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Ich beiße mir auf die Unterlippe, um ein Aufstöhnen zu vermeiden. Das wäre ein Jahrhundertprojekt gewesen. Billig kaufen, nach meinen Ideen restaurieren und teuer verkaufen. Vor allem bin ich mir sicher, dass es mir Spaß gemacht hätte. Warum habe ich mich nie nach dem Haus erkundigt, verdammt.

Belustigt stößt mir Pacey den Ellbogen in die Seite. „Mann, ganz ruhig, dir geht ja gleich einer ab, nur wenn ich ein altes Haus erwähne. Du bist echt schräg."

„Dir ginge es genauso, würde ich über eine alte Stradivari reden. Also ja, schräg wie eh und je", stimme ich ihm zu und er schüttelt den Kopf. „Na schön. Aber wenn du schon derart beim Haus abgehst, solltest du einmal die Besitzerin sehen. Echt scharf, aber leider ziemlich verschroben. Wohnt seit zwei Jahren hier und niemand weiß etwas von ihr. Lässt sich nie in der Stadt blicken und redet mit keinem. Da stimmt etwas nicht. Also halte dich lieber fern vor ihr. Wer weiß, wie die tickt. Vielleicht ist das so eine Meuchelmörderin, die untergetaucht ist, um sich vor den Behörden zu verstehen."

Stirnrunzelnd sehe ich zu ihm hinüber, versuche einzuschätzen, ob er einen Scherz macht. Aber nein, er meint es tatsächlich ernst. Mir gefällt nicht, wie engstirnig er klingt, wie kleinbürgerlich und gemein. Gleichzeitig wundert es mich, da ich ihn kenne und er normalerweise nicht so ist.

„Was redest du da für einen Quatsch? Wie kommst du denn auf solche Geschichten?"

„Nun ja", drückt er nun sichtlich beschämt herum und meidet meinen Blick. „Sie redet mit niemanden, trifft keine Männer, sondern lässt sie einfach auflaufen, als sei sie zu gut für uns."

Unbehaglich höre ich ihm zu, während er sich durch das dunkle Haar streicht. Dann klingelt es bei mir und ich kann mir nur schwer ein Grinsen zurück halten.

„Ach so ist das. Verstehe. Willst du mir allen Ernstes erzählen, du schmollst wie ein kleines Mädchen, weil du einen Korb von ihr bekommen hast?", scherze ich, um die Stimmung zu lockern. Mit Humor ist alles leichter zu bewältigen, selbst wenn es Galgenhumor ist.

„Na schön, ja. Sie hat mich abblitzen lassen. Aber du weißt nicht wie. Ich habe sie höflich in einem Geschäft angesprochen und nach einem Date gebeten und alles was sie gesagt hat, war Nein. Mehr nicht. Hat sich umgedreht und ist gegangen. Das ist doch... schräg."

Augen verdrehend krame ich in meiner Tasche und werfe ihm schließlich ein kleines Snickers zu. „Hier, iss den. Du bist nicht du selbst, wenn du hungrig bist", zitiere ich den Slogan aus der Werbung.

Lachend fängt Pacey ihn auf und zeigt mir den Mittelfinger. „Danke, Idiot", schimpft er noch immer, steckt sich den Schokoriegel aber genüsslich in den Mund, um sich anschließend halbherzig zu verteidigen. „Aber der Meinung sind auch Piper und Noah. Sie lebt wie eine Amisch, wenn du mich fragst, nur eben komplett alleine. Komische Sache."

Ungewollt höre ich noch immer eine kleine Schärfe in seiner Stimme, die mir nicht gefällt, wie der gesamte Vergleich. „Seit wann gibst du etwas auf das Getratsche in der Stadt, besonders von Pipers Verlobten? Ich dachte, du magst Noah nicht besonders?"

„Ach, der Kerl ist nicht so übel, wenn man ihn besser kennt", gibt Pacey zu und ich grinse ihn an. „Wirklich? Na siehst du, Idiot. Vielleicht ist dann diese neue Nachbarin auch nicht so schlimm, wenn man sie einmal kennengelernt hat."

„Haha, okay. Versteh schon was du meinst, keine voreiligen Schlüsse ziehen. Verstanden, Paps."

„Braver Junge!", lache ich leise und versuche ihm durch die Haare zu wurschteln, doch er ist schneller. Duckt sich unter meinem Arm hindurch und zeigt mir die Zunge. „Zu langsam, alter Mann."

„Nicht alt, nur müde vom Umzug", erinnere ich ihn und lehne mich erneut mit meinen protestierenden Muskeln gegen die Verandaumzäunung. „Danke nochmal für das Ausladen heute und... du weißt schon, für alles eben."

„Klar, Mann. Wie hätte ich auch sonst meinen freien Freitagabend verbringen sollen."

„Mit einer heißen Frau, mit der du dich in deinem Bett hin und her wälzt?", schlage ich mit einem Zwinkern vor, da ich weiß, Pac ist kein Kostverächter.

„Stimmt." Er legt den Zeigefinger nachdenklich an seine Unterlippe. „Da war doch was, das auf alle Fälle interessanter gewesen wäre, als das ganze Zeug und die Möbel hier rein zu hieven." Dann grinst er wieder. „Aber weißt du was?"

„Was?"

„Ich bin mir sicher, Stacey oder Claire haben auch", er schielt kurz auf seine Armbanduhr, „um neun Uhr Zeit für mich."

Seine Zuversicht, Selbstvertrauen und die Tatsache, Dinge immer im positiven Licht zu sehen, bringen mich zum Lachen. Früher bin ich wie er gewesen. Die Zeiten haben sich geändert. Das Leben hat mir die anderen Seiten gezeigt. Mit flinken Schritten dribbelt er die Stufen der Veranda hinunter. Während er sich rückwärts auf dem Kiesweg vom Haus entfernt, winkt er. „Und wie wirst du den Abend verbringen, um den Umzug zu feiern?"

Vor Amy wäre ich mit ihm durch die Straßen gestreift oder hätte mir noch ein Glas Whiskey eingeschenkt. Dafür trage ich nun zu viel Verantwortung auf meinen Schultern, die in den nächsten Wochen, oder eher Monaten, nicht weniger wird.

„Das kannst du dir wahrscheinlich denken. Mich mit Amy ins Bett legen und versuchen so viel Schlaf wie möglich abzubekommen."

Müde reibe ich mir über die Augen, dann winke ich ihm mit einem Lächeln zurück. „Gute Nacht, Kumpel. Und danke nochmal."

„Kein Problem", ruft Pac von seinem Wagen aus. „Willkommen zurück. Sobald du dich wieder eingelebt hast, machen wir einen drauf wie früher."

Bevor ich antworten kann, hüpft er beschwingt in den Wagen und fährt durch die Schottereinfahrt davon. Mit schlechtem Gewissen wende ich den Blick ab. Zu diesem unbeschwerten Abend wird es nicht so schnell kommen.

Leise schleiche ich ins Haus, sperre die Tür ab und gehe zur Couch. Sobald mein Blick auf Amy fällt, verblassen alle meine Sorgen, die Zukunftsängste und die Anstrengung in meinen Muskeln für einen Moment. Schlafend und in eine Decke gewickelt sieht sie mit ihren blonden, zerzausten Locken wie ein kleiner Engel aus. Mit einem Lächeln hebe ich sie hoch in meine Arme, um sie ins Bett zu tragen. Der Umzug ist nicht nur für mich ein Abenteuer gewesen. Ein anstrengendes.

Automatisch kuschelt sie sich in meine Arme, lässt ihren zierlichen Körper gegen meinen sacken, wie es nur Kinder mit urtümlichem Vertrauen können. Nachdem ich sie in das große Bett gelegt und zugedeckt habe, stelle ich mich unter die Dusche und wasche mir den Schweiß von den verspannten Muskeln. Sobald ich fertig bin, fülle ich frisches Wasser in Amys Trinkbecher, den ich auf den Nachttisch stelle und lege mich neben sie in das frisch bezogene Bett. Ich liebe diesen Geruch, besonders da er mich wegen des Waschmittels meiner Mum an meine eigene Kindheit erinnert. Sofort rutscht Amy weiter zu mir und lehnt ihren Kopf gegen meine Schulter.

„Daddy?", nuschelt sie im Halbschlaf und ich lächle in der Dunkelheit, während ich einen Arm um sie lege. „Ja, Schatz. Ich bin's, Daddy."

Amy seufzt zufrieden, bevor sie weiterfragt: „Und Mummy?"

Sofort bleibt mein Herz eine Sekunde stehen und ein schmerzhafter Stich fährt in meine Brust. Dennoch klingt meine Stimme gefasst, beruhigend wie immer. „Sie ist nicht hier, Spätzchen. Aber ich bin hier. Ich werde immer für dich da sein. Schlaf jetzt weiter. Alles ist gut. Okay?"

„Okay", murmelt Amy verschlafen und kuschelt sich näher zu mir. Ich drücke sie an mich, schließe die Augen und versuche ebenfalls zu schlafen. Jedoch liege ich noch lange Zeit wach und starre an die dunkle Decke.

~*~

Where We Got LostKde žijí příběhy. Začni objevovat