Kapitel 27

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,,Schau mal, da ist etwas!", entdeckt Eric plötzlich und ich blicke vom Boden auf, auf welchen ich während des anstrengenden Laufens die ganze Zeit geschaut habe. Mehrere Meter vor uns ist ein großes Gebilde, welches überhaupt nicht hier in die Natur passt. Auf ihm kleben rote verblasste Buchstaben. Ich kneife meine Augen zusammen und versuche sie aus der Ferne zu erkennen. Langsam lese ich vor: ,,Z, I, E, L."  Oh mein Gott! Ziel! Erst Sekunden später kommt das in meinem Gehirn an und ich könnte vor Freude lachen und weinen gleichzeitig. Wir sind fast da! Nur noch ein bisschen!

Doch dieses bisschen kommt mir ewig vor, es könnten Jahre sein, Jahrzehnte, Jahrhunderte. Irgendwie sowas, auf jeden Fall der längste und schlimmste Moment in meinem Leben. Jeder Schritt quält mich und ich werde immer erschöpfter und langsamer. Weil wir die ganze Nacht wach waren, bin ich zudem auch noch total müde.

,,Ich werde das hier mit dir nie vergessen, egal was du darüber denkst.", sagt Eric, als wir das Gebäude mit der Zielaufschrift direkt vor uns entdecken. Es ist eine Art riesiges Zelt aus Metallstangen, in welchem ein Hubschrauber und einige Männer stehen. Wir sind da! Nur noch ein paar Schritte!

Erics Worte gehen mir durch den Kopf. Was soll ich darauf erwidern? Das, was ich ihm zu danken habe, kann man gar nicht mit Wörtern ausdrücken. ,,Ich werde es auch nie vergessen. Alles wird jetzt anders sein. Das hat alles verändert, bis ins kleinste Detail. Ich fühle mehr darüber, als du denkst.", sage ich. Es ist furchtbar emotional und ich bin den Tränen nahe, aber zugleich kommt es mir etwas albern vor.

,,Ich mag dich.", sagt Eric als Antwort darauf. Was meint er nur damit? Als Liebe oder was? Gibt es sowas überhaupt? Oder vielleicht nur als Freundschaft. Ich weiß es nicht und will auch nicht nachfragen. Ich bin mit Damion zusammen, da kann ich doch solche Worte nicht mit seinem verhassten Bruder austauschen. Also lasse ich es einfach zwischen uns stehen und gehe weiter.

,,Hallo.", begrüßt uns einer der Männer, als wir vor dem Hubschrauber zum Stehen kommen. Ich weiß nicht wieso, aber ich breche in Tränen aus. Ich fühle mich scheiße, allein gelassen, nutzlos. Am liebsten hätte ich jeden einzelnen von diesen Männern dafür bestraft, was uns angetan wurde. Ich könnte sie einem Krokodil aussetzten, einem Leoparden oder vielleicht könnte ich sie mit einem Gewehr verfolgen, während ihnen Blut aus dem Bauch fließt. Aber ich darf nichts machen, auch nur ein falsches Wort könnte dazu führen, dass wir hier auf der Stelle getötet oder zurückgelassen werden, was auf das gleiche hinaus läuft. Ich halte also meinen Mund und warte.

,,Wir fahren euch heim, steigt ein.", befiehlt ein Mann und öffnet die Seitentür des Hubschraubers. Es regt mich auf, dass sich das, was er eben gesagt hat reimt. So etwas Schönes wie ein Reim passt nicht an diesen Ort. Seine Stimme war außerdem anteilnahmslos und monoton. Vielleicht ist er gar gelangweilt. Das passt mir nicht! Trotzdem kann ich nicht zögern und gehe in Richtung des Hubschraubers. Zuerst sehe ich zu, wie ein Mann Eric von meinem Rücken hebt, in einen Sitz reinsetzt und ihn anschnallt und dann steige auch ich ein. Es ist komisch in einem geschlossenen Raum zu sitzen und ich fühle mich eingeengt. Hoffentlich dauert der Flug nicht allzu lange. Ich lehne mich zurück und atme angespannt durch. Immer noch kann ich es gar nicht fassen, dass wir es geschafft haben. Der Hubschrauber fängt an abzuheben und letztendlich breitet sich doch ein gutes Gefühl in mir aus. Wir sind draußen und fliegen jetzt nach Hause, alles ist gut.

Nach einigen Minuten des Fluges, in denen Eric und ich alleine in diesem Abteil des Hubschraubers saßen und unseren Gedanken nachgehangen sind, kommt ein Mann hinein. Er hat eine Kiste dabei und sofort weckt sich in mir Neugier darüber, was darin ist. Er stellt sie vor uns ab und öffnet sie. Ich kann es gar nicht fassen! Ich kann mein Handy sehen, noch eines, welches wahrscheinlich Erics ist, zwei Happymeals von McDonald's und zwei Wasserflaschen. ,,Für euch.", sagt der Mann und verschwindet wieder. Kurz war ich davor mich aus Freude über diese Sachen zu bedanken, aber ich hinterlasse es doch, denn ohne diese Männer wären wir ja erst gar nicht in dieser Situation.

Eric streckt seine Hand aus und ich gebe ihm sofort sein Handy, eine Flasche und ein Happymeal. Er hält mir die Flasche entgegen. Er kann sie nicht öffnen! Sofort mache ich sie für ihn auf und er beginnt zu trinken. Wir trinken und essen alles auf. Es ist so viel und endlich bin ich wieder satt. Zwei Wochen durften wir hungern. Nachdem machen wir beide unser Handy an. ,,Wir haben es geschafft.", sagt Eric noch einmal, als die Geräte gerade hochfahren und ich wiederhole lächelnd: ,,Wir haben es geschafft." Es ist unglaublich diese Worte auszusprechen, denn ich habe mir genau das seit zwei Wochen gewünscht.

Mein Handy ist an und ich gebe den Code ein. So schnell wie möglich möchte ich meine Nachrichten lesen und erfahren, was ohne mich passiert ist. Leider ist neben unnötigen Snaps und Instagram Benachrichtigungen nur eine WhatsApp da. Ich öffne WhatsApp. Die Nachricht ist von Damion.

Hey Baby, war echt schön mit dir die letzte Zeit, aber bin jtz mit Hannah zusammen

Die Worte stechen mir in die Augen. Er hat Schluss gemacht! Und die Nachricht ist an dem gleichen Tag geschrieben worden, an dem wir im Dschungel von Barawino angekommen sind. Wie konnte ich überhaupt nur eine Minute an ihn denken. Dieses Arschloch! Ich hasse ihn! Während sich Wut in mir aufbaut, kommt wieder ein Mann rein. ,,Wir landen in einer Minute in eurer Heimatstadt. Dort holt euch dann ein Krankenwagen ab!" Die Worte kommen mir weit entfernt vor und ich spüre nur meine Wut. Ich will etwas kaputtschlagen! Etwas aus dem Fenster werfen! Also tue ich genau das und schmeiße mein Handy von Wut geleitet so stark wie ich kann nach vorne. Es prallt gegen eine Scheibe des Hubschraubers, welche sofort in Scherben zerbricht. Diese und mein Handy fliegen nach unten. Und erstaunlicherweise bin ich sehr glücklich darüber. ,,Spinnst du?!", schreit der Mann wütend und kommt auf mich zu. Im gleichen Moment aber setzt der Hubschrauber zur Landung an, der Mann rutscht aus und fällt aus der zerbrochenen Scheibe.

Ich lache. Ja ehrlich, ich lache einfach. Ich komme mir zwar extrem unmenschlich vor, aber es gibt mir einfach ein Glücksgefühl, dass dieser Mann nun stirbt. Er hat es verdient. Seine Komplizen und er haben unsere Klassenkameraden getötet, dafür mussten sie zahlen. Ich schaue zu Eric, welcher ebenfalls grinst. Wir sind gestört, garantiert. Aber egal, wir sind zuhause, wir sind frei.

Ich beuge mich zu Eric und küsse ihn einfach. Einfach so! Er erwidert den Kuss und es ist der schönste, den ich je in meinem Leben hatte. In dem Moment wird mir klar, dass ich Eric auch mag. Ich habe mich während des Dschungelabenteuers tatsächlich in ihn verliebt! Und das werde ich ihm auch sagen und ihn nie wieder anzweifeln.

Wir haben gar nicht gemerkt, dass wir schon gelandet sind. Als die Tür des Hubschraubers aufgeht, schrecken wir voneinander weg und warten gespannt auf das, was als nächstes geschieht. Sanitäter kommen zu uns und wir werden auf Trageliegen gepackt. ,,Ich brauche das nicht.", sage ich und möchte aufstehen, doch ein Sanitäter drückt mich wieder nach unten. ,,Nein!", schreie ich aus Angst. Das Letzte, was ich sehe ist ein hässlicher blonder Mann, welcher mir eine Spritze in den Arm rammt, dann wird mir schwarz vor den Augen.

Mit Eric durch die Wildnis Where stories live. Discover now