Band 2 - 4. Kapitel

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Der sanfte Klang eines Windspieles lässt Clive aus einer anderen Welt erwachen. Es mag sein Traum gewesen sein und doch gehört die Welt zu Jelko. Die beiden Freunde haben sich noch eine lange Zeit unterhalten. Alles wurde gut durchgeplant und besprochen. Die ruhelose Seele hat sich viele Gedanken zu allem gemacht und Clive immer wieder aufs Neue überrascht. Aber nun befindet sich der Alchemist zurück in seiner Welt. Umgeben von vertrauten Gesichtern. Neugierige Blicke, die gespannt auf seine Version sind. Dabei braucht Clive einen Moment, um sich zu sammeln. Obwohl das Treffen mit Jelko keine Stunde zurückliegt, fühlt es sich wie eine halbe Ewigkeit an. Der Alchemist hat Zweifel an seiner Erinnerungen und hofft, nichts vergessen zu haben, was von Bedeutung sein könne.

Es ist sein Freund und Begleiter Cuno, der ihm die helfende Hand anbietet und Clive auf die Beine zieht. Noch schwummrig von der Wirkung der Traumwurzel orientiert sich der Alchemist in dem leergeräumten Haus. Eine kleine, aber feine Hütte, wo sich eine Legende niedergelassen hat und nun in ihrem hohen Alter einen Umzug bevorzugt. Die alte Dame Gerta betrachtet ihn bereits erwartungsvoll von ihrem Schaukelstuhl aus.

„Konntest du Kontakt zu ihm aufnehmen?", macht die Traumforscherin den Anfang.

„Ich konnte." Clive seufzt. „Nur bin ich mir nicht sicher, welche Bürde ich mir aufgehalst habe."

„Na toll!", brummt Cuno schlechtgelaunt.

Der arme Paladin hat mit ihm nur Ärger. Clive versteht den Frust seines Beschützers zu gut. Selbst ein Paladin ist mit solchen fremden Mächten überfordert. Die hübsche Fee hingegen strahlt vor Freude, als sei heute ihr Geburtstag.

„Sag, Clive. Wird er weiter Kontakt zu uns aufnehmen?", fragt Sina ihn ganz aufgeregt.

Ein Nicken des Alchemisten reicht aus, um ihr einen Jubelschrei zu entlocken. Es scheint die Fee nicht zu stören, dass ihre Freude niemanden ansteckt und sie die Einzige im Raum sein mag, die sich über das Ergebnis freut.

Clive muss seiner neuen Lehrmeisterin nur in die Augen sehen und schon sind die beiden Alchemisten einer Meinung.

„Die Gefahren sind mir bewusst und ich wünschte, Jelko hätte mit Luelas Tod Frieden gefunden."

Gerta beugt sich vor und rät zur Vorsicht: „Geister sind launisch. Du musst ihn ständig im Auge behalten. Mache dir besser nach jedem Gespräch Notizen, wie du seinen Zustand einschätzt."

„Ich brauche professionelle Hilfe. Jemand, der sich mit Geistern auskennt."

Die Traumforscherin nickt zustimmend. „Mit der Traumwurzel kannst du Kontakt aufnehmen, auch wenn ich zum häufigen Gebrauch abrate."

Clive runzelt die Stirn. Er wird stutzig und hat sich über mögliche Nebenwirkungen bislang keinen Kopf zerbrochen. Warum auch? Gerta genießt sein vollstes Vertrauen. Er habe sich darauf verlassen, dass sie ihn vor Gefahren warnt. Erneut wird dem Alchemisten bewusst, wie naiv er doch sein kann.

„Mit welcher Begründung?", braucht Clive Gewissheit.

Gerta beugt sich vor und ihre Augen weiten sich, als sie antwortet: „Es kann zu einer Sucht werden, junger Mann. Dabei spielt es keine Rolle, ob du einem Toten hinterher trauerst oder dich auf die Unterstützung anderer Mächte verlässt. Macht kann einen verändern. Sag mir, Clive, warum lässt du dich auf dem Geist ein?"

„Aus Sorge um die Seele."

Einen langen Moment starren sich die beiden Wissenschaftler an. Ein Blickduell, indem seine Lehrmeisterin prüft, ob er und sein Herz aufrichtig sprechen. Als sich die Züge der alten Dame entspannen, kann Clive aufatmen. Er zittert vor Anspannung. Solch prüfende, fast tadelnde, Blicke bringen seine Nerven zum Flattern und haben etwas Unheimliches an sich.

Cuno räuspert sich, womit der Alchemist zu seinem Begleiter blickt. Mit einem Nicken Richtung Tür fordert der Paladin ein Vier-Augen-Gespräch. Etwas, was Clive sofort in Angriff nehmen möchte. Hauptsache weg aus dem Sichtfeld der wachsamen Augen seiner Lehrmeisterin. Frische Luft wird helfen, um auf andere Gedanken zu kommen.

„Entschuldigt uns bitte."

Kaum spricht Clive zu Ende, begibt er sich auf wackeligen Beinen zum Ausgang. Die Traumwurzel schränkt seine Bewegungen ein. Er ist langsamer. Sein Körper ist noch nicht vollständig einsatzbereit und so entsteht ein beachtlicher Abstand zwischen dem Alchemisten und dem Paladin. Sein Beschützer entfernt sich weit genug von dem Haus, sodass niemand ihr Gespräch mitbekommen kann. Dabei läuft er durch die Wiesen und trampelt alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt. Clive kann die Schneise der Verwüstung kaum betrachten. So viele Schönheiten und kräftige Pflanzen werden achtlos niedergetrampelt, dass es dem Alchemisten im Herzen weh tut.

Cuno bleibt so abrupt stehen, dass es fast zu einem Zusammenstoß kommt. Die plötzliche Nähe zwischen den beiden Gefährten scheint dem Paladin nicht geheuer zu sein. Sein grimmiger Blick verschreckt Clive, dass der Alchemist sich schnell ein paar Schritte von ihm entfernt. Es ist jedoch nicht zu sehen, dass Cuno schlechte Laune hat. Als der Paladin mit der Faust ausholt und diese gegen den Baum neben ihn donnert, muss Clive schlucken.

„Rebecca verspätet sich." Kaum spricht Cuno zu Ende, knirscht er verärgert mit den Zähnen. „Das ist nicht gut."

Clive belächelt den Gedanken jedoch. „Du vergisst, welche Strecke sie zurücklegen muss."

„Und du vergisst, dass Hexenjäger jederzeit auftauchen können. Besser wir verschwinden, bevor wir nicht mehr heil aus der Sache rauskommen!"

Clive betrachtet ihn verwundert. „Und Rebecca?"

Er hofft so sehr, dass Cuno nichts der Gleichen sagt, dass sie ein großes Mädchen ist und auf sich selbst aufpassen könne. Denn selbst, wenn es stimmt, ist Clive nicht bereit, Rebecca ins Messer laufen zu lassen. Ihre Freundin hat keine Ahnung, was kurz nach der Abreise geschah und warum ihre Abreise drängt.

Es ist der Baum, dem Cunos Aufmerksamkeit gehört. Als der Paladin einen Dolch zuckt und in die Rinde zu ritzen beginnt, legt Clive den Kopf schief. Es dauert einen Moment, bis sein Begleiter fertig ist und zufrieden vom Baum tritt. Clive hingegen kann den Blick von dem Grauen dort kaum abwenden. Aus Cuno sollte bloß kein Künstler werden. Was auch immer er dort versucht hat, zu malen, bietet viel Freiraum für Spekulationen. Der Kopf dort scheint zu schreien, als litt er unter grausamen Schmerzen. Die Wellen unter dem Kopf lassen den Alchemisten vermuten, dass dort jemand ertrinkt. Vielleicht, weil er in einen Strudel gezogen wird. Aber das würde nicht mit dem schrecklichen Gesichtsausdruck zusammenpassen. Neben dem Gesicht befindet sich der Buchstabe B und eine II. Angestrengt gibt Clive sein Bestes, um dahinter zu kommen und Cuno gibt ihm einen Moment Zeit. Der Paladin wirkt amüsiert darüber, dass der Alchemist die Botschaft nicht versteht.

„Wirst du es mir erklären?"

„Sieh an", beginnt Cuno spöttisch. „Du kommst also nicht dahinter. Das ist gut."

„Ertrinkt der Mensch gerade? Unter Folter?"

„Was? Nein! Das ist doch wohl das Offensichtliche! Also ertrinken ist vielleicht nicht ganz so falsch, denn er wird ersticken, wenn ihm niemand hilft. Aber dieses arme Schwein versinkt im Moor, was Rebecca sagen soll, dass wir uns auf zu den Sümpfen machen. Für die Himmelsrichtungen haben wir uns andere Namen gegeben. Wenn ich ein S für den Süden dort hinmalen würde, würde ich uns verraten. Deshalb haben Rebecca und ich die Himmelsrichtungen in Farben umbenannt und Blau steht für Süden. Die Zwei bedeutet, dass wir nahe der zweiten Stadt pausieren oder besser gesagt, das Dorf, wie die Karte zeigt. Dort werden wir ihr eine Chance geben, uns zu finden. Einen Tag. Länger nicht. Ansonsten gehe ich in das Dorf und setze die nächste Botschaft an einem Ort einer Unterkunft, wie hier. Rebecca wird hier suchen, da wir bei Gerta untergekommen sind. Glaube mir, sie wird dahinter kommen uns finden."

Cuno ist so überzeugt von der Zeichnung, dass er ausnahmsweise mal lächelt. Clive hingegen ist sich nicht ganz so sicher wie sein Freund. Aber er ist auch seit Kindertagen nicht mit Rebecca befreundet und viel Zeit bleibt ihnen nicht. Hoffentlich kommt sie dahinter.


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