Kapitel 1: Wie der Alltag einer Eintagsfliege

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Es war einmal ein kleiner Junge. Sein Leben war genauso als würde man ihm Steine an den Rücken binden, seine Arme und Beine zusammenknoten, ihn ins Wasser werfen und dabei zusehen, wie er versucht wieder nach oben zu tauchen. Und nein, das hier ist kein Märchen. Dieser Junge war nicht der kleine Prinz oder der Froschkönig, er war einfach nur ein kleiner Junge, eigentlich. Er hatte riesengroße Augen, gezeichnet mit dunklen, tiefen Augenringen, untypisch für sein Alter. Warmes, rot-braunes Haar, glatt. Dünne Arme und Beine, und große Ohren. Wenn er lachte, sah man seine Zahnlücke. Er sah aus wie eine zauberhafte Puppe, die man vor Jahrzehnten am Dachboden vergessen hatte, eigentlich.

Es war Tag. Ein Dienstag. Draußen war es leicht regnerisch, zwischendurch, ja manchmal kam auch die Sonne zwischen den Wolken hervor. Ein typischer Dienstag in Edinburgh, Schottland, 1996.

Delilah war ein siebzehn Jahre altes Mädchen. Noch minderjährig, noch unreif und trotzdem schon irgendwie mitten im Leben. An diesem Tag saß Delilah wie immer am Nachmittag im Wohnzimmer. Von dort aus hatte sie den Überblick über alles, wo ihr kleiner Bruder Joe sich gerade befand und was er machte. Das Badezimmer musste sie immer von außen mit einem extra Schlüssel abschließen, weil er dort sonst hineinlaufen würde und immer wieder ohne Grund alle Wasserhähne aufdrehen würde, so wie er es zuvor immer tat.

Delilah konnte ihn deshalb auch nicht alleine aufs WC gehen lassen und sie musste die Tür offen lassen, wenn sie selbst das Bad benutzte, weil sie die Situation im Griff behalten musste. Joe konnte nicht gut mit gewissen Dingen und Situationen umgehen, weshalb er manchmal nur Schreie von sich gab, wenn er emotionsvoll war, weil er keinen anderen Ausweg fand. Oft hat die Familie schon Beschwerden von den Nachbarn erhalten. Es gab aber auch Phasen, in denen er stundenlang nichts redete und keinen Ton von sich gab, wo er sich einfach tot stellte.

Und nein, Joe hatte keine geistige Behinderung. Und genau das war das Problem: er war für die Gesellschaft ‚zu anders' und sein gesundheitlicher Zustand bei seiner Geburt war ‚zu normal'.

An diesem Tag hatte Joe die Fliegenklatsche in der Küche entdeckt, schlug damit immer wieder gegen das Fenster und tat so, als wäre dort eine Fliege. Dort war aber keine. Er wurde immer wütender, weil er die imaginäre Fliege nicht fangen konnte und zerbrach anschließend die Fliegenklatsche aus billigem Plastik.

Delilah wusste, es war sinnlos zu versuchen, seine Handlungen zu durchkreuzen, da er sonst noch wütender geworden wäre. Delilah musste lernen, sich unter Kontrolle zu halten und nichts zu sagen, vor allem in solchen Situationen, wo Joe ständig gegen irgendetwas klopfte.

Es war so nerventötend. Sie wollte kurz ins Badezimmer flüchten. Dann sah sie sich im Spiegel an. Sie hatte ein warmes, ziemlich hellblondes Haar und dunkle Augenbrauen. Sie hatte reine Haut, sie war sehr dünn und zart. Sie wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Außerdem trug sie etwas Wimpertusche, die dadurch ein bisschen verschmierte. Sie wollte sich noch kurz entspannen, doch bald wurde sie unruhig, als sie Joe weder schreien, noch im Haus herumlaufen hörte. Es war völlig still.

Delilah ging aus dem Badezimmer ums Eck und sah Joe mit dem Bauch ausgebreitet auf den schwarz glänzenden Fließen liegen. Er lag einfach nur dort und schaute zur Seite.

„Was machst du schon wieder?", fragte Delilah. Joe antwortete nicht. Er blieb liegen. „Hast du heute schon etwas gegessen?", fragte sie daraufhin. Normalerweise reagierte Joe auf solche Frage schon irgendwie, aber er antwortete wieder nicht. Delilah ließ ihn liegen und ging in die Küche.

Die Küche war mit dem Wohnzimmer verbunden, sodass sie noch zu ihm sehen konnte. Sie öffnete ein paar Schränke an der Wand und den Kühlschrank und breitete ihm eine kleine Portion Spaghetti zu. Der Teller und die Portion waren wirklich sehr sehr klein.

Die Monster in Joes KopfTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang