4. 2.

22 2 0
                                    


„Woher weißt du das?"

Erneut schnalzt sie mit der Zunge. Eine Geste, die sie perfektioniert hat, als ich noch nicht alleine laufen konnte.

„Das hättest du mir ruhig erzählen können. Aber so habe ich es von Piper gehört, da Pacey ihr erzählt hat, du wirst Bobby um Hilfe fragen. Bobby kennt alle Handwerker in der Gegend."

Kein Wunder. Piper lebt im selben Wohnhaus wie Mum. Ich bin nur überrascht, dass Piper davon weiß. Obwohl, ich kenne Pacey zu lange und er kann selten etwas für sich behalten. In dieser Stadt gibt es wirklich keine Geheimnisse. Ich möchte gar nicht wissen, wie über mich getratscht wird. Der arme Ethan Connor, dem die Frau davon gelaufen ist und nun alleine seine Tochter großziehen muss. Eine Runde Mitleid bitte. Vermutlich werden sie sich das Maul zerreißen, wenn sie von meiner Arbeiterin erfahren.

„Ich wollte zuerst einmal sehen, wie es mit ihr funktioniert, bevor ich zu viel sage und Hoffnung auf ein schnelleres Voranschreiten mache. Bisher kann ich mich nicht beschweren. Sie ist bei manchen Dingen schneller als andere, und sie ist nicht zimperlich. Hat keine Höhenangst und steigt ohne Probleme ganz bis hoch auf den höchsten Punkt des Daches, beladen mit Schindeln, Nägeln und Hammer."

Bei der Erinnerung von gestern wird mir heiß im Nacken. Ihr Blick war so unaufhaltsam gewesen, wie der einer Amazone, die in die Schlacht zieht. Ich müsste lügen, wenn ich sage, mein Körper hätte nicht darauf reagiert. Wie ein Idiot bin ich ihr hinterhergeeilt. Ich verziehe die Lippen zu einem leichten Lächeln und fahre fort. „Jedenfalls kennt sie sich aus, und das ohne fundierte Ausbildung. Hat sich alles selbst beigebracht. Außerdem arbeitet sie genau und ordentlich. Du weißt ja, wie wichtig mir das bei meinen Arbeitern ist. Also ja, sie ist gut."

Mehr als gut und meine Gedanken schweifen viel öfter zu ihr ab, als sie sollten. Wobei ich fast nichts von ihr weiß. In den zwei Tagen, in denen wir gearbeitet haben, waren ihre Antworten kurz und prägnant, ohne Persönliches von ihr preiszugeben. Und dennoch strahlt sie eine Ruhe, eine Bodenständigkeit aus, die mir neu ist. Sie ist nicht nur optisch, sondern auch im Verhalten das ganze Gegenteil von Beth. Abby ist blond, mit einem breiten Lächeln, das nette, sexy Mädchen von nebenan, auf das alle stehen. Und sie hat sich mich ausgesucht, weil sie meinte, wir würden ein schönes Paar abgeben und wenngleich sie immer von der großen Stadt geträumt hat. Von Ruhm und Glanz abseits unseres überschaubaren Städtchens. Manchmal kam ich mir bei Beth fehl am Platz vor. Wie ein einfältiger Typ, weil ich mit diesem ganzen Schnick-Schnack nichts am Hut habe. Oder weil sie mich lächelnd ihren hinterwäldlerischen Handwerker genannt hat. Auch dann noch, nachdem ich mein Studium beendet und als Innenarchitekt für exklusive Kunden gearbeitet habe. Innerlich wurmt mich mein Verhalten von damals. Umso mehr schätze ich Jocelyns gelassene Gesellschaft. Vor allem, weil sie meine Leidenschaft mit Händen zu arbeiten teilt, anstatt es zu belächeln.

„Ich wusste gar nicht, dass es eine Frau ist. Interessant", gibt Mum mit einem zu breiten Lächeln zurück und ich beiße mir in den Hintern. Habe ich zu viel gesagt?

„Das tut auch nichts zur Sache. Ihr Name ist Jo und damit hat es sich."

„Natürlich, klar. Und wie alt ist sie und wann stellst du sie mir vor?", spricht Mum ohne Umschweife weiter.

„Wieso soll ich sie dir vorstellen? Du kennst meine Angestellten, die in NY für mich gearbeitet haben, auch nicht."

„Aber da waren auch keine Frauen darunter, von denen du schwärmst, und du warst zu der Zeit kein Single", gibt sie noch immer lächelnd zurück. Dennoch versetzt mir das Wort Single einen Stoß in die Brust. Nie hätte ich gedacht einmal zu jenen zu gehören, die sich scheiden lassen, die ihr Versprechen nicht halten. Egal, ob Abby es war, die gegangen ist. Ich bin nicht unschuldig an der Misere gewesen. Zu viel Arbeit, zu wenig Zeit und irgendwann waren wir nicht mehr glücklich.

„Ich schwärme nicht von ihr, ich habe nur von ihren Fähigkeiten auf dem Bau geredet. Du interpretierst da zu viel rein", rede ich mich heraus, obwohl Mum anscheinend einen sechsten Sinn für mein aufkommendes Liebesleben hat. Schon bevor Bethany sich mir angenähert hat, wusste Mum Bescheid und hat mir von ‚von diesem Mädchen' abgeraten. Keine Ahnung wie sie das macht. Vielleicht ist das eine übernatürliche Fähigkeit. Aber egal wie sehr sie vielleicht ins Schwarze trifft, ich werde keine Frau anrühren, bevor die Papiere nicht unterschrieben sind.

„Wie du meinst, Junge. Wir werden schon sehen, was die Zukunft bringt."

Bevor ich antworten kann, läuft Amy zu mir und hält ein Bild mit bunten Strichen in die Höhe. „Daddy, Daddy, schau mal, hab ich am Nachmittag gezeichnet."

Ich streiche ihr mit der Hand die widerspenstigen Locken aus den Augen. Dann betrachte ich die Zeichnung. Es sieht aus wie zwei Strichmännchen, die auf einer blauen Wiese hocken. Ich habe keinen blassen Schimmer. Vielleicht die Teletubbies? Erneut kommt sie meiner Antwort zuvor. „Das ist Aladdin. Das Prinzessin Yasmine und das da der fliegende Teppich."

Na ja, fast richtig geraten. „Wow, das sieht toll aus, Hase. Wollen wir jetzt nach Hause gehen und es an den Kühlschrank hängen?"

Begeistert nickt sie hüpfend und saust davon, um ihre Sachen zusammen zu holen. Sie macht gerade eine extreme Disney-Phase durch. Wann immer ich mit ihr Zeit verbringe, will sie mindestens die Hälfte davon Disney Bücher lesen. Für eine Zweieinhalbjährige hat sie bereits eine ziemlich große Bücherauswahl. Abends ist meine Stimme manchmal vom Lesen ganz heiser. Aber das mache ich gerne. Besonders wenn wir abends zusammen gekuschelt im Bett liegen und sie mit immer kleiner werdenden Augen meiner Stimme lauscht. Wenn sie dann schließlich einschläft und wie ein kleiner Engel aussieht, frage ich mich umso mehr, wie eine Mutter dieses Kind verlassen konnte.

~*~

Where We Got LostWhere stories live. Discover now