Kupferkind

By RandomTwo

817 67 10

Nach dem goldenen Krieg wurde das ehemals glorreiche Königreich in vier Teile gespalten: Das nördliche, westl... More

Prolog - Die Ruhe vor dem Sturm
1 - Eine Frage des Vertrauens
2 - Tage im Licht
3 - Rückkehr in die Wirklichkeit
4 - Ein Netz aus Gold
5 - Ein möglicher Ausweg
7 - Die andere Hälfte der Komtess
8 - Die Schwester der Königin
9 - Bei Nacht und Nebel
10 - Der Graf von Himmelsboden
11 - Eine goldene Blume
12 - Die Weisheit der Sterne
13 - Der Verstand und das Schwert

6 - Eine halbseidene Allianz

54 5 0
By RandomTwo

Schon den ganzen Vormittag hatte Viktoria ein flaues Gefühl im Magen; nicht einmal ein Buttercroissant hatte sie heruntergebracht, seit sie beim Aufwachen beschlossen hatte, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Zwar stand sie immer noch vor dem Problem, unbemerkt in das Arbeitszimmer ihres Mannes zu gelangen, aber sie hoffte, das Türschloss knacken zu können, so wie Steffan es als Kind in Klinmaere immer getan hatte. Bewaffnet mit ein paar Haarnadeln verschiedener Größen in den Rocktaschen schlich sie nun durch die Gänge und versuchte, nicht so auszusehen, als hätte sie etwas Verbotenes vor. Schließlich war ja auch nichts Verbotenes daran, das Arbeitszimmer seines Ehemannes aufzusuchen, richtig? Sie hatte jedes Recht dazu, es zu betreten. Zumindest redete sich das die ehemalige Komtess von Klinmaere mit mäßigem Erfolg ein.

Am liebsten hätte sie Ilona in ihren Plan eingeweiht und ihre wie auch immer geartete Hilfe in Anspruch genommen, doch auch wenn ihre Schwester äußerst einfallsreich war, so wollte sie sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Es war für sie besser, wenn sie sich unter die

Gesellschaft mischte und das tat, wozu ihre große Schwester auch nach Monaten bei Hof noch nicht in der Lage war.

Immerhin würde Jonathan die nächste Stunde in einer informellen Unterredung verbringen, wie sie beim Frühstück überhören konnte. Dass damit eine strategische Besprechung mit Yngwen und dem König gemeint war, in der über die Zukunft des Königreiches verhandelt wurde, musste nicht explizit erwähnt werden. Selbstredend waren sowohl Viktoria als auch Cambriel davon ausgeschlossen worden. Schließlich war Jonathan fest davon überzeugt, dass keiner der beiden mit dem nötigen Takt gesegnet war.

Viktoria wischte ihre schweißnassen Hände an ihren Röcken ab und rief sich selbst zur Ruhe, als Jonathans Arbeitszimmer in Sicht kam. Abrupt blieb sie stehen, als sie einen jungen Mann in Uniform aufrecht neben eben jener Tür stehen sah, die sie aufzubrechen gedachte. Viktoria unterdrückte einen Fluch. Diese Möglichkeit hatte sie zwar bedacht, aber auf das Gegenteil gehofft. Bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, setzte sie ihre Bewegung nun fort und schenkte der Wache keine Beachtung, als sie an dieser vorbeiging. Kaum, dass sie um die nächste Ecke gebogen war, ließ sie sich an die Wand sinken und überlegte, welche Möglichkeiten ihr blieben. Es waren nicht viele. Je mehr sie darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr, die Wache weglocken oder ablenken zu können, geschweige denn davon zu überzeugen, dass sie einen Grund hatte, das Arbeitszimmer zu betreten.

"Verdammt", entwich es ihr. Sie drängte die leise Verzweiflung zurück, die von ihr Besitz zu ergreifen begann, während ihre Lage mit jeder Sekunde auswegloser zu werden schien. Welche Chance hatte sie sonst, sich neben Jonathan zu beweisen? Aus eigener Überzeugung würde er nichts ändern.

Unverständliche Worte aus dem Gang hinter ihr rissen die junge Prinzgemahlin aus ihrem Selbstmitleid. Ein kurzer Blick um die Mauerkante offenbarte eine unerwartete wie erfreuliche Wendung der Ereignisse: Die junge Wache schritt die entgegengesetzte Richtung den Gang hinunter, während ein anderer, der Uniform nach ranghöherer Offizier, prüfend hinterherblickte. Als dieser Anstalten machte, in ihre Richtung zu sehen, fuhr Viktoria ruckartig zurück und wagte kaum zu atmen, obwohl die Entfernung zu groß war, als dass er sie hätte hören können. Die Augen geschlossen, bat sie inständig die Götter, er möge der anderen Wache folgen. Nach einigen Sekunden wagte sie wieder einen Blick um die Ecke und sah den dunklen Haarschopf des Offiziers gerade noch in die andere Richtung verschwinden.

Bevor sie noch darüber nachdenken konnte, hatte sie bereits die Distanz zu Jonathans Arbeitszimmer überwunden und die unverschlossene Tür aufgestoßen. Die Luft roch abgestanden, und in der Aufregung klebte ihr das Haar bereits am Nacken, als sie die Tür hinter sich schloss. Sie schüttelte die Hände aus und lief sie zum überfüllten Schreibtisch des Thronerben, wo sie begann, dessen Korrespondenz zu durchsuchen. Die Briefe mit dem Wachssiegel des Goldenen Königreiches schienen ihr besonders wichtig, und sie legte einige der längeren beiseite. Auch die Schubladen zog sie auf und sah durch, wobei in ihrer Hektik ein paar Zettel zu Boden flogen. Beim Zurücklegen fiel ihr Blick auf eine notizartige Botschaft, die von einer Allianz sprach. Da sie nicht wusste, wie lange sie bereits im Zimmer war und zunehmend von der Panik, ertappt zu werden, erfasst wurde, faltete Viktoria einige der Dokumente, die fürs Erste nützlich schienen, zusammen und schob sie in ihren Ärmel und zwischen Bluse und Kleid, sich nicht darum kümmernd, ob etwas zerknitterte.

Mit wenigen Schritten war sie wieder bei der Tür und zog sie vorsichtig auf. Der Gang vorm Arbeitszimmer war nach wie vor ausgestorben. Die Anspannung fiel mit einem Mal von ihr ab; beim Gedanken daran, dass sie erfolgreich in Jonathans Heiligstes eingebrochen war und sich Informationen verschafft hatte, schlich sich ein erleichtertes Lächeln auf ihr Gesicht und sie konnte nicht umhin, ein wenig stolz auf sich zu sein. Ohne Zeit zu verlieren, eilte sie zurück zu ihren Gemächern, um in aller Ruhe über den Dokumenten brüten zu können. Was sie wohl in Erfahrung bringen würde...

"Wie lautet Euer Plan?"

Beim Klang der unbekannten Stimme fuhr sie erschrocken herum und erkannte den dunkelhaarigen Offizier von zuvor, der mit verschränkten Armen an der Wand stand, den Blick unverwandt auf sie gerichtet.

Es schien nicht länger wie ein Zufall, dass ausgerechnet nach seiner Unterredung mit der Wache der Zugang zum Arbeitszimmer frei geworden war.

Viktoria schluckte hart, während sie nach einer plausiblen Antwort suchte. Die goldenen Abzeichen auf der Uniformjacke des Mannes, die dessen Rang signalisierten, schienen sie zu verhöhnen. Zweifellos bekleidete der Unbekannte eine hohe Position, war vielleicht sogar Teil von Jonathans engerem Kreis. Es war, als läge eine Schlinge um ihren Hals, die sich zuzog.

„Ich fürchte, ich weiß nicht, worauf Ihr Euch bezieht", sagte Viktoria mit fester Stimme, die so gar nicht dem Tumult in ihrem Inneren entsprach.

„Nun, ich denke, Ihr habt jedes Recht, die Zimmer Eures Gemahls zu betreten. Die Frage ist nur, was Ihr mit den Informationen zu tun gedenkt, die Ihr gesammelt habt." Bei diesen

nüchternen Worten blickte Viktoria sich unversehens um, doch sie beide waren die einzigen am Gang. Dann suchte sie den Blick des Mannes.

„Ich bin Euch keinerlei Rechenschaft schuldig – wie Ihr bereits festgestellt habt." Die Prinzgemahlin sammelte jedwede Autorität, die sie aufbringen konnte und neigte hoheitsvoll den Kopf, bevor sie ihre Röcke raffte und ihre Gemächer ansteuerte.

„Ihr braucht Hilfe, und ich kann sie Euch bieten."

Vielleicht war es der leichte Dialekt ihrer Heimat, der aus den Worten des Offiziers klang, vielleicht auch die Tatsache, dass ihr die Optionen ausgingen, aber sie blieb stehen und musterte die hochgewachsene Gestalt des Mannes, dessen dunkle Augen ungerührt in ihre blickten.

„Begleitet mich ein Stück."

***

„Wo in Klinmaere seid Ihr aufgewachsen?"

Viktoria erwiderte den überraschten Blick des Offiziers, der sich als Kaleb vorgestellt hatte, mit einem Lächeln. „Euer Dialekt. Es ist nicht sofort zu hören, aber doch noch zu erkennen." Die kurzen Vokale, das rollende R, die Satzmelodie – die Sprechweise erinnerte sie an ihr Zuhause.

„Meine Eltern besitzen ein Gestüt im Norden der Grafschaft, wo ich den größten Teil meiner Kindheit verbracht habe. Mit 12 bin ich dann auf die Akademie geschickt worden." Wo er eigentlich dachte, sich seinen Dialekt abgewöhnt zu haben. Beim Militär lernte man schnell, nicht aufzufallen.

„Ich stelle es mir schön vor, inmitten von Pferden aufzuwachsen. Auf Klinmaere hatten wir selbstverständlich auch immer einige, aber hauptsächlich nur zum Ausreiten."

„Dann kennt Ihr bestimmt schon alle Wege rund um Silbermeer. Am Strand, am Fuß der Klippen, ist es besonders schön, nicht wahr?"

Viktorias Lippen pressten sich zu einem dünnen Strich zusammen. „Tatsächlich war ich erst ein- oder zweimal am Strand ausreiten, und auch das ist Monate her." Ihr Blick wanderte beim Vorbeigehen über die Fenster, hinter denen nur das Grau des Himmels zu sehen war.

Kaleb nickte verstehend. „Ihr müsst viel zu tun haben. Besonders jetzt."

„Das ist es nicht. Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, was ich mit all meiner Zeit anfangen soll. Jonathan..." Sie brach ab. „Seine Hoheit heißt es nicht gut.", sagte sie dann doch, schnell, als ob es dadurch an Wirkung verlöre.

Sie spürte Kalebs Blick auf sich, während sich ihr die Frage aufdrängte, was an Kaleb so vertrauenswürdig wirkte, dass sie meinte, solche Dinge laut aussprechen zu können.

Die Stille dehnte sich aus, und sie begann ihre Offenheit zu bereuen. Gerade, als sie ihre Aussage abmildern wollte, ergriff der dunkelhaarige Offizier erneut das Wort.

„Seid Ihr hier glücklich?" Die Frage klang ehrlich interessiert, und Viktorias erster Impuls war es, zu verneinen. Sie waren fast an ihren Gemächern angekommen, wie sie plötzlich bemerkte.

„Diese Frage ist schwierig zu beantworten.", sagte sie dann schließlich. „Ich sollte es sein. Ich möchte es sein." Ihre schmalen Finger zupften an einem ihrer ausladenden Ärmel.

„Aber seid Ihr es?"

Die ehemalige Komtess blieb stehen, die Augen auf einen gemusterten Wandvorhang gerichtet, bevor sie flüchtig in Kalebs Gesicht sah.

„Zuerst war ich es. Aber die Dinge haben sich geändert. Jetzt muss ich Vertrauen gewinnen und mir meinen Platz am Hof erkämpfen."

Der Offizier nickte und wirkte für einen Moment, als wolle er noch etwas erwidern, doch es war bereits alles gesagt. Viktoria machte einen Schritt nach vorne, die Hand auf den Knauf ihrer Zimmertür, als sie ein Gedanke durchfuhr.

„Werdet Ihr mich an Jonathan verraten?"

Kaleb schüttelte den Kopf. „Steffan würde das wohl kaum gutheißen."

Die Überraschung stand Viktoria ins Gesicht geschrieben, während sie das eben Gesagte verdaute. „Steffan? Mein Bruder?"

„Er bat mich, ein Auge auf Euch zu haben, und dem versuche ich nachzukommen."

„Aber... Ich habe seit Monaten nichts mehr von ihm gehört", protestierte Viktoria.

„Vermutlich deshalb, weil er nach Fier geschickt wurde. Es scheint, dass Eure Eltern denken, das sei der letzte Weg, ihn dazu zu bringen, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen."

Viktoria entfuhr ein unfreiwilliges Lachen, als sie sich ihren freiheitsliebenden Bruder beim Militär vorstellte. In Anbetracht der Tatsache, dass ihr Bruder bald dreißig wurde, hatten ihre Eltern ohnehin lange zugesehen, wie ihr ältester Sohn herumreiste und sich weigerte, sich mit einer Frau angemessenen Standes niederzulassen und sein Erbe anzutreten.

„Er wird todunglücklich sein.", sagte sie nach einem Moment. Freiwillig war er sicher nicht nach Fier gegangen. Die kleine Stadt lag an der Grenze zu Ostwald und beherbergte einen alten Außenposten aus der Goldenen Zeit, wo bis heute Soldaten für die Königliche Armee ausgebildet wurden. Zweifellos hatten der Graf und die Gräfin von Klinmaere eine ordentliche Summe Geld dafür gezahlt, dass ihr Sohn dort aufgenommen wurde.

„Er schien sich damit abgefunden zu haben, als ich vor ein paar Tagen mit ihm gesprochen habe. Seine größte Sorge wart Ihr, und ich musste ihm vor meiner Abreise versprechen, ein wenig auf Euch zu achten, während ich auf Silbermeer stationiert bin."

Viktoria setzte an, um zu erklären, dass sie keiner Aufsicht bedurfte, realisierte aber schnell, dass sie ohne seine Hilfe nicht an der Wache vorbeigekommen wäre. Er schien keinerlei Gegenleistung zu erwarten, etwas, was für sie nach Monaten bei Hofe unmöglich wirkte.

„Dann sollte ich mich wohl bei ihm bedanken. Und bei Euch", fügte sie zögerlich hinzu.

Kaleb neigte den Kopf und trat einen Schritt zurück. „Ich habe es ernst gemeint, als ich vorhin sagte, ich könne Euch helfen. Ich mag zur Königlichen Wache zählen, aber meine Loyalität gilt der Krone – was Euch nicht ausschließt."

Die Ernsthaftigkeit, die aus seinen Worten sprach, ließ Viktorias Vorhaben, Informationen zu beschaffen, weniger unmöglich wirken, und sie ertappte sich beim Gedanken, wie gut es sich anfühlte, wenn Vertrauen in sie gesetzt wurde. Zumindest von jemandem, der sich nicht durch Blutbande dazu verpflichtet fühlte, zu ihr zu stehen.

Sie blickte Kalebs hochgewachsener Gestalt hinterher, bis sie die Tür zu ihren Räumen aufschob und sich ihren Zofen überließ. Während sie fürs Mittagessen umgekleidet, hergerichtet und mit Schmuck behängt wurde, fühlte es sich zum ersten Mal seit Wochen so an, als hätte sie eine Chance. Und einen neuen Verbündeten.

Continue Reading

You'll Also Like

7.7K 233 64
♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎ „𝑇ℎ𝑖𝑠 𝑐𝑜𝑢𝑙𝑑 𝑏𝑒 𝑡ℎ𝑒 𝑒𝑛𝑑 𝑜𝑓 𝑒𝑣𝑒𝑟𝑦𝑡ℎ𝑖𝑛𝑔..." -𝐸𝑑𝑚𝑢𝑛𝑑 „𝑆𝑜 𝑤ℎ𝑦 𝑑𝑜𝑛'𝑡 𝑤𝑒 𝑔𝑜...
4.4K 463 118
In dieser Geschichte bist du 14 Jahre alt und dein Name wird mit „Y/N" geschrieben sein. Du wurdest von Dottore entführt und verweilst nun bei den Fa...
88.7K 5.4K 28
~wöchentliche Updates~ Ruelle wurde geschickt den König zu stürzen. Und sie hat seine Schwachstelle gefunden. Sie selbst. Seine Seelengefährtin. Doch...
2.3K 144 15
DISCLAMER: diese Geschichte beinhaltet jegliche art von Beleidigung, Hass, Drogen usw.‼️