Back to Life

By _time_to_fly_

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*** WATTYS 2018 GEWINNER *** Nachdem Betty den Kampf gegen den Krebs verloren hat, hinterlässt sie nichts als... More

Prolog
1. Brief
Challenge Nr. 1
1. Antwort
2. Brief
Challengen Nr. 2
2. Antwort
3. Brief
Challenge Nr. 3
3. Antwort
4. Brief
Challenge Nr. 4
4. Antwort
5. Brief
Challenge Nr. 5
5. Antwort
Challenge Nr. 6
6. Antwort
7. Brief
Challenge Nr. 7
7. Antwort
8. Brief
Challenge Nr. 8
8. Antwort
9. Brief
Challenge Nr. 9
9. Antwort
10. Brief
Challenge Nr. 10
10. Antwort
11. Brief
Challenge Nr. 11
11. Antwort
12. Brief
Challenge Nr. 12
12. Antwort
Epilog
Danksagung

6. Brief

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By _time_to_fly_




Allerliebste Leica,

hier wären wir also... Brief Nummer sechs und damit ist tatsächlich ein halbes Jahr vergangen, ein halbes Jahr das ich nun schon bei meinem himmlischen Vater verbringen darf oder vielleicht ist seine Zeitrechnung auch eine ganz andere. Wer weiß das schon? Ich bin darüber inzwischen voll im Bilde. Du bist nicht zufällig ein wenig eifersüchtig, weil ich mehr weiß als du? Ich wäre das an deiner Stelle schon.

Gerade eben habe ich gebetet und Gott gefragt über was ich eigentlich so schreiben könnte. Ich bin an Beziehungen hängen geblieben... warum auch immer, ich habe keine Ahnung in welchem Sinne ich dir damit gerade weiterhelfen kann oder soll oder was auch immer, aber ich bekam das Bild eines riesigen Herzens nicht mehr aus dem Kopf. Also... here we go...

Beziehung zu definieren fällt mir irgendwie nicht sonderlich leicht. Wäre ich du, würde ich jetzt im Duden nach einer Definition suchen und dort irgendetwas hochgestochenes finden, da ich aber nicht du bin, kann ich mir auch einfach selbst etwas zusammen dichten. Etwas das möglicherweise nicht zu einhundert Prozent korrekt sein wird, aber immerhin kann man es verstehen und vielleicht hilft es dir ja weiter, ein klein wenig auf jeden Fall.

Würdest du eine Straßenumfrage machen, in der Schule nachfragen, Beziehung ist da oft Mann und Frau. körperliche Nähe. Sex. Du weißt bestimmt auf was ich hinaus will. Ab und zu wird man vielleicht noch Definitionen hören, bei denen Familien im Mittelpunkt stehen, Beziehungen zu Geschwistern, Eltern oder Freunden.

Ich habe mir nie wirklich große Gedanken über Beziehungen gemacht. Sie waren einfach da. Die Eltern - das mal bessere und ein anderes Mal schlechtere Verhältnis zu ihnen. Die Beziehung zu dir. Es war Freundschaft, wahre, aufrichtige und ehrliche Freundschaft, aber würde mich jemand danach fragen, Beziehung wäre irgendwie absurd, unpassend.

Beziehung hatte auch für mich jahrelang etwas mit Jungs zu tun. Im Nachhinein echt traurig. Aber so ist das Leben nunmal, die Welt, ich meine was wird uns tag täglich eigetrichtert. Im Fernsehen, den sozialen Netzwerken, den ganzen Medien.

Vielleicht sollte ich wirklich mal meinen Instagram Account löschen, der Einfluss dort ist manchmal schon echt krass. Abgemagerte Models, perfekt in Szene gesetzte Frauen. Dünne, lange Beine, schmale Taille, glänzende Augen - 100 Prozent Photoshop.

Darunter tausende junge Mädchen, Jungs bestimmt ebenso, die sich dadurch beeinflussen lassen. Die nicht wissen was im Leben zählt und ihren Wert versuchen irgendwo fest zu machen. Am Aussehen vielleicht. Andere an der Beliebtheit. Drogen, Alkohol und... Beziehungen.

Woran machst du deinen Wert fest?

Ich habe das Ganze nie hinterfragt: An Gott natürlich. Die super christliche Antwort, für die dich niemand verurteilen kann. Niemand außer du selbst, wenn du einmal mehr darüber nachdenkst und dich fragst: Woran machst du deinen Wert fest?

Jahrelang habe ich über all die Leute nur den Kopf geschüttelt. Alkohol, Drogen, perfekte Körpermaße, das brauche ich nicht, ich habe ja Gott.

Gott und das dringende Bedürfnis nach Liebe.

Von wem fühlst du dich geliebt?

Von Gott. Das habe ich auch immer gesagt, bitte überdenke diese Antwort aber noch einmal, denn super christlich dastehen musst du hier wirklich nicht.

Gott ist cool, keine Frage, aber reicht seine Liebe aus.

Im Nachhinein kann ich mit fester Überzeugung sagen: klar tut sie das!

Damals, damals war das anders. Ganz anders.

Ich habe mein Wert an Anerkennung festgemacht, an Beliebtheit und ganz besonders an Jungs. Vielleicht lag es an meiner Krankheit, vielleicht auch nicht.

Mit 13 mein erster Kuss - ich glaube das hatte ich bereits erwähnt.

Jungs begannen sich für mich zu interessieren. Tatsächlich. Für ein Mädchen, dessen Tage gezählt waren, das kaum noch Haare auf dem Kopf besaß, mehr im Krankenhaus als in der Schule abhing und wirklich komische Anwandlungen hatte. Ich brauche nicht anfangen auch nur einige wenige davon aufzuzählen, du kennst sie inzwischen alle zu hundert Prozent auswendig. 

Ich hasste meine Krankheit, damals noch viel stärker als heute und ich hasste die abschätzigen Blicke, das Getuschel, die bösen Worte meist hinter meinem Rücken.

Umso mehr liebte ich die Anerkennung. Ich lebte für sie. Für nette Worte, für Berührungen, für Nähe, für Liebe. Ob diese Liebe jetzt gefakt war, nur für kurze Zeit anhielt, sich eher aus Mitleid heraus entwickelte oder lediglich ein Resultat meines Teenager Daseins war, blieb dahingestellt. Wahre Liebe war es jedenfalls nie. Kein einziges Mal und dennoch lebte ich dafür.

Ich sprang von einer Beziehung in die nächste. Mein Herz konnte dabei längst nicht mehr brechen, ich lies ihm gar nicht die Zeit nur ansatzweise zu heilen.

Es machte mich glücklich. Für den Bruchteil einer Sekunde. Beim Küssen vielleicht, dann wenn der Satan mit einem fiesen Lächeln winkte und ich weiterging. Jungs die erfahrener waren, keine Christen - mein Leben war viel zu kurz, um sich Grenzen zu setzen, um sich nicht auszuprobieren.

Ich schaffte es nicht meine Jungfräulichkeit zu halten. Ich verlor sie mit gerade einmal 13 Jahren, an einen Typen der über 5 Jahre älter war, volljährig und wüsste ich den Namen noch könnte ich ihn verklagen.

Aber ich weiß weder wie er hieß noch wie sich das Ganze angefühlt hatte. Ich kann mich an kaum noch etwas erinnern, seine warmen braunen Augen sind vielleicht das Einzige, was ich noch vor Augen habe, wenn ich an ihn denke, die Augen die es schafften mir den Kopf zu verdrehen und die meinen Verstand ausschalteten, während meine Gefühle die Überhand gewannen. Über all die Jahre hatte ich die dumpfen Schmerzen und die Zerrissenheit meines Inneren ziemlich gut verdrängt.

Dennoch: etwas in mir ging kaputt. Meine eigene Würde zerbrach in Millionen von Stücken. Mein Körper war mir nicht mehr heilig. Es war ein Objekt, etwas was nicht zu mir gehörte. Etwas was weitergereicht werden konnte, ohne dass ich es wirklich bemerkte. Ein Herz, dass den Schmerz nicht mehr zu spüren schien, weil der Körper leer war, nicht mehr dazu gehörte. 

Beziehungen hatten anfangs keine Bedeutung und dann bekamen sie einen unglaublich bitteren Beigeschmack.

Jahrelang verband ich Beziehung mit Verletzung. Mit Tränen, mit zerbrochenen Herzen und mit dem verzweifelten Versuch geliebt zu werden und der Erkenntnis jedes Mal aufs Neue zu scheitern und wie ein kleines Häufchen Elend irgendwo in der Ecke zu enden, als Mensch der etwas von sich selbst hergab, verlor und damit mehr und mehr in sich zusammen schrumpfte. Ich gab meinen Körper, letztendlich gab ich auch mein Herz, meine tiefsten Gefühle und zurück kam nichts. Nichts außer Schmerz und das noch größere Bedürfnis irgendwoher auch nur ein ganz kleines Wenig Anerkennung zu bekommen.

Gott gab meinem Leben in genau jenem Moment eine entscheidende Wendung, ungefähr ein halbes Jahr bevor ich dich kennenlernte, indem er mir einen Bibelvers zukommen lies.

"Wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euer selbst seid?" (1.Kor. 6,19)

Angestrichen in meiner Bibel. Ich kann mich nach wie vor nicht erinnern jemals genau diesen Vers markiert zu haben und dann auch noch mit pink. 

In meiner Bibel gibt es bis jetzt keine einzig weitere Stelle, die mit pink markiert wurde - ausgerechnet mit pink.

Aber es veränderte mein Leben.

Ich bin Christ und ich war das damals auch. Jedenfalls hätte ich so geantwortet, hätte man mich gefragt. Was ich allerdings nicht kapierte ist, dass Gottes Liebe riesig, groß und unvergänglich ist und das nur diese eine Liebe all die Löcher meines Herzens heilen kann.

Nach und nach begann ich zu kapieren, dass mein Körper heilig ist, heilig und geliebt. Geliebt ohne ihn an Jungs abgeben zu müssen. Ich begann zu spüren wie dort nicht nur die Sehnsucht nach Anerkennung wohnte, sondern nach und nach noch etwas viel größeres, mächtigeres. Der heilige Geist, der mich reinigte, voller Kraft und Geduld.

Es war kein leichter Prozess. Ich ging ziemlich lange zu einer Psychologin. Nach und nach begann ich Gottes Liebe immer mehr zu verstehen und zu kapieren. Ich begann meinen Körper frei zu machen von all dem Bösen und lies Gottes Liebe und seine Stärke darin wohnen. Und ich spürte die Veränderung, jeden Tag ein bisschen mehr und ich spüre sie auch heute noch. Der Herzschlag der sich plötzlich vertraut und regelmäßig anfühlt und nicht mehr schmerzt und brennt, als würde in mir etwas überkochen. Die tiefe innere Ruhe, der Friede, die Anerkennung, die Selbstliebe. Augen, die ich durch den Spiegel angucken kann ohne daran zu zerbrechen. Augen die strahlen, die lächeln und die leben, keine tiefen, dunklen, angsteinflösenden Löcher mehr, die nichts von dieser Welt wahrzunehmen schienen.

Er heilte mich, von außen als auch von innen und das Wort Beziehung bekam eine ganz andere Bedeutung.

Beziehung war nicht mehr Verletzung, Beziehung war plötzlich Liebe. 

Meine Beziehung zu Gott bekam oberste Priorität, vollste Intimität und dann folgten all die anderen Menschen in meinem Umfeld.

Beziehung war und ist Gott! Meine einzig wahre Beziehung führe ich mit Gott. Klar ist auch unsere Freundschaft eine Art von Beziehung, aber wenn ich den Text schreiben dürfte, der im Duden unter dem Stichwort Beziehung steht, dann stände da schon längst - Liebe, Freundschaft, Vaterschaft zu Gott. Alles einfach. Denn er ist mein bester Freund, mein Papa und meine große Liebe.

Zuerst begann ich zu lernen was es bedeutet Beziehung mit Gott zu leben und zu führen und später kapierte ich dann auch was es bedeutete eine gesunde Beziehung zu Mitmenschen zu führen, zu einer Freundin wie du es wurdest und auch ansatzweise zu einem Mann, zum zukünftigen Ehemann, aber dazu sind meine Erfahrungen nicht ganz so riesig. Nach meiner wilden Teenager Zeit besann ich mich dann lieber auf andere Dinge und nahm ein wenig viel Abstand von Jungs. 

Was bedeutet das jetzt aber tatsächlich für mein und auch für dein Leben. Eine Beziehung zu Gott zu führen.

Beziehungen leben von Gesprächen. Von Gesprächen miteinander und untereinander. Von völlig banalen und zutiefst ernsten und bewegenden Gesprächen.

Reden. Reden mit Gott. Quasseln über Alltägliches. Heute zum Beispiel habe ich es geschafft mein Milchglas über mein Matheheft zu kippen. Unsere Mathelehrerin findet das vielleicht zwar weniger cool, aber ich muss zugeben, dass ich es Gott voller Stolz erzählt habe, zumal der eine Klecks tatsächlich aussah wie ein Herz.

Tja, das Herz verfolgt mich an diesem Tag eben. 

Klar führe ich neben den ziemlich unnötigen, lustigen und banalen Gesprächen auch richtig wichtige. Über welches Thema dieser Brief zum Beispiel handeln soll oder jeden Morgen versuche ich Gott zu fragen, was ich an diesem Tag für ihn tun kann. Heute habe ich da zum Beispiel auf den Schreibtisch unseres Rektors mit blauer Kreide "You are loved" geschrieben, wobei ich nach wie vor nicht glaube, dass unser griesgrämiger Herr irgendetwas damit anfangen kann. Vermutlich wird er als allererstes mega sauer, wer es denn bitteschön wagt einfach so in sein Zimmer zu schleichen, während er irgendwie mit den Sekretärinnen labert und dann auch noch seinen Tisch verunstaltet - unerhört wirklich. Aber Gott wird schon irgendeinen Plan haben, genauso wie er einen Plan mit dem Foto haben wird, dass die Affaire unseres Rektors, oder wer auch immer, seine Frau war es jedenfalls nicht, oben ohne abgebildet, mitten auf seinem Schreibtisch lag und sich nun zerrissen im Mülleimer befindet.

Neben reden, zählen jedoch auch Antworten zu einer Beziehung und Gott gibt mir die zu genüge. Ständige Herzen in meinem Umfeld und heute morgen erschien der "You are loved" Schriftzug mit Kreide geschrieben vor meinen Augen. Als ich dann im Sekretariat stand und die Türe des Rektors da so perfekt offen stand und ich zudem einen Blick auf angesprochenes Foto erhaschen konnte, musste ich wieder an das morgendliche Gebet denken und schwups... schneller als ich es realisierte befand ich mich in seinem Büro und ganz vielleicht habe ich auch einfach mal wieder meinen eigenen Kopf durchsetzen müssen und meine Gefühle gingen etwas mit mir durch und es war nicht zu ganzen hundert Prozent Gottes Plan, aber Spaß gemacht hat es trotzdem und er freut sich bestimmt mit mir.

Wo wir schon beim nächsten Punkt wären. In einer wahren Beziehung, da freut man sich für den anderen. Wenn mir etwas gut geglückt ist, freut sich Gott mit mir und wenn Gott etwas gut gelingt, freue ich mich mit ihm. Blöd nur, dass ihm halt immer alles gut gelingt und ich mich dadurch praktisch ständig freuen muss. Es kann echt anstrengend sein einen solchen Streber als Freund zu haben, glaube mir, der ist noch schlimmer als du und das muss man erst einmal schaffen.

Auf der anderen Seite muss man aber auch miteinander weinen können. Weinen wenn ich mal wieder Scheiße gebaut habe, dann wenn der Satan in mein Leben pfuscht, dann wenn Dinge passieren, wie oben beschrieben und dann weint Gott mit uns aber das ganz besonders tolle an meinem Papa ist es, dass er nicht nur mit mir weint, nein er allein ist dazu in der Lage uns den ganzen Schmerz abzunehmen, der all das Böse in unserem Herzen erzeugt und kaputt macht. Durch seinen Sohn, der am Kreuz sein Leben gab, ist es uns tatsächlich möglich frei zu sein. Frei von all dem Bösen dieser Welt, weil er es auf seinen Schultern trägt und wir diese Last nicht mehr tragen brauchen, dass ist so unglaublich erfüllend und ich freue mich darüber, jeden Tag, immer und immer wieder aufs Neue.

Und er liebt uns. Klar sollte man sich in einer Beziehung so oder so lieben. Auf verschiedenen Eben nunmal. Ich hoffe mal nicht, dass du mich gleich liebst wie deinen zukünftigen Ehemann, aber das alles ist Liebe und Gott vereint all diese Liebe und liebt uns noch so viel mehr. Seine Liebe ist riesig, seine Liebe ist unbegreiflich.

Wie viele Beziehungen zerbrechen in dieser Welt. Weil der eine den anderen nicht mehr lieben kann. Wie oft sind wir sauer auf unseren Partner, er sauer auf uns, wie oft sind wir mit ganz anderen Dingen beschäftigt als der eigentlichen Liebe? Wie oft ärgern wir uns über Dinge, zerbrechen uns über Sachen den Kopf, anstatt darauf zurück zu kommen warum wir überhaupt Zeit miteinander verbringen, füreinander da sind, Leben teilen - weil wir uns lieben.

Gott kennt das nicht. Für Gott steht Liebe immer an allererster Stelle. Er IST Liebe. Und keine Diskussion, keine Auseinandersetzung, kein Streit und kein Zweifeln bringt ihn von dieser unendlichen Liebe ab und das zu begreifen ist unglaublich.

Er liebt uns, mehr als uns sonst irgendjemand lieben kann - Das ist Beziehung!

Noch ein letzter Gedanke, bevor ich zu meiner heutigen Challenge komme und dann endlich meine Klappe halte. 

Weißt du noch, als ich einmal von unserer Freundschaft geschrieben habe? Davon dass du immer für mich da warst. Habe ich dich angerufen, kamst du sofort, hast mir versucht so gut wie nur irgendwie möglich zu helfen. Warst stundenlang für mich da. Hast mir einfach nur zugehört, meine Tränen getrocknet und mich mit blöden Witzen versucht aufzumuntern.

Gott tut das alles auch, aber ich durfte in den letzten Jahren erfahren, dass er das auf eine ganz andere Art und Weise tut.

Was meine Jungs Geschichten betrifft. Ich hatte Rückfälle - natürlich hatte ich die. Praktisch war ich süchtig nach Jungs und aus einer Sucht herauszukommen ist bekanntlich nicht ganz so einfach.

Einen echt krassen Rückfall und auch mein allerletzter hatte ich ein Tag bevor wir uns zum ersten Mal begegneten.

Ich schlief mit einem Jungen aus unserer Schule, der eine Wette am Laufen hatte, es zu schaffen mich flachzulegen. Absurderweise wusste ich von dieser Wette und trotzdem lies ich mich darauf ein. Ich lies mich darauf ein, weil er es schaffte mich wunderbar um den Finger zu wickeln, mir tolle Komplimente machte und meinen Verstand ausschaltete. Beziehungsweise war es letztendlich der Satan, der da ganz gehörig seine Finger im Spiel hatte.

Er lies mich allein, nachdem wir endlich fertig waren, er seinen Spaß hatte und mir langsam aber sicher klar wurde was ich da eigentlich getan hatte. Ich spürte deutlicher als jemals zuvor, wie die kleinen Stückchen meines Herzens, die gerade erst wieder angewachsen waren, wegsplitterten, als bestanden sie aus sprödem Glas. Es raubte mir den Atem, lies mir keine Luft mehr klare Gedanken zu fassen. Das ringen nach stickiger Luft ließ mir die Tränen in den Augen brennen. Ich weinte als gäbe es kein Morgen mehr und in all diesem Leid rief ich Gott an. Ich schrie zu ihm, wie noch nie zuvor. Ich schimpfte, ich beleidigte, ich wollte einfach nicht mehr und ich verstand nicht, warum er es nicht schaffe, mich in all seiner Macht und Stärke vor einem solchen Rückfall zu bewahren.

Wenn man dich, als aller beste Freundin anruft, dann schreit man normalerweise nicht ins Telefon, weint höchstens. Du wärst vermutlich auch gekommen, wenn ich geschrien und geschimpft hätte, weil du etwas ganz besonderes bist, aber Gott?

Gott brauchte nicht zu kommen, er war schon da. Er ist immer da, auch wenn er sich manchmal im Hintergrund hält. Ich brauchte nicht zu warten, in dem Moment, als ich ihn anrief, da war er da. Ich spürte wie er mein Herz füllte. Ich spürte wie er mich in den Armen hielt und tröstete. Er tröstete genauso, wie eine Freundin trösten konnte, aber im Gegensatz zu ihr war er nicht hilflos,  oh nein, er besaß sämtliche Mittel. Er heilte mein Herz. Mir wurde ganz warm. Ich lachte und weite gleichzeitig und es war völlig absurd. Freunde können keine Wunden heilen, sie können nur helfen darüber hinweg zu kommen, Gott kann das von einem Moment auf den nächsten und das aller krasseste, Gott hat mich durch diesen Rückfall nicht nur unglaublich viel stärker gemacht, er hat mir tatsächlich beigebracht zu vergeben.

Einem Jungen zu vergeben, der eine Wette am laufen hatte, der mich unfassbar verletzt hatte und der ein fester Bestandteil meines Lebens wurde.

Nicht nur wegen dieser einen Nacht, nein auch du kennst ihn noch, jedenfalls von meinen Erzählungen her. Persönlich eher weniger. Jahre später haben wir für ihn gebetet und für mich ebenso, dass ich ihm vollkommen vergeben kann. Wir nannten ihn immer geliebtes Arschloch, du erinnerst dich sicherlich, weil du seitdem ich dir das erste Mal von ihm erzählt hatte, fest daran geglaubt hast, dass Gott einen Plan mit seinem Leben hat.

Ich erinnere mich so gut, wie du immer und immer wieder sagtest und mir dabei tief und voller Ernst in die Augen schautest: "Betty, Gott liebt dich und so absurd es klingen mag, er liebt auch ihn. Ich glaube fest daran, dass Gott in seinem Leben einen entscheidenden Unterschied machen wird. Weil wir für ihn beten, weil er Gottes Kind ist und weil eure Begegnung irgendeinen Grund haben muss."

Ich habe ihn getroffen. Jahre später. Heute vor genau zwei Wochen. Das erste mal seither. Im Krankenhaus. Ich habe mein eigenes Ich gespürt, die Abneigung und den Hass. Es tat weh und zerriss mich beinahe und gleichzeitig habe ich Gott gespürt. Seinen Geist, der mich binnen Sekunden komplett ausfüllte und er schenkte mir seine Augen. Ich schaute diesen Junge an, ging auf ihn zu, ganz ruhig, voller Liebe, ich sah plötzlich keinen bösen Menschen mehr in ihm, sondern ein geliebtes Kind. Ich schaute in seine Augen. Warme Augen, nicht kalt oder verbittert, nicht voller Hass und Egoismus, dass genaue Gegenteil von dem, wie ich sie in Erinnerung hatte.

Durch mich sagte Gott genau drei Worte, dann holte mich mein eigenes Ich ein und ich verließ fluchtartig den Raum, aber mein perfekter Vater benutze ausgerechnet mich, um ihm direkt in die Augen zu schauen und zu sagen: "Gott liebt dich!"

Und dann rannte ich davon, weil mein Herz wieder begann zu schmerzen und mich die Erinnerungen aufholten und doch klingt seine Antwort nach. Ich kann mich an seine Stimme nicht erinnern, ich habe nur gesehen wie er seine Lippen bewegt hat, es ging in die Richtung: "Oh ja, das tut er" und dann hat er mich einfach nur lächelnd nachgeschaut.

Das sind die Momente in denen ich kapiere. Oh ja, Gott ist gut und Gott ist Veränderung. Er kann mich verändern und er kann andere Menschen durch mich verändern.

"Gott liebt dich." Das sind drei schlichte Worte, aber ich möchte dir heute genau diese Worte ans Herz legen. Keine Ahnung wem du die nächsten Tage begegnen wirst, aber vielleicht legt dir Gott ja für eine dieser Personen diese drei Worte aufs Herz: Gott liebt dich!

Und ich liebe dich auch.

Be blessed.

Deine Betty


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