16. Kapitel

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Gewappnet mit seinem Koffer vor herumfliegenden Krümeln, versucht sich Clive darauf zu konzentrieren, was Rebecca ihm gerade versucht zu vermitteln. Der Langfinger hat wahrlich schlechte Manieren, sie spricht, während sie kaut. Er kann den Prozess, den das Stück Brot in ihrem Mund durchlebt, genau beobachten. Sämtliches Hungergefühl ist ihm bereits entgangen.

Rebecca hat sich Sinas Seite angehört, danach folgte eine Standpauke vom Feinsten. Die Einzelheiten kann er nur schwammig wiedergeben, denn dieses barbarische Essverhalten lenkt ihn einfach zu sehr ab. Was in seinem Kopf hängen geblieben ist, geht darauf hinaus, dass man Freunde einfach nicht hintergeht und auf Gefühlen herumtrampelt. Sie hatte Sina vor Augen geführt, was Cuno und Clive alles für die Fee aufs Spiel gesetzt haben und wie undankbar sich Sina verhalten würde.

Rebecca hat wirklich ein Talent alles zu dramatisieren, sie stellt Sina als wahren Bösewicht dar. Was er auch zu Sinas Verteidigung sagt, Rebecca kontert immer wieder mit schlagfertigen Argumenten und versucht, ihm deutlich zu machen, dass er der Leidtragende ist.

Sie hatte Sina solch ein schlechtes Gewissen eingeredet, dass sie die Fee davon überzeugt bekommen hat, für eine Weile ihre Weggefährtin zu sein. Rebecca wird ebenfalls nach einer Hexe Ausschau halten, sofern sie nicht in Dramastern eintreffen. Eine Großstadt, wo eine Gilde aus Meisterdieben ihr Unwesen treiben. Rebecca hat schon von klein auf davon geträumt, Teil dieser Gilde zu sein. Cunos Gesichtsausdruck zeigt dem Alchemisten, wie viel der Paladin wirklich davon hält und doch schweigt Rebeccas Kindheitsfreund.

Wenn Sina also bereit ist, sie zu begleiten, muss sich Clive wahrlich fragen, wo die Fee steckt. Laut Rebecca sei die Kutsche zu langsam und Sina würde auf dem Rücken eines Bären reiten. Eine bizarre Vorstellung und nun muss Clive an der Glaubwürdigkeit der Geschichte zweifeln. Die beiden Mädels haben einen Treffpunkt abseits des Dorfes ausgemacht, so bleibt Sina genügend Zeit, um Vorbereitungen zu treffen. Was sie genau mit Vorbereitungen meint, möchte Rebecca zwar nicht sagen, schließlich sollen sich die Jungs überraschen.

Kaum endet ihre Erzählung, klettert Clive zum Kutscher, während sich Rebecca weiter den Bauch vollschlägt.
„Glaubst du ihr?", spricht er den Paladin leise an.
Cuno bevorzugt das Schweigen, sein Blick starrt in die Leere.
„Ich kann euch selbst von dort aus hören und es kränkt mich, dass du mich anzweifelst, Clive!", brummt Rebecca.
„Kannst du es ihm verübeln? Natürlich ist man nach solch einer Geschichte misstrauisch. Reitet Sina wirklich auf einen Bär oder ist das nur ein Hirngespinst in deinem Kopf, Rebecca?"
Clive beruhigt es, dass er diesen Punkt nicht als einziger anzweifelt.

Ein Blick zurück und Rebeccas finsterer Blick erheitert die beiden.
„Ich lüge nicht, sie reitet wirklich auf einen Bär!"
„Natürlich, wie konnten wir dich nur anzweifeln", kommt Cuno ihr sarkastisch.
Daraufhin bewirft sie ihn mit einem Apfel, der den Paladin am Hinterkopf trifft. Bevor der Apfel verloren geht, fängt Clive diesen.
„Hast du mich gerade mit einem Apfel beworfen?"
Zornig blickt Cuno zurück, Rebecca erhebt sich und schnappt sich den Apfel. Schließlich beißt sie davon ab und quetscht sich zwischen die zwei Jungs, sodass sie Cuno auf die Pelle rücken kann.

„Du hast es doch selbst gesehen, Sina vollbringt Wunder!", wird sie biestig.
„Das nennt man auch Hexerei!"
„Hast du Tomaten auf den Augen oder was? Das übersteigt sämtliche Hexerei! Stell dir mal vor, Sina gerät in die falschen Hände. Sie könnte zu einer Bedrohung werden, mit ihr im Schlepptau wird der Graf und all die anderen Städte und Dörfer einfach überrannt. Besser wir sorgen dafür, dass sie dieses Land verlässt oder ihr, denn vielleicht springe ich ja früher ab, wer weiß das schon..."

Cunos Augen werden schmal und er ist so kurz davor, sich dazu äußern. Es fehlt nicht viel, das sieht Clive ihm an.
„...Jetzt schau nicht so finster. Würde sie Clive nicht so viel bedeuten, hätte ich sie schon längst niedergestochen. Sina ist nicht dumm, ihr könnte die Welt zu Füßen liegen. Je nachdem, was ihr wahres Gesicht, könnte das schlecht für uns alle ausgehen."

„Als würde dich das interessieren, du bist ja sofort weg, wenn du Beute witterst!", knallt Cuno ihr solch einen Satz an den Kopf.
„Hörst du mir eigentlich zu, Dickschädel?", wird Rebecca laut.
„Sina kann Wunder vollbringen, wenn sie ihre Macht richtig einsetzt, dann werden die Leute nicht mehr hungern", wirft Clive ein.
„Sollte herauskommen, wer da hinter steckt, dann werden sie viele Großmächte begehren. Wenn Sina erst mal gejagt wird, wie wird sie mit dieser Angst umgehen? Sie könnte sich auf einen Schlag verändern und zur gefährlichsten Frau weit und breit werden", spricht Rebecca ihre Sorge aus.
„Nein, nicht Sina", widerspricht Clive.

„Du gutgläubiger Narr", flötet der Langfinger.
„Wenigstens sieht Clive noch das Gute in den Menschen, Rebecca", verteidigt Cuno seinen Wegbegleiter.
Sie zuckt mit den Schultern.
Als sie der Vogeldame Mina ein kleines, abgebissenes Stück Apfel hinhält, rät Clive davon ab: „Nicht, sie könnte daran ersticken. Das ist zu groß für den Vogel."
„An diesen Krümel soll sie ersticken?", daran zweifelt Rebecca.
„Ja."
„Du scherzt mit mir."
„Nein, nimm lieber eine Beere oder so."

„Die Himbeerpflanze steht da hinten, unglaublich, das ich die auch noch mitgenommen habe", meldet sich Cuno.
„Oh, Himbeeren", freut sich Rebecca.
Die beiden Männer sehen sich kurz an, während sie sich zurück in die Kutsche begibt.
„Ja, Rebecca war schon immer ein Vielfraß", versichert der Paladin dem Alchemisten.
Nach einer kurzen Pause fügt er noch hinzu: „Ich entschuldige mich für ihre Manieren."
„Schon gut", äußert sich Clive mitfühlend dazu.
Die beiden verhalten sich wie Geschwister, sie mögen sich ständig streiten, aber dafür sind immer für einander da. Clive ist sich so sicher, dass Cuno nur ungern von Rebecca getrennt sein möchte, ihre Pläne in Dramastern beunruhigen den Paladin. Clive kann sich gut vorstellen, dass es eine Zeit gab, in der Cuno ihr ununterbrochen davon abgeraten hatte. Alles nur, weil er ihr nicht sagen konnte, dass er sie an seiner Seite braucht und sich ohne sie schrecklich einsam fühlt.

AlchemistenschatzWhere stories live. Discover now