Sechstes Kapitel • In Gedanken

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Die Vorbereitungen für die nahende Hochzeit, meine so ersehnte Vermählung mit dem schönen Titan, laufen unter Aufbietung höchster Anstrengung und bald schon wird dieses Fest nun keine Fantasterei meinerseits in ferner Zukunft mehr sein. Als Nachkomme des Castor-Geschlechtes ist es nahezu Titans Geburtsrecht noch im Sommer der Verlobung zu heiraten, Vorausplanungen sind da offensichtlich überflüssig: Die Vorbereitungen werden nur von den Besten der Besten des Landes getroffen und wer geladen ist, beugt sich diesem und hat zu erscheinen, ob ihm der Sinn danach steht oder nicht. Kein Grund also noch ein ganzes Jahr bis zur Hochzeit zu warten. Auch Bella und mein werter Cousin Rodolfus gedenken, den Bund der Ehe noch in diesem Jahr zu schließen, nur wenige Wochen nach Titan und mir. So schenkt uns der August, in all seinem goldenen Zauber, gleich zwei der rauschensten Feste des Jahres und glücklicher könnte ich darüber kaum sein. Schon morgen reist mein Bekleider an, in seinen dunklen Kutschen nichts als nachtschwarzer Tüll, finstere Seide, Maßbänder und Nadeln, um mich im eigenen Hause zu messen und ein Kleid zu schneidern, so schön, wie noch kein Manor in ganz England es je erblickt hat.
Und ein weiteres Ereignis hebt meine Sinne, stimmt mich fröhlich, wie ein kleines Kind. Die nächste Säuberung, das Tilgen des niederen Volkes vom Antlitz der Erde. Neben all dem dunklen Tüll, den Rosengestecken und ornamentverzierten Hochzeitseinladungen, vergesse ich manchmal zeitweise, dass ich eine der wenigen Auserwählten bin, die den Luxus genießen, ein normales Leben in Würde und Stolz zu erfahren. Denn wenngleich Alltag nicht im Geringsten das passende Wort für mein derzeitiges Leben ist, gilt dieses helle Glücksgefühl, was meine Tag- und Nachtstunden bestimmt, nur für die wenigsten in diesem Land. Bloß für die, die den dunklen Lord als den Vater aller sehen, als den, der Gerechtigkeit bringt, bloß für die, die auf der rechten Seite stehen, wissen, was höher und was nieder ist, sind diese Tage schön und gut. Denn während ich von Verlobung spreche, von Hochgefühl und dem schönen Titan, ist dort draußen kalter, blutiger Krieg. Menschen, geliebte Brüder und Schwestern, sterben, leiden, lassen ihr Leben im Kampf für das Gute. Es ist eine Schande, dass es so viele von unseren Leuten braucht, um den bösen Taten des Ministeriums ein Ende zu setzen. Es ist eine Schande, dass nicht erkannt wird, wer höher und wer nieder ist, wer es wert ist, zu leben, und wessen Blut schmutzig und dreckig ist. Manchmal habe ich das Gefühl, wir, die wir dem dunklen Lord gehören, sind die Einzigen, die urteilen, die sehen können, dass manche Zauberer und Hexen mehr wert sind als andere. Dass wir mehr wert sind als andere.

Meredith Lestrange 30. Juni 1978

6.

Der zweite Schultag an der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei begann für Hermine wie der vorige. Als sie an diesem Morgen die Augen aufschlug, geweckt von dem aufgeregten Geschnatter und Gelächter ihrer Schlafsaalgenossinnen, hätte sie nichts lieber getan, als sich die dicke, slytheringrüne Daunendecke einfach wieder über den Kopf zu ziehen. Die Ereignisse des letzten Tages hatten sie bis in die Träume verfolgt: Schemenhafte Bilder eines Todesser-Dracos waren vor ihrem inneren Auge aufgetaucht, dicht gefolgt von zwei dunklen Gestalten ohne Gesicht, die eine Urkunde, ähnlich der in McGonagalls Büro, vor Hermines Nase hin und her schwenkten.
Als hätte Hermine die Nacht zum Verarbeiten der neuen Informationen gebraucht und hinge nun noch immer in diesen fest, war es das Erste, was an diesem Morgen durch ihre Gedanken spukte. Sie dachte an ihr eigenes, dreckverschmiertes Ich, wie sie mit vom Unwetter nassen Klamotten und Haaren die steinernen Stufen zum hochgelegenen Büro der Schulleiterin empor gestiegen war, nur, um dort vorgelegt zu bekommen, dass sie nicht das Kind ihrer Eltern war. Erst jetzt, einen halben Tag später, fiel ihr auf, dass sie gestern, als sie das Büro von Professor McGonagall so in Eile und Wut verlassen hatte, vergessen hatte nachzufragen, ob sie die Papiere, die die Professorin so unvermittelt vorgelegt hatte, an sich nehmen durfte, nur um sie einmal durchschauen, sich Notizen zu machen, damit die Schulleiterin sie dann wieder an die zuständige Abteilung zurücksenden konnte. Und sie dachte an sich selbst, wie sie, regungslos und stumm, in dem Sessel in der Bibliothek gesessen hatte und versucht hatte zu lesen, nicht darauf zu achten, dass ein gewisser Slytherin neben ihr saß. Noch immer spürte Hermine Dracos Lippen dicht an ihrem Ohr, als er ihr verriet, wer ihre Eltern wirklich waren.

D e i n  S c h a t t e n  i n  m i r               • Dramione-Fanfiction •Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt