Kapitel 13 ~ Last

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„Es ist komisch, wisst ihr? Manchmal habe ich das Gefühl, sie könne doch noch sehen", flüstert Yeosang. Eine Weile lag über ihnen ein nachdenkliches Schweigen, nachdem sie sich aufgeweckt über Erlebnisse ausgetauscht hatten, welche sie getrennt voneinander gemacht haben. „Aber das ist alles nichts weiter als Humbug."

Enttäuscht seufzt Yeosang. Nichts wünscht er sich sehnlicher als die Rückkehr von Sefias Augenlicht.

„Sie ist der Hauptgrund, weshalb ich mein Bestes tat, mich kaum äußerlich zu verändern."

Wieso konnte er ihr damals nur nicht helfen? Sofort hätte er ihr nachrennen müssen. Doch er zögerte. Seit drei ganzen Jahren kreist diese eine Frage in seinem Kopf herum: Ist es seine Schuld, dass es so endete?

„Nur noch meine Verzweiflung hält die Hoffnung aufrecht, alles werde irgendwann wieder normal."

Hätte er nicht versagt, wäre es jetzt anders. Besser. Sefia lässt es sich zwar nicht anmerken, dass sie ihre Sehkraft vermisst, doch er weiß es. Jeden Morgen sieht er in ihre blassen Augen, welche einst so dunkel waren. Wie nimmt sie diese Momente wohl wahr? Nie traute er sich, danach zu fragen.

Zweimal spürt Yeosang kurz aufeinanderfolgend, wie sich ein Gewicht um seine Schultern legt. Es handelt sich um die Arme seiner Freunde, die nun überkreuzt übereinander liegen. „Oft bekomme ich auch dieses Gefühl. Sie weiß immer, wo ihr Blick gerade gefragt ist", unterstützt Wooyoung seine Aussage.

Auf Yeosangs Lippen bildet sich ein trauriges Lächeln. Irgendetwas versucht ihre Sehkraft zu ersetzen, da ist er sich sicher. Was genau es ist, konnte Sefia selbst noch nicht herausfinden. 

Aber es ist nicht genug. Es kann nicht genug sein.

Besonders nachts bemerkt er das oft. Sobald die Leuchtkörper am Himmel strahlen und ihr Licht durch das Fenster in das gemeinsame Schlafzimmer der beiden fällt, schweift Sefias Blick dorthin ab. Wenn er sie dabei beobachtet, erkennt er jedes Mal die Sehnsucht, welche sie danach hat, alles so wunderschöne wieder tatsächlich erblicken zu können.

„Dich macht es fertig, es nicht abgewandt zu haben, nicht wahr?", vermutet San und umgreift zusätzlich die Hand seines Freundes. „Bitte gib dir nicht die Schuld, niemand hätte es verhindern können." Woher weiß er nur, wie er sich fühlt? Noch nie hat Yeosang mit jemandem darüber gesprochen. Und doch kennt jener sich aus.

„Du hast dein absolut Möglichstes getan. Ohne dich wäre etwas viel Schlimmeres passiert", fügt San abschließend hinzu und lächelt ihn ermutigend an. Er scheitert nie, seine Freunde aufzuheitern. Seine Empathie hilft ihm dabei, herauszufinden, was ihnen gerade fehlt.

„Danke", krächzt Yeosang heiser und wendet seinen Kopf ruckartig nach unten. Zum ersten Mal seit so langem fließen ihm unaufhaltsam einige Tränen die Wangen hinunter. Dieser Schwall an Gefühlen staute sich über eine große Zeitspanne hinweg tief in ihm an und bricht nun über ihn herein.

Zügig zieht Wooyoung ihn in eine enge Umarmung, während San ihm den Rücken tätschelt und mit seinem Daumen über den Handrücken streicht.

„Lass es raus", haucht Wooyoung, „du kannst nicht immer nur alles in dich hineinfressen. Das ist ungesund." Während sein Kindheitsfreund mit dem Kopf in seiner Halsbeuge nickt, wirft er San einen bittenden Blick zu - jener sollte sich diese Aussage genauso zu Herzen nehmen. Beide haben einen Hang dazu, zu viel Last auf sich selbst zu laden.

Gerade hat Yeosang auch die letzte Feuchtigkeit in seinem Gesicht mit dem Ärmel aufgewischt, da klopft es an der Tür. Nach einer Aufforderung wird sie bedacht aufgedrückt und es erscheint Seonghwa dahinter. Er strahlt breit und seine Aufmerksam hängt weiterhin im Flur. „Es gibt Mittagessen. Das Frühstück fiel immerhin relativ karg aus", teilt er ihnen abgelenkt mit und lässt die Tür für sie offenstehen. Sofort ertönt vom Gang eine zweite Stimme, welcher Seonghwa antwortet. Ihr Gespräch wird schon bald von ihrem Kichern unterbrochen, welches mit jeder vergehenden Sekunde dumpfer wird.

Aufgrund des Vorschlags von Wooyoung wäscht Yeosang sich kurz mit kaltem Wasser über das Gesicht, bevor sie sich gemeinsam auf den Weg in den unteren Schiffsbauch machen. Dort warten bereits die Meisten und sie lassen sich auf ein paar der wenigen freien Plätze nieder. 

Yeosang haucht Sefia als Begrüßung einen sanften Kuss über das Ohr, woraufhin sie glücklich strahlt und ihre Hände miteinander verschränkt. Auch Aurea durchströmt eine riesige Freude, als sie aus dem Augenwinkel die liebevollen Gesten mitbekommt, die sie austauschen. Eigentlich redet Wooyoung, welcher neben ihr sitzt, nämlich mit ihr. Da nichts davon zu ihr durchkommt, nickt und lächelt sie einfach, sobald er ausgesprochen zu haben scheint. 

Mehr oder weniger unbewusst schwankt ihr Blick wieder zu dem Paar - sie gehören einfach zusammen. Bereits aus der Ferne erkennt man, dass sie sich lieben, die wichtigsten Menschen füreinander sind. Bei dem Gedanken daran wird Aurea plötzlich warm. Ihr schießen die Worte ihrer Mutter durch den Kopf, die sie erst vor einigen Minuten las. Wie aus Reflex schweift ihr Blick ein weiteres Mal ab. Doch dieses Mal sieht sie ganz schnell weg.

„Da sind wir ja endlich", ruft Wooyoung sarkastisch. Damit meint er seinen Reisegefährten, welcher gerade den ebenen Boden erreicht. „Und wo hast du deine neue Zimmerpartnerin gelassen?" Genervt rollt Jongho mit den Augen und verpasst dem Anderen einen Schnipser auf den Hinterkopf, sobald er neben ihm angekommen ist.

„Meliana möchte nichts essen, der Versuch, sie zu überreden, war vergeblich", erklärt Jongho laut für alle. Irgendetwas flüstert er daraufhin Wooyoung ins Ohr, was jenen anscheinend nicht erfreut; zumindest lassen sein mürrischer Gesichtsausdruck und seine geballte Faust darauf schließen. Jongho hingegen wirkt stolz und zwinkert Aurea verschmitzt grinsend zu, als sie kurz zu ihm hinübersieht. Wie hielten die Zwei es nur so lange miteinander aus?

„Dieser Vorfall muss ihr Verhalten wirklich stark beeinflusst haben", murmelt Ebony am anderen Ende des Tisches. „So richtig herzlich war sie zwar noch nie, aber dermaßen abweisend definitiv auch nicht." Das vermutet Aurea auch. Bestimmt ist Meliana eigentlich ganz nett, doch irgendetwas versucht, ihr ihre letzte Wärme zu nehmen.

„Wir werden es herausfinden. Sicherlich kann uns Áki Ensom dabei helfen", erwidert Hongjoong und stupst Ebony aufmunternd an. Hoffentlich liegt er richtig. Allerdings ist nicht nur das der Grund, weshalb Aurea sich das Treffen herbeisehnt.

Vielleicht weiß dieser Áki etwas über ihre Mutter. Wenn ihr Vater ihn über ihren schlechten Zustand informieren wollte, muss er eine Verbindung zu ihr haben. Egal welcher Art sie auch sei, Aurea möchte ihn unbedingt kennenlernen.

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Könnt ihr Yeosangs Gefühle nachvollziehen? Wie hättet ihr an Sans oder Wooyoungs Stelle auf diese Situation reagiert?

Das nächste Kapitel mal etwas früher als sonst. Eigentlich hätte ich mit der Veröffentlichung bis Samstag gewartet, da ich letzte allerdings letzten Donnerstag hochlud, ist das okay so (außerdem sind des Öfteren Updates ausgefallen & das soll als eine Wiedergutmachung dienen ;-; ). Also dann, vielleicht hört ihr schon am Wochenende wieder von mir, wenn diVeRsE eXtErNe fAkTorEn mitspielen.

Passt auf euch auf ✨

[29.06.2020]

❀ endless questions ² || ATEEZWhere stories live. Discover now