Chirping

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Monroe


Die Gummimatten unter den Kufen federn unter jedem meiner Schritte, als ich aus der Kälte der Halle mit brennenden Muskeln zurück in die leere Kabine stapfe. Sich beim Skaten auszupowern und ein paar Torschüsse abzufeuern hat schon immer gegen jede Art von Kater geholfen. Mief, Gummi und Stahl, das brennen der eigenen Muskeln – viel mehr hat es noch nie gebraucht, um zu mir selbst zu finden. Auch an diesem Morgen nicht, an dem mich Toni einmal mehr durch die verbeulte Hallentür unseres Notausgangs gelassen hat.

Auch wenn kein Stadion der Welt jemals mit dem Gefühl mithalten kann, das mir frisches Eis auf dem zugefrorenen Teich unseres Heimatorts vermitteln kann, ist die frisch bearbeitete Platte heute Morgen doch alles, was sich ein kanadischer Junge in Neuengland an einem Septembermorgen wünschen kann.

»Du bist ja auch da.«

John »the Brick« Bailey steht wie angewurzelt in der Tür zu unserer Kabine, die Ausrüstung geschultert.

»Brick.« Ich nicke unserem Kapitän zu, der über den langen Sommer noch ein paar Haare mehr verloren hat, und der langsam aber sicher darüber nachdenken sollte, ob er sich nicht ein Vorbild an the Rock oder Vin Diesel nehmen sollte.

»Ignorierst du mal wieder amerikanische Feiertage?«, entkommt es ihm mit einem launischen Lächeln, das mir auf den ersten Blick verrät, dass der Center schlechte Laune hat.

»Flüchtest du mal wieder vor deiner Frau?«, ignoriere ich deshalb den Seitenhieb. Bricks Laune hängt grundsätzlich von Ginas Laune ab, die Zuhause die Hosen anhat und deren italienisches Temperament einer der Gründe für die schnell mehr werdenden kahlen Flecken auf dem Kopf meines Teamkameraden ist.

»Witzbold. Was macht dein Knie?«

»Bestens. Die Pause hat geholfen.« Ich weiche seinem Blick nicht aus. Wenn du lügen musst, dann sollte das Pokerface sitzen und meines sitzt schon lange wie angegossen. »Was macht die Schulter?«

»Bestens.«

Brick und ich waren doch immer noch die besten Lügner. Vielleicht funktionieren wir auch deshalb so gut zusammen auf dem Platz.

»Cool.« Ich stemme meinen Fuß auf die gummibezogene Bank und kümmere mich um das Entwirren meiner Schnürsenkel, bevor ich mich mit dem Hintern voraus darauf niederlasse und meine heißgewordenen Füße aus ihrem Gefängnis befreie. »K.Bee macht sich in die Hosen wegen seines Einstands. Vielleicht lässt du ihn nicht mehr allzu lange zappeln.« Ich wische mir das durchgeschwitzte Haar aus der Stirn und schnuppere probehalber an meinem Trikot. Moschusoxenalarm, der aller feinsten Sorte. Ich werde mich beeilen müssen, wenn ich es unter die Dusche und pünktlich zum Essen mit meiner Mutter kommen will.

»Was zum Geier tust du da?«

»Ich treffe meine Mutter in so einem feinen Nobelschubben. Und der andere kommt auch.«

»Ah. Daher weht der Wind.« Brick, der gerade dabei ist sich aus seinem T-Shirt zu schälen, klingt mal wieder wie sein eigener Vater, als er das sagt. »Der Golden Boy ist in der Stadt.«

»Wenn es etwas gibt, das meinen Bruder umschreibt, dann ist das sicherlich nicht das Adjektiv golden.«

Unser Kapitän gibt ein tiefes Seufzen von sich. »Wie viele Millionen mehr als du hat er mittlerweile auf dem Konto? Zwanzig? Dreißig?«

Das Brick Salz in eine Wunde streut, über deren Ausmaß er keine Ahnung hat, ist okay. Immerhin habe ich mit dem Sticheln angefangen. Was nicht okay ist, dass das Gefühl von kindischer Eifersucht auf den großen Iver Monroe auch nach sechsundzwanzig Jahren nichts an ihrer Schärfe verloren hat. Harper mochte es gehasst haben, dass sie immer nur Monroes kleine Schwester war. Doch die Kleine ist sich überhaupt nicht bewusst, in welchem Schatten ich immer gestanden habe.

Iver war schon immer meine persönliche Messlatte, solange ich denken kann. Die Nemesis all meiner Selbstzweifel. Schon als achtjähriger auf dem Tümpel hinter der Schule, als die Alten ihre ersten Sprüche abgelassen haben. »Dermott ist gut. Er kann skaten, aber er hat nicht die Gabe seines Bruders.« So etwas, oder dergleichen kam immer. Egal wie sehr ich es auch versuchte. Egal wie gut ich wurde und in unserer kleinen Stadt sagen sie das noch immer, obwohl Iver längst Eishockey an den Nagel gehängt hat.

Selbst damals in Blue Birch, als ich längst fürs College Team in der Division One spielte, hatten sie mir noch in den Ohren gelegen, weil Iver nur zwei Seasons gebraucht hat, um seine Klasse zu untermauern, ehe er nach einer Gehirnerschütterung die ihm fast endgültig die Lichter ausgeknipst hat, beschloss, dass Eishockey nicht mehr sein Sport war.

»Iver ist keine Konkurrenz«, brumme ich in mein Schulterpolster, dessen Klettverschluss ich löse. »Egal was er gerade verdient.«

»Bring ihn heute einfach nur nicht um. Hinter Gittern nützt du uns nichts, Monroe.« Brick grinst sein bestes Fieslingsgrinsen.

»Tu was ich kann.«

Die Sache ist die, dass ich mich längst an meinem Bruder gerächt habe. Denn Iver mochte der Liebling unserer Mutter sein, ein Visionär unserer Zeit, wie das Forbes Magazine in erst vor kurzem in einem absolut schmierigen Arschkriecher Artikel genannt hatte, aber Anna Philipps war damals in jener Nacht in mein Bett gesunken. Anna, die Pasta und Dolly Parton liebte und jedes Buch, das sie in die Finger kriegen konnte. Und dieser eine One-Night-Stand, in meinem zweiten Jahr in Blue Birch war es auch, der meinen Bruder zum vielleicht aller ersten Mal in seinem Leben dazu gebracht hatte, mich zu beneiden. Und nun ja, zu hassen. Damals war es ein umwerfendes Gefühl, endlich etwas zu haben, in dem ich ihm geschlagen hatte. Und wenn ich ehrlich bin, ist es das noch. Aber über die Jahre kommt es mir immer schäbiger vor, ihn nur ein einziges Mal auf diese Weise übertrumpft zu haben. Immerhin hatte ein Blinder gesehen, dass Iver sie damals nach ihrer trunkenen, aber mitreißenden Performance von »These Boots Are Made for Walking« am liebsten vom Couchtisch in seine Arme gerissen hätte. Doch anstatt die alten Hockeyhasen zu lassen und den blonden Bücherwurm einfach von den Füßen zu holen, hat er ihr eine App programmiert und sie zu seiner Geschäftspartnerin gemacht. Deshalb nehme ich fast an, dass ich damals vielleicht auch irgendetwas falsch gedeutet haben könnte. Vielleicht war Iver einfach nur sauer, dass ich ein unschuldiges Mädchen aus Alabama in mein Bett gelockt habe. Aber egal wie ich die Sache drehe und wende, sie macht mich doch zu einem Arsch, der eine Abreibung verdient gehabt hätte, die aber nie gekommen ist.

»Alter, geht's dir gut?«

»Klar.« Ich schüttele den Kopf, mehr um die unnützen Erinnerung zu vertreiben und stehe auf, um meine Montur im Spind zu verstauen. »Ich geh duschen.«

Brick verzieht den Mund. »Dermott. Du solltest das endlich klären. Es spielt sich schlecht mit saurem Magen.«

»Du vielleicht«, schnappe ich ein bisschen angefasster, als mir lieb ist. »Mich heitzt Trouble immer an. Ich geh duschen.«

Brick runzelt die Stirn, doch er sagt nichts. Vielleicht weil ich recht habe. Man braucht ein gewisses Grundlevel an Adrenalin, um sich in Zweikämpfen zu behaupten. Richtig rein zu gehen und die den Gegner fertig zu machen. Das war und ist vielleicht das eine, das mich trotz meines ewigen zweiten Ranges in der familieninternen Bestenliste, zu einem der bestbezahlten Verteidiger der Show macht. Ich kann jemandem Sterne sehen lassen, wenn ich es darum geht ein Tor zu verhindern, oder eben auch nicht. Je nachdem was der Spielstand gerade verlangt, oder wie mein Gegenüber drauf ist.

Es ist ein bisschen so, wie im normalen Leben. In Gegenwart von Harper und Melissa kann ich der netteste Mensch der Welt sein, der ihnen fast jeden Wunsch von den Augen liest. Genau wie in Gegenwart meiner Kumpel aus dem Team. Einfach weil sie meine Familie sind. Mein Rückgrat. Und dann gibt es halt all die anderen, die nicht in diese Kategorie fallen. Und zu denen kann ich immer noch ein bisschen fieser werden, wie sie zu mir sind, bis sie den ihr zugedachten Platz in der Nahrungskette eingenommen haben.



Als ich aus der Dusche komme, ist Brick bereits in Richtung Eis verschwunden und ich in lasse auf dem Weg zum Parkplatz noch einen Zwanziger in Tonis Hand gleiten, der mir noch einen schönen Labour Day wünscht. Mein schwarzer Ram Pick-Up steht einsam auf dem Asphalt und kurz frage ich mich, wo mein Teamkollege sein verdammtes Auto gelassen hat, als ich meine Tasche auf den Rücksitz schleudere und mich hinters Steuer klettere.

Es ist bereits weit nach elf Uhr und die Chancen, dass ich das erste Mal pünktlich zu einem Essen mit Noa und Iver kommen werde liegen bei unter zwanzig Prozent. Gut, eigentlich sind sie null. Also bleibt mir nicht viel außer AC/DC aufzudrehen und mich mit »Evils Walks« in Stimmung für mein unwillkommenes Familientreffen zu bringen.



Das Holder ist genau die Art von Nobelschuppen, die einem das Gefühl geben, minderbemittelt und unwürdig zu sein, wenn du in Streetstyle Klamotten dort aufläufst. Was nicht heißt, dass ich den grauen Anzug, und den rostroten Gürtel zum schwarzen Hemd begrüße, die Nell für mich bei Bergdorf erstanden hat. Aber dann wiederum habe ich keine Anhang von Mode und sie dafür umso mehr.

Jedenfalls komme ich durch die Glastür und entdecke den blond gefärbten Schopf meiner Mutter bereits, noch bevor ich galant abgefangen werde, um an unserenTisch geleitet zu werden.

»Jackson.«

»Mum.« Ich drücke ihr einen Kuss auf, als sie mir ihre Wange präsentiert und lasse den Schwall an Nettigkeiten der gut geschulten Belegschaft über mich ergehen. Dann erst sortiere ich meine Füße neu und stelle die offensichtliche Frage. »Wo ist Iver?«

»Dein Bruder ist kurz telefonieren. Wir warten schon ein paar Minuten.«

Vor ihr steht bereits irgendein arschteurer Weißwein, an dem sie nun da ich mich hingehockt habe, nippt, als habe sie Probleme zu kapieren, wie Iver und ich jemals aus ihr klettern konnten. Und seien wir ehrlich. Genau die gleiche verfickte Frage habe ich mir auch schon häufiger gestellt. Den Knochenbau habe ich definitiv von Dad, denn meine Mutter ist zwar groß, aber so ätherisch zerbrechlich, wie man es nur sein kann.

»Du siehst gut aus«, sagt sie dann mit einem schmalen Lächeln.

»Mh«, entweicht es mir. »Du hast abgenommen. Schon wieder.«

»Die Kunst. Du weißt ja wie das ist.«

O, ich weiß, wie das ist? Seit wann?, bin ich am liebsten versucht zu fragen. Doch ich lasse es bleiben, weil wir uns dann wieder streiten. Und auf Streit noch bevor ich Iver gegenüberstehe, habe ich keinen Nerv. »Wie geht es deiner Schwester? Harper?«

Noa nimmt einen weiteren Schluck. Die Frage stellt sie immer.

»Bestens.«

»Ist sie immer noch hier auf eurer alten Schule?«

»Zweites Jahr.« Ich lege eine Hand über die Lehne des leeren Stuhls neben mir. »Mel und Dad sind ziemlich stolz auf sie.«

Ich hasse es Melissa nicht einfach Mum nennen zu können, so wie ich es immer tue. Es klingt falsch und überhaupt ist es einfach heuchlerisch.

»Und du? Wie läuft es bei deinem Sport?«

»Fantastisch.« Selbst wenn es nicht gut laufen würde, so könnte Noa ohnehin nichts mit dieser Information anfangen. »Ich freue mich auf die neue Saison.«

Und da ist er. Noch immer so groß und breit wie ich selbst, nur das ansonsten keinerlei Ähnlichkeit zwischen uns besteht. Dort wo ich eine Ladung helle Farben abbekommen habe, ist er dunkel. Ein Typ wie eine Brechstange.

»Dermott.«

»Bruder.« Ich begrüße ihn mit einem festen Händedruck, und sehe ihm in die moosgrünen Augen die zusammen mit seinem dunklen Teint und seinen dunklen Haaren schon immer irgendwie spektakulärer aussahen als meine. »Wie geht's?«

»Gut.« Iver steckt sein Telefon weg, ehe er mir den Stuhl entreißt, den ich in Beschlag genommen habe. »Wie ich sehe hast du dich endlich entschlossen dir eine Stylistin zuzulegen.«

Drecksack. »Ich kann mich alleine anziehen.«

»Klar.« Mein Bruder kaut auf seiner Zunge und es nervt mich. Nervt mich schon jetzt zu einem Grad, dass ich es mir einfach nicht verkneifen kann mich zu revanchieren.

»Und wie geht es in New York? Schon lange nichts mehr gehört.«

»Läuft.« Er sortiert seine Beine, bevor er in der genau gleichen Haltung wie ich landet. Was mich noch fuchsiger werden lässt.

Also revanchiere ich mich.

»Wie geht es denn Anna? Heiratet sie immer noch diesen Butcher?«

Iver sieht mich finster an, und es fühlt sich gut an zu wissen, dass ich ihm auf den perfekten Schlips getreten bin. Seinem Blick entnehme ich, dass er richtig schön sauer ist. Genau das, was Trash- Talk bei deinem Gegner bewirken soll. Wer sagt es denn. »Scheint so«, grollt er eisig.

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Chirping ist übrigens der sogenannte "Trash Talk" im Hockey, falls sich jemand über die Überschrift wundern sollte.

Ich wünsche euch allen einen guten Wochenstart!

Viele Grüße

Eure Eliza

Call It a DayWhere stories live. Discover now