4. 1 - 4. Viel trinken ist wichtig - für Dieses und Jenes

27 2 0
                                    


Ethan

Es ist Freitagabend und ich klopfe an die Wohnungstür meiner Mum. Augenblicklich höre ich ein erfreutes Aufschreien „Papa, Papa!" und aufgeregte kleine Beinchen laufen zur Tür, gefolgt von Mums Stimme. „Warte, Kleine. Nicht so schnell. Ich mache ja schon die Tür auf."

Ein breites Grinsen liegt auf meinem Gesicht und ich kann es kaum erwarten meine Süße in die Arme zu nehmen. Die Tür schwingt auf, im nächsten Moment springt mich Amy an und umklammert mich wie ein kleines Äffchen.

„Hey, Süße. Na, wie geht's dir? War es schön heute im Kindergarten und bei deiner Oma?", flüstere ich in ihr goldenes Haar und drücke ihr einige Küsse auf die zarte Wange, was sie zum Kichern bringt, während sie lachend flötet: „Ja, ja, ja."

Ein bittersüßes Gefühl überkommt mich. Es ist das Schönste, zu spüren, wie sehr sie sich freut mich zu sehen und dass es ihr genauso bei anderen Leuten gut geht. Gleichzeitig nagt ein schlechtes Gewissen in meiner Brust, weil ich sie zu oft alleine lasse. Ich weiß nicht, wie andere Eltern damit umgehen, die ebenfalls arbeiten müssen, dennoch ist dieser Abnabelungsprozess härter als ich früher gedacht habe. Oder liegt es daran, dass ihre Mutter nicht mehr da ist, um in der Zwischenzeit auf sie aufzupassen? Aber das sind Gedanken für nachts im Bett, wenn ich nicht schlafen kann. Daher stehe ich mit einem Lächeln und Amy in meinen Armen auf und drücke auch meiner Mum einen Kuss auf die Wange. „Hey, Mum, danke für's Aufpassen. Ist alles klar bei euch Hübschen? Wie war euer Tag?"

„Natürlich ist alles gut bei uns, wir hatten einen tollen Tag. Wir sind heute am Spielplatz gewesen und haben dann gemeinsam gekocht."

Der himmlische Geruch frisch zubereiteten Essens liegt in der Luft. Mir läuft beinahe das Wasser im Mund zusammen und mein Magen gibt einen hungrigen Laut von sich. „Na, hast du heute Oma gezeigt, wie man kocht?"

Sofort lacht Amy wieder und nickt schnell, während mir Mum auf den Weg in das Esszimmer einen Klaps auf die Schulter verpasst. „Nicht frech werden, Bengel."

„Ich doch nicht", gebe ich unschuldig zurück. „Es wissen doch alle, dass du die beste Köchin in ganz Silverstone Lake bist."

Im gleichen Geplänkel vergehen die nächsten Minuten, in denen ich am Boden mit Amy spiele und Mum das Essen für uns anrichtet. Trotz ihrer etwas pummeligen Figur sind ihre Bewegungen zügig. Sie zeugen von jahrelanger Kochkunst, die ich nicht annähernd nachmachen kann. Mum ist trotz ihrer blonden schulterlangen Locken, die sie zu einem Pferdeschwanz trägt, keine prüde Südstaatenschönheit mit Perlenkette und adrettem Kostüm. Dennoch hat sie etwas Damenhaftes an sich, das aus früheren Zeiten hängen geblieben ist. Während mein Dad noch gelebt hat, war sie immer für den Haushalt und mich zuständig. Erst nach seinem Tod hat sie angefangen, in einem Laden als Verkäuferin zu arbeiten. Das hat ihr gut getan. Unter Leute zu kommen, sich auszutauschen. Dabei ist sie regelrecht aufgeblüht. Ich wünschte, mein Dad hätte sie so gesehen.

Während wir es uns schmecken lassen, plappert Amy ohne richtig Luft zu holen oder eine Reihenfolge einzuhalten. Das tut sie jeden Abend, wenn ich nach einem langen Tag komme, um sie zu holen. Dennoch fällt es mir schwer, ihr zu folgen. Meine Gedanken kreisen um die Nachricht meines Anwalts, um die Renovierung des Hauses und zu meiner Schande auch um meine neue Angestellte. Sie ist mindestens genauso geschickt im Umgang mit Hammer und Nagel wie sie heiß ist. Ihr Anblick verschlägt mir regelrecht den Atem. Dabei weiß ich nicht, wie sie sich anfühlt oder sie schmeckt. Wahrscheinlich dekadent süß mit einer feurigen Würze. Aber allein dieser unpassende Gedanke lässt mich in der Bewegung verharren.

„Alles gut? Schmeckt dir das Essen nicht? Du stocherst seit Minuten darin herum."

Als ich schmecken in einem vollkommen anderen Zusammenhang aus dem Mund meiner Mum höre, verschlucke ich mich beinahe. Blinzelnd sehe ich auf den halbvollen Teller mit Kartoffelgulasch hinab. Amy hat längst den Tisch verlassen und spielt mit einigen Spielzeugautos und Traktoren auf dem Teppich im angrenzenden Wohnzimmer.

„Tut mir leid", huste ich verhalten. „Ich war in Gedanken woanders. Das Essen ist wie immer köstlich. Danke, Mum."

„Was ist dann los?", bohrt sie weiter und schüttelt den Kopf, bevor ich Ausflüchte erfinden kann. „Und sag mir nicht Nichts, Ethan. Ich bin deine Mutter und kenne dich. Du grübelst über etwas, also spuck es schon aus. Das erspart uns beiden unnötige Zeit. Ich komme ja doch drauf."

Dabei fuchtelt sie wild mit ihrem Besteck herum und trotz allem muss ich grinsen.

„Na schön, du hast Recht. In meinem Kopf geht einiges vor."

Zufrieden schiebt Mum den leeren Teller zur Seite und macht es sich bequemer auf dem Stuhl. „Hat es etwas mit Bethany zu tun?"

Ihre Stimme ist vorsorglich ein Flüstern. Dennoch blicken wir beide kurz zu Amy, die aber noch immer mit lauten Geräuschen spielt und uns nicht beachtet. Daher nicke ich.

„Ja, ich habe heute vom Anwalt erfahren, dass er Beth nicht erreichen kann. Die Papiere sind außerdem ungeöffnet zu ihm zurückgekommen, was bedeutet, dass sie unterwegs ist und sich ihre Adresse geändert hat."

„Wann hat sie sich das letzte Mal bei dir gemeldet?"

Damit meint sie eher, wann Beth das letzte Mal ihre eigene Tochter angerufen hat. Doch Mum hält sich zurück, um deswegen nicht meine eigene Wut zu entfachen. Trotzdem schnalzt sie bei meiner Antwort missbilligend mit der Zunge.

„Vor ungefähr drei Wochen. Sie hat aber kein Wort gesagt, dass sie woanders hingeht oder umziehen möchte. Sie schien glücklich zu sein, zumindest vermute ich das nach den paar Worten, die wir gewechselt haben. Die meiste Zeit hat sie mit Amy geredet."

Danach hat meine Kleine gestrahlt wie an Weihnachten und das nur, weil ihre Mutter Zeit gefunden hat, um ihr Kind zu sprechen. Es bricht mir jedes Mal das Herz, zu sehen, wie sehr sich Amy nach ihrer Mutter sehnt.

„Ganz ruhig, das wird schon, Junge. Ihr seid nicht das erste Paar, das sich trennt. Und ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie nicht die Richtige für dich ist."

Nein, das hat sie nicht. Von Anfang an lag sie mir in den Ohren, ich würde einen Fehler machen. Aber ich war ein Highschool-Typ, der mit Hormonen vollgestopft war. Kein Wunder, dass ich nicht auf meine Mum, sondern auf meinen Schwanz gehört habe. Mum tätschelt meine Hand, die das Besteck so fest umklammert hält, bis die Fingerknöchel weiß hervortreten. Ich lasse es los und betrachte den deutlichen Abdruck des Metalls in meiner Handfläche. „Tut mir leid, dass ich dich mit hinunter ziehe. Wir werden das schon hinbekommen."

Ein ansteckendes Lächeln huscht auf ihr breites, leicht mit Falten versehenes Gesicht. „Ganz mein Gedanke. Irgendwann ist das nur noch Schnee von gestern. Und wie sieht es mit dem Haus aus? Geht es gut voran? Ich habe gehört, du hast nun Hilfe bekommen."

„Das stimmt", gebe ich zu und frage mich, ob sie darauf hinauswill, dass Jocelyn diese Hilfe ist. Doch das kann sie unmöglich wissen. Und eigentlich ist es egal, ob ich einen Mann oder eine Frau als Unterstützung angestellt habe. Ich habe nichts zu verbergen.

Where We Got LostOnde histórias criam vida. Descubra agora