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By ananasdream

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β€žπ’Ύπ’» 𝒾𝓉 π“‰π’Άπ“€β„―π“ˆ 𝓉𝒾𝓂ℯ 𝓉ℴ 𝑔ℯ𝓉 𝓉ℴ π“Žβ„΄π“Š, 𝒾'𝓁𝓁 𝑔ℯ𝓉 𝓉ℴ π“Žβ„΄π“Š" ~ π“π‘πž 𝐍𝐚�... More

~ ALTE VERSION ~
1 β—„ Mein Leben oder auch HΓΆlle
2 β—„ Hilfe, ich bin wieder 16!
3 β—„ FrΓΌhstΓΌck mit einem Geist
4 β—„ Dreh das Rad
5 β—„ Besser frΓΌh als spΓ€t
6 β—„ Vorgeben ist besser als aufgeben
7 β—„ VerdrΓ€ngt aber nicht vergessen
8 β—„ Es war einmal...
9 β—„ Über Geheimnisse und Erinnerungen
10 β—„ Der neue Nachhilfelehrer
11 β—„ Dieses LΓ€cheln
12 β—„ Der falsche Postbote
13 β—„ Beziehungskrach
14 β—„ GeburtstagsplΓ€ne
15 β—„ Wie ein Song Leben verΓ€ndert
16 β—„ Freunde ein Leben lang
17 β—„ Bestes Schlussmachen aller Zeiten
18 β—„ Happy Endings sind manchmal erst der Anfang
19 β—„ Wie hΓΆrt man auf zu lieben? Part 1
20 β—„ SΓ€ngerin gesucht
21 β—„ Identifizierung mit fremden Texten
22 β—„ Wie hΓΆrt man auf zu lieben? Part 2
23 β—„ Top
24 β—„ Down
25 β—„ Worst Party ever
26 β—„ Mein Regenschirm
27 β—„ Die Zeit steht still
28 β—„ Back to top
29 β—„ Fantasie VS RealitΓ€t
β—„THE END (+ ErklΓ€rung)β—„
❀WATTYS 2016❀
𝕍𝕠𝕣𝕨𝕠𝕣π•₯
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By ananasdream

And no thank you
is how it should've gone
I should stay strong
But I'm weak, and what's wrong with that?
Boy, oh boy I love it when I fall for that

~ AJR, Weak


8. Kapitel

Mindestens eine Stunde irre ich durch Feldwege und schmale Straßen, versuche, mich zu erinnern, doch die Fichten und Birken – sie sehen alle identisch aus. Wenn ich nur das heruntergekommene Familienhaus mit den rostigen Wäscheleinen im Vorgarten wiedersehen würde, das würde ich erkennen.

Während ich mich von Ast zu Ast hetze, drängt sich die Frage auf, ob ich überhaupt in etwas talentiert bin, das in der Realität zu gebrauchen ist. Am Ende sind ihre Anschuldigungen gar nicht so abwegig, wie mich die Lehrer immer glauben lassen. Ich bin ein Loser. Gute Noten sind am Ende des Tages nichts Wert.

Ich sacke mit meinem Rücken gegen den Stamm einer Fichte und betrachte die Handflächen. Furchen zeichnen die komplette Innenfläche. Dreck sammelt sich am Eingang der Wunde. Zähne zusammenbeißend lasse ich den Schmerz über mir ergehen. Darf ich es ironisch finden, dass sich die Schnitte entlang meiner Lebenslinie erstrecken?

»Du hast ja schnell aufgegeben«, dringt ihre Stimme an mein Ohr, die ich jetzt bis in alle Ewigkeit mit Gefühlen und Gedanken assoziiere, die mich aufschreien lassen wollen. Stattdessen bleibe ich reglos im Gras sitzen. Die Knie sind Wackelpudding und meinem Gemüt scheint ohnehin alles egal zu sein. Wer bin ich, wenn jemand anderes fortan mein Leben weiterführt?

»Mir wird auch keine Wahl gelassen.«

Situationen einzuschätzen, gehört nicht zu ihren Fähigkeiten. Obwohl ich bereits kapitulierend das Handtuch geworfen habe, eilt sie schnellen Schrittes zu mir, um Hand an mich zu legen.

Ich lasse sie gewähren, denn selten ist die Welt so an mir vorbeigezogen wie in diesem Augenblick. Den Rückhalt meiner Familie habe ich als selbstverständlich angesehen. Wenn alles in sich zusammenfällt, dann reichen sie mir die nötigen Steine, um die Mauer um mich herum zu errichten.

Selbst wenn sie der Teufel höchstpersönlich ist, mit den feuerroten Haaren gar nicht so unwahrscheinlich, im Moment besitze ich nicht einen Stein. Sie zerrt mich hoch, während sie die Hände am Rücken umschlossen hält. Ich lasse die aufkommende Welle mich mit sich reißen.

»Das war ein Fehler«, zischt sie, versucht, dabei herrisch zu klingen. Wäre mein Leben nicht mit der Zeit eingefroren, ich hätte gelacht – sogar über die eigene Dummheit, mich bei kalten Herbsttemperaturen ins Gras gesetzt zu haben. Die morgige Blasenentzündung ist mir jedoch herzlich egal.

»Kein Größerer als in der Zeit zurückzureisen. Bist du dafür verantwortlich?« Meine Stimme klingt weniger eindringlich, als ich es beabsichtigt habe. Sie zittert regelrecht. Der Inhalt hat genug Eindruck bei ihr hinterlassen, um in der Bewegung innezuhalten.

Angestauter Atem entweicht ihrer Kehle und sie lässt mich frei. »Du weißt es.«

Ist es Erleichterung, Angst oder Wut? Keinen blassen Schimmer. Jetzt, wo sie die Hände wieder freigegeben hat, stecke ich sie wärmend zum warmen Futter meiner Jackentasche. »Offenbar weiß ich nicht genug. Wie kann das sein? Existiere ich jetzt wirklich zwei Mal? Was genau weißt du darüber?« Plötzlich sprudeln die Fragen nur so aus mir heraus.

Sie werden von der Hoffnung angetrieben, es sei nur ein Missgeschick passiert. Sicher ließe sich der Fehler ganz schnell wieder beheben. Doch anstatt mir sofort die passende Zeitmaschine zu präsentieren, mit der wir durch Licht und Zeit zurückreisen, starrt sie ins Leere. »Du würdest mir eh nicht glauben.«

Ich lache trocken auf. »Ach, bitte. Nachdem ich ein ganzes Jahr in die Vergangenheit gereist bin, schockiert mich so schnell nichts mehr.«

Sie setzt zwei große Schritte seitwärts auf die gepflasterte Straße. Ihr Schuhwerk sieht auch nicht danach aus, als weist es die Feuchtigkeit des Grases ab. »Glaub mir, es geht noch eine Nummer verrückter.« Sie verschränkt wärmespendend die Arme vor der Brust. Ihre gepunktete Regenjacke eignet sich eher für regnerische Sommertage als für den tiefen, kalten Herbst.

»Hör zu.« Obwohl sie mich in ihrem Keller gefangen gehalten hat, schüchtert ihre Präsenz immer noch nicht ein. Ihr zierlicher Körperbau wirkt im Vergleich zu dem bedrohlichen Antlitz der Jungs an unserer Schule lachhaft. Mit Leichtigkeit geselle ich mich zu ihr auf die Straße. »Ich werde bei dir bleiben, okay? Nachhause kann ich eh nicht, wenn sich dort ein anderer Darian eingenistet hat.«

Erleichtert atmet sie auf und will mir schon ins Wort fallen, doch mir brennt noch etwas auf der Zunge. »Unter einer Bedingung. Du bist ehrlich zu mir. Wieso konnte ich in der Zeit reisen? Gibt es eine Möglichkeit, den Vorgang rückgängig zu machen? Und was bitteschön ist verrückter als Zeitreisen?«

So schnell wie sich die Grübchen auf ihr Gesicht geschlichen haben, schwinden sie auch schon wieder. Wenn ich Glück habe, wird sie mir eine der Fragen beantworten. Das zeigt mir ihre Miene mehr als deutlich. »Alles, was du wissen musst, ist, dass das hier nichts Schlechtes ist. Es ist eine Chance.«

Zeitreisen – das kenne ich zu Genüge aus Buch und Fernsehen, jedoch ein wenig anders. Wenn man zurückreist, dann dorthin, wo die eigene Eizelle noch flüssig ist. So vermindert man die Chance, sich selbst zu begegnen. Muss unmittelbar in die eigene Zeitlinie eingegriffen werden, doch bitte mit einem Sprung in den Körper. Das hier ist einfach nur scheiße. Wer denkt sich sowas aus?

»Und wie soll ich die Zukunft positiv verändern? Sich im Keller einschließen, um ja nicht doppelt gesehen zu werden, ist sicher top«, höhne ich.

Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. Die Unterlippe schiebt sich dabei leicht über ihre Oberlippe. »Wenn du aufpasst, dann darfst du dich unter die Leute mischen.«

Ich fasse mir ans Herz. »Danke, wie großzügig.«

Meine Worte lassen ihr Gesicht erstrahlen. Gott, Ironie ist scheinbar ein Fremdwort für sie. Sie darüber aufzuklären, dazu bin ich im Moment nicht in der Lage. Vielleicht ist diese frohe Laune auch geeigneter, um mir weitere meiner unzähligen Fragen zu beantworten. Na gut, dann gehen wir eben schrittweise vor. »Also«, seufze ich. »Wie sind wir hier hergekommen? Mit einer Zeitmaschine?« Unser Gespräch darf echt keiner hören. Die Jungs an meiner Schule, sie würden sich vor Belustigung rollen.

»Puh, wie das Ding heißt, weiß ich nicht genau. Es sah aus wie...« Sie überlegt kurz, schaut sich in der Umgebung um, als finde sie dort den passenden Gegenstand. »Mehrere kleine Kreise, die ineinandergreifen. Ein paar Farbtöne dunkler als die Sonne, wenn sie zur Mittagszeit am Himmelszelt strahlt. An eine der Windungen baumelt ein viel Größerer – vollständig ausgefüllt mit einem Ziffernblatt, das–«

Ihre langen Reden bereiten mir Kopfschmerzen. Harsch falle ich ihr ins Wort. »Meinst du eine Uhr?« Weil ich mir bei ihr nicht mal mehr sicher bin, ob sie die kennt, hebe ich zu Demonstrationszwecken das Handgelenk und zeige ihr meine Armbanduhr.

Beleidigt treffen ihre Augen meine, als wolle sie mich erdolchen. »Nein«, gibt sie gedehnt von sich. »Ich mein, klar. Ähnlichkeiten sind vorhanden, aber hättest du mir zugehört, wären dir die Feinheiten–«

Bevor sie weiter ausschweifende Beschreibungen von sich geben kann, unterbreche ich sie erneut. »Also eine Uhr.«

Sie tadelt mich mit einem Blick, den mir auch Herr Horn zuwirft, wenn ich eine algebraische Gleichung nicht begreife. »Dann lass dir eben nicht helfen. Du bekommst deine Uhr eh nicht mehr zu sehen.« Die Art, wie sie Uhr betont, sagt mir, sie spricht von der Zeitreiseuhr.

Mein Hals schwillt zu. Was soll das heißen? Warum hat sie die Uhr nicht mehr? War sie es nicht, die uns hier her brachte? Wie zum Geier gelange ich jetzt zurück in meine Zeit? Die Panik nimmt langsam aber sicher Besitz von mir. Ich starre völlig reglos in die Ferne, unfähig regelmäßig zu atmen.

Obwohl sie so einiges nicht gecheckt hat, den Missmut hinter meinen Mauern erkennt sie sofort. Plötzlich schaut sie mich an, wie eine Oma ihren Enkel, wenn dieser nicht genug isst. Mit einer Sorgenfalte auf der Stirn streckt sie kurz ihre Hand nach mir aus, senkt diese aber augenblicklich wieder. Seltsam, dieses Mädchen.

»Keine Sorge. Wir sind nicht ohne Grund hier. Du hast eine Aufgabe. Ist diese erstmal erledigt, fügt sich alles in die richtigen Bahnen.« Die Beschwichtigung in ihrer Stimme beruhigt mein Gemüt. Ich unterlasse es, die imaginäre Linie auf der Straße entlang zu schreiten.

Stattdessen blicke ich gen Horizont. »Aufgabe?« Das Beben in meiner Stimme kann ich nicht unterdrücken. Da ist dieses Höhnen in mir, ohnehin zu scheitern. Gesellschaftliche Inkompetenz lässt sich mit keinem Wissensstand der Welt ausbaden, höre ich Emil sagen, als er mich mit dem Kopf über den Schulbüchern erwischt.

Sie deutet Richtung Straße und gibt mir damit die stumme Aufforderung, aufzuhören, Löcher in die Luft zu starren. Ihre zierlichen Hände schwingt die grazil mit sich. Wahrscheinlich strebt sie aber an, mich wieder in den abgedunkelten Keller zu locken. Das leise Pfeifen aus ihrem Mund beschert mir eine Gänsehaut, als wäre es der Start für den nächsten Horrorstreifen.

»Dieses Mädchen, das du getroffen hast«, setzt sie an. Somit ist sofort klar, dass sie mich verwechselt. Ich treffe keine Mädchen, denn vorher rennen sie schreiend weg. »Elea«, fügt sie hinzu. Nichts klingelt bei diesem Namen. Eindeutige Verwechselung. »Die Große.«

Und dann springt in mir plötzlich ein Schalter um. Bilder von jener grauenvollen Party vor ein paar Tagen schleichen sich in mein Bewusstsein. Verpasste Chancen, laute Musik und zu wenig Alkohol – ein Ereignis, das ich ganz schnell vergessen möchte. Ich kann von Glück reden, dass das Erlebnis nun ungeschehen ist.

Als sich das Rädchen in mir umlegt, fährt sie mit der Erklärung fort. »Eure Wege haben sich an dem Abend entzweit. Du bist jetzt hier, um das zu ändern.«

Der Wind peitscht mir um die Nase und lässt meinen Körper erzittern. Teilt sie mir durch die Blume mit, dass es Zeit wird, den Arsch hochzukriegen und das Mädchen anzusprechen, wenn ich nicht mit dreißig noch bei Mama und Papa wohnen will? Ich fühle mich ein wenig auf den Schlips getreten.

Bevor die richtigen Worte meinen Mund verlassen, schließt und öffnet er sich vorher auf eine Weise, die mir in einer anderen Situation längst große Lacher eingebracht hätte. Sie blickt mir abwartend und ernst bleibend entgegen. »Wie heißt du eigentlich?«, erkundige ich mich.

»Marlie.« Sie streckt mir die Hand hin, damit ich den Eindruck bekomme, ich wäre zu Gast bei älteren Bekannten meiner Familie. Ich wiege ab, ob ich die Geste erwidere. Die Gefahr, dass sie ihre Hand daraufhin angeekelt zurückzieht, erscheint mir nicht unwahrscheinlich.

Statt Belustigung erhasche ich jedoch zugewandte Freundlichkeit in ihren Augen, die ich sonst nur von meinen Eltern und bestem Freund kenne. Ich zögere dennoch und ergreife ihre Hand erst, als sie mir diese vor die Brust drückt. »Ich bin Darian.«

Sie nickt wissend. Ich räuspere mich und stecke meine Hand, die jetzt vermutlich schwitzt, zurück in die Jackentasche. »Marlie, nichts für ungut. Ich kenne dieses Mädchen nicht und werde ganz sicher nicht auf irgendeine Mission ihretwegen gehen.«

Ihre Mundwinkel zucken neckisch nach oben. »Aber offensichtlich kennst du sie gut genug, um zu wissen, von welchem Mädchen ich spreche.«

Seufzend lege ich einen Zahn zu, ohne richtig zu wissen, wohin es uns überhaupt verschlägt. Bringt sie mich wieder in den abgedunkelten Keller – trotz aller Kooperation? Was immer mich auch erwartet, meine Hilferufe wird niemand hören. Existiere ich noch?

Selbst wenn ich von nun an all die verpassten Chancen auskoste, die mein vergangenes Ich ignoriert hat, ändert es nichts an der Tatsache ... »Ich werde sie ganz sicher nicht ansprechen.« Verlegen drehe ich den Kopf zur Seite und murmele leise gen Boden. »Dazu bin ich nicht bereit.«

Ich bekomme einen halben Herzinfarkt, als sie plötzlich unmittelbar in meinen Weg hüpft. Ihre fuchsroten Locken wehen im Wind geradewegs auf mich zu. Ehe ich voller Karacho in Marlie hineinlaufe, bremse ich. »Ein weiser Mann hat mal gesagt, jeder Mensch ist bereit sich zu blamieren. Ist dem nicht so, wäre das Leben langweilig und trostlos.«

Wer immer diese Worte ausgesprochen hat, der weiß nicht, wie sich die Schwingungen eines Lachkrampfs anfühlen, wenn man erneut zum Gespött der Schule wird. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um mich daran zu hindern, dies tatsächlich ehrlich zuzugeben. Niemand stellt sich gerne selbst als Loser dar. Auch ich nicht.

»Du kannst das gerne für mich übernehmen. Dich darf auch jeder sehen.« Leicht missmutig umrunde ich sie, um nicht länger auf der Stelle stehen zu bleiben. Sowas hasse ich. Es erinnert mich an einen meiner wiederkehrenden Albträume beim Marathonlauf unserer Schule. Egal wie schnell ich die Beine bewege, ich trampele auf der Stelle und höre alle anderen lachen.

»Ich bezweifle, dass ich ihr Typ bin«, lacht sie. So lustig finde ich das gar nicht. Am liebsten hätte ich laut gebrüllt »Dann sind wir ja schon zu zweit!«, doch die Worte bleiben mir im Hals stecken.

»Aber dich darf sie sehen, solange der andere Darian nicht dabei ist. Wir müssen es nur irgendwie einfädeln, dass sie deine reale Person zuerst kennenlernt. Nicht, dass sie dich wiedererkennt und der andere Darian weiß von nichts.«

Deine reale Person. Selbst Marlie impliziert damit indirekt, dass diese Version meines Ichs nur ein billiger Abklatsch ist. Nicht existent. Ich winde mich unter dieser Idee. Dass sie mir nicht gefällt, wäre maßlos untertrieben. »Und wie zum Teufel sollen wir das anstellen?«, frage ich nach, in der Hoffnung, der Plan scheitert daran.

Grinsend deutet sie nur auf die rechte Seite der Straße. Aus der Ferne erkenne ich eine Siedlung, die sich dort auftürmt. Ein Neubaugebiet, das mit dem Spielplatz um der Ecke kinderfreundlich ist. So unbekannt, wie es mir hier vorkommt, bin ich mir fast sicher, nicht wieder in ihren Keller zurückgeschickt worden zu sein. Ob das etwas Positives oder Negatives ist, sei erstmal dahingestellt.

»Was machen wir hier?« Inzwischen habe ich mein Tempo gedrosselt, weil ich nicht weiß, ob mir das Ziel gefallen wird.

Während sie vorne weiterhin das Tempo angibt, fingert sie in ihrer Hosentasche nach etwas, das sie mir scheinbar zeigen will. Sieht wie ein zusammengefaltetes Blattpapier aus. An den Seiten weist es aufgrund ihrer Jeans bereits ein paar Knickspuren auf. Voller Vorfreude reicht sie mir den Zettel entgegen.

Als ich ihn entfaltet sehe, kommt er mir sofort bekannt vor. Nicht zuletzt, weil ich einer derjenigen gewesen bin, der den Flyer in erster Linie erstellt hat. Das Rednerpult erscheint mir als Grafik lächerlich, wenn sich kaum einer von uns je getraut hat, an eines zu treten. Die Feder unten rechts in der Ecke bereue ich aber nach wie vor nicht.

»Poesie macht Spaß« – die Worte, über die meine Mitschüler zu Genüge gelacht haben. »Das ist in etwa so überzeugend, wie wenn Frau Scheffler die Quadratische Ergänzung als das spaßigste auf der ganzen Welt verkauft. Reichen Gedichte nicht im Deutschunterricht?«

Wenn sie wüssten, dass ich meine Freizeit und Mühe in eine Poesie-AG stecke, könne ich mich vor Gemeinheiten gar nicht mehr retten. Warum gibt sie mir den? Weiß sie etwa über mein Geheimnis Bescheid? Panik steigt in mir auf und automatisch schaue ich mich um. Das darf echt niemand sehen.

Wir suchen dich!
Denn mit ziemlicher Sicherheit steckt Tinte in deinen Adern.

Gott, wie peinlich! Was man nicht alles schreibt, um die läppische Teilnehmerzahl zu erhöhen. Mir gefällt es im kleinen Kreis, doch meine Meinung interessiert niemanden. Ich will kein einziges Wort mehr lesen. Schnell knülle ich das Papier in der Faust zusammen.

Marlie entreißt es mir aufgebracht. »Ey! Was machst du denn da? Das hier, mein Freund«, sie entfaltet das Papier und streicht es so gut wie möglich an ihrer Jeans glatt, »ist dein Ticket. Hiermit gewinnst du deine Herzdame. Dieser Zettel gehört in ihren Briefkasten.«

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