2. 2.

21 2 0
                                    

Es ist strahlend blauer Nachmittag, eine Zeit, in der ich noch lange im Garten arbeiten kann. Verwirrt kneife ich die Augen zusammen. „Eine Pause."

„Ja, genau. Das tun Menschen für gewöhnlich, wenn man kurz neue Energien tankt. Trink einen Eistee, lies ein Buch oder geh eine Runde schwimmen. Versprich es mir."

Sanft legt sie mir eine Hand auf den Unterarm und ich bemühe mich, diese nicht sofort abzuschütteln. Doch mein Tick ist stärker und ich trete einen Schritt zurück, um mich zu verabschieden. „Okay, ich schaue, was ich machen kann. Eine kleine Pause klingt gut. Bis bald, Maureen, danke."

„Bis bald, Schätzchen", grüßt sie, winkt und steigt in ihren Wagen ein. Einen Moment blicke ich ihrem Auto hinterher, bis ich mich abwende und Peppers erwartungsvoll vor mir hecheln sehe. Dabei erkenne ich dunkle Erdspuren in ihrem ansonsten seidigen rotbraunen Fell. Ein Blick auf meine ebenfalls verschmutzen Unterarme und Hose zeigt mir, dass ich wohl ebenfalls etwas desolat aussehe. Von meinem Haar ganz zu schweigen. Die muss ich nicht einmal sehen, da sie mir schweißnass im Rücken kleben und sich längst aus meinem lockeren Dutt gelöst haben. Ich seufze. „Na komm, alte Dame. Vielleicht hatte Maureen doch keine so schlechte Idee."

Einige Minuten später bin ich in einen schwarzen Bikini, schwarze Shorts, in ein dunkelblaues Tanktop und Flip Flops geschlüpft. Anschließend stopfe ich Handtuch, eine Flasche Wasser und die Schlüssel in eine Tasche, die ich mir über den Rücken werfe, nachdem ich hinter mir abgesperrt habe. Peppers läuft bereits schwanzwedelnd im Garten auf und ab. Sie ahnt, dass wir gleich etwas vorhaben. Entspannt marschiere ich mit meinem Hund Richtung Wald entlang. Der Vorteil, mitten am Nachmittag unterwegs zu sein, ist der, dass die meisten noch in der Arbeit stecken und mir keine Nachbarn über den Weg laufen. Alles was uns umgibt sind hohe Bäume, die Schatten in der Hitze des Sommers spenden. Der weiche Waldweg unter meinen Sohlen knirscht leise von den herabgefallenen Tannennadeln, einzelnen Steine und Grashalmen. Dies ist kein angelegter, befahrener Weg, sondern er ist rein durch jahrelange Fußtritte entstanden. Nach mehreren Minuten lichtet sich der gewundene Weg und ein glitzernder See kommt in Sicht. Er ist an den Rändern in Schatten gehaucht, nur in der Mitte schimmert die Oberfläche im Sonnenlicht. Mehrere flache Steine umgeben das Wasser, an den meisten Stellen gelangt man jedoch direkt von der wild blühenden Wiese über einen kleinen Schotterstreifen in das kühlende Nass. Ich schätze, dass hier vor langer Zeit Schotter abgebaut wurde und daraus irgendwann ein See entstand, als das Untergrundwasser in die Grube sickerte. Bevor ich Peppers stoppen kann, ist sie voraus gelaufen und stürzt sich übermütig hinein. Belustigt folgte ich ihr, sobald ich die Klamotten auf meiner Tasche abgelegt habe. Dann schwimmen wir beide im blauen Wasser und genießen die Ruhe, die zwitschernden Vögel und die heißen Sonnenstrahlen auf der feuchten Haut. Nun ja, ich genieße und entspanne. Peppers hingegen führt sich auf wie ein kleiner Welpe, der zum ersten Mal etwas zum Spielen bekommt. Ständig läuft sie raus, nur um sich im nächsten Moment wieder in die Fluten zu stürzen. Ein freudiges Lachen perlt aus meinem Mund. Peppers hat sich in den letzten eineinhalb Jahren unglaublich verändert. Als ich sie damals aus dem Tierheim holte, war sie eine traurige, alte Hündin, die sich nach fünf Jahren im Käfig mit ihrer Situation abgefunden hatte. Sie ist vermutlich irgendeine Mischung aus Irish Setter und Golden Retriever. Genau konnte mir das der Mitarbeiter im Tierheim nicht sagen, da sie vor Jahren einfach am Straßenrand angeleint wurde. Ausgesetzt und vergessen. Das Gefühl kenne ich.

Jetzt strahlt sie wieder voller Leben und ich fühle mich mit ihr verbunden. Nicht bloß, weil sie das Wichtigste in meinem Leben ist, sondern weil ich mich in ihr wiederfinde. Nur, dass es mir vorkommt, als würde ich noch immer in einem imaginären Käfig festsitzen, aus dem ich nicht ausbrechen kann. Nicht weiß wie. Nicht einmal weiß, ob ich das überhaupt will.

Plötzlich ist meine gelöste Stimmung dahin und ich schwimme aus dem Wasser, trockne mich ab, trinke die Wasserflasche leer und warte einige Minuten, um Peppers austoben zu lassen. Natürlich habe ich auf einen zweiten Bikini verzichtet und muss nun sowieso warten, bis meiner etwas trocknet. Schließlich schafft es Peppers, sich von dem kühlen Nass loszureißen und sich schüttelnd zu mir zu gesellen. Schützend halte ich das Handtuch vor meinen Körper, um nicht nassgespritzt zu werden.

„Hey, Danke auch, Kleine", murmle ich und versuche die Dämonen, die mich gedanklich verfolgen, zu vertreiben. „Los, Mädchen. Genug geplanscht. Die Pause ist vorbei und die Arbeit ruft."

Bevor ich mich um meine Sachen bücken kann, spitzt Peppers die Ohren und läuft plötzlich wie der Blitz voraus den Weg entlang, auf dem wir hierhergekommen sind. Scheiße.

„Warte, Peppers. Aus. Stopp", rufe ich überrumpelt und ziehe mir hastig die verdammten Klamotten über, was durch den feuchten Bikini schwieriger ist als üblich.

Schnell stopfe ich alle meine Habseligkeiten in die Tasche und laufe meiner Hündin hinterher, die längst aus meiner Sicht verschwunden ist. Mein klopfendes Herz bestätigt meine aufsteigende Panik. Normalerweise macht sie das nicht, sie läuft nie einfach so davon, ohne mich in ihrer Nähe zu wissen. Erneut rufe ich nach ihrem Namen und laufe nun ebenfalls so schnell wie es meine Beine hergeben. Das Blut rauscht durch meinen Körper und mein keuchender Atem ist alles, was ich höre. Kein Bellen, kein Winseln von einer ungeduldigen Hündin, die auf mich wartet. Mist. Mist. Mist.

Sobald ich den Wald hinter mir habe und die Straße erreiche, blicke ich mich nach links und rechts um. Nichts. Nur die verfluchte Straße. Keine Autos, keine Leute und vor allem kein rotbrauner Hund. Die Panik in meiner pulsierenden Brust unterdrückend laufe ich nach Hause. Bestimmt, bestimmt, ist sie bereits zu unserem Haus gelaufen. Das rede ich mir ein, aber mit jedem Schritt, den meine Beine auf dem Asphalt tun, sagt mir eine innere Intuition, dass dem nicht so ist. Manchmal spürt man es einfach, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, ohne es erklären zu können. Ein sechster Sinn. Eine weise Vorahnung. Egal, wie man es benennt. Dieses Gefühl existiert und es trügt selten. Und das im Moment fühlt sich vollkommen verkehrt an.

Zuhause angekommen, reiße ich das Gartentor auf, rufe erneut nach Peppers und finde nur ein leeres Grundstück vor. Sie ist nicht da, ich habe es gewusst. Meine Augen brennen, aber ich gebe dieser Schwäche nicht nach. Das habe ich in den letzten zweieinhalb Jahren nicht getan und ich werde auch jetzt nicht damit anfangen. Stattdessen pfeffere ich die Tasche auf meine Veranda und drehe mich wieder um, damit ich mich auf dem Weg machen kann, die Umgebung abzusuchen. Kurz kommt mir der Gedanke, jemanden anzurufen und um Hilfe zu bitten. Es fällt mir jedoch niemand ein außer Maureen oder ein, zwei andere, mit denen ich lose befreundet bin. Aber alle haben sicherlich besseres zu tun, als mir zu helfen meinen Hund zu finden. Geschweige denn, dass ich sie überhaupt erreichen kann. Vermutlich ist mein Handy, das ich die letzten zwei Tage ignoriert habe, noch nicht vollkommen geladen. Da es so ein altertümliches Ding ist, das sich erst einschalten lässt, wenn es komplett geladen ist, verwerfe ich den Gedanken gleich wieder. Ich bin wie immer auf mich selbst gestellt. Kein Problem, ich werde sie auch alleine finden. Entschieden schließe ich das Gartentor hinter mir und begebe mich auf die Suche. Ich muss sie einfach finden und sie muss verdammt noch mal gesund sein. Einen anderen Gedanken verbiete ich mir.

~*~

Where We Got LostWhere stories live. Discover now