Prolog - Die Ruhe vor dem Sturm

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Das Blau über ihnen schien sich ins Endlose zu erstrecken, während die Männer des Königs ihre Pferde über den Trampelpfad trieben, der zwischen den kleinen Dörfern auf ihrer Reise die einzige Verbindung darstellte. An der Spitze der Einheit waren zwei Männer in ein vertrauliches Gespräch vertieft, und hatten deshalb etwas Abstand zu der Truppe gewonnen. Der ältere der beiden hatte einen kräftigen Körperbau; seine ehemals stattliche Figur zierte eine rundliche Wölbung, die sich nur widerwillig von dem Lederwams in Schach halten ließ.

Sein Sohn, der jüngere Reiter, hatte noch nichts von seiner Jugend eingebüßt, aber auch seiner erschöpften Haltung begann man die lange Reise anzusehen. Zwei Wochen waren sie geritten, um einen Mann in einem Dorf zu treffen, der wertvolle Informationen versprochen hatte. Früh am Morgen hatten sie ihr Ziel endlich erreicht, nur um feststellen zu müssen, dass der 28-Seelen-Ort bis auf die Grundfesten niedergebrannt worden war. Von dem Informanten war nichts zu sehen gewesen, aber zumindest hatte man ihnen im nächsten Ort erzählen können, dass einige Dorfbewohner in den Wald geflohen waren.

Dorthin waren die dreißig Mann, die König und Sohn begleiteten, nun unterwegs. Die Stimmung hatte seit der Entdeckung der verkohlten Überreste an Optimismus verloren, das Wetter war jedoch makellos geblieben. Seit fünf Tagen ritten sie unter wolkenlosem Himmel und leichter Brise; eine bessere Witterung hätte sich niemand wünschen können, und zusammen mit den weniger glorreichen Anekdoten seines Vaters, die dieser nur selten zum Besten gab, war Jonathan einer der wenigen, der sich nicht zurück an den heimischen Kamin sehnte.

Almar hatte gerade eine Geschichte beendet, als er sich mit einem Funkeln in den Augen zu seinem Sohn umwandte. „Sag, wie läuft es zwischen dir und dem Mädchen?"

„Das Mädchen ist meine Frau", erwiderte Jonathan nüchtern. „Sie wird wohl noch eine Weile brauchen, um sich an den Hof zu gewöhnen."

„Kein Wunder", tönte Almar. „Die Leute aus Klinmaere sind gut, aber sie verstehen nicht viel von Luxus. Der Graf soll keine drei Kutschen besitzen – obwohl sie es sich bequem leisten könnten. Es muss ein Schock sein, aus solchen ländlichen Verhältnissen in den Prunk eines Königshofes verpflanzt zu werden."

Der braunhaarige Kopf seines Sohnes senkte sich zustimmend. Nach einem kurzen Moment des Zögerns fügte er jedoch hinzu: „Ich fürchte, ihre Probleme haben weniger mit dem Glanz von Silbermeer zu tun, Vater, und mehr mit dem Protokoll. Sie macht sich einen Sport daraus, ihrer Entourage davonzulaufen."

Almars Lachen brachte seinen Lederwams zum Knarzen.

„Ich weiß nicht wie ich ihr erklären soll, dass es wichtig ist den Regeln zu folgen. Sie mögen nicht immer Sinn ergeben, aber sie sorgen für Ordnung und Respekt am Hof. Jedes Mal, wenn ich mit ihr darüber rede, endet das Gespräch im Streit. Sie meint wohl, ich möchte sie verändern."

„Das wird sich mit der Zeit geben, du wirst schon sehen. Deine Mutter war in ihrer Jugend auch ziemlich wild, das kannst du mir glauben, aber als sie dich hatte und mein Vater mir mehr Verantwortung übertragen hat, ist sie um einiges ruhiger geworden. Menschen wachsen in ihre Rollen."

Das verstohlene Lächeln seines Vaters beunruhigte Jonathan zutiefst, da er bereits wusste, was folgen würde. Die ledernen Zügel drohten durch seine feuchten Handflächen zu rutschen und er packte sie fester.

„Wenn wir schon über Kinder sprechen, wie ..."

Almars Raunen wurde von dem Schrei eines Spähers unterbrochen, der zwischen den Bäumen etwas entdeckt zu haben schien. Als sein Vater das Thema nicht weiterverfolgte, und dem Pferd die Fersen gab, atmete Jonathan erleichtert auf. Mit dem Gefühl eine Gnadenfrist bekommen zu haben, trieb er sein Pferd mit den anderen an die Waldgrenze. Ein dichter Mischwald zog seine lichte Grenze vor Almars Männern, die auf weitere Befehle folgend die Pferde zügelten und verharrten. Der Späher, kaum älter als Jonathan, der mit seinen 20 Jahren einer der jüngsten Reiter war, deutete nervös in den Halbschatten zwischen den Bäumen. Seinem Finger folgend versuchten die Männer etwas auszumachen, doch erst als sie einige Meter in den Wald vorgedrungen waren, konnten auch sie die Stimmen ausmachen. Mit einem Handzeichen befahl Almar dem Rest der Truppe zu warten, während Jonathan sich mit dem Späher im Schlepptau seinen Weg durch das Dickicht bahnte. Man versuchte die Pferde ruhig zu halten, die ungeduldig um die Baumstämme in ihrem Weg tanzten, um keinen zusätzlichen Lärm zu machen; doch als sie nur noch wenige Meter von dem vermeintlichen Lager trennten, trieb Jonathan sein Pferd an, um den Fremden keine Chance zu geben zu fliehen. Zu weit war ihr Weg gewesen, um mit leeren Händen nach Silbermeer zurückzukehren. Zwei Frauen saßen bereits auf einem mitgenommenen Ackerpferd; ein weiterer Bauer hatte die Zügel in der Hand, als plane er in dieser Situation zu entkommen.

KupferkindWhere stories live. Discover now