7. Kapitel

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Sina schnappt erschrocken nach Luft, als der Betäubungspfeil das Bambusrohr verlässt. Mit Absicht wählte Clive Linus rechte Schulter. Wenn sein Geschoss trifft, dann wird der Schwertarm unbrauchbar. Denn der Alchemist bezweifelt, dass das Betäubungsmittel für solch einen dickköpfigen Söldner ausreichen würde, um seinen Körper zu lähmen.

Die Sekunden verstreichen wie Stunden und niemals im Leben hätte Clive damit gerechnet, dass Linus den Betäubungspfeil mit seiner freien Hand fängt. Triumphierend blickt sein ehemaliger Wegbegleiter auf und donnert den Pfeil zu Boden, der Söldner genießt den schockierten Anblick des Alchemisten. Clive ist fassungslos, die Chance, dass Linus den Pfeil auf so kurzer Distanz abfangen konnte, war so gering und doch ist genau dieser Fall eingetreten.

Sina nimmt ehrfürchtig Abstand von ihnen, dies entgeht Linus nicht. Mit finsterer Miene schreitet er auf sie zu. Clive beobachtet schockiert, wie Linus sein Schwert schwingt. Sina lässt sich im richtigen Moment fallen, das Schwert saust über ihren Kopf hinweg.

Der letzte griffbereite Pfeil befindet sich nun auch im Bambusrohr, damit wäre dies Clives nun letzter Versuch. Der Alchemist handelt, bevor Linus erneut mit dem Schwert ausholt. Verärgert beobachtet er, wie der Söldner den Pfeil zerschlägt. Die Chancen könnten nicht schlechter stehen.

„Eine Ranke ...Dornenranke", nuschelt Sina und klatscht ihre Hände auf den Boden.

Clive traut seinen Augen kaum, als sich innerhalb von Sekunden gewaltige Dornenranken aus dem Boden drücken und sie von dem Söldner trennen. Eine Dornenhecke so gewaltig hoch, dass sie selbst die Häuser versteckt, und so lang, dass der Alchemist kein Ende in Sicht sieht, erhebt sich aus dem Nichts. Das bedrohliche Gestrüpp ist so dicht aneinandergewachsen, dass man nicht so schnell an den Pflanzen vorbeikommt. Die großen, spitzen Dornen ähneln messerscharfen Zähnen, die nur darauf warten, sich in das Fleisch zu bohren.

Sina betrachtet mit einem schwachen Lächeln ihr Werk und ihre Worte sind für den Alchemisten alles andere als beruhigend: „Es hat geklappt, endlich."

Endlich?

Also waren die Chancen nicht sehr hoch.

Zum Glück erhebt sich Sina von ganz allein, sie hetzen davon. Noch einmal werden sie nicht anhalten, um zu verschnaufen. Die Stille ist zermürbend, keiner von ihnen traut sich auch nur einen Laut von sich zu geben. Jedes noch so kleine Geräusch lässt sie aufschrecken und erhöht ihren Pulsschlag.

Sie hören ihre Schritte unmittelbar hinter sich, während sie durch die schmalen Gassen huschen. Nur selten laufen ihnen einzelne Stadtbewohner über den Weg, darunter ein paar Trunkenbolde, denen sie nur wenig Beachtung schenken.

Die Häuser und Straßen werden immer prachtvoller, ein gutes Zeichen. Sie nähern sich dem Anwesen des Grafen. Gerade, als Clive aufatmet und glaubt, das Schlimmste überstanden zu haben, erreicht ihn die Beschwerde eines fremden Mannes.

„Hey! Was läufst du hier mit einer Waffe herum? Steck die Waffe weg! Wenn dich die Soldaten erwischen, ...", spricht ein Mann.

„Sei still und kümmere dich um deinen Kram!", wird der Kerl unterbrochen.

Linus!

Ohne Zweifel!

Reflexartig greift Clive nach Sina und drängt sie in eine Nebengasse, Hauptsache fern von der Hauptstraße.

„Endet das nie!", jammert Sina leise.

Clive wollte sie für ihre Lautstärke tadeln. Kaum treffen sich ihre Augen, hat er schon vergessen, was er sagen wollte. Sina ist am Ende ihrer Kräfte, all die Anspannung und Anstrengung ist ihr anzusehen. Er kann es ihr nicht verübeln, wer hätte auch damit gerechnet, dass Linus es durch die Ranken schafft. Es sieht nicht mehr so aus, als könnte er auf Sinas Wunder hoffen. Jetzt liegt es an ihm.

Während Sina und Clive bereits aus der Puste sind, wirkt Linus auf den Alchemisten, als könne er noch Bäume ausreißen. Clive handelt und führt Sina rückwärts in den dunklen Schatten der Häuser, Schritt für Schritt. Dabei muss der Alchemist an die Meisterassassine denken, die mit der Dunkelheit eins wurde.

Sinas zierliche Hände finden Halt an Clives Taille, während sie sich rückwärts führen lässt. Dabei blickt sie ihm ununterbrochen in die Augen. Es wird so dunkel, dass er nicht mal mehr die Hand vor Augen erblickt.

Ein Blick zurück und der Schrecken sitzt ihm tief bis ins Mark, als Linus an der Gasse entlang schreitet. Clive traut sich kaum zu atmen, als die dunkle, bedrohliche Gestalt vorbei stampft.

Nun stehen sie dort für einige Minuten wie festgefroren.

Als Clive glaubt, es wäre sicher, spricht er leise zu ihr: „Ich gehe nachsehen, ob die Luft rein ist. Warte hier."

Er spürt, wie sie sich schüttelt, bevor sie ihn anfleht: „Nein, bitte bleib bei mir. Lass mich dich begleiten."

„Das ist zu gefährlich", findet er.

„Wir sind doch ein Team oder etwa nicht?", überzeugt sie ihn.

„Also gut", kaum spricht er die Worte aus, hört er, wie sie erleichtert aufatmet.

Er nimmt sie erneut an die Hand und sie schreiten leise zurück zur Hauptstraße. Er kommt zum Stand, als er ein leises Sirren hört. Es geht so schnell, dass es fast seinen Tod bedeutet hätte, als die gefährliche Schwertklinge um die Ecke saust.

Zu seinem Glück wird das Schwert gebremst, bevor der Alchemist auf offener Straße enthauptet wird. Sein Retter kam aus dem Nichts geeilt und entwaffnet Linus innerhalb weniger Schwerthiebe, damit gibt sich der Söldner nicht geschlagen. Linus ist innerhalb von Sekunden bei seinem Schwert. Bevor sein Angreifer ihm diesen Erfolg versemmelt, hat der Söldner sein Schwert zurück und für Abstand gesorgt.

Ihr Retter entpuppt sich als der Paladin Cuno, der sich dem Söldner entschlossen entgegenstellt.

„Ich wusste doch, du bereitest Ärger", richtet der Paladin seine Worte an Linus.

Statt sich auf ein Wortgefecht einzulassen, springt Linus hervor und lässt mit dem Paladin die Klingen kreuzen. Es ist nicht zu übersehen, Cuno ist beeindruckt von dem Talent seines Gegners. Für einen Moment wirkt es auf Außenstehende, als wären die beiden ebenbürtig. Dabei verschafft Cuno sich nur einen Überblick über die Fähigkeiten seines Gegenübers.

Beim Kräftemessen wird Linus bewusst, dass er keine Chance gegen den Paladin hat. Cuno schwingt sein Schwert meisterhaft, seine Waffe ist wie ein verlängerter Arm für den Paladin. Immer wieder muss Linus einstecken, Cuno gibt ihm kaum Zeit, für eine Strategie oder einen Gegenschlag.

Als Linus keuchend und schwerverwundet auf die Knie fällt, blickt Cuno voller Abscheu auf ihn herab.

„Erklärst du mir dein Verhalten, Söldner?", bleibt Cuno ruhig.

Linus lächelt verärgert, bevor er dem Paladin vor die Füße spuckt.

„Der König wird von eurem Verrat erfahren und dann seid ihr Todgeweihte. Ich habe meine Treue unter Beweis gestellt und sterbe ohne Reue. Schande über euch! Ihr, die einer Hexe verfehlt!", akzeptiert der Söldner sein Schicksal.

„Wie schade", bringt Cuno zornig hervor.

Clive bedauert, wie die Reise mit dem Söldner endet. Er hat Linus lachen und scherzen gehört, auch wenn der Söldner ein vorsichtiger Mann ist, so hatten die beiden eine Menge Spaß bislang. Sie wären zwar keine besten Freunde geworden und doch bereut Clive diese Bekanntschaft nicht. Trotz diesem bitterem Ende.

Als Cuno zu ihnen blickt, handelt Clive und schnappt sich Sina. Er führt sie fort von der Hinrichtung und fordert sie auf, nicht zurückzublicken, komme, was wolle. Dabei lauscht er Cunos Urteil, bevor der Paladin den Söldner als Feind des Grafen enthauptet.

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