Verleugnen

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20. K A P I T E L ║Verleugnen

»Und damit wären wir wieder am Anfang.«



Touko blieb die dreckige Lache im Halse stecken, als man sie für das Zoroark hielt und mit Schwung einen Hyperball gegen ihren Kopf warf. Der Traktorstrahl der Kapsel erkannte ihre menschliche DNS und löste den Mechanismus erst gar nicht aus, aber es schmerzte trotzdem. Sowohl seelisch als auch körperlich.
»H-Hey! Hast du gerade ernsthaft einen Pokéball auf mich geworfen?! Ich bin doch kein Vieh, das man einfach so wegsperren kann!«, schnauzte sie perplex, gestikulierte wild herum und sah den Agenten, der den Ball geworfen hatte, vorwurfsvoll an. Er entschuldigte sich nicht, sondern griff gleich nach dem nächsten. Der Rest der Gruppe trat alarmiert einen Schritt zurück. Jeder konnte das Zoroark sein. Jeder konnte kurz davor sein, Flammen zu spucken, Klauen einzusetzen oder anderweitig anzugreifen.
»Und Pokémon auch nicht...!«
Touko sah sich nach der Stimme um. Der zickigen Tonlage und Geschwindigkeit des Satzes nach konnte das unmöglich N gesagt haben, doch als sie seinen wütenden Gesichtsausdruck sah, zog sie schuldbewusst ihren Kopf ein. Natürlich waren Pokémon keine Viecher, die man einfach wegsperren durfte. Zoroark einfach so in einen Ball zu schicken, war nach all dem, was sie mit diesem Pokémon erlebt hatte, eine seltsame Vorstellung. Doch bei jedem anderen Pokémon hielt sie es noch immer für selbstverständlich, es bei Lust und Laune in eine kleine Kapsel zu transferieren. Man hatte diese Wesen damals nicht ohne Grund ›Pokémon‹ genannt und damit ihr Schicksal provoziert.
Seit es diese Kapseln gab, waren es nicht mehr die Pokémon, die die Welt beherrschten.

Auch auf N warf man einen Ball und sammelte ihn danach mit einer leisen Entschuldigung wieder ein. Nach den vielen Jahren, die N im Wald verbracht hatte, hätte es eigentlich funktionieren müssen. Doch das tat es nicht, er war immer noch ein Mensch.
»Wir werden zu härteren Maßnahmen greifen müssen, wenn ihr nicht mit uns kooperiert! Gebt uns das Zoroark, ihm wird nichts geschehen! Es ist gut bei uns aufgehoben!« Der dicke Chef bekam einen hochroten Kopf und ruderte aufgeregt mit seinen speckigen Armen herum. Touko zuckte unwissend mit ihren Schultern. In brenzligen Situationen hatte sie stets das Bedürfnis, noch mehr auf die Kacke zu hauen, anstatt den Konflikt schnellstmöglich zu lösen. »Ich habe keine Ahnung, wo er ist... Womöglich ist das alles schon eine Illusion und ihr liegt ohnmächtig am Boden. Auf einer Wiese. Nackig«, sang sie und lächelte zuckersüß.
»Ein Pokémon gehört in einen Pokéball. Händigt uns das Zoroark aus. Es stellt eine Bedrohung für uns und unsere Mission dar«, stellte der Agent klar, der gerade dabei war, mit einem anderen zusammen den sich wehrenden N ins Auto zu schieben. So richtig wollte das nicht funktionieren, da er trotz seiner schmächtigen Statur recht kräftig war. Und als dieser Satz fiel, wurde N wie aus Stein und drehte sich mit einem mehr als wütenden Blick zu dem Mann um. Für einen Moment dachte Touko, er würde den Menschen anfallen und laut knurrend seine Kehle herausbeißen.
»Ich wünschte, ihr Menschen würdet am eigenen Leib erfahren, was ihr den Pokémon antut und auf lange Zeit wehrlos eingesperrt werden. Aber wisst ihr was? Ihr seid schon gefangen. Ihr macht euch durch eure Oberflächlichkeit, Gier und Minderwertigkeit zu den Sklaven eurer Selbst. Verwest doch von innen an geistiger Armut: Das ist genug Leid, das ihr erfahren müsst.« Er spuckte ihm vor die Füße und setzte sich hoch erhobenen Hauptes in das Auto, wartete geduldig auf Touko. Der Agent, der an der offenen Autotür lehnte und zugehört hatte, schmunzelte und sah sich fragend um. »Ich habe kein Wort verstanden, tut mir leid. Hast du was verstanden?« Er nickte zu dem anderen. Dieser bejahte, sparte sich jedoch eine Erklärung und ging wortlos um das Auto, um die Fahrertür zu öffnen. Er holte einen kleinen Gegenstand aus dem Seitenfach, der einer Taschenlampe ähnelte und führte ihn wie einen Detektor vor sich durch die Luft.
Carl klatschte in seine Hände und lachte, während er sich ebenfalls in eines der Autos setzte. »Gut vorbereitet, wie immer!«
Plötzlich piepte das Ding. »Aha. Looker, du stellst auch nur Blödsinn an«, murmelte der Agent kopfschüttelnd und lief lässig auf den Mann mit Trenchcoat zu. Dieser machte ein verdutztes Gesicht. »Mon Dieu, ich doch nicht! I-Ist es defekt?!«
»Halt die Klappe... Wir haben es!« Der Agent nahm einen Pokéball und warf ihn auf Looker. Nichts geschah. Die Kapsel prallte ab und kullerte über den ausgetrockneten Boden.
»Äh...« Der Agent schüttelte den Detektor und klopfte darauf herum, in der Hoffnung, dass es tatsächlich eine Fehlfunktion war. Doch plötzlich verpuffte das kleine Gerät in seinen Händen und verschwand spurlos.

ℕatural Numbers  [ Pokémon Schwarz / Weiß ]Where stories live. Discover now