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Ich dachte, ich könnte mich vielleicht mit der Zeit an die alte Villa gewöhnen, doch als ich erneut vor der Tür stehe, fühle ich mich noch genauso verloren, wie beim ersten Mal.
Diesesmal habe ich einen großen Koffer in der Hand, mehr oder weniger bereit umzuziehen.
Alles ging so schnell, dass ich es selbst kaum realisieren kann. Nachdem Mike gestern Abend mein Zimmer verlassen hat, fand ich noch immer keinen Schlaf, doch da jetzt zumindest mein Auszug geplant war, habe ich so leise wie möglich begonnen, zu packen. Ich habe Mrs Stryker eine Nachricht geschickt, um sie zu informieren, dass ich ab morgen bei Noe wohnen werde und bin dann schließlich gegen 05:30 morgens in einen unruhigen Schlaf gefallen.
Da Wochenende ist, konnten Mike und Kate mir am nächsten Morgen helfen, den Rest zusammen zu packen. Mein schneller Auszug scheint sie überrascht zu haben und ich musste meinem besten Freund nochmal versichern, dass es nichts mit unserem gestrigen Streit zu tun hat.
Gegen Mittag habe ich mir schließlich ein Taxi hierher genommen und fühle mich jetzt mal wieder unfassbar fehl am Platz.
James öffnet mir die Tür und begrüßt mich mit seinem üblichen schmallipigen Lächeln.
»Darf ich Ihnen Ihr Gepäck abnehmen, Miss Collins?«, fragt er untergeben und ich nicke dankbar.
Beim Packen hat es mich überrascht, wie wenig Besitztümer ich tatsächlich habe. All die letzten Jahre hatte ich nie das Gefühl, dass es mir an irgendwas gemangelt hat, doch in meinem Koffer befindet sich tatsächlich nicht mehr als ein paar Klamotten, Schuhe und ein Bettbezug, den meine Eltern mir zum Abschied geschenkt haben.
Wie schon am Vortag führt James mich in das Foyer der Villa, doch diesesmal werde ich schon hier erwartet.
»Gut dass Sie angekommen sind, Miss Collins«, höre ich Mrs Stryker sagen, die keinen Moment von ihrem Klemmbrett aufguckt. »Je eher dieser Umzug von statten geht, desto besser.«
Hinter ihr sehe ich, dass Noe Glen auf den Treppenstufen steht und die ganze Szene gelangweilt beobachtet. Hat seine Managerin ihn gezwungen mich zu begrüßen oder was tut es hier?
»James, haben Sie bereits Miss Collins Koffer?«, fragt diese gerade und hebt einen Moment den Kopf. »Sehr gut. Werfen Sie ihn weg. Oder wissen Sie was - verbrennen Sie ihn gleich.«
»Was?!« Ich trete ein paar Schritte auf Mrs Stryker zu. »Sie haben kein Recht mir meine Sachen wegzunehmen!«
»Hab ich nicht?«, fragt sie ruhig und hakt dabei etwas auf ihrem Klemmbrett ab. »Sie hätten Ihren Vertrag besser lesen sollen. Wenn ich zitieren darf: ›Persönliches Eigentum wird in Obhut gegeben.‹«
»Da stand nicht, dass es zerstört wird«, wehre ich mich frustriert. Ich erinnere mich tatsächlich, dass dies Teil des Deals war, doch ich war mir sicher, dass damit gemeint war, dass es sicher aufbewahrt wird.
Wie viele Schlupflöcher gab es noch, die ich nicht bemerkt habe?
»Oh bitte, Ihre Welt wird nicht untergehen, nur weil ihre falschen Designerschuhe oder billigen Outfits weggeworfen werden. In Ihrem Zimmer werden Sie genug Ersatz finden.«
Mir bleibt der Mund offen stehen.
In den letzten Jahren habe ich viele unverschämte Castingdirektoren getroffen, aber nie zuvor ist mir eine derart arrogante und herrische Frau begegnet.
Das schlimmste ist, dass ich nicht einmal etwas dagegen unternehmen kann. Normalerweise bin ich kein Mensch, der sich so etwas gefallen lässt, aber ungünstigerweise habe ich mich mit meiner eigenen Unterschrift dazu verpflichtet ihren Anweisungen zu folgen.
»Perfekt«, murmle ich, sodass sie mich nicht hören kann. »Nur noch 364 Tage.«
»Achja-« Noch einmal blickt sie auf und mustert mich kritisch. »Ich werde Ihnen bei Gelegenheit Diätpläne ins Zimmer legen lassen. Noe Glens ideale Freundin sollte auch eine schöne Figur haben, meinen Sie nicht?« Übertrieben liebenswürdig lächelt sie mich an, dann dreht sie sich um und rauscht davon.
Mein Blick fällt auf Noe, der immer noch am Treppengeländer lehnt, doch inzwischen mit einem breiten Grinsen auf den Lippen.
Anscheinend genießt er meine Bloßstellung voll und ganz.
Ich antworte ihm mit einem giftigen Blick und wende mich dann, mit dem letzten bisschen Stolz, das mir noch geblieben ist, an James. »Würden Sie mich bitte zu meinem Zimmer führen?«
»Selbstverständlich.« Auf stramme Weise, die mich an einen Roboter erinnert, wendet er sich um und geht los. Noch einmal drehe ich mich mit bissigem Blick in Noes Richtung, doch er ist verschwunden. Kurz bin ich verblüfft, doch dann muss ich mich beeilen, dem Butler hinterher zu kommen.
Wir müssen nicht weit gehen, da öffnet er auch schon eine riesige Tür und hält sie mir auf.
Einen Moment kann ich nicht glauben, dass das tatsächlich mein Zimmer sein soll. Was ich hinter dieser Schwelle erblicke, gleich eher meinen wildesten Träumen, als kleines Mädchen.
Die Wände sind von drei riesigen Fenstern geprägt, die den ganzen Raum in warmen Sonnenlicht ergänzen lassen, der Boden ist so flauschig, dass ich bei jedem Schritt das Gefühl habe, darin zu versinken, seitlich steht ein elegant geschnitzter Schreibtisch mit einem hochmodernen Computer, ein riesiger Flachbildschirm hängt an der Wand und direkt in der Mitte steht ein breites Himmelbett.
Ich schnappe nach Luft, ohne zu wissen, ob vor Begeisterung oder Unglauben.
Trotz meiner hohen Absätze stürze ich in voller Geschwindigkeit in mein neues Zimmer - mein neues Reich - und lasse mich mit dem Rücken voran auf das Bett fallen. Die Matratze gibt ein kleines Stück nach, doch nicht zu viel. Sie ist auf unbeschreibliche Weise komfortabel und stützend gleichzeitig.
James steht immer noch im Türrahmen und sieht mir ausdruckslos zu.
Unwillkürlich bin ich froh, dass nur er meinen Ausbruch der Freude gesehen hat - vor Noe oder Sierra Stryker wäre mir das mehr als unangenehm gewesen.
»Leben Sie sich gut ein«, wünscht James und wendet sich zum Gehen.
»Warte!« Hastig und ungelenk richte ich mich wieder auf. Meine Worte haben den Butler sofort zum Einhalt gebracht und er sieht mich nun wieder erwartungsvoll an.
Seine schnellen Reaktionen auf Befehle sind beinahe gruselig. Ist er überhaupt noch ein richtiger Mensch?
Mein Blick gleitet langsam wieder auf meinen Koffer in seinen Händen.
»Könnten Sie nicht meine Sachen da lassen?«, bitte ich mit flehenden Augen. »Ich werde es auch nicht weiter sagen!«
Es handelt sich um keine Sachen von besonderem Wert, doch mit diesem Job lasse ich so viel aus meinem alten Leben hinter mir - es wäre einfach eine Beruhigung noch ein paar Sachen behalten zu können.
Peinlich berührt räuspert mein Gegenüber sich. »Ich fürchte, das ist nicht möglich. Mrs Stryker hat mir klare Anweisungen gegeben.«
Leicht frustriert nicke ich. Natürlich will ich nicht, dass er Schwierigkeiten bekommt wegen mir.
»Ich bitte um Verzeihung.« Er sieht mich ehrlich bedauernd an und wendet sich dann zum Gehen. Dieses mal lasse ich ihn davonziehen.
Interessiert wende ich mich dafür meinem Zimmer zu. Zwei Türen fallen mir in den Blick.
Hinter einer finde ich ein geschmackvoll eingerichtetes Bad vor. Die Badewanne ist riesig, alle Armaturen glänzen vor Sauberkeit, Teile der Dusche sind vergoldet und nebenan liegt eine Sauna.
Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ein Badezimmer ganz für mich alleine. Es ist ein seltsames Gefühl, aber irgendwie genieße ich es auch.
Als ich die zweite Türe öffne, verschlägt es mir zum wiederholten Male an diesem Tag die Sprache.
Als Mrs Stryker gesagt hat: ›In Ihrem Zimmer werden Sie genug Ersatz finden‹, hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich einen riesigen, begehbaren Kleiderschrank vorfinde, der nur so gefüllt mit den schönsten Sachen ist. Er ist in etwa so groß, wie mein altes Zimmer bei Mike und Kate und perfekt geordnet.
Auf einigen Kleiderstangen sehe ich Alltagsklamotten, die auf den ersten Blick schlicht erscheinen mögen, doch sich bei genauerem Hinsehen als Markenkleider und stylische Outfits herausstellen.
In einer mächtigen Kommode finde ich Unterwäsche und Socken vor, ein breites Regal ist vollkommen mit Schuhen für alle möglichen Anlässe gefüllt und auf einer weiteren Kleiderstange hängt die schönste Ansammlung von Abendkleidern und Hosenanzügen, die ich je gesehen habe.
Überwältigt streiche ich über die eleganten Stoffe und frage mich unwillkürlich, wie viel Geld ich hier wohl zwischen den Fingern habe.
Der gesamte Inhalt dieses Schrankes muss mehrere Zehntausend Euro gekostet haben.
Auch wenn ich immer davon geträumt habe, konnte ich mir nicht mal im Traum vorstellen, tatsächlich so viel zu besitzen.
»Gefällt es dir?«
Erschrocken wirble ich herum und starre direkt in die süßen, grünen Augen einer kleinen Dame hinter mir.
»Tut mir leid«, sagt die und grinst. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Du sahst nur so vertieft in die Designs aus.« Freundlich lächelnd streckt sie mir die Hand hin. »Ich bin Laurel, deine Stylistin.«
Etwas verwirrt sehe ich sie an. Vielleicht ist es, weil ich nicht damit gerechnet habe, in diesem Haus noch eine Person zu finden, die mich nett behandelt, aber die Frau scheint mit ihrer geringen Größe und ihrem gut gelaunten Ausdruck genauso wenig hier her zu passen wie ich.
»April«, murmle ich und ergreife ihre Hand zögerlich.
»Ich hoffe du hast deine kleine Besichtigung hier abgeschlossen, denn ich soll dich auf heute Abend vorbereiten.«
»H-heute Abend?«, frage ich unkonzentriert.
»Oh, ich dachte man hätte dir schon genauere Informationen dazu gegeben.«
Laurel wirkt ernsthaft überrascht. Weiß sie etwa noch nicht, dass es in diesem Haus niemand ernsthaft für nötig hält, mit mir etwas abzusprechen, bevor es beschlossen wird.
»Du und Noe werdet heute gegen Einbruch der Dunkelheit etwa zwanzig Minuten durch LA laufen, um euch von Paparazzi ablichten zu lassen.«
Von dieser Idee wurde mir zwar erzählt, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass sie so schnell umgesetzt werden soll.
»Aha«, sage ich nur leise.
Folgt jetzt das MakeOver, dass Noe für so nötig hält?
»Wir haben nur noch vier Stunden Zeit bis dahin«, erklärt Laurel und nimmt mich sanft an der Hand. »Wir müssen uns ein wenig beeilen.«
Nur noch vier Stunden?
Was hat diese Frau denn mit mir vor? Eine Schönheits-OP?
Trotz meiner Zweifel frage ich nicht genauer nach, sondern lasse mich aus dem Kleiderschrank und aus meinem Zimmer heraus führen. Die Stylisten bringt mich in einen Raum mit leicht abgedunkelten Lichtern und den verschiedensten Untensilien.
Was daraufhin folgt, ist ein endloser Marathon von Wachsstreifen, kalten Duschen, verschiedensten Cremes, Shampoos, Gesichtsmasken, Parfüms und Lotionen.
Irgendwann bekomme ich kaum noch mit, was mit mir gemacht wird, sondern folge einfach stumm den Anweisungen der jungen Frau.
Zwischendurch wendet sie mich mehrmals vor dem Spiegel. »Du hast eine interessante Statur. Du bist 1,77, richtig?«
Ich muss kurz schlucken. »Woher wissen Sie das?«
»Ich habe viel Erfahrung«, beantwortet sie mein Frage wage, dann fährt sie fort mich zu betrachten. »Wir müssen deine Oberschenkel ein wenig verstecken und ich kann dich so schminken, dass deine Wangenknochen etwas höher aussehen. Dein Becken wird man heute Abend sowieso nicht sehen.«
Unruhig sehe ich mit über die Schulter.
Auch wenn Laurel sehr nett scheint, ist sie im Eifer ihrer Arbeit nicht besonders bedacht auf ihre Worte. Eigentlich fand ich meine Figur immer ziemlich gut, aber sie ist nun schon die zweite Person, die sich heute negativ darüber äußerst - und sie muss es wissen.
»Na gut«, beendet sie schließlich ihre Inspektion und reicht mir einen kapuzenlosen Bademantel. »Zieh das über. Wir machen jetzt mit deinen Haaren weiter.«
Langsam streife ich mir das weiche Kleidungsstück über. »Was hast du vor?«
»Es wird nur ein wenig kürzer, keine Sorge. Deine Spitzen sind nicht besonders gut gepflegt, die müssen ab.«
Es gefällt mir nicht, mich so dem Willen einer anderen Person ergeben zu müssen, aber welches Recht hätte ich, ihr zu widersprechen? Laurel ist sehr professionell was das angeht und bei ihr vertraue ich noch halbwegs darauf, dass sie das beste für mich will.
Ich lasse mich sanft auf einen Stuhl hinab drücken und beobachte in dem Spiegel vor mir, jede einzelne ihrer Bewegungen. Erst als sie die Schere ansetzt und meine Haare langsam zu Boden rieseln, schließe ich die Augen.
Eigentlich sind meine Haare fast hüftlang. Der Hintergedanke davon ist, dass ich für jede Rolle die perfekte Haarlänge haben könnte. Abschneiden kann man immer, doch wenn meine Haare zu kurz für einen Film wären, könnte ich sie nicht in sekundenschnelle nachwachsen lassen.
Obwohl ich mit einer Kürzung meiner Strähnen früher oder später gerechnet habe, ist es jetzt ein komisches Gefühl, sich von ihnen zu trennen.
Als ich die Augen wieder aufschlage, stelle ich fest, dass Laurel ziemlich untertrieben hat, als sie meinte, dass nur die Spitzen wegkommen. Gut 20cm meiner Haare wurden abgeschnitten, sodass sie jetzt gerade noch meine Achseln erreichen.
Meine Stylisten strahlt mich voller Begeisterung über ihr Werk an, während ich mich noch unsicher im Spiegel betrachte.
Als ich mir durch die Haare fahre, sie hinters Ohr stecke oder sie über die Schulter werfe, fühlt es sich befremdlich an.
»Wie ist es?«, werde ich voller Anspannung gefragt.
Kurz zögere ich, bevor ich antworte: »Anders.«
Es sieht tatsächlich nicht schlecht aus, aber ich muss mich einfach noch daran gewöhnen.
Laurel dagegen scheint meine Antwort schon gar nicht mehr gehört zu haben, sondern ist schon dabei einen großen Wagen herbei zu schieben.
»Jetzt ist MakeUp dran, danach kümmern wir uns um deine Klamotten.«
Mit Stylistin scheint tatsächlich Friseur, Kosmetikerin, MakeUp-Artist und persönliche Einkäuferin in einem gemeint zu sein. Doch Laurels flinke und selbstbewusste Bewegungen lassen keinen Zweifel daran, dass sie dem gewachsen ist.

Etwa eine Stunde später, werde ich vor den Spiegel gezogen und einmal unsanft gedreht.
Langsam mustere ich mich von Kopf bis Fuß.
Ich trage eine hellblaue Jeans, die meine Beine ziemlich einquetscht. Dafür ist der schwarze Kapuzenpullover darüber nicht nur weit, sondern auch halbwegs bequem. Meine Augen sind in einem dunklen Ton geschminkt und ich mir wurden falsche Wimpern aufgeklebt, sodass die wichtigen Teile meines Gesichts kaum noch zu erkennen sein werden, wenn ich nachher die Kapuze trage. Wie angekündigt wirken auch meine Wangenknochen höher, was mein Gesicht schmaler und eleganter erscheinen lässt.
»Werde ich immer so aussehen, wenn ich von nun an nach draußen gehe?«, frage ich leise.
»Wie meinst du?«
»Nicht wie ich selbst.«
Die Worte überraschen mich selbst. Laurel hat gute Arbeit geleistet und eigentlich sollte ich das würdigen.
»April«, sagt sie sanft. »Ob du dort draußen du selbst bist, hat nichts mit deinem Aussehen zu tun, sondern ausschließlich mit deinem Verhalten.«
Ich ringe mir ein kleines Lächeln ab. »Gewagte Worte von einer Stylistin.«
»Die Wahrheit hat nichts mit meinem Job zu tun.« Ich sehe im Spiegel, wie sie näher an mich heran tritt und mir, trotz mindestens 10cm Größenunterschied, die Hände auf die Schultern legt. »Sieh es als dein Kostüm. Und vergiss nicht; du bist es, die die Rolle spielt. Also darfst du sie auch prägen.«
Mit einem leichten Schlucken nicke ich. »Dankeschön.«
Sie wirft einen schnellen Blick auf die Uhr und nickt mir dann zu.
»Na los jetzt! Es wird Zeit für deinen ersten inoffiziellen Auftritt mit deinem Freund.«

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