18. Kapitel

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Eine einzigartige Stimme drang durch die schmalen Gitterstäbe der Gefängniszelle. Weich und voller Emotionen füllte sie den dunklen, kühlen Trakt der Wachstation. Die gesungenen Worte berührten Herz und Seele und da sich die Hintergründe des Textes auch noch auf einen blonden, großen Russen bezogen, konnte man vor Ergriffenheit zu weinen beginnen.

So wie Mako, Moris Mutter, die zwar von Torio noch keine Ahnung hatte, aber dennoch in dem langen Gang am Boden hockte und ihr Gesicht in den Händen versteckte.
Es war ihr unverständlich, wie ihr ältester Sohn in so eine Lage geraten konnte. Alles wurde geheim gehalten, kein unnötiges Aufsehen erregt. Kurz und bündig, wie die Verhandlung sollte auch das Urteil schlussendlich vollstreckt werden. Still und unscheinbar, wie alles auf dem Planeten der IUCHIS.

Wann hatte sie den Überblick über Moris Leben verloren? Er war erst 16 Jahre, als er Hals über Kopf von zu Hause davonlief. Mako konnte ihn nicht halten. Damals bemerkte sie schon die Veränderungen an dem dunkelhaarigen Wuschelkopf. Er entwickelte sich in eine ganz andere Richtung als seine Brüder. Mori wurde seiner Mutter immer ähnlicher und ab diesem Zeitpunkt hätte man bereits alle Hebel in Bewegung setzen müssen, um diesem Zustand entgegenzuwirken. Doch der junge unerfahrene Teenager verschwand, nahm sein Leben selbst in die Hand und merkte nicht wie grundverschieden seine Ansichten, der Aliens gegenüber waren.

So viele Jahre schwirrte er verloren im Weltall umher, jobbte mal hier und dort, um überleben zu können, fand aber keinen passenden Ort, glücklich mit einem Partner sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen. Da gab es niemanden, der ihm ähnelte und seinen Vorstellungen entsprach, ihn verstand und liebte. Alles war farblos und leer ohne Emotionen. Und weil er nie eine ordentliche Ausbildung machen konnte, da die Art und Weise wie Kazmi seine Kinder erzog, eindeutig zu hart und fordernd für den schmächtigen Jungen war, gab es einen einzigen Ausweg, die Flucht.

Mori war es unmöglich die ganzen Vorschriften und Regeln des strengen Vaters einzuhalten. Er wollte damals einfach nur weg, weit weg, in fremde Galaxien und andere Sphären und nicht an die Zukunft denken.
Er hatte kein Ziel vor Augen, keinen Traum, den er verwirklichen konnte. Nicht in dieser Gestalt, nicht als Alien. Aus einem ihm unerklärlichen Grund, fühlte er sich in diesem Körper als Fälschung. Er besaß alle Kenntnisse und Kräfte dieser Spezies, konnte aber nichts damit anfangen. Es war ihm egal und er nutzte diese Dinge auch nur in Notfällen.
Das Leben der IUCHIS war sehr gut durchdacht, alles vorgeplant und strukturiert. Gesetze regelten alles auf dem Planeten OOR und wer sie nicht einhielt, wurde bestraft, enthauptet und verbannt. Wie er, ...

Kann sein, dass ihn sein Desinteresse in diese Lage brachte, sein Widerwille, sich mit all diesen außergewöhnlichen Begabungen auseinanderzusetzen, keine jahrelangen Studien gemacht zu haben, um alles über ihre Spezies zu lernen. So viel Zeit hatte er verschenkt, im Glauben ein ewiger Außenseiter zu sein. Gab es so etwas wie Zukunft überhaupt noch für ihn?
Ein Leben mit Torio? Wie würde es aussehen, wo könnten sie existieren. Als Aliens? Halbmenschen? Auf welchem Planeten? In was für einer Galaxie?
Fragen über Fragen, die der schmächtige Außerirdische nicht beantworten konnte. Was wenn Torio Fühler bekäme und die überirdischen Kräfte seine Beeinträchtigung auflösen könnten?
'Das würde ihn bestimmt glücklich machen', dachte Mori verträumt. Doch was, wenn nichts davon passierte? Ohne Schutzschild wäre der Astronaut an die menschlichen Stützpunkte gefesselt, in der Schwerkraft gefangen, hilflos und traurig.
'Weiß mein Vater bereits den zukünftigen Weg für uns?' überlegte das Alien. 'Er hat Torio gerettet und ist der Kommandant der Spezialeinheit. Er unternimmt nichts ohne einen gutdurchdachten Plan. ... Und Hichan, mein kleiner talentierter Bruder, hat ganz bestimmt auch eine Lösung gefunden ...' Mori hoffte es so sehr und wollte sich damit selbst beruhigen, nicht an ein Scheitern denken, auch wenn alles im Ungewissen lag.

Nun saß er traurig und einsam da, wie ein Häufchen Elend, in einer kleinen dunklen Zelle, auf hartem Stein, verzweifelt und hoffnungslos verliebt. Verliebt in einen Menschen, zu dem er sich so unwiderstehlich hingezogen fühlte. Seit er nun wusste, dass Torio noch lebte, zählte er jede Sekunde bis zu ihrem Wiedersehen. Er sollte nur den Anweisungen folgeleisten und dem Kommandanten vertrauen, dann würde alles gut. Das hatte dieser versprochen und dem wollte Mori Glauben schenken. Auch wenn die Vater Sohn Beziehung nie eine innige Liebe zeigte, war es nun seine letzte Hoffnung. Dennoch plagten den jungen Außerirdischen Zweifel an der Durchführung ihrer Vereinigung. Sollte der klare, eiskalte Gebirgssee in „Outland" wirklich ihr schützendes Medium sein? Was musste genau passieren, um eine Paarung zwischen zwei Gleichgeschlechtlichen zu vollziehen? Ja, und da war noch die Sache mit der Jungfräulichkeit. Wie würde dieser Umstand etwas erleichtern, was eigentlich nicht möglich war?
Ein sehr kompliziertes und umfangreiches Thema, welches Mori durch Zufall in einem Bericht der verbotenen Sozialen Medien in Erfahrung bringen konnte. Nur Personen, egal ob Alien oder Mensch, die keine Erinnerungen an einen Liebesakt besaßen, wären im Stande sämtliche Gesetze einer Eheschließung zu umgehen. Je größer die Anzahl der begangenen Bettgeschichten, umso schwieriger gestaltete sich ein Bund fürs Leben.
Zusammengefasst würde man sagen, die erste Liebe zwischen zwei reinen Herzen, die sich unberührt und unschuldig finden, ist im Stande, alle Hindernisse zu bewältigen. Klingt fast etwas einleuchtend, ... aber nur fast.

Mit beiden Händen umfasste „Morika" die schlaffen Antennen, die vor Kurzem noch in voller Blüte standen und wiegte sie leicht hin und her. Wie filigran und besonders diese Sinnesorgane doch waren. Lebensnotwendig für einen Alien aber belastend für einen Menschen.
'Wer bin ich eigentlich? Oder Was?' fragte er sich und dachte dabei an seine Mutter ,die ihn immer tröstend in die Arme nahm, wenn es zu Hause Probleme gab. Sie war ganz anders als sein strenger Vater, viel sanfter und einfühlsamer, genauso wie Mori selbst. Gutmütig und liebevoll, wie ein Mensch. Wo sie jetzt wohl war?

Mako wurde es verwehrt, mit ihrem Sohn zu sprechen. Die Anweisung kam von ihrem Exmann selbst und sie hatte sich daran zu halten. Er versprach ihr, alles zu tun, um Mori hier raus zu holen und sie wollte ihm glauben, sie musste einfach. Darum hielt sie auch den Abstand zur Zelle und lauschte den gefühlvollen Zeilen des noch Aliens.
Das einzige was Mori ablenken konnte, war die Leidenschaft an der Musik, die er mit Torio teilte. So viele Melodien und Texte schwirrten plötzlich in seinem Kopf, alle an seine Liebe fürs Leben gerichtet:

Für mich allein,
Alle unsere Probleme werden sich bald auflösen
und ich verstehe dich jetzt.
Alle Engel werden dich beschützen und schauen auf dich.
Du bist alles für mich, ... aber noch nicht heute.
Es ist so traurig und ich bin so niedergeschlagen,
weil ohne dich etwas nicht stimmt.
Wenn du nicht da bist fühlt es sich an als würden nur Schatten und Regen auf mich fallen.
Darum warte ich auf morgen.
Ja, ich werde warten,
dann kann ich einfach bei dir sein,
nur bei dir, immer du.
Denn du bist so wundervoll zu mir,
ich kann es fast nicht glauben.
So erstaunt und überrascht, dass ich glaube zu fallen.
Meine Sorgen sind tief in mir verborgen,
sollen dich nicht belasten.
Aber sie zerreißen mich in Stücke
und ich löse mich langsam auf, da nichts funktioniert.
Ich bin so schrecklich müde,
habe ohne dich keine Kraft, bin so allein.
Nur Dunkelheit und Kälte hüllen mich ein
und ich warte bis morgen.
Kann es kaum erwarten,
weil ich einfach nur bei dir sein möchte,
bei dir, immer du.
Deine Liebe ist so wunderschön, ich kann es kaum glauben.
Verloren in dir, bin unendlich verliebt.
Ja, ich weiß, dass ich falle,
falle mit dir."

Ein Liebeslied der besonderen Art und ein sehr passender Text zu den Verliebten, ... Mori und Torio.
Nur noch ein Tag trennte die Beiden, ... ein langer Tag.

Mutter und Sohn weinten im Stillen, jeder für sich, dem Partner entrissen, allein und verlassen. Ein herzzerreißendes Bild, voll Sehnsucht und bitterer Tränen. Niemand wollte an weitere Leiden denken, doch das Leben ist voller böser Überraschungen.

Einem treuen Leser gewidmet. ... Happy Birthday!

Naiver Astronaut (Toruka Story Deutsch) Band 1Where stories live. Discover now