Die Schwierigkeit, Worte zu finden [Edward King]

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Wann hatten Worte angefangen, nutzlose kleine Biester zu werden, die, sobald man mal kurz nicht aufpasste wie ein Luchs, einen sofort piesakten und in Formen auftraten, die man eigentlich aus seinem Kopf verbannt hatte? Wann hatten Worte aufgehört, Freunde zu sein, kleine Gehilfen, mit denen man sich verständigen, seine Gedanken und Gefühle ausdrücken konnte? Wann hatte er angefangen, sich zu fürchten, wenn er allein mit sich selbst war – ohne seine Eltern oder ohne seine lauten Brüder? Wann hatte überhaupt alles angefangen, so dermaßen aus dem Ruder zu laufen, dass er das Gefühl hatte, jegliche Kontrolle zu verlieren?

War es an dem Tag gewesen, als ihm mit einem Schlag klargeworden war, dass er alles Mögliche war, nur nicht heterosexuell? War es an dem Morgen gewesen, als der Rothaarige mit nichts weiter bekleidet als einer Unterhose, die so eng anlag, dass er sie auch hätte weglassen können, ins Bad gestiefelt war und er selbst zum ersten Mal gemerkt hatte, dass er diesen Anblick wesentlich ansprechender fand als die Mädchen, die sich ständig in seinem Bett räkelten? War es an dem Abend gewesen, an dem er, betäubt durch den Alkohol, seine Gefühle nicht länger im Griff hatte und ihn geküsst hatte – er weigerte sich eigentlich, diese Handlung als Küssen zu bezeichnen, er musste viel zu betrunken gewesen zu sein, um wirklich zu küssen? Oder war es am Morgen danach gewesen, als sein bester Freund ihn mit ungeahnter, ihm bis dahin unbekannter Härte befohlen hatte, zu seinen Gefühlen zu stehen und er genau wusste, dass er dieser Bitte nie würde nachkommen können?

Ryan stellte sich das alles zu einfach vor. Auch, wenn er es am Anfang seiner Schulzeit sicher auch nicht einfach gehabt hatte, lebte er doch dann wohl ziemlich wohlbehütet bei seiner Tante und Noel war es sowieso vollkommen egal, wer neben Ryan aufwachte und in seiner Küche am Tisch saß.

Für Edward war das wesentlich komplizierter. Vor allem, seit Isaac eine feste Freundin hatte und diese überglücklich mit nach Hause gebracht hatte, sah sie ihn manchmal mit einem Blick an, der ihn sowohl tadeln als auch dazu animieren sollte, seinem älteren Bruder nachzueifern. Hatte er es in Betracht gezogen, sich einfach das erstbeste Mädchen in Hogwarts zu schnappen, das ihn noch nicht vollständig verabscheute? Mehrfach. Hatte er diesen Gedanken innerhalb weniger Sekunden wieder verworfen, weil er sich dabei so lächerlich vorkam, weil ihm das alles so absurd erschien und er sich einfach nicht vorstellen konnte, sein Leben so zu verbringen.

Und deshalb hatte er einen Entschluss gefasst.

Er würde es seinen Eltern nicht sagen, noch nicht. Er würde damit warten, bis einer seiner älteren Brüder Vater geworden war und seine Eltern sich demnach nicht mehr fürchten mussten, für immer enkellos und einsam zu bleiben. Aber er musste es der Person mitteilen, die es betraf. Er musste wenigstens versuchen, Ryan seine Situation zu erklären.

Aber um sich mitzuteilen, musste er wohl oder übel Worte benutzen, diese kleinen Monster, die ihm gegenüber einfach nicht mehr ihren Wert, ihre Bedeutung offenbaren wollten. Er wollte ja noch nicht einmal eine Rede vorbereiten oder dergleichen, aber er wusste, dass er einfach nur stillschweigend an die Hauswand starren würde, wenn er sich nicht wenigstens grob vorher überlegte, was er eigentlich sagen wollte – wie er es eigentlich sagen wollte – was er eigentlich erreichen wollte.

Aber da kam er schon zu seinem zweiten Problem. Was wollte er eigentlich erreichen? Wie wollte er nach diesem Gespräch Little Hangleton wieder verlassen? Wollte er als Feind gehen, als Geliebter, als Freund, als Partner? Noch nie in seinem Leben hatte er sich so überfordert, von allem überrannt gefühlt, aber er wusste, dass die Situation sich kaum verbessern, eher noch verschlimmern würde, wenn er nie über seinen eigenen Schatten sprang und zu dem stand, was er in den letzten Wochen und Monaten über sich selbst herausgefunden hatte. Edward King war schwul.

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