3. 1. - Hilfe von unverhoffter Stelle

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Ethan

Nach wenigen Tagen hat sich Routine bei uns eingestellt, für die ich dankbar bin. Meine Mum bringt Amy in den Kindergarten und macht mit ihr die Eingewöhnung, bis sie meine Kleine am Nachmittag abholt und sie mir am Abend bringt. Meistens jedoch fahre ich zu ihnen in die Stadt rein und wir essen gemeinsam zu Abend. Meistens meine einzige warme Mahlzeit am Tag. Daher bin ich meiner Mutter unglaublich dankbar für ihre Unterstützung, und dass sie bereits Rentnerin ist, um überhaupt so viel Zeit für Amy zu haben. Bis ungefähr drei Uhr Nachmittag nutze ich die Zeit, um bereits angenommene Architektenjobs abzuarbeiten, bei denen meine Kunden ungeduldig auf ihre Pläne warten. Jeder möchte sein Haus zuerst bauen oder umgestaltet wissen. Dabei ist es ihnen egal, wie lange man an den Zeichnungen und Kalkulierungen mit Kostenvoranschlag sitzt.

Ab dann nehme ich mir bis zum Abendessen Zeit, um an unserem eigenen Haus zu arbeiten. Nach den wenigen Tagen muss ich aber feststellen, dass ich in diesem Tempo erst in einem halben Jahr oder später mit allem fertig werde, da ein Teil des Daches undicht ist und sich Schimmel im Dachboden gebildet hat. Und in dieser Zeit schaffe ich es auch nur, wenn ich mit dem gleichen Pensum weiter mache wie bisher. Das will ich aber nicht. Ich möchte genauso für meine Tochter da sein, anstatt sie ständig abzuschieben. Schlimm genug, einen Elternteil zu vermissen. Dieses Gefühl sollte sie auf keinen Fall auch bei mir verspüren. Kurz gesagt, die Situation ist schlichtweg schwierig. Daher ärgert es mich umso mehr, keine Antwort von Bobbys Arbeiter bekommen zu haben. Seit zwei Tagen warte ich auf einen Rückruf oder eine Nachricht. Aber nichts. Dabei habe ich drei Mal geschrieben, mit jeweils anderen Informationen. Angefangen von der Art der Arbeit, über die Bezahlung bis hin zum zeitlichen Rahmen. Weiterhin nichts. In der Zwischenzeit habe ich die verdammte Hoffnung aufgegeben. Ich muss mir etwas anderes überlegen oder nochmal bei Bobby antanzen. Hinzu kommt, dass meine Gedanken in den letzten Stunden seit gestern Nachmittag immer wieder zu dieser Frau im Wald zurückkehren und mich unnötig ablenken. Im Moment kann ich bestimmt keine Ablenkung gebrauchen. Wie sexy diese auch sein mag. Dennoch. Immer wieder stelle ich mir die Frage, wer sie ist. Ich kenne nicht einmal ihren Namen. Nach Paceys Beschreibung sehr wahrscheinlich die neue Nachbarin. Zuerst hat mich ihr Hund sprichwörtlich umgeworfen, danach seine Besitzerin. Ich war gestern so überrumpelt von ihrem Anblick, dass ich sogar über einen Ast gestolpert bin. Was mir sonst nie passiert. Unachtsamkeit kann in meinem Job schnell zu einem Arm oder Finger weniger führen. Aber ihr Anblick. Verdammt. Sofort habe ich mich geschämt aufgrund all der primitiven Instinkte, die in mir hochgekommen sind. Lange, schwarze Haare, tiefblaue Augen und ein Gesicht, das einem bis tief in die Nacht verfolgt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so auf eine Frau reagiert habe. Nicht einmal bei Amber habe ich diese Faszination gespürt. Obwohl das vermutlich etwas anderes war, da wir gemeinsam aufgewachsen sind. Eine typische Sandkastenliebe. Gemeinsame Schule, gemeinsame Freunde und irgendwann wurde mehr aus uns, ohne dass ich sagen könnte, wie es passiert ist. Sie war einfach immer da. Jetzt nicht mehr.

Grimmig schneide ich die Plastikverpackung einer Palette Dachziegel auf, die ich vom Baumarkt geholt habe. Sie passen von der Verarbeitung zu den anderen, mit beinahe dem gleichen roten Farbton. Zuerst muss ich die abgefallenen oder kaputten Ziegel erneuern, bevor Regen kommt und erneut Feuchtigkeit in den Dachboden gelangt. Das ist besser, als über Frauen nachzudenken. Gerade als ich mit einigen bepackt auf die Leiter steige, höre ich Schritte hinter mir. Neugierig halte ich inne und nehme das Bein von der Leiter, bevor ich mich umdrehe. Zum Glück. Denn mir bleibt die verfluchte Luft weg. Vor mir steht Miss Unbekannt aka Hundebesitzerin, deren Gesicht ebenfalls überrascht aussieht, als sie mich mustert.

Keiner von uns sagt ein Wort, während wir uns anstarren. Ich nehme ihre Klamotten wahr: funktionelle Arbeitskleidung, die sich perfekt an ihren großen, schlanken Körper schmiegt. Das sollte mir Indiz genug sein, dennoch hat mein Hirn Probleme Zusammenhänge zu bilden.

„Ähm... Hallo", räuspere ich mich schließlich, lege die Tasche mit den Dachziegeln ab und gehe auf sie zu.

„Ebenfalls ... Hallo, Ethan", gibt sie zurück und kneift die Augen zusammen. „Tut mir leid, bin ich hier falsch? Ich suche einen ... Connor."

Nun werde ich hellhörig. Warum sollte sie ausgerechnet nach mir suchen?

„Ich bin Connor. Mein Nachname. Ich heiße Ethan Connor, wobei ich in der Arbeit nur mit Connor unterzeichne. Kann ich dir irgendwie helfen? Geht es um deinen Hund – geht es ihm gut? Eigentlich muss ich die Dachziegel da gerade hoch schleppen", erkläre ich viel zu ausführlich, anstatt den verdammten Mund zu halten, aber diese tiefblauen Augen haben eine berauschende Wirkung auf mich. Ähnlich wie zu viel Alkohol, den ich schon lange nicht mehr genossen habe. Indessen hält sie sich ein altes Handy, wie es meine Mutter vor Jahren benutzt hat, vor die Nase. So ein klobiges schwarzes Ding mit kleinem Display und großer Tastatur anstelle eines Touchscreens.

„Danke. Peppers geht es gut. Ich bin wegen dem Job hier."

Erneut sehe ich mich um und spähe automatisch hinter sie. Vielleicht in Erwartung, dass ihr Freund Jo auftaucht. Da niemand kommt, frage ich irritiert weiter.

„Du meinst wegen dem Handwerker Job von Bobby? Ich warte eigentlich auf einen Jo, aber ich habe seit Tagen keinen Anruf von ihm bekommen. Bist du seine Freundin und hier, um ihn zu vertreten?"

Das ist die einzige vernünftige Erklärung, die mein überspanntes Gehirn zustande bringt. Daraufhin wird ihr verwirrter Blick hart, Kälte mischt sich darin, als müsste sie sich gegen Etwas wappnen und würde nicht mit sich spaßen lassen. „Nein. Ich bin Jo. Jocelyn Doehn. Tut mir leid, aber mein Handy-Akku war die letzten Tage leer. Ich habe die Nachrichten erst vor einer Stunde gelesen und da ich gleich um die Ecke wohne, bin ich direkt hergekommen."

Where We Got LostWhere stories live. Discover now