Epilog

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Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Genau genommen, wenn ich alles so viel hätte wie Zeit, wäre ich ein glücklicher Mann gewesen. Aber das war ich nicht. Vor allem in der ersten Zeit nach meiner Rückkehr. Es war schwer, mich an den immerwährenden Schein meiner Haut zu gewöhnen, an das sanfte Glühen, das von den anderen Engeln um mich herum ausging. Sie waren keine Menschen, und alles an ihnen machte mir das klarer.

Ich haderte mit meinem Schicksal. Als ich den Engel sah, der mich abholte - Delia, eine zarte Frau mit goldenen Haaren, die sie sich zu komplizierten Flechtfrisuren hinter dem Kopf zusammensteckte -, hatte ich für einen kurzen Moment die Hoffnung, das wäre wirklich das Ende, ich wäre tot, für immer und ewig. Aber das stimmte natürlich nicht.

Nachdem Liora Tom angegriffen hatte, tat ich, was ich zu tun hatte. So gut das Training mit Dumbledore war, so überraschend war Lioras Reaktion in diesem Moment. Sie hatte Duelle nie wahnsinnig spannend gefunden. Ich hatte keine Chance, meinen Geist zu verschließen und anders zu reagieren, als ich es tat.

Tatsache war, dass ihr Blut an meinen Fingern klebte. Wäre sie nicht da gewesen, hätte die Situation unter Umständen glimpflich ausgehen können. Nach einiger Zeit verwarf ich diesen Gedanken. Wem machte ich etwas vor? Dann wäre jemand anders aus dem Orden gekommen und wäre an ihrer statt gestorben. Hätte ich weiterhin tatenlos zugesehen, hätte ich mich nachher vor dem gesamten Orden verantworten müssen, weshalb ich nichts gegen unseren großen Feind unternahm.

Der einzig tröstende Gedanke, den ich hatte, war, dass Tom Riddle nun prinzipiell bekämpfbar war. Wenn jemand etwas über die Horkruxe herausfand, war es nur noch eine kleine Suche und ein kleiner Kampf. Tom war nicht sonderlich erfinderisch im Kampf. Er beließ es bei wenigen, aber kraftvollen Zaubern. Für jemanden mit ein bisschen Geschick würde es ein Leichtes sein. Und das stimmte mich zuversichtlich. All die Zeit hatte ich mehr oder weniger nur im Weg herumgestanden. Tom hätte nicht erledigt werden können, ohne mich vorher zu erledigen. Das wusste ich. Wenn ich den Frieden der globalen Zauberergemeinschaft mit meiner ewigen Existenz bezahlen musste, dann tat ich das, nahm diese Aufgabe gern an.

Trotz allem ließ ich es mir nicht nehmen, ein Auge auf meine verbliebenen Freunde zu werfen. Jacques und Zoe bekamen zwei weitere Kinder, ein Mädchen und einen Jungen. Myriam und, ich war gerührt, Noel. Myriam spielte mit Vorliebe mit kleinen Steinen, die sie im Garten hinter dem Haus gefunden hatte. Einmal, als ihr Lieblingsstein verschwand, durfte ich seine "Seele" mit ein bisschen Überzeugungsarbeit abholen.

In Wahrheit setzte ich mich nur für einige Zeit in ihr Kinderzimmer und schaute ihr beim Spielen zu. Ich wusste, dass sie mich eigentlich nicht sehen konnte, aber einmal schaute sie in meine Richtung und lächte ein zuckersüßes Kinderlächeln. Ihr Zimmer roch nach Orangen.

Mit Schrecken verfolgte ich den Aufstieg von Tom und seinen Anhängern in England. Mehr und mehr Menschen versammelten sich in seinen Reihen, und ebenso rapide wuchs die Zahl seiner Opfer. Erst, als sich das vollkommene Grauen der Todesser entfaltete, wurde mir bewusst, dass ich im richtigen Moment gegangen war. Jemand musste ihn besiegen. Bald.

Umso gebannter verfolgte ich den Werdegang des jungen Regulus Black, der sich von einem der treuesten Anhänger Toms zu einem seiner gefährlichsten Feinde wandelte. So edel sein Vorhaben, so sehr war es gleichsam zum Scheitern verurteilt. Tom Riddle war niemand, den man allein besiegen konnte - auch die Hilfe eines noch so loyalen Hauselfen reichte nicht aus.

Regulus war ein schweigsamer junger Mann. Die kurze Zeit, die wir miteinander verbrachten, reichte nicht aus, um ihm gegenüber meine Dankbarkeit auszudrücken und zu begründen. Für ihn, oder vielmehr für seine Seele, war ich höchstwahrscheinlich nur irgendein Typ, der wie besessen von Tom Riddle erzählte, von dem er ja nun wirklich genug gehört hatte.

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