❀ endless questions ² || ATEEZ

Kapitel 23 ~ Selbstverständlichkeit

»Numen straft die Tollkühnen«, nuschelt Aurea und umfasst den Metallgriff, um an der Türglocke zu läuten.

Sie ist alleine hier, vor Áki Ensoms Haus. Schon bei der letzten Besprechung, bevor alle bis auf Sefia, Yeosang und Hongjoong das Schiff verlassen haben, hat Aurea von sich aus darum gebeten. Jetzt möchte sie am liebsten umkehren und San, Seonghwa oder Freya holen, damit einer der drei mit dem Hausherren sprechen und sie selbst sich hinter ihnen verstecken kann.

»Doch Numen stärkt die Mutigen«, erinnert Aurea sich an den nächsten Vers der Glaubensschrift und setzt den Mechanismus in Gang. Egal, was passiert, sie wird schon damit klarkommen. Irgendwie, hoffentlich.

Schnelle Schritte nähern sich auf der anderen Seite der hellen Holztür und Aureas Herz passt sich an den zügigen Rhythmus an - jetzt ist es soweit. Sie kann es kaum noch erwarten und ihre Vorfreude verdrängt ihre Sorgen. Als das Schloss klackt und die Scharniere quietschen, stellt Aurea sich aufrecht hin und versucht, freundlich zu lächeln.

»Aaaahöj~[Hallihallo~]«, begrüßt sie eine fröhliche Stimme, die zu einem ebenso fröhlichen Gesicht gehört. »Wemm'er dou, haaa? [Wer bist'n du, hmm?]« Die Person öffnet die Tür noch weiter und grinst Aurea an, die Augen voller Neugier. Wäre die Sonne ein Mensch, dann sähe sie ganz sicher genau so aus. Alles an der Person ist warm: Die Ausstrahlung, die dunkelbraune Haut, die hellen Locken und sogar auf der Kleidung findet sich nicht ein einziger Klecks eines kühlen Farbtons.

»Midd Navem Aurea Cesepian... ähr. Aino Cesepianeh, eh Dahddr ähm [Mein Name... ist Aurea Cesepian. Ich bin die Tochter von, von Aino Cesepian]«, stottert Aurea und ihre glühenden Wangen fangen förmlich an zu brennen, als sie sieht, wie das Strahlen ihres Gegenübers mit jedem Wort breiter wird. Er lehnt sich locker gegen den Türrahmen und wartet aufmerksam darauf, dass sie weiterredet. Er? Aurea ist sich nicht sicher, einerseits ist sies Statur eher männlich, andererseits ist sies ganzes Auftreten ziemlich androgyn. Wooyoung hat ihr erzählt, dass es in Aroure nicht so strenge Geschlechterrollen gibt wie bei ihnen Zuhause und dass viele Leute sich als nicht-binär identifizieren. Hätte er ihr das nicht erzählt, wüsste sie gar nichts darüber und auch nicht, dass es für Menschen noch andere Pronomen gibt als sie und er. Also ist sier zumindest für den Moment treffender, um sien nicht in irgendwelche Schubladen zu stecken, und sollte es sich irgendwann ergeben, kann Aurea immer noch nach sies Geschlechtsidentität fragen. »Tellous-Tektoniskplaat frah comm [Ich komme vom Kontinent Tellous.]«, sagt sie schließlich.

»Aurea? Ainos Tochter und von Tellous?«, versichert sich die Person im Türrahmen ganz aufgeregt - und verwendet anscheinend Aurea, oder sies eigenen Ohren, zuliebe die Einheitssprache Togethro. »Das ist ja DER WAHNSINN! Ich bin Alexis! Dein Couse!« Sier springt Aurea regelrecht an und drückt sie fest. »Papp ist der Bruder deiner Mamm«, plappert sier weiter und zieht Aurea in das helle Haus, bevor sie irgendwelche Fragen stellen kann. »Wir haben uns das letzte Mal vor neunzehn Jahren oder so gesehen«, erzählt sier freudig. Das ist die Zeit, die Aurea nicht genommen wurde, aber viel älter als zwei oder drei war sie wahrscheinlich nicht und sie kann sich überhaupt nicht erinnern.

»Du siehst auch genauso aus wie auf dem Bild, das wir haben!«, ruft Alexis aus, sobald Aurea ihre Schuhe abgelegt hat und sier sie genauer ansehen kann. »Papp hat im Atelier ein Bild von deiner Mamm hängen, du bist ihr echt wie aus dem Gesicht geschnitten... bloß halt farblich irgendwie... gespiegelt?« Sie... sie ähnelt ihrer Mutter wirklich so sehr? All die Jahre hat Aurea sich gefragt, wie Aino aussah und jetzt erfährt sie, dass sie nur in den Spiegel schauen braucht?

»Also heißt dein Vater Áki Ensom?«, besinnt sich Aurea auf das, weshalb sie eigentlich hier ist. Anfangs hat sie es einfach akzeptiert, dass ihr Vater sie von der Welt abgeschottet hat, doch mittlerweile macht es sie wütend: Sie hat noch Familie, die ihr auch noch mehr über ihre Mutter erzählen hätte können, wenn Aurea schon eher von ihnen gewusst hätte.