6 - Eine halbseidene Allianz

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Schon den ganzen Vormittag hatte Viktoria ein flaues Gefühl im Magen; nicht einmal ein Buttercroissant hatte sie heruntergebracht, seit sie beim Aufwachen beschlossen hatte, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Zwar stand sie immer noch vor dem Problem, unbemerkt in das Arbeitszimmer ihres Mannes zu gelangen, aber sie hoffte, das Türschloss knacken zu können, so wie Steffan es als Kind in Klinmaere immer getan hatte. Bewaffnet mit ein paar Haarnadeln verschiedener Größen in den Rocktaschen schlich sie nun durch die Gänge und versuchte, nicht so auszusehen, als hätte sie etwas Verbotenes vor. Schließlich war ja auch nichts Verbotenes daran, das Arbeitszimmer seines Ehemannes aufzusuchen, richtig? Sie hatte jedes Recht dazu, es zu betreten. Zumindest redete sich das die ehemalige Komtess von Klinmaere mit mäßigem Erfolg ein.

Am liebsten hätte sie Ilona in ihren Plan eingeweiht und ihre wie auch immer geartete Hilfe in Anspruch genommen, doch auch wenn ihre Schwester äußerst einfallsreich war, so wollte sie sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Es war für sie besser, wenn sie sich unter die

Gesellschaft mischte und das tat, wozu ihre große Schwester auch nach Monaten bei Hof noch nicht in der Lage war.

Immerhin würde Jonathan die nächste Stunde in einer informellen Unterredung verbringen, wie sie beim Frühstück überhören konnte. Dass damit eine strategische Besprechung mit Yngwen und dem König gemeint war, in der über die Zukunft des Königreiches verhandelt wurde, musste nicht explizit erwähnt werden. Selbstredend waren sowohl Viktoria als auch Cambriel davon ausgeschlossen worden. Schließlich war Jonathan fest davon überzeugt, dass keiner der beiden mit dem nötigen Takt gesegnet war.

Viktoria wischte ihre schweißnassen Hände an ihren Röcken ab und rief sich selbst zur Ruhe, als Jonathans Arbeitszimmer in Sicht kam. Abrupt blieb sie stehen, als sie einen jungen Mann in Uniform aufrecht neben eben jener Tür stehen sah, die sie aufzubrechen gedachte. Viktoria unterdrückte einen Fluch. Diese Möglichkeit hatte sie zwar bedacht, aber auf das Gegenteil gehofft. Bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, setzte sie ihre Bewegung nun fort und schenkte der Wache keine Beachtung, als sie an dieser vorbeiging. Kaum, dass sie um die nächste Ecke gebogen war, ließ sie sich an die Wand sinken und überlegte, welche Möglichkeiten ihr blieben. Es waren nicht viele. Je mehr sie darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr, die Wache weglocken oder ablenken zu können, geschweige denn davon zu überzeugen, dass sie einen Grund hatte, das Arbeitszimmer zu betreten.

"Verdammt", entwich es ihr. Sie drängte die leise Verzweiflung zurück, die von ihr Besitz zu ergreifen begann, während ihre Lage mit jeder Sekunde auswegloser zu werden schien. Welche Chance hatte sie sonst, sich neben Jonathan zu beweisen? Aus eigener Überzeugung würde er nichts ändern.

Unverständliche Worte aus dem Gang hinter ihr rissen die junge Prinzgemahlin aus ihrem Selbstmitleid. Ein kurzer Blick um die Mauerkante offenbarte eine unerwartete wie erfreuliche Wendung der Ereignisse: Die junge Wache schritt die entgegengesetzte Richtung den Gang hinunter, während ein anderer, der Uniform nach ranghöherer Offizier, prüfend hinterherblickte. Als dieser Anstalten machte, in ihre Richtung zu sehen, fuhr Viktoria ruckartig zurück und wagte kaum zu atmen, obwohl die Entfernung zu groß war, als dass er sie hätte hören können. Die Augen geschlossen, bat sie inständig die Götter, er möge der anderen Wache folgen. Nach einigen Sekunden wagte sie wieder einen Blick um die Ecke und sah den dunklen Haarschopf des Offiziers gerade noch in die andere Richtung verschwinden.

Bevor sie noch darüber nachdenken konnte, hatte sie bereits die Distanz zu Jonathans Arbeitszimmer überwunden und die unverschlossene Tür aufgestoßen. Die Luft roch abgestanden, und in der Aufregung klebte ihr das Haar bereits am Nacken, als sie die Tür hinter sich schloss. Sie schüttelte die Hände aus und lief sie zum überfüllten Schreibtisch des Thronerben, wo sie begann, dessen Korrespondenz zu durchsuchen. Die Briefe mit dem Wachssiegel des Goldenen Königreiches schienen ihr besonders wichtig, und sie legte einige der längeren beiseite. Auch die Schubladen zog sie auf und sah durch, wobei in ihrer Hektik ein paar Zettel zu Boden flogen. Beim Zurücklegen fiel ihr Blick auf eine notizartige Botschaft, die von einer Allianz sprach. Da sie nicht wusste, wie lange sie bereits im Zimmer war und zunehmend von der Panik, ertappt zu werden, erfasst wurde, faltete Viktoria einige der Dokumente, die fürs Erste nützlich schienen, zusammen und schob sie in ihren Ärmel und zwischen Bluse und Kleid, sich nicht darum kümmernd, ob etwas zerknitterte.

KupferkindWhere stories live. Discover now