Kapitel 5

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Brütend sitzt Eric über der Karte und sucht sich den besten Weg aus. Ich hocke einfach nur neben ihm und schaue ihm ahnungslos über die Schulter. Wieso gehen wir eigentlich nicht einfach geradeaus, direkt vom Start auf das Ziel zu. Das ist eine super Idee von mir und deshalb schlage ich es ihm sofort vor.

Doch Eric schüttelt den Kopf. ,,Wir wissen nicht, was im tiefen Wald für Gefahren lauern. Dort können sich wilde Tiere am besten verstecken und außerdem besteht dort eine viel höhere Chance sich zu verirren. Bei den Flüssen, die quer durch das ganze Gebiet verlaufen, müssen wir darauf achten, dass wir sie an der dünnsten Stelle überqueren. Auf die Strömung müssen wir dann natürlich auch Rücksicht geben. Wenn wir schwimmen, werden wir sowieso getrieben und dabei müssen wir am anderen Ufer dann wieder unbedingt auf einen Weg stoßen. Wir müssen auch immer in der Nähe von Wasser sein, um nicht zu verdursten..."

Während er unzählige Sachen aufzählt, die zu beachten sind, dreht sich in meinem Kopf alles. Ich bin voll verwirrt. Es ist auf so viel Rücksicht zu nehmen, dass es so klingt, als wäre es unschaffbar. Jetzt kann ich noch aufgeben. Soll ich es tun?

Nach kurzem Überlegen entscheide ich mich dagegen. Ich muss diese Chance jetzt echt nutzen. Ich versuche mich auf Erics Worte zu konzentrieren, aber es funktioniert irgendwie nicht. Die Gedanken in meinem Kopf kreisen wild umher.

,,Verstehst du überhaupt wovon ich rede?", fragt Eric nach einer Weile. Ich schüttele wahrheitsgemäß den Kopf und er seufzt genervt. Ich sollte mir jetzt echt ein bisschen mehr Mühe geben. Ohne Eric entkomme ich ganz sicher nicht aus diesem Dschungel und er ist ja auch nicht dazu gezwungen mir zu helfen. Erst jetzt wird mir bewusst, dass der Junge, den ich schon immer gehasst habe, mir gerade das Leben retten will. Wenn ich mich nicht anstrenge ein bisschen nett zu sein, lässt er mich vielleicht einfach alleine hier sitzen. Das darf nicht passieren!

,,Wie wäre es, wenn du mir einfach folgst und ich alles plane?", schlägt Eric vor. ,,Okay.", antworte ich ihm und nachdem er einen weiteren kurzen Blick auf die Karte geworfen hat, machen wir uns schon auf den Weg.

Dabei merken wir schnell, wie umständlich es ist die beiden Beutel und die Trinkflasche einzeln in den Händen zu tragen. Wir brauchen eine Tasche. Wieso habe ich heute Früh nur nicht meine Handtasche mitgenommen, wir hätten alle Sachen hineinstecken können und könnten so viel komfortabler vorankommen. Selbstverständlich müsste Eric die Tasche in diesem Fall tragen.

Während ich nur meine Gedanken an meine Handtasche verschwende, kommt Eric eine bessere Idee: ,,Wir können aus unseren T-Shirts mit der Nadel und dem Faden Rucksäcke nähen." ,,Nein!", zicke ich ihn an. Ist er komplett verrückt geworden? Das ist mein Lieblingsoberteil, außerdem ist das schwarze, bauchfreie Top auch viel zu klein, um einen Rucksack daraus zu erschaffen. Ich werde es auf gar keinen Fall opfern und Eric darf mich auch keinesfalls im BH sehen. Bestimmt ist nur das sein Ziel. Er ist ein Spinner!

Er scheint nachdenklich und runzelt seine Stirn. ,,Wieso nicht?" ,,Wieso wohl?" Er weiß ganz genau, was ich meine und schlägt einen Kompromiss vor: ,,Ach in Ordnung. Hast du was dagegen, wenn ich nur aus meinem T-Shirt einen Rucksack für uns beide mache?" Ich will ihn ganz sicher nicht oberkörperfrei sehen, doch noch weniger habe ich Lust darauf meine Sachen weiterhin zu schleppen, also antworte ich mit einem ,,Okay."

Eric zieht sein T-Shirt aus und dadurch kriege ich einen freien Blick auf seinen Oberkörper. Auf seinem Bauch zeichnet sich ein Six-pack ab und auch einige weitere Muskeln kommen nun deutlicher zum Vorschein. Fast schon staune ich darüber.

Damions Bruder ist viel sportlicher als er, er ist netter, er hat schönere Haare... Ich erwische mich dabei, wie ich Eric mit seinem großen Bruder vergleiche. So etwas darf ich gar nicht denken. Damion ist immer noch mein Freund und Eric ist nur ein kleiner, uncooler Vollidiot. Egal, ob er nun attraktiv ist oder nicht. Ich mag ihn nicht. Ich darf das nicht tun.

Ohne ein Wort mit mir zu wechseln, näht Eric schnell und geschickt einen kleinen Rucksack aus seinem T-Shirt. Ich bin wieder beeindruckt. Irgendwie kann er alles. Wo hat er das alles nur gelernt? Ich würde ihn gerne fragen, aber damit würde ich ihm nur zeigen, dass ich Interesse an ihm habe, was ganz sicher nicht stimmt und das wäre viel zu neugierig. Eric schmeißt sich seinen Rucksack über die Schultern und wir setzten unseren Weg fort.

Nach einer Ewigkeit laufen wir immer noch. Die Umgebung schaut überall gleich aus. Am Rande des Kiesweges sind viele Bäume, Sträucher, Büsche, Gräser und sonstige Pflanzen. Felsen und Steine ragen in unterschiedlichsten Formen aus dem Waldboden heraus. Aber haben wir diese drei großen Steine nicht eben schon gesehen? Und sind wir nicht auch schon an der Birke vorbeigekommen?

Mir kommen Zweifel auf. Vielleicht laufen wir ja doch nur im Kreis. Wenn das der Fall ist, kriegt Eric ein ernsthaftes Problem mit mir, das ist klar. Er läuft ein paar Meter vor mir und scheint sich über mein eher langsameres Tempo aufzuregen. Das ist gemein! Ich kann echt nicht mehr, mir ist schlecht und an meinem Fuß bildet sich eine Fußblase. Leider nur kann ich mich nirgendwo hinsetzen, weil hier alles Natur ist. Ich will schließlich meine teuren Markenklamotten nicht dreckig machen.

Noch ein paar Minuten später habe ich echt gar keinen Bock mehr. Wir werden sterben. Tränen schießen in meine Augen und ich lasse mich auf den Waldboden fallen. Hier liegen Zweige, Blätter und Steine und es ist ziemlich feucht. Geekelt davon und von meiner immer größer werdenden Hoffnungslosigkeit, weine ich noch stärker. 

Eric bemerkt es und kommt schnell zu mir. ,,Was ist los?", sorgt er sich. Was ist eigentlich los?, frage ich mich selbst. Ich will einfach nicht mehr, aber habe keine Ahnung, was ich nicht mehr will. Dafür lassen sich mehrere Dinge finden: weiterlaufen, hier sein, Zeit mit Eric verbringen und mit ihm reden, zur Schule gehen, mit Damion zusammen sein... Eigentlich ist mein Leben gar nicht so perfekt, wie ich es mal dachte. Es ist scheiße, unerträglich. Ich könnte es ändern. Nur wie? Hier ganz sicher nicht. Oder vielleicht doch?

,,Ich will nicht mehr laufen.", beschwere ich mich bei Eric. Dabei komme ich mir vor wie ein kleines, faules Kind. Er sollte doch eher diese Rolle spielen. Er zieht die Augenbrauen hoch, doch ich kann ein kleines zuckendes Lächeln an seinen Lippen erkennen. Wait, wieso schaue ich überhaupt dorthin. Bin ich jetzt komplett bescheuert?

,,Ich kann dich tragen, wenn du willst.", schlägt Eric vor. ,,Super.", rutscht es mir heraus, bevor ich näher darüber nachdenken kann und schon bin ich huckepack auf seinem Rücken. Ich lehne meinen Kopf an ihn und genieße seine Körperwärme. Es ist ziemlich gemütlich hier oben und deshalb schlafe ich irgendwie ein.

Mit Eric durch die Wildnis Where stories live. Discover now