»Ich bin doch keine neun mehr«, sagte sie mit einem leicht beleidigten Unterton und verdrehte kurz darauf ihre Augen.

»Das nicht, aber du wohnst keine Woche in Paris und bist sicher noch nicht um diese Uhrzeit Metro gefahren. Erst recht nicht allein.«

Sie sagte nichts. Sie schloss sich meinen schnellen Schritten an, während unzählige Autos und Motorräder an uns vorbeifuhren und wir zügig die Treppen hinunter zum Bahnsteig hinabliefen und auf die Anzeigetafel starrten, die uns signalisierte, dass die nächste Bahn in bereits vier Minuten hier wäre. Ich war noch nie derjenige gewesen, der Gespräche freiwillig von sich aus fortführte. Doch Nova hatte etwas an sich, was mich aus mir unerklärlichen Gründen dazu veranlasste, es doch zu tun.

»Und du wolltest hier stehen? Minutenlang? Allein?«, fragte ich sie mit einem ungläubigen Ton in der Stimme, der sie laut ausatmen ließ, ehe sie ihren Blick wieder mir widmete.

»Na ja, ich stehe auch mit einem mir wildfremden Typen am Bahnsteig und hätte wahrscheinlich noch ein bisschen mehr Angst, wenn keine weitere Menschenseele auf die nächste Bahn warten würde.« Sie zuckte die Schultern und hob ihr Kinn an, während sie ihre Augen zu kleinen Schlitzen verengte und sich ein hochmütiges Grinsen auf ihrem Gesicht abzeichnete.

Sie spielte dieses Spiel nicht schlecht. Ich hätte nicht erwartet, dass sie Gespräche in solch eine Richtung lenken würde.

»Wildfremd?«

»Ich kenne dich doch kaum.«

»Ich war doch der Erste, dem du von uns begegnet warst.«

Und den Satz hättest du einfach steckenlassen sollen, Leo.

Nova öffnete zwar ihren Mund, blieb jedoch still. Ihre Augenbrauen kräuselten sich. Aber sie sagte nichts mehr. Kurz darauf machte mein Gehör die rasende Metro aus und ich blickte auf. Sie hielt an und wir näherten uns der Tür, die sich im nächsten Moment öffnete und ließen uns auf die letzten beiden Plätze nieder, die in diesem Bahnabteil noch nicht besetzt waren. Sie blinzelte mehrere Male gegen das grelle Licht der Lampen an und ihre Augen flirrten umher, bis sie wieder die meine trafen. Eine Gänsehaut legte sich über meinen Körper, dabei war mir noch immer kein Bisschen kalt.

»Du erinnerst dich daran?«, waren schließlich die Worte, die sie über die Lippen brachte, als die Metro mit einem Ruck losfuhr.

Wie könnte ich denn auch nicht?

Das sagte ich nicht, stattdessen nickte ich nur und wich ihrem Blick danach aus.

»Ich-ich mich auch. Das war auch meinem überraschten Blick am Montag verschuldet, ich meine wie kann-«

»Frag nicht, auf diese Frage wirst du keine Antwort finden«, unterbrach ich sie kalt, woraufhin sie kurz zusammenzuckte.

»Manche Dinge kann man nie wissen, Nova. Du kannst höchstens nach dem Verständnis streben«, sagte mein Mund, bevor ich die Worte, die ich soeben aussprach, ordentlich durchdacht hatte.

Wieso erzählte ich das einem Mädchen, das ich kaum kannte? Konnte mir doch egal sein, ob sie dieser Gedanke scheinbar noch immer beschäftigte. Und siehe da, das kalte Arschloch kam wieder zum Vorschein. Und sie sagte wieder nichts; ihr Blick verweilte an der Fensterscheibe, an der die verschiedensten Menschen und Metrostationen an uns vorbeizogen. Ein nachdenklicher Ausdruck stahl sich auf ihr Gesicht. Und dann biss sie sich auf die Unterlippe, während sie sich zurück in ihren Sitz lehnte.

»Und selbst dann wäre es kein Wunder, wenn es immer noch unlogisch erscheint«, sagte sie, blickte noch immer starr aus ihren hellen Augen auf die Fensterscheibe.

The Dark in our StarsWhere stories live. Discover now