Teil 5- Päonie

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„Nun wen bevorzugen Sie?" Wiederholte Eloise ihre Frage und legte den Kopf leicht schräg. Was wollte sie von mir? In meinen Kopf liefen sämtliche Synapsen Amok und endlich begriff ich, dass sie das Gemälde von Cosimo meinte.
„Ich denke, keiner der drei kann ohne den anderen existieren. Amor und Venus halten Mars in ihrer Koexistenz im Gleichgewicht. Doch Mars ist ihnen überlegen, er richtet seinen Blick in den Himmel und sieht die lauernde Gefahr, anders als Amor, er ist blind und zieht Venus damit in seinen Sog des Verderbens. Sie wiederum sieht nur ihn." Ich hielt kurz inne, es war fast so, als würde es nur uns zwei geben für einen kleinen, winzigen Moment.
„Und wen von den drei bevorzugen Sie, Mira?" Sie sprach mich mit meinem Vornamen an, etwas was sie gerade eben noch gemieden hatte.
„Ich würde immer Amor nehmen, er ruht in sich, ist blind für alles. Er ist ein glücklicher, törichter Narr, beneidenswert, oder?" Antwortete ich, ohne weiter darüber nachzudenken. Stumm schauten wir uns an, ich wollte sie fragen, wen sie wählen würde, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, das es dafür nicht der richtige Rahmen war. Ich konnte nicht sagen, wie lange wir da standen, ein paar Sekunden oder gar Minuten. Erst als es anfing unruhig zu werden, wand sie sich ab und fing mit der Vorlesung an.

Eloise war so anders, viel entspannter als heute im Büro oder bei unserem ersten treffen. Auch sah sie für ihre Verhältnisse sehr leger aus: Die Bluse von heute hatte sie zwar an, die Ärmel hatte sie jedoch jetzt hochgekrempelt und die obersten Knöpfe geöffnet, auch der Blazer fehlte. Sie setzte eine Nickelbrille auf, als sie anfing Zitate vorzulesen.
Im Raum herrschte absolute Stille, keiner traute sich etwas zu sagen, selbst sonst übliche Geräusche blieben aus. Eloise war einfach zu präsent.
Ab und zu schauten wir uns direkt an und jedes Mal guckte ich, wie ein ertapptes Kind, das gerade erwischt worden ist, zur Seite. Nach zwei Stunden entließ sie uns in den angebrochenen Abend. Ich brauchte lange um nach unten zu kommen. Die Blondine von eben stand neben der Tür und winkte sich zu mir.
„Hi, Mira!"
Ich nickte stumm, nicht wissend woher sie mich kannte.
„Magst du mit kommen? Wir wollten noch etwas trinken gehen, drüben in der kleinen Bar vom letzten Mal, du weißt schon."
Wusste ich das?
„Du warst ja auch die letzten zwei Wochen nicht da, ich könnte dir erzählen, was du verpasst hast. Außerdem hast du dich ja nicht mehr gemeldet." Ihre braunen Augen zwinkerten als sie ein „Ich würde mich freuen!" Hinterher hauchte.
Oh wow, ich hatte es komplett vergessen oder besser gesagt verdrängt. Sie war die Blondine von meinem letzten kleinen Abenteuer. Zudem Zeitpunkt hatte ich mich nicht wirklich unter Kontrolle und an dem Abend hatte ich verdammt viel Absinth gehabt. Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und schaute mich erwartungsvoll an.
„Frau Jefferson, hätten Sie eine Minute?" Eloise stand an immer noch am Pult und sah uns zwei an.
„Klar, sicher. Tut mir leid, ich denke, das wird nichts heute." Beschwichtigend hob ich die Hände. Die Blondine schien tatsächlich enttäuscht zu sein und schaute mich immer noch erwartungsvoll an.
„Meld dich doch mal." Und schon war sie aus der Tür verschwunden.
Eloise und ich standen jetzt alleine da, ich war also am Zug und ging zu ihr.


„Hi!" Es sollte selbstsicher klingen, doch meine Stimme ließ mich diesmal nicht im Stich.
„Hi." Eloise schob die Brille nach oben und atmete tief durch. "Was machen Sie hier Mira?" Zischte sie schließlich hervor.
„Ich könnte sie das Gleiche fragen." Ich begab mich gerade auf dünnes Eis.
„Das könnten Sie gewiss. Es ist ja kein Geheimnis; Ich vertrete meinen Vater, er kann dieses Semester aus gesundheitlichen Gründen nicht unterrichten."
„Der alte Petermann ist ihr Vater?" Das konnte ich jetzt nicht so wirklich glauben.
Eloise hob ihre rechte Augenbraue, „Ja, nun wie auch immer, was machen Sie hier?" Ungeduldig spielte Sie an ihrem Schlüssel herum.
„Ich studiere. Hat ihn Torben das nicht erzählt?" Nun die Frage konnte ich mir selbst beantworten und sie war anscheinend ebenfalls dieser Meinung, denn anstelle mir zu antworten, schaute sie mich einfach wieder an. Ich war verunsichert.
„Ist das ein Problem?" Wollte ich von ihr wissen.
„Ich kann Ihnen ja nicht verbieten zu studieren, oder? Sieht so aus als wären wir gezwungen mehr Zeit miteinander verbringen in Zukunft."
Sie wollte mich wieder stehen lassen, doch im glauben, nichts mehr zu verlieren zu haben, wollte ich sie aufhalten. Anscheinend verabscheut sie mich so sehr, dass es sogar eine Qual war für sie, vier Stunden in der Woche außerhalb der Arbeit mit mir zu verbringen.
„Wen bevorzugen Sie?" Wiederholte ich ihre Frage von vor zwei Stunden.
Überrascht blieb sie stehen. Eine Hand glitt durch das kurze Haar und ließ wild abstehen als sie sie wieder sinken ließ. Sie klemmte sich die Tasche unter den Arm und lehnte sich an die Wand. Ihr rechter Ärmel war hochgerutscht, ich sah Tattoos die sich um ihrem Oberarm schlängelten, der erstaunlich muskulös wirkte. Ich rechnete mit keiner Antwort auf meine Frage, doch als sie endlich sprach, wirkte sie so traurig.
„Venus, ich würde Venus nehmen." Hauchte sie und ich hätte sie am liebsten in den Arm genommen. Stattdessen blieb ich einfach stehen und schaute zu wie sie aus der Tür verschwand. Ich wurde das Gefühl nicht los, gerade eben die wahre, oder zumindest eine echtere, Eloise gesehen zu haben.

In dieser Nacht träumte ich von meinem Heimatdorf, brennenden Zelten und galoppierenden Pferden. Meinen Großvater, unserem Stammesführer, kalte Winter und heiße Sommer, durchzechte Nächte und schwimmenden Frauen in eiskalten Seen. Ich träume von ihren wehenden Kleidern beim tanz in Scheunen und um das abendlich Lagerfeuer. Lachenden Kindern und weinenden Müttern, die um ihre Männer und Söhne trauerten. Träumte von unzähligen Schlachten und tot, Blut und Verderben.
Und immer wieder tauchten malachitgrüne Augen auf, sie verfolgten mich. Mal als Hund, dann wieder als Adler oder in der Gestalt eines Rehs. Eines verband sie alle, allesamt kämpften sie Sehnsuchtsvoll gegen die wildesten Stürme, opferten sich in den Schlachten, kämpften bis aufs Blut. Immer auf der Suche nach Amor.

Als ich erwachte, verspürte ich den Drang zu schreien, den meine Träume hatten sich die ganze Nacht immer nur im Kreis bewegt und führten immer zum gleichen Ergebnis, Eloise!

SEELENWANDERERWhere stories live. Discover now