Back to Life

By _time_to_fly_

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*** WATTYS 2018 GEWINNER *** Nachdem Betty den Kampf gegen den Krebs verloren hat, hinterlässt sie nichts als... More

Prolog
1. Brief
Challenge Nr. 1
1. Antwort
2. Brief
Challengen Nr. 2
2. Antwort
3. Brief
Challenge Nr. 3
3. Antwort
4. Brief
Challenge Nr. 4
4. Antwort
5. Brief
Challenge Nr. 5
5. Antwort
6. Brief
Challenge Nr. 6
6. Antwort
7. Brief
Challenge Nr. 7
8. Brief
Challenge Nr. 8
8. Antwort
9. Brief
Challenge Nr. 9
9. Antwort
10. Brief
Challenge Nr. 10
10. Antwort
11. Brief
Challenge Nr. 11
11. Antwort
12. Brief
Challenge Nr. 12
12. Antwort
Epilog
Danksagung

7. Antwort

91 15 9
By _time_to_fly_













***

I am loved.

You are loved.

We are loved.

Ich bin geliebt.

Du bist geliebt.

Wir sind geliebt.

So richtig geliebt.

So vollkommen geliebt.

So unermesslich geliebt.

So geliebt ohne Ausnahme, ohne etwas tun zu müssen, ohne Werke, ohne gute Noten, einen tollen Arbeitsplatz, wundervollen Freunde.

Ohne das alles.

Einfach geliebt.

Geliebt von der Familie?

Vielleicht! Vielleicht auch nicht.

Geliebt von Eltern?

Ja? Nein?

Von Freunden, Bekannten, Verwandten?

Geliebt von einer Gesellschaft, die sich um sich selbst dreht und stets nur auf das Äußere achtet?

Geliebt von Menschen mit Masken, deren Inneres verborgen, sich ausstreckend nach Anerkennung ihres eigenen Seins, Sinn des Lebens Fehlanzeige. Depressionen, Beziehungen, Süchte und trotzdem allein. Aufgefressen von äußeren Umständen. Hinabgedrückt von den Problemen des Alltags. Ohne Anker, Fels, ohne festen Stand. Wankend auf einer Klippe die bricht, hinabfallend ins tosende Wasser, dann wenn die Masken fallen, wenn das Böse von hinten kommt und leise, beinahe sanft mit so viel Kraft in den Rücken rammt, einem die Wellen umschließen und ein hypnotisierendes Flüstern dir sagt wie unnütz, kaputt, hässlich...

.... ungeliebt du bist.

Und du es beginnst zu glauben.

Zu glauben was Familie, Eltern, Freunde, Bekannte und Verwandte dir sagen, auftischen, einflüstern immer und immer wieder. Der Satan, ohne es zu bemerken. Gedanken, die dich übermannen, mitreisen, zerschmettern, als wärst du ein Nichts.

Nicht anerkannt. Nicht wertvoll. Nicht geliebt.

Ein Nichts.

Aber muss das so sein? Das ständige wanken an der Klippe. Das Fallen, sich nicht halten können, übermannt werden, Kontrolle verlieren?

Du hast die Entscheidung! Ganz allein in deiner Hand.

Die Entscheidung zu glauben was in der Bibel steht. Im Wort des Herrn, dort wo Wertschätzung, Hoffnung und Liebe großgeschrieben steht. Wo derjenige spricht, dessen Blut in deinen Adern fliest.

Dein Papa, dein Vater, dein Freund und dein Helfer. Dein Unterstützer, Anker, Fels und Allesgeber.

Glaube es, nehme es auf, realisiere es, lese es, sage es, immer und immer wieder. Kapiere es, lass es fallen in dein Herz. Dich ausfüllen, vollkommen machen.

You are loved.

Du bist geliebt.

Noch einmal?

You are loved?

Und noch einmal?

Du bist geliebt.

Geliebt nicht auf das Äußere reduziert. Angefangen von Innen heraus. Von dort wo Jesus in dir lebt - aus lauter Liebe. Der, der gesprochen hat - aus lauter Liebe. Der, der am Kreuz starb - aus lauter Liebe. Der auferstanden ist - aus lauter Liebe, der uns den heiligen Geist schenkte und der noch immer da ist, dich noch immer liebt - vollkommen. Aus lauter unerklärlicher, vollkommener, unfassbar tiefer und fester Liebe.

Er liebt weil du ein wertvolles Einzelstück bist.

Eine wundervolle, teure Perle.

Weil du wertvoll bist.

Weil du sein Kind bist.

Weil du einfach geliebt bist.

So richtig geliebt. So unendlich geliebt.

Weißt du? Kapierst du? Was diese Liebe bedeutet?

Die Liebe, der Wellen nichts anhaben können. Kein einzig tosendes Meer, kein wackliger Fels, weil diese Liebe nicht wackelig ist. Sie wankt nicht, verändert sich nicht, beschönigt und verdreht nicht. Diese Liebe ist hier! Diese Liebe sucht!

Diese Liebe muss nur noch angenommen werden!

Angenommen, damit sie erneuern kann, was Satan angerichtet, kaputt gemacht hat. Damit sie dein Herz erneuern kann, dein Denken, dein Sein.

Damit sie die Herrschaft übernehmen kann.

Über deinen wunderollen Körper. Über deine Stärken und Fehler. Über dein Leben, deine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Über dein Handeln, Fühlen, sich Drehen und Wenden...

.... über dein Herz.

Weil sie das will. Diese perfekte Liebe.

Weil er das will. Dein perfekter Vater.

Weil du sein Kind bist.

Sein geliebtes Kind.

Weil du geliebt bist. Einfach geliebt.

Wunderbar.

Wertvoll.

Gereinigt.

Vollkommen.

Einfach geliebt!

***

Betty,

den letzten Portry Slam den ich geschrieben habe siehst du da oben. Den letzten den ich geschrieben habe und gleichzeitig den ersten den ich nicht allein geschrieben habe. Es ist super komisch.

Eine Antwort auf die Frage, warum ich Poetry Salms verfasse, immer und immer wieder, muss ich aufgrund der nur allzu offensichtlichen Tatsachen doch eigentlich gar nicht geben, oder? Um abzutauchen natürlich, meinen eigenen Gedankenkarussell nachzuhängen, das aufzuschreiben was ich nicht sagen kann. Weit weg von der Realität, weit weg vom echten Leben. In meiner eigenen Welt. Nicht umsonst habe ich all die Slams der letzten Jahre, sogar die der letzten Monate direkt nach dem Beenden wieder auseinander gerissen. Genau zwei Mal. Einmal in der Mitte und gleich noch mal. In exakt vier gleich große Stücke. Es ist einfach meine Welt, meine ganz persönliche Welt. Eine Welt in der mal abgesehen von dir niemand etwas zu suchen hat.

Und dann... Tja dann taucht Philipp auf. Der, der meinen Poetry Slam über das Reden liest, oder eher den über das Schweigen. Der Junge, der gleich wenige Wochen später einen weiteren Slam zu Gesicht bekommt, einen ganz allgemein gefasst über das Evangelium, darüber im Mittelpunkt stehen zu wollen, über unsere Gesellschaft, keine Ahnung mehr so genau. Und hier oben mein letzter Slam. Über das geliebt sein, vielleicht ansatzweise inspiriert durch deine Erfahrung mit diesem machtsüchtigen Mädchen dort auf der Straße - irgendwie. Einen Slam der Realität und Gedanken vereint. Es sind meine Gedanken, meine Worte, meine von Hand geschriebenen, sich mehr oder weniger deutlich abzeichnenden Buchstaben, aber es ist Philipp der daneben sitzt, als ich schreibe, beobachtend, abwartend, sich nicht wirklich einmischt, einfach da ist, gleichzeitig verhindert, dass ich komplett abtauche, nicht minder durch die Tatsache bestimmt, dass er neben mir tausende Papierstücke versucht fein säuberlich und mit definitiv zu viel Geduld zusammen zu setzen. Eines nach dem Anderen. Papierstücke, deren Größe etwa A6 entspricht, ungefähr jedenfalls. Die Ränder zerrissen, abgerissen, nicht einmal zu schief. Es ist ein Puzzle. Ein Puzzle, das meine eigenen zerrissenen Slams zusammen fügt. Es sind keine 5 oder vielleicht 10, nein es sind die Slams über Jahre. Hundert vielleicht mehr? Weniger? Zu viele irgendwie. Dass ich sie nie komplett durcheinander gebracht habe, macht das ganze wohl ein wenig einfacher. Die zusammengehörenden Papierfetzen liegen sind nicht ganz so weit voneinander entfernt.

Ich bewundere ihn trotzdem. Die Geduld die er aufbringt. Seine angespannt konzentrierte Mine. Seine tiefbraunen, schimmernden Augen,  die über die einzelnen Zeilen huschen und ihn immer wieder dazu bewegen seine Mundwinkel nach oben zucken zu lassen. Manchmal scheint es, als ob sich eine Träne in seine Augenwinkel geschlichen hätte, doch es ist vermutlich nicht der Rede wert. Einbildung. Sobald er aufschaut, mich sanft anlächelt, versuche ich weiter zu schreiben. Es fällt mir schwerer als sonst, obwohl seine Anwesenheit beruhigend, gleichzeitig ablenkend. Ich brauche Minuten für wenige Worte. Drehe sie im Kreis und setze sie erneut zusammen. Ich streiche mehr durch, als dass ich schreibe. Der Entstehungsprozess ist ganz anders als sonst, ich genieße ihn trotzdem. Denke darüber nach wie es wäre taub zu sein, so wie er. Nichts hören zu müssen, wirklich auf meine Gedanken achten zu können. Keine Ablenkung durch das Rascheln des Papiers neben mir, der Tessa der die Papierstücke zusammen klebt. Der sie ganz macht und es dennoch nicht schafft sie in die Ausgangsform zurück zu bringen. Genauso wie ich es nicht schaffe, mich selbst ganz in meine eigene Gedankenwelt zurück setzen zu lassen, nicht einmal dann, als ich aufstehe, langsam und bedacht ins Bad gehe, Philipps Blick in meinem Rücken und mir Ohropacks hole. Er nickt mir zu, als er zu verstehen scheint was ich vorhabe. Es hilft, ein Stückchen jedenfalls, irgendwie, sonst hätte ich oben aufgeführten Slam vermutlich nie fertig gebracht. Die Geräusche sind weg, die Ablenkung keinesfalls. Die Gedanken werden lauter. Philipps Blicke auf mir stärker, ich nehme sie jetzt viel öfter und kräftiger wahr. Um mich letztendlich auch vor seinen Blicken abzuschirmen, setze ich mich schließlich auf meine Fensterbank und starre nach draußen. Ich schreibe, es fällt mir leicht, nach wie vor, aber meine Gedanken kreisen dennoch ab und an zur Realität und bevor ich Philipp meinen Slam überreiche, lese ich ihn mir sogar einmal laut vor.

Laut das Sprichwort. So richtig. Mit Stimmbändern die Worte formen. Philipp kann es nicht hören. Er wird mich nie hören können, meine Poetry Slams, nur lesen, es ist etwas anderes, das Lesen und Hören. Er kennt den Unterschied nicht, wird ihn nie kennen lernen. Es macht mich traurig. 

Betty?

Oh shit, ich glaube ich habe dich noch gar nicht so richtig begrüßt, in diesem Brief. Meiner 7. Antwort, obwohl du bereits hunderte von Worte gelesen haben musst. Es tut mir furchtbar leid. Es ist irgendwie... merkwürdig. Manchmal habe ich Angst meine Gedanken zu verlieren. Jene Gedanken die nichts mit der Realität zu tun haben, der Gegenwart, die sich nur um die Vergangenheit drehen, um dich, gemeinsame Erlebnisse, Momente und gleichzeitig Gedanken die meine Gefühlslage ausdrücken, mein momentanes Sein, Denken, Sorgen.

Früher da habe ich dir geschrieben. Poetry Slams, die nur von meiner eigenen Gedankenwelt bestimmt waren, nicht abgelenkt durch eine Person namens Philipp die neben mir sitzt und Papierfetzen wie tausende Puzzleteile zusammensetzt. Briefe, in denen ich getrauert habe, immer und immer wieder. Geweint gespickt von Erlebnissen mit dir und der Aufarbeitung verschiedenster Gedanken und Themen, angesprochen durch dich in vorherigen Briefen. Und wenn ich dann doch einmal etwas aus meinem momentanen, jetzige bestehen und ablaufendem Leben beschrieben habe, an dem ich eigentlich gar nicht richtig teilnehme, dann ging es um deine Challenges. Challenges die mich dazu gezwungen haben aufzutauchen, Kontakt aufzunehmen. Kontakt mit Personen die wirklich leben, die vollkommen da sind, nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit ihren Gedanken. Kontakt mit Umständen, die ich zu bezwingen und zu verarbeiten habe, die auf mich wirken und die ich verdränge durch mein ständiges und dauerhaftes Abtauchen.

Heute... heute ist das auf eine ganz verrückte Art und Weise anders. Ich erzähle nur noch von meinem Leben, nicht einmal mehr von deinen Challenges. Einfach von dem was ich momentan erlebe, erfahre, vielleicht angeregt durch deine Challenges. Ich erzähle ohne darüber nachzudenken, in der Gegenwart, um das Alles möglichst authentisch rüber zu bringen. Schließlich beabsichtige ich nach wie vor, dass du ein total wichtiger Teil in meinem Leben bist und bleibst - der wichtigste Teil, selbst wenn ich daran manchmal beginne zu zweifeln.

Dann wenn meine Worte mit mir durch gehen. Mein Stift über das Briefpapier gleitet, das eigentlich keines ist - nur ein Collegeblockblatt. Unaufhörlich, aus meinem Leben erzählt, als wäre ich gerade dort, mitten in jener Situation. Als würde ich in meinem Körper stecken, nicht von außen beobachten, sondern so richtig live erzählen, als wäre ich mitten drin, als wäre ich anwesend, komplett da, in der Realität, im echten Leben, nicht verschollen irgendwo in meinen eigenen Gedanken.

Es macht mich glücklich und gleichzeitig macht es mir irgendwie Angst und so richtig weiß ich es nicht zu beschreiben und mir fällt gerade ein, dass ich dich immer noch nicht so richtig begrüßt habe. Nicht im heutigen Brief.

Hallo liebe Betty, meine beste Freundin, tollste und aufmerksamste Zuhörerin. Über die Briefe hörst du mir übrigens wirklich richtig aufmerksam zu und bist sogar komplett still, quatschst gar nicht dazwischen. Irgendwie cool, auch merkwürdig, weil du mir meine Selbstvorwürfe dann abschwatzen könntest.

Die Vorwürfe, die ich mir mache, weil ich es genieße. Weil ich es tatsächlich genieße wieder am richtigen Leben teilzunehmen, wieder ein wenig reden zu können, wenn auch nicht ganz so oft und meist ohne dass mich jemand hört - was übrigens ziemlich viele Vorteile hat. Die Vorwürfe, die ich mir mache, weil ich hier sitze und zum ersten Mal seit langem glücklich bin, so richtig glücklich. Nicht ständig an dich denke, ständig trauere, sondern lebe, erlebe. Erlebe, dass ich die beiden Seiten vermischen kann. Die Realität, das echte Leben, mit meiner eigenen Gedankenwelt, mit meinen Poetry-Slams, denn ich kann schreiben, ich kann tatsächlich schreiben. Gedanken, Worte, Gefühle und trotzdem kann ich leben. Ich kann auf Dates gehen, kann reden - wenn auch über WattsApp, kann fühlen, Dinge wie verliebt sein und Frust und Ärger. Kann diskutieren und ich kann schreiben. Nicht nur Poetry-Slams und Briefe die der Realität keinen Raum lassen, sondern ich kann tatsächlich die Liebe, die ich zu Worten und Sätzen, ganzen Texten habe, dazu verwenden dir Erlebnisse zu schildern. So richtig. Richtig echt, richtig anwesend, nicht nacherzählt, als wäre das Ganze längst vergangen, vergessen, sondern so als würde es sich abspielen, jetzt in genau diesem Moment. Als würde es da sein und Raum einnehmen. In meinen Gefühlen, meine Gedanken, ebenso wie in der Realität. Es verbindet, alles, sämtliche Ebenen. Es überbrückt jener tiefe Krater, der mich eigentlich von der Außenwelt fernhalten soll, es legt sich darüber und lässt mir die Möglichkeit, meiner besten, liebsten, bewundernswertesten und tollsten Freundin hier nun zu erzählen was der Poetry-Slam und der Text oben, weit vor der eigentlichen Begrüßung, dem Hallo, dort wo du dann auch mal wahr genommen wirst, mit all dem zu tun hat. Mit meinen Gedanken, den Gefühlen und dem richtigen Leben.

Naja, jedenfalls hast du dich bestimmt gewundert, was ich da oben so erzählt habe und vielleicht warst du sogar ein klein wenig eifersüchtig. Wie ich erzählt habe, dass ich gerade einen Poetry-Slam schreibe, den ersten, bei dem ich nicht ganz allein bin. Ganz allein in einem Raum und ganz allein in meiner Gedankenwelt. Denn nahm Philipp einen mehr oder weniger großen Platz in meinem Raum ein, wie er da auf dem Boden saß und Papierstücke zusammen klebte, jedoch einen definitiv deutlich größeren Platz in meinen Gedanken, die mich ab und an dezent daran hinderten zu schreiben was ich eigentlich auf Papier bringen wollte. Einen Slam über das geliebt sein. 

Philipp saß also da und ja du hast schon richtig gehört, er hat genau jene Slams zusammengesetzt, die ich einst auseinander gerissen hatte, in meiner Nachttischschublade verschwunden waren und die lediglich du jemals zu Gesicht bekommen hast. Bemerkst du jetzt den Grund warum du eifersüchtig sein könntest? Ja? Bist du aber nicht! Das weiß ich irgendwie, weil du nie eifersüchtig oder eingeschnappt warst, weil du mir Dinge gegönnt hast, mir alles gegönnt hast, weil du mich geliebt hast und weil Liebe bekanntlich langmütig und freundlich ist und auch nicht eifert oder so. Eine weitere Eigenschaft, für die ich dir wirklich unfassbar dankbar bin und wofür ich dich auch ein klein wenig bewundere, jedoch nicht beneiden will oder dergleichen, weil Abhängigkeit und so....

Wie er dazu kam? Meine Slams zusammen zu setzten, welche ich nicht ohne Grund stets fein säuberlich zerrissen habe? 

Tja, dem ging ein äußerst langes - sehr langes Gespräch voraus. Denn als wir unser gemeinsam gekochtes Frühstück, Pancakes lassen grüßen, einen weiteren Grund deinerseits eifersüchtig zu werden, ich weiß doch wie sehr du diese Dinger geliebt hast, gegessen haben, da haben wir nebenher geredet und weil Reden über WhatsApp länger geht, wurden die angesprochenen Pancakes schnell kalt und wir waren wirklich ewig mit essen beschäftigt. Mit essen und mit reden, größtenteils über meine Poetry-Slams.

Grundsätzlich hatte Philipp bis zu jenem Zeitpunkt genau zwei davon gelesen und das ist wie du selbst weißt lediglich ein Bruchteil, wenn man bedenkt welche Massen von Worten in meinem Nachttisch verweilen. Dennoch war er unfassbar begeistert. Jetzt im Nachhinein kann ich seine Augen nicht mehr wirklich beschreiben. Dieses fröhlich begeisterte Funkeln, die Leidenschaft für Worte, die eigentlich gehört werden müssen und die er nur lesen und ich kaum aussprechen kann. Seine Texte auf WhatsApp waren selten so lang und so voller Begeisterung gewesen.

So etwas beeinflusst einem, irgendwie auch wenn man es gar nicht will. Das Lob, die ganze Anerkennung. Es macht einem unfassbar stolz. Unbewusst, vielleicht auch bewusst, obwohl es gar keinen so richtigen Grund gibt, weil all unsere Gaben ja bekanntlich von Gott gegeben und wir vielmehr dankbar als stolz sein sollten, aber vielleicht, ganz vielleicht ist etwas Stolz ab und zu auch ein wenig okay, denn warst auch du manchmal stolz gewesen. Stolz, aber nie eitel oder überheblich, immer auf dem Boden geblieben und dir der Tatsache völlig bewusst, dass da ein ziemlich großer Gott hinter dir steht, der die Fäden spannt und dem aller Dank gebührt.

Jedenfalls war es seine Idee. Ich hatte um ehrlich zu sein noch nie einen Gedanken daran verschwendet. Für mich waren Poetry Slams eine Art meine eigenen Gedanken in Worte zu fassen, denen ich keine wahren Worte verleihen konnte, keinesfalls aber nur geschriebene Worte, wenn dann mussten sie laut gelesen werden, wenigstens für andere Menschen, mal abgesehen von dir. Meine Meinung von Poetry Slams, vielleicht auch jene von unserer Gesellschaft. Laut vorgetragene Gedichte, irgendwo auf Bühnen dieser Welt, umjubelt von Fans und Unterstützern. Für mich etwas absurdes, was keinesfalls je in Frage kam, ich kann nicht einmal reden, also waren es meine Texte. Und es war okay, dass es meine Texte waren, vielleicht sogar gewollt. Texte die mein Inneres widerspiegeln, Texte von mir geschrieben, von mir gelesen (und von dir natürlich) und lediglich, ausnahmsweise, ab und zu vielleicht auch einmal von mir laut ausgesprochen. Für andere Menschen bestimmt? Keinesfalls.

Aber! Ja das große Aber.

Glaubst du, dass es eine Gabe Gottes ist?, hatte mich Philipp gefragt. Oder vielmehr hatte er es mir geschrieben.

Kann gut sein, sonst könnte ich es vermutlich nicht.

Meine Antwort.

Hast du dir schon einmal überlegt genau damit am Reich Gottes mitzubauen?

Wie meinst du das?

Ich verstehe total, dass du das für dich machst und dass es dein Inneres widerspiegelt, deine Gefühle und deine Gedanken und dass da eine ziemlich große Hemmschwelle ist, so etwas an die Öffentlichkeit zu tragen, aber was ist, wenn es eine Möglichkeit ist? Wenn es genau die Möglichkeit ist andere Menschen zu erreichen, in ihr Leben hinein zu sprechen? Ihnen von Jesus zu erzählen? Wenn Gott deine Gabe auch auf dieser Ebene benutzen will?

Ich weiß nicht, ich kann nicht einmal sprechen. Was ist wenn Gott es nicht so will? Und wenn es klappen sollte, ich will nicht überheblich werden. Ich will nicht verlernen es nur für Gott zu tun.

Erstens, du musst nicht sprechen! Wir können auch einfach einmal einen Verlag anschreiben, ob er es als Buch veröffentlichen will. Als Gedichtbuch oder so etwas in der Art und zweitens, wir können ja gemeinsam beten. Dass Gott dir da den richtige Weg zeigt, dass er dich auf dem Boden der Tatsachen zurück hält, dass er dir ein dankendes und lobendes Herz schenkt und dass er vielleicht auch Türen schließt, wenn es nicht so sein soll, aber einen Verlag zu finden, dazu noch einen passenden ist sowieso alles andere als leicht.

Ich saß schweigend da, habe auf meine Hände gestarrt, die da auf der Tischplatte miteinander spielten und immer wieder am Rand des Tellers entlang fuhren.

Beten?, hatte er gefragt.

Und es mag verrückt klingen. Zu beten ohne sich unterhalten zu können. Zu beten ohne zu reden, jedenfalls ohne Worte zu formen und gleichzeitig ohne abzuschweifen. Er hat über den Tisch gegriffen, nach meiner Hand. Die seine große, weiche, hat meine kleine, zitternde fest umschlossen. Ich war so furchtbar aufgeregt und er war so unglaublich sanft und liebevoll und hat meine Reaktionen so voller Respekt ganz genau beobachtet und mein Herz hat geklopft wie wild und meine Hände wurden ganz schweißig und ich musste unwillkürlich ganz bescheuert lächeln und keine Ahnung wie peinlich dieser Moment letztendlich eigentlich war, aber als ich seinen Händedruck nach einer gefühlten Ewigkeit etwas zu schüchtern erwiderte, da fing sein Blick meiner auf und dann hat er begonnen zu beten. Er hat keine Worte geformt, nicht wirklich, nur Laute habe seinen Mund hin und wieder verlassen, aber er hat seine Lippen bewegt. Ich hing daran fest, an diesen leicht rosanen, perfekt geformten Lippen und bin tatsächlich nicht abgeschweift. Das war übrigens definitiv Gott, der da veranlasst hat, mich auf das Gebet zu konzentrieren. Ich habe die Bewegungen beobachtet. Die Worte die er langsam und bedacht geformt hat. Es waren stumme Worte, aber es waren unglaublich ausdrucksstarke Worte und Gott schenkte auf eine unglaubliche Art und Weise, dass ich es verstehen konnte. Vielleicht nicht jedes einzelne Wort - Lippenlesen ist gar nicht so einfach, aber allgemein den Inhalt, total gut, mehr als gut und dann habe ich gebetet. Langsam, aber laut. Zum ersten Mal seit Monaten und es hat sich unfassbar gut angefühlt tatsächlich mit Gott zu reden und nicht nur in Gedanken und dann habe ich geweint und er hat meine Hand losgelassen, ein riesiges Kribbeln hinterlassen, ist aufgestanden, um den Tisch herum gegangen und hat mich fest in seine Arme geschlossen.

Und ich konnte nicht andres. Ich habe einfach nur genickt, heftig und war plötzlich fest davon überzeugt, wir müssen es versuchen. Es kann nur schief gehen. Und aus genau diesem Grund saßen wir wenige Stunden später beide auf dem Boden meines Zimmers, - ich gegen Ende wohl bemerkt auf der Fensterbank, - während er meine alten Poetry Slams sortierte und zusammenfügte und ich einen neuen schrieb und das wird sicherlich nicht mein letzter gewesen sein.

Es war komisch aber es war völlig in Ordnung. Dass er meine Gedanken las, an meinem Inneren teil hatte und einfach schwieg, mich ab und zu beobachtete und arbeitete. Wir hatten Gemeinschaft, schweigend, unglaublich einprägsam, zu zweit und doch nicht allein, denn Gott warst dabei. Mitten unter uns. Es heißt nicht umsonst "Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen." (Matthäus 18,20)

Und unser Papa war definitiv da. Spürbar, vollkommen und mit all seiner unendlichen, umbeschreibbaren und vollkommenen Liebe und Kraft. 

Ich kann nicht beschreiben wie bewegt ich gerade bin, den Tränen ziemlich nahe und das erste Mal nicht aus Trauer. Es ist verrückt. Ich bin dir so unendlich dankbar. Danke! Für alles und noch so viel mehr.

In Liebe

Deine

Leica

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