Ging diese Leier nun wieder los? Ich hasste diesen Mann dafür, dass er seinen Sohn immer wieder so behandelte. Er wusste, dass ich besser war als Jisung und hatte mich deswegen zuerst gefragt. Er hatte es bereits erwartet und dadurch gezeigt, dass er nichtmal ein wenig Glauben daran hatte, dass sein Sohn einmal besser sein würde als ich.
„11", antwortete der schwarzhaarige Junge betroffen auf die Frage seines Vaters. Wieso musste dieser ihn auch immer so vor anderen vorführen?
„Habt ihr Beide denn nicht zusammen gelernt? Wie kommt's dann, dass Jungkook einen Einser-Schnitt hat und du gerade einmal einen Zweier?", fuhr Mr. Park mit kalter Stimme fort. „Ist dir das mit der Firma nicht wichtig, Jisung?"

Augenblicklich hob dieser hastig seinen Kopf und sah seinen Vater panisch an.
„Doch ist es! Ich geb' mir doch Mühe!"
„Deine Mühe reicht aber nicht. Wie soll ich das Unternehmen ruhigen Gewissens eines Tages Jemandem bloß zweitklassigen überlassen? Wenn du nicht besser wirst, sehe ich mich gezwungen Jungkook deine Position zu überlassen."
Innerhalb von Sekunden hatte sich eine ohrenbetäubende Stille im Raum ausgebreitet. Mr. Park konnte mir doch nicht einfach den Posten überlassen, den er Jisung seit seiner Geburt zugesprochen hatte. Und warum wurde hier eigentlich alles über unsere Köpfen hinwegentschieden?! Ich wollte diesen verdammten Posten doch gar nicht!

„Hast du etwas dazu zu sagen, Jisung?", forderte der strenge Mann nun seinen Sohn auf, sich zu äußern. Dieser spielte nervös mit seinen Fingern und hatte Mühe dem eisernen Blick seines Vaters standzuhalten.
„Tut mir leid, dass ich versagt habe, Vater", murmelte er schließlich leise und ich konnte die Tränen erkennen, die sich bereits in seinem Augenwinkel bildeten. Ein starkes Schlucken seinerseits verriet mir, wie sehr er gegen diese ankämpfte.
„Und ich verspreche...", fügte er schließlich hinzu, „dass ich alles tun werde, um dir keine Enttäuschung zu sein."

Wenig später verließen die Parks unser Grundstück, während mein Vater gerade die Haustür hinter ihnen schloss.
„Wieso hast du nichts getan?", forderte ich ihn wütend auf, woraufhin er mich überrascht ansah.
„Ich werde mich wohl kaum in die Angelegenheit zwischen Vater und Sohn einmischen", murmelte er nur und schlenderte zurück in die Küche.
„Manchmal sollte man sich aber einmischen!", keifte ich zurück. Es frustrierte mich, dass dieser Mann Jisung schon wieder so fertig gemacht hatte und niemand etwas dagegen unternahm. Mr. Park tat so als sei Jisung durchgefallen, dabei hatte er einen Zweier-Schnitt erreicht, was wirklich gut war.

„Jungkook, ich werde mich ganz sicher nicht mit meinem Chef anlegen. Mr. Park verdanken wir es, dass wir alle hier so friedlich in Omelas leben können und wie er mit seinem Sohn umgeht, ist seine Sache."
Wütend funkelte ich meinen Vater an. Wieso war dieser bloß immer so passiv? Er hatte damals mitgeholfen Omelas zu erbauen und die rettende Energie Acritudo zu finden. Doch trotzdem tat er immer so, als habe Mr. Park all das ganz alleine geschafft.
„Sei froh, dass du keinen so strengen Vater hast und hör lieber auf, dich so anzustellen", murmelte er müde und fuhr sich durch das bereits leicht ergraute Haar.

„Manchmal wünschte ich, du würdest dich mehr für die Dinge einsetzen, die richtig sind. Oder dich einfach generell für irgendetwas einsetzen!", blaffte ich weiter und wusste im selben Moment, dass ich zu weit gegangen war. Energisch hob mein Vater den Kopf und sah mich fassungslos an.
„Sag mal, wie redest du eigentlich mit mir? So habe ich dich nicht erzogen!", fuhr er mich an und stand langsam auf. „Du möchtest, dass ich mich mehr einsetze? Fein, dann fangen wir doch mal mit dem Wald an. Ich habe dir bereits gesagt, dass ich nicht möchte, dass du dich dort herumtreibst und wenn du das nicht verstehst, dann hast du jetzt eben Hausarrest."
Ungläubig sah ich meinen Vater an, doch an seinem Blick konnte ich erkennen, dass er es ernst meinte.
„Und jetzt geh zu Bett, Jungkook, bevor du noch etwas Dummes sagst."

Mit diesen Worten lief er an mir vorbei in den Fahrstuhl unseres Hauses, welcher ihn in das nächste Stockwerk brachte. Zähneknirschend blieb ich zurück und ließ das Gesagte auf mich wirken.
Hausarrest? Wie sollte das denn funktionieren? Mein Vater war doch ohnehin den gesamten Tag arbeiten und bekam überhaupt nicht mit, was ich so trieb. Seufzend drehte ich mich um und verließ die Küche. Eigentlich verstand ich mich gar nicht so schlecht mit meinem Vater, aber diese ganze Sache mit Jisung machte mich jedes Mal so wütend. Wieso ließen Menschen zu, dass anderen Leid zugefügt wurde? Und ich war nur ein Jugendlicher... ich dürfte mich ohnehin nicht gegen einen Älteren auflehnen. Diese ganze Gesellschaft war doch einfach nur nervig.

Aufgewühlt ging ich durch den Flur. An den Wänden hingen mehrere Fotos. Hauptsächlich Bilder aus alten Tagen als Energy-Lodge erst gebaut wurde. Aber ganz selten hingen dort auch Familienfotos jedoch immer ohne meine Mutter. Sie starb als ich noch ein Baby war und ich konnte mich kaum an sie erinnern. Aber mein Vater wurde nach ihrem Tod immer mehr zu der Person, die er heute war. Deswegen fiel es mir  auch schwer, wirklich wütend auf ihn zu sein. Er musste meine Mutter sehr geliebt haben und nun, wo sie nicht mehr lebte, sah er keinen Sinn für Freude mehr.

Liebe war schon ein eigenartiges Konzept. Jemanden zu lieben musste etwas wahrhaftig Schönes sein, aber wenn sie einen auch zu so Etwas wie meinem Vater machen konnte, dann wollte ich sie nicht. Niemals könnte und würde ich zulassen, so leblos durchs Leben zu gehen, da war ich mir sicher. Und wenn es das war, wozu die Liebe fähig war, dann würde ich eben auf diese verzichten.

-

Am nächsten Tag wartete ich ungeduldig darauf, dass Miss Jung unsere Haushälterin endlich das Haus verließ. Mein Vater hatte sie tatsächlich darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich nun Hausarrest hatte und sie demnach ein Auge auf mich haben sollte. Aber wie jeden Tag ging sie gegen Nachmittag in den Supermarkt, um neue Lebensmittel zu besorgen und so stand ich bereits in den Startlöchern, als ich endlich das Geräusch der Haustür hörte, welche schwungvoll geschlossen wurde. Augenblicklich hechtete ich an das Flurfenster heran und beobachtete, wie sie das Tor unseres Grundstücks verließ und außer Sichtweite kam. Keine Minute später schloss auch ich die Haustür hinter mir und machte mich im Schnellschritt daran, den Rand der Stadt zu erreichen. Seit gestern Abend hatte ich nur noch an eines denken können und das war dieser seltsame Junge gewesen. Ich hatte noch vor Erreichen meiner Zimmertür beschlossen, dass ich diesen heute definitiv suchen würde, koste es, was es wolle.

Wer auch immer diese Person war, sie war nicht von hier. Und wenn sie nicht aus Omelas kam, woher kam sie dann?

Endlich erreichte ich den Wald. Der Gedanke, dass es vielleicht noch mehr da draußen gab als Omelas, ließ mich nicht mehr los und gab mir Hoffnung. Hoffnung auf ein Leben, welches vielleicht nicht schon komplett für mich vorbestimmt war.

Die Sonne stand bereits wieder tief am Himmel, wodurch die Bäume umso schattiger und gespenstiger wirkten, aber das hielt mich nicht auf. Lässig warf ich mir die Kapuze über den Kopf und joggte den Waldweg entlang. Ich hatte darauf verzichtet meine Schuluniform anzuziehen. Wofür auch, wenn ich erstmal Ferien hatte? Die meisten Schüler meiner Schule trugen ihre Uniformen auch in der Freizeit, um zu zeigen, dass sie auf die beste Schule Omelas gingen, aber ich fand diese einfach nur lästig. Mein Vater würde zwar die Hände überm Kopf zusammenschlagen, wenn er mich in diesem Jogginganzug in der Öffentlichkeit sehen würde, aber das würde jetzt auch nichts mehr ändern, wenn er wüsste, dass ich mich hier draußen aufhielt.

Schon bald hatte ich die Stelle erreicht, bei der ich gestern noch den Schmetterling entdeckt hatte und verließ wie am Vortag den Weg, um tiefer in den Wald zu gelangen, doch zu meiner Enttäuschung war die kleine Lichtung, auf der ich diesen Jungen gesehen hatte, heute leer. Wäre ja auch zu einfach gewesen, ihn hier direkt anzutreffen. Was hatte ich mir überhaupt dabei gedacht? Als ob er hier sitzen und mich schon freundlich erwarten würde. Gestern war er aus dem Nichts plötzlich verschwunden. Wahrscheinlich würde er nie wieder hierher zurückkommen. Niedergeschlagen trat ich auf die Lichtung und schlenderte ein wenig durchs Gras als mir plötzlich Etwas auf dem Boden liegendes ins Auge trat.

War das...?
Ich bückte mich etwas, um das kleine Wesen besser erkennen zu können und erschrak, als sich meine Vermutung bestätigte. Traurig blickte ich auf den toten Körper herunter, der erloschen im sanften Gras lag. Die Flügel des Schmetterlings, die gestern noch tanzend die Dunkelheit erhellt hatten, hatten ihr Funkeln verloren. Das eigentlich so besonders aussehende Insekt war nun nicht viel mehr als ein einfacher, gewöhnlicher Schmetterling, der seinen Zauber und viel mehr noch sein Leben verloren hatte. Der Gedanke machte mich traurig und nahm mir irgendwie jegliche Hoffnung.

Aber was hatte dafür gesorgt, dass er nun tot war? Gestern war er doch noch quicklebendig durch die Lüfte geflogen... wer also hatte ihn getötet?

Ein plötzliches Geräusch ließ mich zusammenzucken.

Moonchild {VKOOK}Where stories live. Discover now