Neuanfang [James Ryan MacParkstone]

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Der Tag war gekommen. Ein schrecklicher Tag. Aber vor allem ein einsamer Tag. Mit einem letzten zweifelnden Blick sah sich der Rothaarige im Büro des Schulleiters um, bevor er in den grün glühenden Kamin stieg und per Flohpulver zum Haus seiner - nun - nicht mehr lebenden Tante reiste.

Irgendwie hatte er erwartet, das Haus würde ganz anders aussehen, doch das tat es entgegen jeglicher seiner Vorstellungen nicht. Die schneeweiße Fassade des Hauses hatte sich nicht verändert, und sogar die Pflanzen, die seine Tante mit Begeisterung gezüchtet hatte, standen auf den Fensterbrettern, als wäre immer noch alles gut.

Als er nach einigem Zögern dann jedoch das Haus betrat, ließ sich die Veränderung nicht länger verschleiern, schon im Hausflur war die Luft abgestanden, schließlich war seit mehreren Tagen nicht gelüftet worden. Bedächtig schritt er jeden einzelnen Raum des Hauses ab, in dem er die letzten paar Jahre verlebt hatte. Er wollte in jedem Zimmer so viele Erinnerungen an seine Tante wieder aufleben lassen wie nur irgend möglich.

In der Küche hatte er das Bild vor Augen, wie er verängstigt das erste Mal ihr Haus betreten hatte, obwohl er sie vorher kaum gekannt hatte. Sie war die Schwester seiner Mutter und sein Vater hatte ihm, besonders nach dem Tod seiner Mutter, den Kontakt zu jeglichen Verwandten seiner Mutter verboten. Er hatte sie nur als Kind ein paar Mal auf den Geburtstagen seiner Mutter gesehen. Seine Tante, Catherine hatte sie geheißen, hatte ihm einen riesigen Teller voller Pfannkuchen gemacht und darauf bestanden, dass er sie alle aufaß.

Sie hatte in den Jahren, die er bei ihr verbringen durfte, seine seelischen Wunden geheilt und aus dem psychischen Wrack, das er war, wieder einen halbwegs vernünftigen jungen Mann gemacht - wäre da nicht das Problem, dass seine Gefühle dem offenbar völlig Falschen galten.

Unwillkürlich fühlte er sich an die Nacht erinnert, in denen die zwei Mädchen bei ihnen im Schlafsaal gewesen waren. Edward, ganz der Charmeur, der er nun einmal war, hatte sofort sein Bett an Zoe abgetreten und war auf den Bettvorleger umgezogen. Doch nachdem Anthony seine allnächtliche Zigarette geraucht hatte, hatte er das Fenster vergessen zu schließen und im Zimmer war es so kalt geworden, dass nicht einmal der härteste Gryffindor es auf dem Fußboden ausgehalten hätte. Und am nächsten Morgen, als der Rothaarige ahnungslos in seinem Bett aufwachte, fand er niemand Geringeren neben sich als den Jungen, für den seine Gefühle brannten.

Mit heißen Wangen und klopfendem Herzen zwang er sich, wieder in die Realität zurückzukehren. Er lag nicht mehr mit seinem Geliebten in einem Bett. Er stand im Haus seiner verstorbenen Tante, um seine letzten Habseligkeiten herauszuholen - allein.

Im Wohnzimmer lag der Staub schwer auf allen Möbeln, als sei das Haus seit Monaten schon nicht mehr geputzt worden. Die alte Standuhr schlug beständig jede Sekunde ihr monotones Ticken, und der teure Holzfußboden knarzte bei jedem Schritt.

Wenn er ehrlich zu sich war, musste er sich eingestehen, keinen blassen Schimmer zu haben, was er aus diesem Haus holen sollte. Er hatte schon nichts weiter besessen, als er hierher gezogen war - lediglich einige wenige Bücher und die Kleidung, die ohnehin in seinem Schulkoffer war. Ruhelos stromerte er durch jeden Raum, bis er sich schließlich entschloss, ein Fotoalbum einzupacken, von dem er nicht einmal wusste, was für Bilder sich darin befinden mochten.

Mit schweren Schritten und dem Fotoalbum in seiner Tasche verließ er das Haus und machte sich auf den Weg zum Friedhof des kleinen Städchens Godric's Hollow, in dem er mit seiner Tante gelebt hatte. Etwa ein Dutzend Zauberer standen vor den Toren des Friedhofs, doch keinen einzigen davon kannte er - vermutlich waren das alles Arbeitskollegen seiner Tante. Während der Zeit, in der er bei ihr gewohnt hatte, hatte sie nur sehr selten Besuch empfangen.

Als der Pfarrer schon mit der seiner Rede angefangen hatte, bemerkte Ryan noch einen weiteren Mann, der aus dem Schatten der Bäume herausgetreten war. Er trug einen schwarzen Mantel und einen schwarzen Hut, dessen Krempe ihm ins Gesicht hing, doch es bestand absolut kein Zweifel an der Identität des Mannes: es war Professor Dumbledore.

Kind Des HimmelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt