Kapitel 11

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Eric und ich klettern den Baum hinunter, wobei ich natürlich wieder viel länger brauche, als er. Obwohl er jetzt ja nur noch einen Arm hat. Meinetwegen! Bei dem Gedanken, das ich daran Schuld bin, dass dieser sportliche und süße Junge wegen mir verletzt ist, zieht sich alles in mir zusammen.

Stopp! Woran denke ich denn schon wieder? Ich schüttele, entsetzt von mir selbst, den Kopf und konzentriere mich lieber wieder auf die Äste. Ich sollte mich beeilen, sonst kommen wir nie weiter. Aber irgendwie liegt vor meinen Augen ein weißer Schleier. Alles ist verschwommen und mir ist total schlecht. Ich versuche es zu ignorieren und bewege mich so schnell wie möglich den Baum hinunter. Erschöpft komme ich unten an. Mein Mund ist total trocken und ich sehne mich mehr denn je nach Wasser. Meinetwegen kann es jetzt sogar nur ein kleiner, dreckiger Bach sein. Hauptsache Wasser!

Eric denkt noch an ein weiteres Bedürfnis: ,,Ich muss aufs Klo, dreh dich um." Ich tu was er sagt. Abwartend schaue ich einen Baum an. Als er fertig ist, sage ich: ,,Ich auch." Auch er dreht sich um und ich erledige schnell mein Geschäft.

,,Hast du auch so Durst?", frage ich ihn, als wir wieder nebeneinander stehen und er die Karte auseinander faltet. ,,Wir laufen schon seit einer Weile an einem Fluss entlang, aber er verläuft hier wahrscheinlich weiter im Wald." ,,Und du hast es mir nicht gesagt?! Ich verdurste hier so halb und wir laufen schon die ganze Zeit neben einem Fluss?!" Nicht wütend werden. Ich sollte mich beruhigen. In meinem Inneren zähle ich bis zehn, nur das macht mich sogar noch wütender.

,,Sorry, lass uns gleich hingehen.", entschuldigt sich Eric und stapft in den Wald. Ich sage nichts mehr, bevor ich ihn wieder beschimpfe und stolpere hinter ihm her. Wir kommen nur sehr langsam voran, weil hier alles zugewachsen ist und wir uns durch die Pflanzen kämpfen müssen. Während dem Laufen kämpfe ich mit der Übelkeit und der immer größer werdenden Trockenheit in meinem Mund.

,,Oh mein Gott, schau mal!", staunt Eric und ich blicke vom Boden ab und nach vorne. Dort ist ein wunderschöner Wasserfall. Kristallklares Wasser fällt einen glatten Felsen herunter und fließt dann ziemlich schnell weiter, bevor es sich kurz in einem beckenartigen Gebilde sammelt. Die nassen Steine glänzen wunderschön und das Gras um das Becken herum ist frisch, grün und saftig. So etwas schönes habe ich noch nie gesehen.

Ich renne grinsend direkt auf den Wasserfall zu und lache dabei. Was Eric von mir denkt, ist jetzt egal. Ich fühle mich frei und glücklich. Völlig außer Atem lasse ich mich in das Wasserbecken fallen. Das Wasser ist erstaunlich warm und schaut furchtbar sauber aus. Es ist wie im Traum. Ich habe schon befürchtet, dass wir aus einem dreckigen Fluss trinken müssen, wo jedes mögliche Getier sich einst gewaschen hat. Aber jetzt haben wir das hier, was sogar an eine Badewanne erinnert. Hastig knie ich mich hin und trinke, wie ein Tier, ein paar Schlucke. Das Wasser schmeckt sauber und lecker. Es ist einfach wundervoll.

Während ich immer mehr Wasser in meinen Mund hineinfließen lasse, sitzt Eric am Rand des Wasserfalls auf einem Stein, zieht seine Schuhe aus und legt den Rucksack und die Karte ab. Das wäre schlau gewesen, fällt mir auf, aber jetzt ist es eh schon zu spät, weil ich komplett bekleidet im Wasser liege. Meine weißen Schuhe waren sowieso schon dreckig, so wie auch der Rest meiner Klamotten. Außerdem ist es hier im Dschungel so heiß, dass meine Klamotten schnell wieder trocknen werden. Langsam steigt Eric in das Wasser hinein. ,,Oha, ist das warm.", fällt ihm auf und er setzt sich sofort hin. Wieso ist er so zögerlich? Er hat doch schon gemerkt, dass das Wasser warm ist.

Plötzlich spritzt er mir einen Schwall von Wasser mitten ins Gesicht. Ich quietsche auf und er lacht. Na warte! Ich springe auf und spritze auch auf ihn so viel Wasser wie es geht. Eine wilde Wasserschlacht ist im Gange und ich habe zugeben ziemlich viel Spaß. So viel Spaß, wie ich noch nie hatte. Meine Augen tun schon ganz weh, weil so viel Wasser hineingelangt ist, doch trotzdem lache ich und spritze Eric nass.

Nach einer Weile fallen wir erschöpft nieder. Auf seinen Lippen liegt ein freches Grinsen und auch ich bin einfach unfassbar glücklich. Ich kann es gar nicht glauben. War es vielleicht doch Glück, dass wir hier zu zweit gelandet sind? Oder gar so etwas wie Schicksal?

,,Ich würde sagen, ich habe gewonnen.", sagt Eric. ,,Ne, ganz sicher nicht, es ist doch offensichtlich dass ich gewonnen habe." ,,Ne, ganz sicher nicht, selbst mit einem Arm bin ich schneller." Diese Worte lassen mich verstummen. Sie stimmen. Ich starre wieder auf seine Schulter an der kein Arm mehr hängt und bekomme Schuldgefühle.

Auch er lächelt nicht mehr und ist verstummt. In Stille waschen wir uns. Ich bin einfach so dankbar für das Wasser und schrubbe meine Klamotten und meinen Körper mit meinen Händen ab. Ich bin furchtbar glücklich, endlich die Makeup Reste von meinem Gesicht loszuwerden. Meine Haare wasche ich in dem Strahl des Wasserfalls, welcher wie eine Dusche ist. Auch Eric spült sich schnell unter ihm ab.

,,Wir müssen weiter.", beschließt Eric und Enttäuschung breitet sich in mir aus. Wenn es nach mir ginge, könnten wir die ganze Woche hier sitzen bleiben, doch da erinnere ich mich wieder daran, dass wir ja entkommen müssen. Dabei will ich auf gar keinen Fall ein Hindernis für Eric sein. Deshalb rappele ich mich auf. Nachdem wir unsere Wasserflaschen aufgefüllt haben, laufen wir los. Ich verabschiede mich im Inneren von dem schönen Wasserfall. Es ist schade, dass wir ihn nie wieder zu Gesicht bekommen werden.

Als wir wieder den Weg erreicht haben, faltet Eric die Karte auseinander und geht mit zügigen Schritten den Weg entlang. Ich versuche hinterher zu kommen, aber er ist echt schnell, mir ist immer noch schlecht, mir tut alles weh und es ist furchtbar heiß. Freue ich mich nun auf die kommenden Tage oder habe ich Angst? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht mal, ob wir sie überleben werden. Und ich hasse Unwissenheit.

Mit Eric durch die Wildnis حيث تعيش القصص. اكتشف الآن