8 - Die Schwester der Königin

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Unruhig rutschte Ilona, drittälteste Komtess von Klinmaere, auf der harten Sitzbank herum, ohne eine bequemere Position zu finden. Der Salon war gefüllt mit Adeligen aus allen Teilen des Königreiches, und nicht zum ersten Mal wunderte sie sich über den Unwillen ihrer älteren Schwester, sich unter die Gesellschaft zu mischen. Nach einem Leben in der Provinz war die Zeit, die Ilona hier in der Hauptstadt verbrachte, wie die Erfüllung eines Traumes. Sie liebte die Geschäftigkeit, die Vergnügungen, den Glanz und den Reichtum, der in Silbermeer so viel mehr vorhanden war als in ihrer Heimat.

Mit einem Blick auf ihre Schwester, die wie versteinert neben ihr saß, in eine bronzefarbene Robe gekleidet, ließ sich Ilona das Weinglas zum wiederholten Male auffüllen. Sie hätte es nie zugegeben, aber sie konnte verstehen, warum der Kronprinz an Viktorias Umgang in Gesellschaft wenig Gefallen fand – sie selbst fand es zunehmend schwerer, Verständnis für Viktorias Lage zu zeigen.

Der kalte Wein schmeckte süß und nicht halb so bitter wie vor zwei Stunden, als sie das erste Glas gekostet hatte.

„Was hältst du davon, morgen einen Spaziergang zum Strand zu unternehmen?", richtete die jüngere Schwester schließlich betont fröhlich das Wort an Viktoria, in deren Gedanken sich die Vorstellung eines ruhigen Spaziergangs zu zweit – vielleicht mit ein paar Wachen im Hintergrund – zu einem albtraumhaften Unterfangen in Gegenwart sämtlicher Hofdamen verwandelte.

„Wenn du möchtest."

Ilona unterdrückte einen Seufzer und nahm in der darauffolgenden Stille noch einen Schluck vom Wein, ehe sie sich auf die Füße raffte und sich unversehens an der Armlehne des Teufelsmöbels anhalten musste, da der Raum ein wenig schwankte.

„Entschuldige mich, ich muss mir ein wenig die Füße vertreten." Sie strich die Falten an ihrer Taille glatt und wartete kaum auf die Bestätigung ihrer Schwester, bevor sie die Flucht antrat und die Wolke aus Selbstmitleid und Unzufriedenheit, die über der Sitzecke hing, wo sie die letzte Stunde an der Seite ihrer Schwester verbracht hatte, zurückließ. Sich zwischen Damaströcken und Seidentaft hindurchdrängend, steuerte sie eine Gruppe Hofdamen an, in deren Gegenwart sie einen Großteil der letzten Wochen verbracht hatte – manchmal mit ihrer Schwester, meistens allein.

„Hoheit, eine Nachricht für Euch." Der Bedienstete, der plötzlich neben ihr aufgetaucht war, überreichte ihr ein zusammengefaltetes Stück Papier. Ilona nickte zum Dank und brach das goldgelbe Wachssiegel, das die Nachricht zierte, bevor sie das Geschriebene überflog. Der Wein erschwerte es, die geschwungene, dicht aneinandergedrängte Handschrift zu entschlüsseln, doch als sie bei der Unterschrift ankam, durchfuhr sie gleichsam ein Gefühl der Panik wie auch Stolz. Wieso lud Königin Yngwen ausgerechnet sie, jüngere Schwester der Prinzgemahlin, zu einer Matinée am kommenden Vormittag ein? Ob Viktoria ebenfalls anwesend sein würde? Ilona versuchte, durch die Gäste hindurch einen Blick auf ihre Schwester zu erhaschen, um zu sehen, ob sie ebenfalls eine Einladung erhalten hatte, doch die Bank, auf der Viktoria zweifelsohne noch immer saß, war nicht einsehbar.

Ilona ließ den Brief im Ausschnitt ihres blumenbestickten Mieders verschwinden und schob einen Ärmel aus Tüll, der über ihre Schulter gerutscht war, wieder nach oben. Bemüht darum, weniger erhitzt zu wirken, atmete sie tief durch, doch die abgestandene, durch die vielen Leiber aufgeheizte Luft tat das ihrige, um die Wirkung des Weins zu verstärken, sodass die Gruppe der Hofdamen eine angeheiterte Komtess begrüßen konnte, die zu schnell sprach und deren Wangen gesünder wirkten, als es jedes Rouge zu bewirken vermochte. Das schlechte Gewissen darüber, ihre Schwester alleine zurückgelassen zu haben, verblasste mit fortschreitender Stunde. Stattdessen genoss sie die Aufmerksamkeit der jungen Adeligen und Offiziere in ihren dunkelblauen Uniformen, die ohne Unterlass um einen Tanz baten, sodass sie bald die Übersicht darüber verlor, mit wem sie bereits über die Tanzfläche gewirbelt war. Sie lachte zu laut und trank zu viel, doch war so nichts anderes als ein Mitglied der Hofgesellschaft unter vielen. Als sie schließlich gegen Mitternacht die Feierlichkeiten verließ, war weder von ihrer Schwester noch von deren Mann eine Spur zu sehen. Zwar hätte Ilona es nie laut gesagt, doch stand für sie außer Zweifel, dass der Kronprinz wohl der langweiligste Adelige war, den ihre Schwester heiraten hätte können. Sein einziger Vorzug war die Tatsache, dass er in ein paar Jahren das Königreich regieren würde. Bei dem Gedanken musste sie aus unerfindlichen Gründen glucksen und stolperte dabei über eine Stufe, sodass sie sich prompt in ihren Tüllröcken verfing und am steinernen Geländer festklammern musste, um nicht die Treppe hinunterzustürzen. Der Weg in ihre Gemächer dauerte um einiges länger, als er es untertags tat, doch letzten Endes schaffte sie es dorthin. Sie musste nach einer Zofe läuten, die ihr beim Ausziehen half, und als man sie aus ihrem Korsett befreite, segelte die Einladung der Goldenen Königin zu Boden. Nur im Unterhemd, bückte sie sich wackelig danach und schob den Zettel unter ihr Kissen, während sie verschwitzt unter die Decke kroch und einschlief, bevor ihre Zofe das Zimmer verlassen hatte.

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