Er war tatsächlich weg.

Ein bitteres Schluchzen entkam meinen Lippen und ich vergrub meinen Kopf an meinen Knien. Wimmernd wippte ich hin und her. Es traf mich wie einen Schlag, mit voller Breitseite. Ich hatte Jungkook verloren. Ich war mir inzwischen mehr als sicher, dass er zurück in seine Welt verschwunden sein musste. Das war das Einzige, was irgendwie Sinn ergeben würde und das alles nur, weil ich mich in meinem Stolz verletzt fühlte. Weil er meine Hoffnung war und sie mir mit einem Schlag genommen hatte.

Und genau in diesem Moment realisierte ich, dass es mir schon lange nicht mehr um den Deal gegangen war. Es war nicht um den Deal gegangen, als ich ihn über die Blumenwiese geführt hatte. Es war mir nicht um den Deal gegangen, als ich in seinen Armen eingeschlafen war. Und es war mir erst recht nicht um den Deal gegangen, als ich ihm den Taufgarten zeigen wollte.

Es war nie um den Deal gegangen. Es war mir einzig und allein um Jungkook gegangen. Um diesen fremden, so andersartigen Jungen, der mich hatte Gefühle fühlen lassen, die ich verloren geglaubt hatte.

Die Tränen hörten nicht auf zu fallen. Sie liefen immer stärker aus meinen Augenwinkeln und ich fragte mich, wie viele Tränen noch aus mir herausfallen konnten, bis ich ausgetrocknet war.
Was sollte ich jetzt nur tun? Was sollte ich machen?

Für ein paar Minuten blieb ich noch auf dem feuchten Boden sitzen, versuchte irgendwie zu meiner Kraft zurückzufinden, zu der Kraft, die mich all die Tage, auch die schweren, auf meine Beine gezogen hatte. Doch jetzt schien sie mich gänzlich verlassen zu haben.

Mühsam versuchte ich mich aufzurappeln. Taumelte etwas umher, knickte ein und fiel zurück auf meine Knie. Doch ich biss mir hart auf die Unterlippe, bohrte meine Nägel in das Moos und stieß mich ab. Mit vernebeltem Verstand und verschleiertem Blick bahnte ich mir einen Weg durch die Bäume, nicht wissend, wohin mich meine Beine tragen würden.

Doch nach einem längeren Fußmarsch... eigentlich wusste ich nicht einmal ob er lang war, denn mein Zeitgefühl hatte ich längst verloren... fand ich mich am Stadtbezirk von Dionysia wieder. Genauer gesagt vor einer Häuserreihe, dessen einer Vorgarten mir so vertraut war, wie mein eigener.

Die Tränen waren seit geraumer Zeit versiegt. Ich fiel in ein Stadium völliger Gefühlslosigkeit und setzte stolpernd einen Fuß vor den anderen, sodass ich dem Vorgarten, mit den fein gepflegten bunten Blumen, immer näher kam. Sobald ich den ersten Fuß auf den schmalen Kiesweg gesetzt hatte, leuchtete die Kugel schwach auf und eine kleine Tür erschien in der glitzernden Oberfläche.

Ich wusste selbst nicht, was ich hier überhaupt tat... in diesem Zustand. Aber ich wusste auch, dass ich sie jetzt brauchte und vielleicht konnte sie mir Antworten geben. Antworten auf das Alles. Auf alles was die letzten Tage geschehen war und was sich in mir getan hatte. Antworten darauf, warum ich mich wie ein völliger Idiot verhalten hatte.

„Tae?", drang plötzlich die mir nur allzu bekannte, liebevolle Stimme an mein Ohr und riss mich aus meinen Gedanken. „Taebärchen, was machst du denn hier?"

Keine Sekunde später taumelte ich zu der kleinen, älteren Dame, die ihre lockigen grauen Haare zu einem Dutt zusammengebunden und die Brille auf ihrer Nase zurechtgerückt hatte, herüber. Sofort fiel ich ihr um den Hals und daraufhin brachen erneut alle Dämme in mir zusammen. Die Tränen schwappten wieder aus meinen Augen und tränkten das rosa Blumenkleid der Frau.

„I-ich... i-ich habe a-alles kaputt g-gemacht", schluchzte ich und sackte noch ein Stückchen weiter in mich zusammen. Gleichzeitig spürte ich, wie eine Hand mir sanft über den Rücken strich.
„Tae... mein kleiner Taebär", begann sie wieder zu sprechen und zog mich sanft in die Wohnung, um die Tür zu schließen und mich vor neugierigen Blicken zu schützen, „beruhige dich, mein Junge. Beruhige dich und dann erzählst du mir ganz in Ruhe, was passiert ist."

Langsam löste sie sich etwas von mir, ergriff meine schlaff am Körper herabhängende Hand und zog mich zu dem roten Sofa herüber, auf welches ich mich wimmernd fallen ließ.
Ihre dunklen Augen blickten mir traurig und gleichzeitig sichtlich besorgt entgegen. Unschlüssig beobachtete sie, wie ich mir eines der bestickten Kissen griff und es fest an meinen schwachen Körper drückte.

„Ich denke, du kannst eine heiße Schokolade vertragen, mh?", liebevoll lächelnd wartete sie auf eine Reaktion meinerseits. Schleichend hob ich meine tränenunterlaufenen Augen an, schob meine Unterlippe vor und nickte ihr schließlich knapp zu.

„Danke, Oma", kam es mir noch nuschelnd über die Lippen, als ich auch schon in den nächsten Heulkrampf ausbrach.

Ein paar Minuten später hielt meine Oma mir eine dampfende Tasse vor die Nase, welche ich mit einem kleinen Schluchzer umgriff und sogleich an meine Lippen führte. Lächelnd beobachtete meine Oma mich dabei, wie ich kurz die Nase hochzog, schließlich jedoch aufhörte zu weinen und mich einfach nur von dem warmen Gefühl des Getränks durchströmen ließ.

„Heiße Schokolade hat dich schon immer getröstet", sprach sie mit einem sanften Lächeln auf den Lippen, während sie sich neben mir in die Kissen fallen ließ. Ein paar Minuten sagte keiner von uns beiden etwas und ich schlürfte weiterhin an meinem Getränk. Es tat gut. Es tat gut bei meiner Oma zu sein. Bei der Person, die mich all die Jahre großgezogen, mich beschützt und geliebt hatte. Es tat gut bei der Person zu sein, die mir am meisten bedeutete und der ich alles anvertrauen würde.

Sie hatte mir beigebracht, was es bedeutete ein Mondkind zu sein. Sie hatte mir alle Sitten und Bräuche gelehrt. Und sie hatte mir die alten Legenden erzählt, als ob es längst vergessene Märchen aus einem längst vergessenen Zeitalter gewesen wären. Doch für meine Oma waren sie nicht vergessen und für meine Oma waren sie auch keineswegs Märchen. Sie hatte schon immer gewusst, dass es mehr gab als Dionysia und dass an den Geschichten mehr Wahrheit dran war als an den Worten vieler Bewohner der Mondwelt.

Zögerlich drehte ich meinen Kopf zu ihr herüber und konnte es nicht verhindern, dass sich ein sanftes Lächeln auf meine Lippen schlich als meine Iriden, auf die ihren trafen... ihre bernsteinfarbenen Augen, die so warm vor sich hinfunkelten und solch eine Wärme und Ehrlichkeit ausstrahlten.
„Magst du es mir erzählen, mein Kleiner?", ihre Frage klang keineswegs fordernd, viel mehr einladend und mutmachend, mir all meine Probleme von der Seele zu reden. Gleichzeitig ließ sie ihre kleine Hand auf meinen Oberschenkel wandern und strich diesen sacht auf und ab. „Du weißt doch, du kannst mir alles erzählen, Taetae."

Sollte ich es ihr wirklich erzählen? Sollte ich ihr anvertrauen, dass ich mich in die Sonnenwelt geschlichen hatte... dass ich sie doch tatsächlich gefunden hatte? Sollte ich ihr von meiner Unachtsamkeit erzählen? Davon, dass ich einen Feind mit in unsere Welt gebracht und dann auch noch herumgeführt hatte?

Aber Jungkook war kein Feind. Für mich war er das niemals gewesen. Er war ein Freund, meine Hoffnung und mein Halt. Er war die Person gewesen, die mich für wenige Tage wieder hatte gutfühlen lassen. Die Person, die mich meine Probleme hatte vergessen lassen. Ich hatte ihm vertraut und ich hoffte einfach nur, dass meine Oma mir auch vertraute, wenn ich ihr nun erzählen würde, dass ich uns allen einer gewaltigen Gefahr ausgesetzt hatte.

Und das nur, weil dieser Junge mir so unglaublich schnell ans Herz gewachsen war. Und den ich genau in diesem Moment über alles vermisste.

Ich räusperte mich kurz, stellte die Tasse anschließend auf dem kleinen Holztisch vor mir ab und drehte meinen Oberkörper dann zu meiner Oma herüber. Intuitiv legte ich meine beiden Hände auf die ihre, die immer noch auf meinem Oberschenkel ruhte. Leichten Druck auf ihre Hand ausübend, malte ich kurz mit meinen Kiefern aufeinander ehe ich, ohne sie anzuschauen, meine kratzige Stimme erhob: „Du vertraust mir doch, oder? Du stehst immer hinter mir, egal was ich mache, oder?"

Gleich nachdem ich meine Fragen gestellt hatte, spürte ich, wie die zweite Hand meiner Oma sich sanft auf meine legte. „Taehyung mein Kind, natürlich. Das weißt du doch", hauchte sie mir bestärkend zu.

Also gut.

Ich nahm einen tiefen Atemzug, bevor ich mich ihr zuwandte, sie mit meinen traurigen Augen fixierte und die folgenden Worte sprach: „Ich habe ein Sonnenkind mit in unsere Welt gebracht."

Moonchild {VKOOK}Donde viven las historias. Descúbrelo ahora