XV

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„Die Drei Bücher sind unser wichtigster Besitz hier. Alles an Informationen. Ich würde mein Leben riskieren, um diese verdammten Bücher zu retten."
Arkyn hält mir die Luke auf und ich klettere schnell hinein. Es ist schon mitten am Vormittag und wir dürfen nicht riskieren, leichtsinnig das Versteck des Dunklen Rates zu verraten.
„Soso. Dein Leben riskieren", sage ich und es klingt ein wenig spöttisch.
„Auf jeden Fall."
Er schließt die Luke vorsichtig und wir stehen im Stockdunklen. Langsam klettere ich die Leiter hinunter, steige zweimal ins Leere und kann mich in letzter Sekunde noch an den Sprossen festhalten.
„Wird's bald?", mault Arkyn von oben.
„Ich will nicht sterben, weil ich von der Leiter falle, also halt bitte die Klappe", fauche ich zurück; das bitte kann ich mir nicht verkneifen, meine Mutter hat mich sehr gut erzogen.
„Am Boden neben der Leiter liegt eine Packung Streichhölzer. Rechts neben der Leiter", meint Arkyn und ich taste mit den Händen über den kalten Steinboden.
Erschrocken zucke ich zusammen, als meine Finger die harten Kanten der Schachtel zu fassen bekommen.
„Hast du's?"
Vorsichtig öffne ich das Schächtelchen und entzünde ein Streichholz. Die kleine Flamme tanzt hin und her und ich lege schützend meine Hand darum. Arkyn kommt die Leiter heruntergeklettert und streckt seine Hand aus. „Gib her. Ich zünde die Fackeln an. Nicht dass deine Haare noch Feuer fangen."
Ich schnaube erbost. „Wie heißt das Zauberwort?" Er verdreht genervt die Augen.
„Nerv hier nicht rum, du Neunmalkluge."
„Kein Zauberwort, keine Streichhölzer, kein Licht, keine heiligen Bücher, die du mir zeigen kannst."
Er seufzt theatralisch und murrt dann: „Bitte."
„Na geht doch", sage ich zufrieden und händige ihm die Streichhölzer aus.
Während er die Fackeln entzündet, erkunde ich ein bisschen den Raum.
Während der beiden Versammlungen, die ich schon besucht habe, konnte ich mich nie gründlich umschauen. Unter anderem, weil Frau Hakennases Blicke mich jedes Mal getötet haben, wenn ich auch nur auf meinem Sessel hin und her gerutscht bin.

Mein Blick wandert über die massiven Regale und die hüfthohen Truhen, die eine Wand des Raumes zieren. Ich versuche gerade die Inschrift einer kleinen Truhe zu entziffern, als etwas auf meinem Kopf kribbelt. Ich kreische erschrocken auf, mein Ruf hallt von den Wänden wider und ist bestimmt im ganzen Schloss zu hören.
Ich fahre herum und Arkyn steht hinter mir. Ein breites, ziemlich hinterlistiges Grinsen ziert sein Gesicht. „Schrei doch nicht so herum."
„Wenn du noch einmal so einen Mist machst und mich erschreckst, dann bin ich weg. Dann kannst du dir deine blöden Bücher sonst wohin stecken."
Er lacht leise auf. „Angsthase."

„Das erste Buch heißt Buch der Gestaltenwandler", beginnt Arkyn, aber ich unterbreche ihn. „Sehr einfallsreich."
Arkyn grinst. „Okay, der Name ist wirklich nicht sehr kreativ. Aber das Buch existiert seit sehr langer Zeit; wann genau weiß ich nicht, aber in etwa hundert Jahre, nachdem die Gestaltenwandler in den Schattenwald geschickt wurden, hatte Canji Ceto die Idee, ein Verzeichnis aller Gestaltenwandler zu führen."
Erstaunt sauge ich die Luft ein. „Alle? Da stehen die Namen von allen Gestaltenwandlern drinnen?"
Arkyn nickt nur, dann holt er einen kleinen Schlüssel aus seiner hinteren Hosentasche hervor und beugt sich über eine der Kisten.
„Die Bücher werden hier eingesperrt. Nur die Königin hat den Schlüssel." Mit einem Klicken springt das Schloss auf und Arkyn stemmt den schweren Deckel der Truhe in die Höhe. „Nimm die Drei Bücher raus. Mach schnell, der Deckel ist nicht gerade leicht."
Vorsichtig nehme ich die Bücher heraus und trage sie zum Tisch. Überraschenderweise sind sie weder mit einer dicken Staubschicht überzogen, noch fallen sie aufgrund ihres Alters beinahe auseinander. Um ehrlich zu sein, bin ich fast ein bisschen enttäuscht. Auch die Buchdeckel sind relativ unspektakulär, einfach nur braun und abgegriffen.
Trotzdem sind es die ersten Bücher, die ich seit meiner Ankunft im Schloss sehe und mein Herz schlägt höher, als ich die rauen Seiten zwischen meinen Fingern spüre.
„Ich liebe es, zu lesen. Mein Praktikumsjahr habe ich in meinem Lieblingsbücherladen gemacht", erzähle ich und schlucke den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hat. Das letzte Jahr war eines der schönsten meines ganzen Lebens. Jeden Morgen habe ich mich darauf gefreut, in der Buchhandlung zu arbeiten.
Arkyn ist kurz still, dann: „Wie rührend."
Ich lache leise; obwohl sich mein Herz auf einmal ganz schwer anfühlt.

SchattenmächteWhere stories live. Discover now