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Mir sollte klar sein, dass kein Glück für immer hält, doch in den nächsten paar Tagen, kommt es mir so vor. Noe und ich verbringen jede freie Sekunde zusammen und beginnen sogar Spaß daran zu haben, vor Paparazzis wegzurennen.
Die Tatsache, dass wir tatsächlich zusammen sind, erleichtert mein Gewissen. Mein Leben fühlt sich nicht mehr wie eine wandelnde Lüge an, unsere öffentlichen Auftritte fallen mir viel leichter und zusammengefasst, bin ich wirklich glücklich.
Noe ist nicht die Art von Freund, die sich um mich kümmert und mich beschützt und darum bin ich auch froh. Ich kann alleine stark sein - ich brauche keinen Jungen der das für mich übernimmt. Aber viel eher haben wir Spaß zusammen, ziehen und unaufhörlich gegenseitig auf und führen oftmals lange Gespräche, bis tief in die Nacht hinein.
Obwohl nicht einmal eine Woche seit dem Ball vergangen ist, lässt sich auch bei meinem Freund eine Veränderung erkennen. Es passiert ganz langsam, wie eine kleine Leuchte in seinem Gesicht, die jeden Tag ein wenig heller gedreht wird, aber nach und nach erkenne ich es deutlich: all der Schmerz, all die schlechten Erinnerungen und die Lasten seines harten Alltags scheinen aus seinen Augen zu weichen.
Jemandem, der ihn nicht persönlich kennt, würde es nicht einmal auffallen, doch ich sehe es von Tag zu Tag mehr und es macht mich unbeschreiblich froh.
Noe hatte es nie leicht. Auch wenn er es nicht gerne zugibt gibt es viel, was ihn belastet. Aber zu wissen, dass ich ihn auch nur ein wenig erleichtern kann und ihm sein Leben ein wenig schöner mache, erfüllt mich mit Glück.

Leider hält diese perfekte Blase kürzer, als ich gehofft habe. Nur vier Tage nachdem wir zusammengekommen sind, passiert etwas ziemlich unerfreuliches.
Ich liege in meinem Zimmer auf meinem Bett, einen Laptop auf den Knien und Kopfhörer auf den Ohren.
Noe ist nicht da, also habe ich nichts wirklich zu tun.
Zuerst höre ich das Klopfen an meiner Zimmertür kaum, doch nachdem es mehrmals wiederholt wurde, schiebe ich meine Kopfhörer ein Stück zurück. »Ja?«
Die Tür öffnet sich und James tritt mit einem höflichen Lächeln ein. »Miss Collins, Sie haben einen Gast.«
Kurz nicke ich und der Buttler tritt zur Seite.
Augenblicklich hellt sich mein Gesicht auf. »Mike!« Rasch schiebe ich den Laptop von meinem Schoß und springe auf.
Mein bester Freund kommt rein und umarmt mich lachend. »Hey April, schön dich mal wieder zu sehen.«
Es stimmt, wir haben uns beinahe eine Woche nicht gesehen und in Anbetracht der Tatsache, dass wir drei Jahre zusammen gelebt haben, fühlt sich das an, wie ein ganzes Jahrzehnt.
»Tut mit leid, ich hätte dich anrufen sollen.« Hektisch fahre ich mir durch die Haare und lache etwas überfordert. »Ich wusste nicht, dass du kommst! Es ist schön dich zu sehen, wie geht es dir?«
»Ganz gut«, antwortet er belustigt. »Obwohl mir der Türöffner Typ ein wenig Angst macht. Bist du sicher, dass er ein Mensch ist?«
»James? Nein, ich bin sogar ziemlich überzeugt er wurde im Labor erschaffen. Vielleicht der Beginn einer neuen, fortschrittlicheren Generation.«
»Keine Welt in der man leben möchte.« Mike schüttelt sich kurz, als wollte er die Vorstellung abwehren. »Wie auch immer, ich bin hier um dich zu entführen. Wir beide waren schon viel zu lange nicht mehr zusammen in einer Shopping-Mall oder im Kino! Also jetzt erstmal raus hier und dann entscheiden wir spontan über alles weitere.«
Seine Worte lassen sämtliche Farbe aus meinem Gesicht weichen.
So verführerisch das auch klingt, es ist gegen den Vertrag. Mir ist zwar klar, dass Mrs Stryker mich nicht feuern kann, aber ich habe morgen das private Vorsprechen bei Adam Hudson und damit in Aussicht, sollte ich nichts riskieren.
Wie soll ich ihm bitte klar machen, dass ich mich nicht mit ihm blicken lassen darf?
»I-ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist«, sage ich, so ruhig wie möglich. »Lass uns doch hier bleiben und einen alten Film angucken.«
»Ach komm schon, du kommst kaum noch hier raus!«, widerspricht Mike mir augenblicklich. »Du bist in den letzten Tagen viel blasser geworden. Außerdem kann ich diese Villa langsam nicht mehr sehen. Mein Auto steht draußen - es wird wie in alten Zeiten, wenn ich dich von einem Casting abgeholt habe und Kate noch nicht Zuhause war.«
Mein Herz tut beinahe weh, bei diesen Worten.
In den letzten Tagen hatte ich wenig Zeit an so etwas zu denken, doch ich kann nicht leugnen, dass ein Teil von mir diese Zeiten vermisst.
»Ich bin mir nicht sicher, ob es nochmal wie früher werden kann«, wende ich unsicher ein. »Die ganzen Paparazzis werden uns folgen und wenn du erstmal mit mir gesichtet wirst, hast du auch kaum noch Ruhe.«
»Ach Quatsch, das stört doch nicht groß! Wir finden schon einen Weg damit umzugehen und für mich interessieren die sich sowieso nicht.«
Verzweifelt kaue ich mir auf der Lippe herum.
Mike wird nicht locker lassen, bis ich ihm einen vernünftigen Grund nenne.
Anscheinend bemerkt mein bester Freund meinen Unwillen, denn er stubst mich leicht an. »Hey, was ist denn los mit dir? Eine Beziehung darf dich erst langweilig machen, wenn man verheiratet ist.«
Ohne zu antworten knete ich auf meinen Fingern herum.
»Oder hast du keine Lust mehr etwas mit Typen wie mir zu unternehmen, jetzt da du Teil der High Society bist?«
»Was?!« Ruckartig hebe ich den Kopf. »Niemals!«
Die Worte haben mich heftiger getroffen, als wahrscheinlich geplant war, doch ich werde nur düster angestarrt. »Was soll ich den denken, April? Seit du hier eingezogen bist, haben wir immer weniger Kontakt, du willst nichts mehr mit mir unternehmen und wenn wir uns tatsächlich sehen, vergammeln wir nur in dieser Villa. Außerdem folgst du Noe auf jeden noch so kleinen Event oder bist ständig mit ihm in der Öffentlichkeit zu sehen.
Wie soll ich nicht denken, dass ich nicht mehr gut genug für dich bin?!«
Ich bin beinahe erschrocken.
Kommt mein Verhalten so rüber?
Habe ich Mike tatsächlich verletzt?
Am liebsten würde ich vor ihm auf die Knie fallen und um Vergebung betteln.
»Nein«, hauche ich stattdessen nur verzweifelt. »So ist das nicht.«
»Tatsächlich?«, faucht mein Gegenüber. »Wie ist es dann?! Erklär es mir, bitte, denn ich habe keine Ahnung, was sonst der Grund sein sollte!«
Zitternd starre ich auf meinen Zimmerboden und schüttle den Kopf.
Was passiert hier gerade?
Meine Fingernägel krallen sich in meine Haut, während ich versuche nicht in Tränen auszubrechen.
»Sag es mir, April!« Energisch nimmt er mich bei den Schultern und schüttelt mich leicht. »Nach allem was ich für dich getan habe, glaubst du nicht, du schuldest mir wenigstens eine Erklärung?!«
»Ich- ich-« Mehr bringe ich nicht heraus.
Am liebsten würde ich aus dem Zimmer stürzen und meine Verzweiflung aus mir heraus schreien.
Ich wollte Mike nie anlügen, ich wollte ihn nie aus meinem Leben ausschließen. Er ist wie ein Bruder für mich und ich liebe ihn.
Seufzend lässt er mich jetzt los.
»Bitte«, sagt er etwas leiser.
»Noes Managerin«, versuche ich leise einen Teil der Wahrheit zu sagen. »Sie möchte nicht, dass ich mich in der Öffentlichkeit mit anderen Jungs sehen lasse.«
Frustriert schnaubt mein Gegenüber. »Na und?! Du schuldest ihr nichts, du stehst unter keinem Vertrag bei ihr. Du-«
»DOCH«, schreie ich frustriert. Ich habe es endgültig aufgegeben, mich zu rechtfertigen. »Ich habe einen Vertrag unterschrieben, der mich dazu verpflichtet Noes Freundin zu sein, ihn immer zu begleiten und nicht mit anderen Jungs in die Öffentlichkeit zu gehen!«
Ungläubig starrt Mike mich an. »Was?«
Ich sage nichts, sondern starre nur noch zu Boden.
Was habe ich getan?
Die Schweigepflicht war eines der wichtigsten Elemente der Vereinbarung. Wenn Mrs Stryker heraus findet, dass ich sie gebrochen habe, kann ich mich auf einiges gefasst machen.
Doch viel mehr als dieser Gedanke, schmerzt der Blick meines besten Freundes. Er sieht mich an, als wäre ich eine Fremde, als hätte er mich nie gekannt. In seinen Augen liegt pure Abscheu - noch nie zuvor habe ich ihn so gesehen.
»Bist du verrückt? Seit wann prostituierst du dich?!«
»Nein, bitte, so ist das nicht«, versuche ich flehend zu erklären.
»WAS DANN?!«, brüllt er mich an. »WAS SOLL DAS ALLES?«
»Ich liebe Noe...«, bringe ich verzweifelt hervor.
»Oh, natürlich!« Genervt wendet er sich ein Stück ab. »Auf dem Papier vielleicht. Aber das Mädchen, welches ich vor Jahren kennengelernt habe und das lange Zeit wie eine Schwester für mich war, könnte niemals so etwas tun!«
»Noe ist nicht so wie du denkst. Er ist-«
»-anders?«, werde ich harsch unterbrochen. »Jaa, klar!«
»Es hat vielleicht als Job angefangen-«
»Was soll das denn für ein Job sein? Klammer dich krampfhaft an einen arroganten Alkoholiker und schließ alles was dir mal wichtig war von deinem Leben aus?!«
Ich kann meine Tränen nicht länger zurück halten. Das Wasser rinnt mir über die Wangen, lässt meine Sicht verschwimmen und schnürt mir die Luft ab. Selbst wenn ich wollte, bringe ich kein Wort mehr heraus.
»Du bist mit Träumen nach LA gekommen, April! Du hast so hart gearbeitet und nie aufgegeben.«
»Das ist nicht vorbei«, würge ich hervor. Meine Hände sind zu Fäusten geballt, damit ich mich noch halbwegs beherrschen kann. »Mrs Stryker kann mir Kontakte vermitteln, die mir vielleicht eine Schauspielkarriere ermöglichen.«
»Das glaubst du doch selbst nicht!«
Unter meiner verzweifelten Panik, mischt sich nun ein Hauch von Wut unter.
»Achja?! Warum habe ich dann morgen ein privates Casting mit Adam Hudson?«
»Nein«, entgegnet Mike verächtlich. »Mir ist klar, dass die reichen mit Gefallen um sich schmeißen können wie sie wollen. Aber du glaubst doch nicht selber, dass du das willst.«
Langsam hebe ich den Kopf und starre ihn an.
»Du willst durch die Kontakte einer anderen vermittelt werden? Das bist nicht du! Wie oft hast du in den letzten Jahren gesagt, dass du es alleine schaffen willst, da du ansonsten nicht stolz auf dich sein kannst.«
»Mike«, flüstere ich unter Tränen. »Du kennst diese Welt nicht! Egal wie viel Mühe du dir gibst oder egal wie viel Talent du hast - ohne Kontakte bist du verloren.«
»Du warst nie verloren«, widerspricht er mir harsch. Er sieht mich an, als versuche er noch einen kleinen Rest meines alten Ichs in mir zu finden. »Zumindest nicht, bevor du deine Unterschrift unter diesen Vertrag gesetzt hast.«
»Kannst du mich nicht einfach unterstützen?«, bettle ich und versuche seinen Arm zu ergreifen.
Augenblicklich weicht er einen Schritt zurück. »Nein! Ich habe dich bei sehr viel unterstützt, egal wie aussichtslos oder hirnrissig es schien. Aber weißt du warum ich es getan habe? Weil ich weiß, dass du es warst, die es wollte. Jetzt sehe ich dich an und erkenne nichts mehr von dieser Person. Du hast kein Recht, meinen Support zu verlangen.«
Ich kann förmlich spüren, wie unsere langjährige Freundschaft entgleitet.
Unsere gemeinsamen kleinen Abenteuer, unsere spontanen Ideen und unsere unvergesslichen Roadtrips. Er hat mich so oft vor Kate, seiner eigenen Freundin, verteidigt, er hat mich immer ermutigt und motiviert. Stundenlang hat er mit mir Szenen für Castings durchgegangen und stundenlang habe ich ihn für die Uni abgefragt.
Ohne ihn wäre ich vollkommen alleine in Los Angeles gewesen, hätte kein Zuhause, keine Freunde und kaum Möglichkeiten zu Vorsprechen zu kommen.
Einige Sekunden starren wir einander an.
Ich glaube auch in seinen Augen Tränen glitzern zu sehen, doch dann wendet er sich ab.
»Ich hoffe du erreichst wovon du träumst«, sagt er leise. »Wenn auch nicht auf die Art, die du immer wolltest.«
Dann verlässt er den Raum.
Langsam geben meine Beine nach und ich sinke auf mein Bett.
Vielleicht sollte ich seinen Namen rufen und ihm nachlaufen, doch mir fehlt die Kraft dazu. Es wird sowieso nichts verändern. Egal wie lange ich versuche, es ihm zu erklären - er hat Recht.
Meine Augen brennen immer noch, doch ich weine nicht mehr. Stattdessen fühle ich mich wie ein ausgetrockneter Schwamm.
Stumm lege ich mich hin und starre die Decke an.
Was habe ich getan?

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