Kapitel 6

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"Ohne Mist, das war das Unheimlichste, das ich je gesehen habe."
"Los. Erzähl doch!", quengelte ich, während ich Shannon am Arm zog. Jetzt kamen auch Tucker und Joann angeschlendert, offensichtlich versuchten sie einen unbeteiligten Eindruck zu erwecken, waren aber selbst ganz scharf darauf die Geschichte zu hören.
"Also: in Madame Laveaus Vision herrschte quasi das Chaos, als ich darin eintauchte. Komischerweise sah ich die Stadt von oben, so als würde ich fliegen. Dunkler Nebel, anthrazitgrau würde ich sagen, fast schwarz, waberte über New Orleans. Man konnte beinahe körperlich spüren, dass schwarze Voodoo Magie in der Luft lag."
"Und dann?" Scheinbar ging es Tucker, genau wie mir, einfach nicht schnell genug.
Shannon zuckte mit den Achseln. "Gerade fielen riesige Wellen auf die Stadt herab, rissen alles mit sich, aber dann bin ich aufgewacht."
Aha.
"Glaubt ihr, das steht uns wirklich bevor? Ist das die Zukunft? Eine weitere schlimme Flutwelle, die die Stadt zerstört? Und wenn ja, hat das eine schwarze Voodoo Priesterin eingefädelt?" Während ich laut vor mich hin spekulierte, biss ich mir auf die Unterlippe.
"Das heißt vielleicht auch, dass die beiden letzten großen Sturmfluten in den vergangenen Jahren durch schwarze Magie hervorgerufen wurden, oder?", warf Joann ein.
Tucker kratzte sich am Kopf, wobei sein Diamant-Ohrstecker bunte Lichtpunkte an die Wände warf. "Wenn es so ist, haben wir ein Problem. Hunderte Menschen werden sterben."
Eine Weile starrten wir alle stumm vor uns hin, jeder in seine eigenen Gedanken versunken.
Schließlich hob Shannon als Erste den Kopf. "Sollen wir mit Madame Laveau darüber sprechen? Und vielleicht auch mit Mr. B.? Wir könnten unsere Hilfe anbieten."
"Du glaubst doch nicht, dass die beiden auf unsere Hilfe angewiesen sind?", warf ich ein. "Außerdem ist Mr. B ein...ein-"
"Super guter Lehrer?", ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir.
Mr. B in seinem obligatorischen dunkel-lila Cape, das ihn wie einen verkappten Bühnen-Zauberer aus Las Vegas wirken ließ, hatte sich von hinten an mich rangeschlichen.
Sein schwarzer Ziegenbart zuckte belustigt, als ich nach Luft schnappte.
Die anderen versuchten sich ein Lachen zu verkneifen, scheiterten aber kläglich.
"Ganz genau!", brachte ich halbwegs flüssig hervor. "Wollte ich eben sagen."
Mr. B neigte den Kopf, so als bezweifelte er das doch gewaltig. Da es hieß dass Mr. B, der gemeinsam mit Madame Laveau die Voodoo Abendschule leitete, Gedanken lesen konnte, versuchte ich schnell an etwas anderes zu denken und nicht daran, dass ich ihn für einen hinterhältigen, gemeinen kleinen Hexenmeister hielt, der nach Macht und stärkeren Kräften lechzte. Aber wie immer, wenn man versuchte nicht an ein rosa Nashorn zu denken, geschah genau das. Man dachte an ein rosa Nashorn. "Nun ja, wir sehen uns dann übermorgen in Voodoo-Geschichte." Mit einem kurzen Nicken verschwand Mr. B, oder wie Shannon und ich ihn gerne nannten: Mr. Brechreiz.
In diesem Moment erklang Madame Laveaus Glocke, wodurch wir gezwungen waren unsere Lästereien über Mr. B auf später zu verschieben. Nekromantie wartete auf uns. Ehrlich gesagt, fand ich dieses Unterrichtsfach ungemein spannend und wäre nur ungern zu spät gekommen. Also packte ich mir Shannon und zog sie an der Hand hinter mir her.

In Nekromantie erzählte uns Madame Laveau mehr über Projektionen. Allerdings hörte ich nur mit halbem Ohr zu.
Die ganze Zeit über kreisten meine Gedanken weiter um die Vision. Konnte es sein, dass die letzten beiden großen Fluten, die mit den Hurrikans Katrina im Jahr 2008 und Hurrikan Isaac 2012 kamen, durch schwarze Voodoo Magie erzeugt worden waren? Und wenn ja: stand uns nun laut Madame Laveaus Vision ein weiterer todbringender Hurrikan bevor?
Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe, während unsere Lehrerin eine Projektion von sich selbst erzeugte. Die zweite Madame Laveau winkte und begann dann sogleich mit der echten Madame Laveau den Untericht zu leiten. Mehrere Schüler kicherten. Der Anblick von zwei Madame Laveaus in bunten Turbanen, die gestenreich, wie in einer Talkshow, abwechselnd Anekdoten zum Besten gaben, riss selbst mich aus meiner Trance.

So erfuhren wir auch, dass fortgeschrittene Voodoo Priesterinnen sprechende und selbst denkende Projektionen ihrer selbst erschaffen konnten. Ein zweites Ich? Begeistert setzte ich mich aufrecht in meinem Stuhl zurecht.

Teenie Voodoo Queen ~Leseprobe~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt