10 - Der Graf von Himmelsboden

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"Fletcher." Elions Stimme war getränkt von der Panik, die beim Anblick der Palastwachen in ihr aufwallte. Seit sie Silbermeer mit Fletcher verlassen hatte, waren sie bewaffneten Männern im Dienst des Gesetzes großzügig ausgewichen, aber heute spazierte ihr Begleiter direkt auf sie zu. "Macht halblang. Was hast du vor? Die Götter sollen verdammt sein – warte doch, Fletcher!"

Mit jedem Flehen, das ihr über die Lippen kam, wurde Fletchers Gang ein Stück selbstbewusster. Mit raumgreifenden Schritten überquerte er den gepflasterten Platz, den fein säuberlich gestutzte Hecken und gut zwei Dutzend Palastwachen umgaben. Keine beliebigen Wachen; ihre stählernen Rüstungsteile waren mit Blattgold umrandet und die Fahnen, die zwei von ihnen hielten, stellten drei goldene Sterne dar, die um einen größeren kreisten. Sie befanden sich nicht länger in vertrauter Umgebung, sondern waren nach einer langen und zermürbenden Reise über Lortal, Hertzenstein und Ehrenhall im Herzen des goldenen Reichs angekommen.

"Das ist der Haupteingang. Wir können da nicht -" Sie unterbrach sich selbst, als ein Paar Adeliger gemäßigt an ihnen vorbeischritt. Das dunkle Haar der Frau war von dicken Goldornamenten bedeckt, an welche ein Spitzenschleier anknüpfte. Ihr Partner war nicht minder elegant gekleidet, obwohl sie das Gebäude und seine schützenden Mauern nur für einen Spaziergang verlassen haben konnten. Anderswo wäre ihr exzessiver Goldbehang aufgefallen; inmitten des Schlossparks, an dessen Ende der goldene Palast aufragte, fügten sie sich nahtlos in ihre Umgebung ein.

Da Fletcher sie weiterhin ignorierte, zog Elion an seinem schneeweißen Rüschenärmel und erntete dafür eine hochgezogene Augenbraue von ihrem Begleiter.

"Haben wir falsche Identitäten, ist es das?"

"Du wirst schon sehen."

"Warum sagst du mir nicht einfach, was du -"

"Leise jetzt", ordnete Fletcher an, als sie sich dem gewaltigen Tor näherten, dessen Flügel mit wettergegerbtem Weiß und Blattgold bemalt waren. Zurzeit standen sie offen und boten einen verheißungsvollen Einblick in die prunkvolle Eingangshalle des Palasts, der vor ihnen stufenweise anstieg.

Die Architekten des Baus hatten sich mit Stuck und Blattgold an der Außenwand des Schlosses verausgabt; dennoch hatte die Zeit ihre Spuren hinterlassen. Hie und da konnten aufmerksame Betrachter grobe Einbrüche der Wände und der Zierde entdecken, die niemals ausgebessert worden waren.

Elions frustrierten Seufzer konterte Fletcher mit einem wissenden Grinsen, bevor er sich an die herbeigeeilten Bediensteten wandte. Ihr Gewand war mit goldenem Faden gesäumt, um ihre Zugehörigkeit zu dem Königreich zu zeigen. Obwohl der übermäßige Gebrauch von Gold zweifelsohne Reichtum und Macht signalisieren sollte, fand Elion ihn geschmacklos und die Mühe vergebens. Gleich wie viel Goldfarbe man verstrich und wie viel Goldfaden man vernähte, das Reich und sein Ansehen lagen in Trümmern seit dem großen Krieg.

"Lasst ausrichten, dass Kaspar, der Sohn des Grafen von Himmelsboden eingetroffen ist. In Begleitung seiner Verlobten", sagte Fletcher in einer Stimme, die keinen Zweifel über seine Aufrichtigkeit ließ.

Elion ballte die Hände in den Falten ihres teuren, taubenblauen Kleids zu Fäusten. Deshalb haben wir uns um neue Kleider gekümmert, bevor wir angekommen sind, erkannte sie. Fletcher will den Adeligen mimen.

Um ihre Tarnung nicht auffliegen zu lassen, setzte sie ein Lächeln auf, das genauso falsch wie unschuldig war. An Fletchers Seite die unbedarfte Begleitung zu mimen, war keine ungewohnte Rolle; nur setzte er sie für gewöhnlich über ihre temporäre Identität ins Bild, bevor sie ins kochende Wasser geworfen wurden.

Er streckte seinen Arm aus und Elion griff danach – ein wenig fester, als notwendig gewesen wäre.

Während der Bedienstete sie eiligst durch die leere Eingangshalle führte und ihnen den Salon öffnete, in dem die Besucher empfangen wurden, beobachtete sie Fletchers unlesbare Mimik. Dabei fragte sie sich, ob das seine Rache für ihre eigenmächtige Entscheidung war, ins goldene Reich zu reisen anstatt nach Himmelsboden.

KupferkindNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ