Zu dritt (18. Januar)

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Nicht erst, als wir fast zwei Wochen später in Donalds Einfamilienhaus am Esstisch sitzen, denke ich wieder an die Therapie, die er mir empfohlen hat. Immer wieder ist es mir im Büro eingefallen, wenn ein Kollege grüßend an mir vorbeiging und ich mich fragte, ob jemand hinter mir stand, den er meinen könnte. Und in der Schlange in der Kantine musste ich daran denken, wenn die Personen vor und hinter mir über meinen unsichtbaren Kopf hinweg eine Diskussion führten. Sogar im Supermarkt ist es mir durch den Kopf gegangen, als ich kein Maismehl finden konnte und mich nicht traute, den Angestellten vom Einräumen der Regale abzuhalten. Dass es mir vielleicht wirklich helfen könnte.

Nur eine Entscheidung habe ich noch nicht getroffen. Die Nummer einige Male in mein Telefon eingegeben und gezögert: Was, wenn meine Beweggründe für eine Therapie am Ende doch nicht ausreichend sind? Wenn ich kein Problem habe, sondern nur übertreibe? Wird sie mich wegschicken? Mir sagen, mein Anliegen sei nicht wichtig genug?

Donald stellt lachend eine Schüssel Salat in die Mitte des Tisches und reicht Gabriel das Besteck, um sich als erster etwas aufzutun. Wirklich kochen könne er nicht, hat er behauptet, doch das Dressing riecht gut und die Nüsse im Salat hat er sogar geröstet. Er befragt Gabriel zu seiner Selbstständigkeit, lacht darüber, dass er von den Ausführungen über das kleine IT-Unternehmen ähnlich wie ich nichts versteht. Nach einer Weile scheint nun auch Gabriel sich zu entspannen. Einmal lacht er kurz und ich ärgere mich, dass ich nicht dem Gespräch gelauscht, sondern bloß auf ihre Körpersprache geachtet habe. Donald grinst breit, fast schon seit wir da sind, zeigt Gabriel immer wieder in kleinen Gesten seine offenen Handflächen, lässt ihn jedoch kaum aus den Augen. Und auch Gabriel fixiert Donald, mit kleinen sichergehenden Seitenblicken zu mir. Seine Kiefermuskeln haben sich mittlerweile gelockert, die zuvor verschränkten Arme liegen entspannt auf dem Tisch.

Nachdem er sich bedient hat, tut er auch Donald und mir auf, nimmt kurz darauf eine Gabel voll Grün und kaut enthusiastisch. Donald hat es sehr schnell geschafft, dass Gabriel sich wohlfühlt, wie ich es vorhergesehen habe, und auch er selbst scheint sich gut zu amüsieren, als sie schließlich über Skiurlaube reden (ich war noch nie in den Bergen) und über aberwitzige Actionfilme herziehen (die ich entweder nicht gesehen oder lieber ganz schnell wieder vergessen habe). Als Hauptgang serviert Donald einfache Spaghetti, allerdings mit selbstgemachter Tomatensoße, die er angeblich nach italienischer Tradition einen Tag lang hat köcheln lassen. Der verschmitzte Ausdruck in seinen Augen, als er davon spricht, lässt mich zweifeln, ob es wahr ist.

Zum Nachtisch siedeln wir über auf ein gemütliches Sofa, auf dem sicherlich eine halbe Fußballmannschaft Platz hätte, und Donald gesteht, dass er die Mousse au Chocolat nicht selber gemacht, sondern lediglich mit Milch angerührt habe. Gabriels Arm schmiegt sich um meine Schultern. „Vielleicht kommst du beim nächsten Mal zu uns und Henry kocht.", schlägt er vor, bedenkt mich dann mit einem fragenden Lächeln. „Wenn du Lust hast?" Erfreut darüber, dass er unverhofft so gut mit Donald auskommt, dass er bereits von einem nächsten Mal spricht, nicke ich sofort. „Dann müssen wir uns nicht mit Fertig-Nachspeise begnügen.", scherzt er, nimmt dann aber noch einen Nachschlag.

In einem Anflug von Selbstvergessenheit lege ich meine Hand auf sein Knie. So froh darüber, dass alles viel besser läuft als vorgestellt, denke ich kurz einfach nicht darüber nach, was die beiden darüber denken könnten.

Als ich zu Donald herüberblicke, der auf Gabriels Scherz nichts erwidert, sehe ich ihn auf meine Hand starren, die mich mit dem Mann neben mir verbindet. Und da erst fällt mir ein, dass wir nicht zuhause sind, unter uns. Ich kann Gabriel nicht einfach berühren, als wäre er mein Freund, wie wenn uns niemand sieht. Denn was ist, wenn er gar nicht will, dass Donald uns so wahrnimmt? Mein Blick fliegt herüber zu Gabriel – wieso muss ich auch zwischen ihnen sitzen -, der selig lächelt, bis ich meine Hand zurückziehe. Seine Augenbrauen ziehen sich wie düstere Wolken über seinem hübschen Gesicht zusammen.

„Das würde ich sehr gerne. Ich wusste nicht, dass du kochst, Henry.", lenkt Donald mich ab. „Ja, äh..." Was soll ich dazu denn auch sagen? „Und wie er kochen kann!", spricht Gabriel für mich weiter. „Sein Spinatrisotto zergeht so auf der Zunge, und er probiert jedes Mal etwas Neues aus.", ereifert er sich, sodass ich rot werde. Kurzerhand ahmt er meine Berührung von zuvor nach: Nun ist seine Hand auf meinem Knie und drückt es leicht. Er kriegt gar nicht mit, wie unangenehm mir sein Lob vor Donald ist, und spricht noch weiter. „Und einmal gab es diesen Waldpilz-Flammkuchen mit Äpfeln, der war unfassbar gut."

Ein nervöses Lachen entkommt meiner Kehle und ich widerstehe dem Drang, etwas Schlechtes über mich zu sagen, nur um seine positiven Worte etwas abzumildern. Donald wird ein Sterne-menü erwarten, wenn er uns besuchen sollte, und was ist, wenn ich dann seinen Geschmack nicht treffe?

Im Gegensatz zu Gabriel scheint Donald mein Grübeln zu bemerken. Er übergeht die Lobeshymnen auf meine Kochkünste und mustert mich eindringlich. Seine Hand legt er über meine – ohne hinzusehen bemerke ich, wie Gabriel sich neben mir augenblicklich verspannt. „Hast du über das nachgedacht, worüber wir neulich gesprochen haben?", erkundigt er sich mit gedämpfter Stimme. Und plötzlich weiß ich nicht mehr, was ich von seiner scheinbaren Sensibilität halten soll. Erst bemerkt er so umsichtig meine Unsicherheit, versucht, mir zu helfen, stößt einen potentiell zielführenden Gedanken in mir an, und dann spricht er das ganze beim zwanglosen Abendessen vor Gabriel an? Vor Gabriel, mir dem ich nicht darüber gesprochen habe.

Ich schüttele wortlos den Kopf, hoffe, dass das genügt, damit er es gut sein lässt. Als er nicht von selbst auf die Idee kommt, seine Hand zu entfernen, ziehe ich meine unter seiner weg.

„Worüber nachgedacht?", stellt Gabriel die unvermeidliche Frage. Hilflos schüttele ich den Kopf, sehe in seine erneut misstrauisch schauenden Augen. „Das erzähle ich dir zuhause, okay?", flüstere ich. Noch einen Moment lang betrachtet er mich mit gerunzelter Stirn, bevor er mich verständnisvoll anlächelt und nickt. Seine Hand um meine Schultern fährt in meinen Nacken und streichelt meinen Hals. „Wie lange willst du noch bleiben?", fragt er leise, während er sich vorbeugt und seine Lippen mit meinen verbindet. Unwillkürlich muss ich in seinen zaghaften Kuss schmunzeln, da er sichergestellt hat, laut genug zu fragen, dass Donald es hört. Es ist nicht direkt unhöflich und zugleich ein eindeutiges Zeichen für meinen Chef, dass wir zwei eine Einheit bilden, die gemeinsam nach Hause aufbrechen wird, wenn wir hier fertig sind. Auch der Kuss scheint mehr ein Mittel zum Zweck zu sein, Donald vor Augen zu führen, wie die Dinge stehen.

Gedankenlos – denn sonst würde ich mich wohl sorgen, dass es Donald vor den Kopf stoßen könnte – erwidere ich den Kuss. Lehne mich Gabriel entgegen, sauge seinen köstlichen, nun mit einem schokoladigen vermischten Geschmack ein. Dringlich zieht er mich an seine Brust, entlockt mir ein Stöhnen, als seine Zunge über meine Unterlippe und auf der Suche nach meiner in meinen Mund gleitet. Erst da löst er sich zufrieden wieder von mir, den Arm erneut besitzergreifend um meine Schultern geschlungen.

Ohne Donald Beachtung zu schenken, blicke ich staunend in sein Gesicht. Ich kann nicht genau sagen, was es ist, aber dass es ihm vor Donald so wichtig ist, zu zeigen, dass ich zu ihm gehöre, löst ein warmes Kribbeln in mir aus. Und plötzlich spielt überhaupt nichts mehr eine Rolle. Nur noch, dass ich tatsächlich zu ihm gehöre. Ganz egal, was das nun offiziell bedeutet.

„Willst du gehen?", modifiziert Gabriel schmunzelnd seine Frage, die ich nicht beantwortet habe. Und auf diese kann ich nur nicken.

Oh, Henry (boyxboy)Où les histoires vivent. Découvrez maintenant