Kapitel 22 ~ Akzeptanz

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„Und wir kommen heute echt an?", erkundigt sich Aurea und legt ihren Kopf in den Nacken, um ihr Gegenüber ansehen zu können. Sie ist aufgeregt, denn heute ist der Tag, an dem sie zum ersten Mal ihre Füße auf fremden Boden setzen wird. Also richtig fremden Boden, nicht nur in einer benachbarten Stadt. Sondern in einem anderen Land, sogar auf einem anderen Kontinent.

„Na logo", antwortet Mingi gut gelaunt und zwinkert ihr zu. „Dank Käpt'n Hong war's möglich. Der hat so viele Nachtschichten hingelegt, dass wir fast doppelt so schnell da sind wie geplant."

Seine gute Laune ist auf einmal wie verflogen. „Frag mich bloß, was ihn dazu bewegt hat", sagt er düster. Aurea zuckt bei Mingis Worten zusammen. Sie kennt den Grund. Glaubt sie.

„Ich könnte das nicht. Irgendwann ist auch mal gut, man kann nicht nur immer auf dem Sprung sein", redet er ohne Umschweife weiter. „Ein normaler Mensch zumindest nicht. Hong hat sich noch nie längere Pausen gegönnt. Er hält zwar immer ein paar Nickerchen, wenn Woo, Jjong oder ich das Schiff steuern, aber viel mehr als fünf Stunden Schlaf am Tag sind das nicht."

Das hat Aurea auch bemerkt. Hongjoong ist meistens müde, und sobald er einen Moment zu lange sitzt oder liegt, schläft er auch schon. Seit das mit den Nachtschichten rausgekommen ist, hat Mingi - missmutig und irgendwo auch enttäuscht - beschlossen, dass er und die anderen beiden sich tagsüber abwechseln, und sie haben alle drei fest beschlossen, Hongjoong tagsüber nicht einmal ans Steuer zu lassen, selbst wenn er versuchen sollte, es ihnen aus den Händen zu reißen.

Zum Essen legen sie meistens irgendwo an, befestigen das Schiff an irgendeinem Baumwipfel oder landen, wenn es einen versteckten und ausreichend großen Platz gibt. Wenn das nicht klappt, versammeln sie sich mittags nur zu zehnt im Speisesaal: Yunho leistet Mingi Gesellschaft und Meliana isst eigentlich gar nicht mehr mit. Abends teilt sich die Gruppe: Die einen essen etwas früher mit Hongjoong, die anderen später mit Wooyoung, sobald er nach seiner Schicht zu ihnen stößt. Noch vor Sonnenaufgang frühstückt Jongho alleine und löst dann Hongjoong ab.

„Dabei hat er doch Ebony! Vor drei Jahren, da hat er sich - für seine Verhältnisse - ausreichend erholt und sich sogar noch Zeit für sie genommen. Sie haben auch viel geredet und gelacht miteinander, weißt du?", erzählt Mingi und Aurea wird ganz anders, als sie ihm zuhört. „Jetzt wechseln die kein Wort mehr. Ist dir das auch aufgefallen? Sitzen nebeneinander und verhalten sich wie zwei, die sich nicht kennen."

Mingi seufzt, dann verstummt er. Er weiß zwar nichts mit Sicherheit, doch er ahnt es ganz sicher schon, weil er Hongjoong kennt. Seit Jahren.

Die Gruppe fand sich zusammen, als sie alle gerade volljährig geworden waren oder es bald wurden, sie entkamen gemeinsam dem Militärdienst und schlugen sich - offiziell als Händler - durch. Viel mehr weiß Aurea nicht über die Zeit damals. Mit aller Sicherheit nur, dass das kein Leben für sie gewesen wäre.

„Du hast schon recht", entgegnet Aurea nun endlich. Sie war so perplex, dass seine Frage nur langsam bei ihr durchgesickert ist.

„Wenn das nicht besser wird, spreche ich Hong drauf an. Wie ich ihn kenne wird er erst verlegen irgendwas wie ,Du täuschst dich! Mir geht's gut, wie immer! Kümmer dich nicht um mich!' antworten" - Mingi trifft dabei genau Hongjoongs Tonfall - „Und dann wird er seine Augenbrauen zusammenziehen und sich irgendwo verkriechen, damit er ja nicht über seine Gefühle reden muss." Dieses Mal ist Mingis Seufzen noch lauter als zuvor. „Einem von uns jüngeren hat er eh noch nie was anvertraut. Nur Hwa kam manchmal an ihn ran", murmelt er finster.

„Er hat schon öfter was in sich reingefressen?", fragt Aurea nach und wagt zum ersten Mal, wieder zu Mingi hinaufzusehen. Vorher starrte sie verzweifelt zu Boden - sie musste ihn ja halb anlügen! -, aber komfortabler war es so auch, wenn sie darüber nachdenkt. Weil sie am Fuß des Steuerrads sitzt, muss sie ihren Kopf schon gewaltig in den Nacken legen, um überhaupt was von ihrem Gesprächspartner sehen zu können. Klein ist er ja auch nicht.

❀ endless questions ² || ATEEZWhere stories live. Discover now