scheint das alleinige Beobachten unserer Auseinandersetzung reichlich viel Spaß zu machen. Er grinst. frech, ungezwungen, super entspannt. Mein Herz beginnt bei seinem Anblick vielleicht ein ganz kleines bisschen schneller zu schlagen. Nichts was irgendwie von Bedeutung wäre.

"Unser Besuch hier kann dir bei den Aufnahmen doch völlig egal sein, schließlich hört er sowieso nichts."

Sie ist schlagfertig. Vielleicht ein wenig zu schlagfertig. Etwas was ich seit Bettys Tod nicht mehr gewohnt bin. Da ist ja niemand mehr gegen den ich mich behaupten muss. Meine eigenen Worte sind nichts was sich je gegen mich stellen würden. Ich schlucke. Suche verzweifelt nach irgendeiner passenden Antwort. Da muss es doch irgendetwas geben. Irgendetwas so richtig Gutes.

Sie gibt mir definitiv zu wenig Zeit um nachzudenken. Es ist unfair, ihre Schlagfertigkeit ist bis in das kleinste Detail trainiert.

"Dann kann es vielleicht sein, dass er dir ein wenig zu viel bedeutet und du einfach nur Angst vor seiner Reaktion hast?"

"Schwachsinn!", rufe ich mit einer etwas zu lauten Stimme.

Ohoh, das war definitiv der falsche Schachzug. Mit diesem unüberlegten Verhalten, gebe ich ihr ja beinahe recht.

"Seine Reaktion ist mir doch egal."

"Na, dann gibt es ja keinen Grund warum wir nicht einfach anfangen können."

"Ich...", stottere ich.

"Willst du noch etwas zu deiner Verteidigung beisteuern?"

"Nein", ich lächle, "du hast gewonnen."

"Danke!", Uta klopft mir auf die Schulter.

"Du hast dir die Falsche zum diskutieren ausgesucht. Uta gewinnt einfach immer.", meint Anayo augenzwinkernd.

Ich zucke die Schultern. Es ist okay. Es ist vollkommen okay. Ich weiß ja nicht einmal selbst was da gerade in mich gefahren ist. Nach diesem Morgen, der so völlig benetzt war von hunderten Gedanken, habe ich das vermutlich einfach gebraucht. Die Konfrontation. Nicht nur mit meinem eigenen Ich, mit anderen Menschen. Und was Philipp betrifft. Natürlich will ich eigentlich nach wie vor nichts mehr mit ihm zu tun haben, aber nach unserer gemeinsamen Zeit im Krankenhaus verbindet uns vielleicht doch mehr als ich jemals zugeben würde.

Anayo begleitet mich, nach einem kurzen Gebet, ins Aufnahmestudio und lässt mich allein. Als ich nun dort hinter dem Mikro stehe, beginnen meine Gedanken wieder zu arbeiten. Ich war in den vergangenen Monaten so sehr mit mir selbst beschäftigt, ich hatte sogar das Diskutieren mit anderen Menschen verlernt. Ich habe mich vergraben in den von Betty geschriebenen Briefen, in meinen Antworten und natürlich all den Worten die den Weg auf das Papier gefunden hatten. Ich habe das gebraucht. Meine Welt, meine Art Dinge zu verarbeiten. Und dann trat Philipp in mein Leben und es ging bergauf und nun stehe ich an einem Punkt am dem ich mich entscheiden muss, an dem ich mich entscheiden muss glücklich zu sein, zu leben was Gott für mich vorgesehen hat.

Und nein, dass ist definitiv kein Leben in vollkommener Trauer, um eine Freundin, der es nun so viel besser geht. Und es ist auch kein Leben in dem ich mich hinter meinen eigenen Gedanken verstecken, ebenso wenig wie eines, in den ich mein Glück und meine Anerkennung von einem Jungen abhängig machen will.

"Du zeigst mir den Weg, der zum Leben führt. Du beschenkst mich mit Freude, denn du bist bei mir; aus deiner Hand empfange ich unendliches Glück." (Psalm 16,11)

Allein in Gottes Gegenwart ist die Freude, die vollkommen ist. Die Freude, die ich leben darf, um ein Leben zu haben, das von Gott vorherbestimmt ist. Ein Leben mit einem Grund und einem Ziel.

Wie aber will ich dieses Leben leben? Wie will ich mich einsetzten? Wie will ich an seinem Reich bauen? Will ich weiterhin in meinen eigenen Gedanken leben? Will ich nicht doch lieber nach Außen tragen, was in meinem Inneren so abgeht - und das ist definitiv eine ganze Menge? Selbst wenn ich mich dadurch verletzlich mache?

Und ja das tue ich. Ich mache mich verletzlich, wenn ich meine Gefühle zeige. Dann wenn ich weine und es andere Menschen mitbekommen. Philipp zum Beispiel. Ja ich mache mich verletzlich wenn ich diskutiere (mit dem genauen Wissen nicht recht zu haben sowieso), ich bin angreifbar wenn ich widerspreche und ich kann enttäuscht werden. Aber ich habe eben auch die Möglichkeit das zu leben zu was Jesus mich bestimmt hat. Zu einem Leben in Fülle, trotz allen Widrigkeiten. Kein Leben allein, verschlossen in meinem eigenen Denken, ein Leben mit anderen und für andere.

Ein Leben mit Uta und Anayo an meiner Seite. Unterstützt, ermutigt von einem jungen Ehepaar, das an mich glaubt und mit dem ich in Gott verbunden bin. Vielleicht ein Leben mit Philipp. Der mir meinen Wert nicht gibt, aber der mich inspiriert und mich vorantreibt Jesus jeden Tag ähnlicher zu werden. In dessen Gegenwart ich ich sein kann, mit allen Gefühlen, mit allem was in mir so vor sich geht. Das will ich gegenüber anderen auch schaffen. Gemeinsam mit Gott. Für andere.

Vielleicht für Menschen, die meine Gedanken irgendwann lesen dürfen - meine Poetry Slams. Für Menschen die möglicherweise das Gleiche fühlen. Denen ich helfen kann. Durch Worte, die nicht nur in meiner Schublade existieren, sondern welche die wirklich öffentlich zugänglich sind. Worte die lebendig werden können, wenn ich sie ausspreche. Wenn ich meine Emotionen hinein lege. Wenn ich nach Außen trage, was sich in meinem Inneren abspielt. Wenn Worte lebendig werden. Sie nicht nur gelesen sondern gleichzeitig gehört und gefühlt werden. Wenn sie untermalt werden durch eine Herzenshaltung, etwas das von tief drinnen kommt, Musik...

Ich halte Inne. Habe keine Ahnung wie viel Zeit vergangen ist.

Musik.

Meine drei Unterstützer stehen hinter der Glasscheibe und beobachten mich aufmerksam.

Musik.

Ich drehe mich zur Seite und laufe mit schnellen Schritten Richtung Türe.

Philipp kommt mir entgegen.

Musik.

"Du kannst nicht einfach aufgeben, du hast es nicht einmal versucht."

Ich bin stolz auf ihn. Das Reden scheint ihm mit jedem Wort einfacher zu fallen.

Ich schüttele den Kopf und nicke gleichzeitig.

"Das will ich doch gar nicht."

Ich rede zu schnell, muss meine Worte noch einmal wiederholen. Bin ganz aufgeregt.

Er lächelt.

"Was redest du dann mit mir, anstatt endlich auszusprechen was dir auf dem Herzen brennt."

Ich hebe die Hand.

"Nur wenn du spielst."

Er schaut mich verwirrt an.

"Gitarre. Ich glaube es wird noch authentischer und besonderer wenn wir es mit Musik untermalen. Emotionen auf verschiedenen Ebenen verstehst du. Nicht nur durch meine Worte, auch durch deine Musik."

Er braucht einen Moment. Vermutlich einen Augenblick, bis er meinen möglicherweise schon wieder ein wenig zu schnellen Redeschwall verarbeitet hat. Dann schließt er mich in die Arme. Ich rieche seinen Duft und spüre seine Lippen auf meinem Haaransatz und das wohlige Kribbeln welches sich den Weg durch meinen Körper bahnt. Ich lasse es einfach geschehen.

Und dann tun wir es tatsächlich.

Wir beginnen mit dem Poetry Slam über das Reden. Ich muss es Philipp nicht erklären, er weiß wie es sich anfühlt nicht reden zu können. Er weiß es alles ganz genau. Schafft es die Emotionen perfekt in das musikalische umzusetzen. Ich gebe mein bestes mit meiner Stimme. Anayo und Uta sind höchst zufrieden. Ich bin glücklich. Ein Anfang... ein Anfang einer Reise, die meine Gedanken und die Realität endlich zu überbrücken schafft. Ich habe ja so keine Ahnung wie winzig dieser Anfang ist und zu was diese Stunden in diesem kleinen, unbedeutenden Studio noch alles gut sein sollten.

Aber was über was ich mir definitiv im Klaren bin: Es ist ein Schritt, ein großer Schritt - back to life.








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Meine Lieben,

ein Kapitel, das irgendwie auch schon das Ende dieses Buches sein könnte - jedenfalls kommt es mir so vor. Aber keine Angst, es warten noch ein paar weitere Kapitel auf euch.

Von Herzen danke ich für all eure Geduld. Das Schreiben fällt mir momentan relativ schwer und ist ziemlich zäh. Ich hoffe, dass sich das die nächsten Wochen wieder legt.

Danke für all eure Unterstützung.

Seid gesegnet und herzlich umarmt.

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