Kapitel 5

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"Gut gemacht Hope." Madame Laveau nickte anerkennend. "Wer ist der Nächste?"
Als Antwort schoben Electra und Joann Tucker nach vorn. Ganz wie erwartet. Das taten sie oft, einfach so. Wahrscheinlich weil die beiden den Körperkontakt zu Tucker genossen, vermutete ich.
Todesmutig griff sich Tucker jetzt das Taschenmesser. Sobald das schwarzmagische Objekt begriff, dass es ihm an den Kragen gehen sollte, drohte es Tucker mit ausgefahrenen Schneideblättern und einem Flaschenöffner. Erst als er beide Hände mit viel Druck um das widerspenstige Ding gelegt hatte, gab es nach ein paar Sekunden auf. Joann seufzte verzückt, so als hätte er soeben eine Horde südmexikanischer Bullen mit bloßen Händen erlegt. Wahrlich eine Meisterleistung.
Drei Minuten später hielt Tucker anstelle des Taschenmessers, eine Kette mit silbernem Totenkopfanhänger in den Händen. Genau wie vermutet, nickte Madame Laveau auch ihm zu.
Unauffällig machte ich einen Schritt rückwärts, in der Hoffnung als Letztes an die Reihe zu kommen, am besten nachdem es bereits geklingelt und alle anderen in die Pause verschwunden waren. Natürlich ging mein Plan so was von ganz und gar nicht auf.
Am Ende blieben ich und die silberne Taschenuhr übrig. Alle anderen bewunderten ihre Schmuckstücke, während die Mambo mich näher heranwinkte.
"Dawn, du bist dran."
"Als ob wir nicht schon wüssten, wie das endet", flüsterte Hope Cynthia ins Ohr, die daraufhin auffällig loskicherte. Am liebsten hätte ich ihr die Kunsthaar-Perücke in den Mund gestopft- aber wir hatten ja Unterricht.
Nachdem ich noch einmal tief Luft geholt hatte, griff ich in den Glaskasten.

Zunächst verzog sich die Taschenuhr in die hinterste Ecke des Kastens. Mit ihrem aufklappbaren Deckel erinnerte sie mich an eine zornige Miesmuschel. Als sie die Glaswand erreichte, schaltete sie auf Angriff, schnappte nach meinen Fingern. Das fing ja gut an. Zugegeben, was hatte ich anderes erwartet? Das war schwarze Magie.
Schließlich gelang es mir, die Uhr ohne größere Bisswunden zu packen.
Shannon stieß einen kleinen Jubelschrei aus. Das schwere Collier, das sie aus einem Armband gezaubert hatte, klimperte.
Einigermaßen zufrieden mit mir wandte ich mich den Kräutern und der Schokolade zu, doch da passierte es: Mit einem gezielten Biss in meinen Daumen befreite sich die Taschenuhr aus meinem Griff. Als wäre das nicht schon genug gewesen, kroch die Uhr in Windeseile durch die Klasse, direkt nachdem sie zu Boden gefallen war. Ohne nachzudenken warf ich mich auf sie, doch blöderweise war die Taschenuhr clever. Sie katapultierte sich selbst zwischen meinen schweißnassen Fingern hindurch, bevor ich meine Hand ganz um sie geschlossen hatte. Dann hüpfte die Taschenuhr wie eins dieser Aufziehspielzeuge unter den nächsten Tisch. Bei Bondieu, warum immer ich? Zeitgleich stemmte ich mich auf alle Viere und nahm die Verfolgung auf.
Um mich herum sprangen die anderen Voodoo Schüler einen Schritt zurück. Schreie wurden laut. Aus dem Augenwinkel sah ich Joanns goldene Sandaletten sogar auf einen Stuhl springen. Sicher nur eine Masche, um bei Tucker zu landen. Zum Beispiel durch einen Ohnmachtsanfall. Gar keine schlechte Idee. In Ohnmacht gefallen wäre ich jetzt auch gerne - andererseits hatte ich es nicht gerne, wenn eine winzige Taschenuhr mich an der Nase herum führte. Mit dieser Geschichte würde mich Hope außerdem sicher jeden verdammten Tag meines weiteren Lebens aufziehen. Daher war in Ohnmacht fallen leider keine Option.
"Bleib stehen!", presste ich hervor.
Glücklicherweise schaffte ich es im nächsten Augenblick tatsächlich, die widerspenstige Uhr zu packen. Böse starrte ich sie an. Dann richtete ich mich auf, um meinen Triumph zu verkünden. Das hätte ich wohl besser mal sein gelassen, denn natürlich stieß ich mir dabei den Kopf so heftig an der Tischplatte, dass ich nur noch Sterne sah.

Ach verflixt!
Ein beherzter Biss von der Taschenuhr brachte mich ins Hier und Jetzt zurück.
Mittlerweile hatten sich die erschrockenen Schreie meiner Mitschüler in Gelächter verwandelt. Außer Shannon selbstverständlich, die keine Miene verzog, sondern nut Electra, die neben ihr stand, den Ellenbogen in die Seite rammte: "Halt die Klappe."

Um die Aufmerksamkeit aller Beteiligten nicht noch länger auf mich zu ziehen, verlor ich keine weitere Zeit. In Windeseile sprang ich zum Topf mit dem Feuer. Meine Knie schlackerten, als ich die Kräuter in die Flammen warf. So gut es ging versuchte ich die widerspenstige Taschenuhr zu ignorieren, die einfach nicht still halten wollte. "Liebste Erzulie- meine Loa. Nimm mein Opfer an. Die Schokolade und auch der Zauber sind für dich. Bitte hilf mir diese Uhr in ein Armband zu verwandeln. Alles was ich tue, geschieht in deinem Namen."
Nichts geschah. Außer, dass die übelgelaunte Taschenuhr immer fester gegen meine Finger drückte. Scheinbar versuchte sie, ihren Deckel weit genug zu öffnen, um mir zu drohen.
Dann erklang ein leises 'Plopp'. Ich blinzelte. Oh nein, nein. Bitte nicht! Statt einer zappelnden Uhr hielt ich nun eine Zuckerrübe in der Hand. Eins ihrer grünen Blätter wählte eben diesen Moment, um abzuknicken und langsam zu Boden zu segeln. Genau wie meine Selbstachtung, wenn man es sich genau überlegte.
Schon wieder eine Rübe. Wer hätte es gedacht? Immerhin blieb dieses weißmagische Objekt so bewegungslos wie ein Stein. Keine Fluchtversuche. Immerhin.
"Oho. Was für ein schickes Armband! Leihst du es mir für den Frühlingsball?", spottete Hope.
"Ganz was Neues! Dawn zaubert Steckrüben!", kreischte Cynthia.
Electra sagte nichts. Wahrscheinlich aus Angst vor Shannons Ellenbogen, wie ich annahm.
Unauffällig warf ich einen Blick auf Madame Laveau. Lag da eine Spur Enttäuschung in ihrem Blick?
"Du solltest dich besser konzentrieren, Dawn. Nun gut." Sie klatschte in die Hände. "Fahren wir mit den lebenden Objekten fort."
Die Taschenuhr war mir eigentlich schon lebendig genug erschienen... Aber dann vollführte die Mambo eine einfache Handbewegung über den zweiten, noch abgedeckten Glaskasten. Wie von Geisterhand rutschte das Tuch herunter.
Hatte ich erwähnt, dass erfahrene Voodoo Hexen kleine Zauber ohne eine Anrufung der Geister hinbekamen? Wow. Jedenfalls staunte ich nicht schlecht.
Im Gegensatz zu dem ersten Glaswürfel, war dieser hier mit einem Riegel verschlossen. Und das war auch besser so, denn in seinem Inneren wanden sich zwei gelbe Schlangen umeinander. Aber das war nicht mal das Schlimmste. Zusätzlich zählte ich fünf Vogelspinnen, die darin herumkrochen. Sowohl die Augen der Schlangen, als auch die der Spinnen, wirkten außerordentlich intelligent. Beinahe menschlich. Also hatten wir es hier wieder mit schwarzer Magie zu tun.
Das Gekreische, das darauf in der Klasse ertönte, war ohrenbetäubend.
Sofort klammerten sich Joann und Electra an Tucker. In einer Art schauspielerischen Meisterleistung tat Electra sogar so, als sei sie kurz davor in Ohnmacht zu fallen. Sicher spekulierte sie darauf, von ihm nach Hause getragen zu werden.
"Beruhigt euch. Das wird zwar kein Spaziergang aber niemandem wird etwas geschehen. Bisher ist noch keiner meiner Schüler bei dieser Lektion drauf gegangen. Naja, wenn man von ein bis zwei verlorenen Gliedmaßen absieht..." Die Mambo tippte sich ans Kinn, als müsste sie nachdenken. "Okay genug gescherzt. Wer will als Erstes eins dieser Kuscheltiere in einen Vogel verwandeln?" Stöhnend verdrehte ich die Augen. Warum konnte sie nicht einmal "Frösche" sagen?

Ich warf einen Blick auf meine Rübe. Spontan beschloss ich sie "Bunny" zu nennen, denn sie erinnerte mich irgendwie an einen Hasenkopf. Zuhause würde ich ihr mit Filzstift ein Hasenzahn-Gesicht zeichnen, so viel stand fest.
Erst als sich Electra wieder beruhigt hatte, konnten wir fortfahren. Die Gute übertrieb es mal wieder. Und das alles nur, um sich an Tucker ranzumachen. Nervte ihn das eigentlich nicht? Es war zu einfach zu offensichtlich, dass ich mich fragte, warum er - nun ja, das war Tuckers Sache.
Bevor Madame Laveau den Glaskasten aufschloss, öffnete sie ein Fenster. Sicherlich, damit die Vögel, die wir zaubern sollten, schnell ins Frei gelangen konnten.

Zwanzig Minuten später hatten, wie erwartet sechs Singvögel und ein Frosch das Klassenzimmer durch das offene Fenster verlassen. Unnötig zu erwähnen, wer den Frosch produziert hatte. Das war entmutigend... Am liebsten hätte ich in die Tischkante gebissen. Warum gelangen mir diese Transformationszauber nie? Von Shannon erntete ich einen mitleidigen Blick, aber das half mir jetzt auch nicht weiter.
"Okay. Hausaufgaben fürs nächste Mal: Ich möchte, das ihr im Sumpf Alligatoren in Delphine verwandelt", forderte uns Madame Laveau am Ende der Stunde auf. "Als Beweis möchte ich Fotos sehen."

Kaum durften wir in die Fünfzehn-Minuten-Pause verschwinden, packte ich meine beste Freundin am Arm, um sie außer Hörweite zu ziehen. Ihr Atem ging stoßweise, doch sie protestierte nicht. Im Flur drückte ich sie in eine dunkle Ecke. Meine Neugierde und ich konnten einfach nicht länger warten. "Jetzt erzähl schon. Was hast du in Madame Laveaus Vision gesehen?"
Bevor sie antwortete, verzog Shannon ihr Gesicht.

Teenie Voodoo Queen ~Leseprobe~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt