KAPITEL 29 | DEAN

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ICH HABE MINDESTENS die Hälfte meiner Zeit auf der Flucht damit verbracht, darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn mich die Cops schnappen würden. Würde ich zuerst verhört werden? Was für Fragen würden sie mir stellen? Wann findet die Gerichtsaufnahme statt? Wären meine Eltern dabei?

Vieler dieser Fragen wurden mir ziemlich schnell beantwortet.

Ich bin beinahe sofort in einen der Verhörräume gesteckt worden und sitze hier seit mindestens einer halben Stunde. Eine Wanduhr gibt es leider nicht, deshalb kann ich nur auf mein Zeitgefühl vertrauen und das sagt mir, dass es nach Mitternacht sein müsste.

Die Fahrt hierher hat ebenfalls eine halbe Stunde gedauert. Eine halbe Stunde, in der ich zwischen zwei Polizisten gequetscht saß und mir meine Angst nicht anmerken lassen durfte.

Es ist also genau eine Stunde vergangen, seit Sydney mich geküsst hat. Seit ich ihre weichen Lippen auf meinen gespürt habe und den Kuss ebenso energisch erwidern konnte wie sie. Ich will wirklich nicht kitschig klingen, aber es ist genauso gewesen, wie ich es mir immer vorgestellt habe.

Und dann war es plötzlich vorbei. Von einem Moment auf den anderen.

Es ist fast schon surreal, wie schnell man von einem der schönsten Augenblicke überhaupt zu einem der schlimmsten wechseln kann. Genau hiervor hatte ich immer Angst. Unhöfliche Polizisten, die denken, dass sie alles über dich wissen und dich schon vor dem Verhör als schuldig eingestuft haben. Graue kahle Räume, in denen ich sitzen und mich langweilen muss. Und meine eigenen Gedanken, die noch dunkler wären, wenn Sydney mir nicht den schönsten Kuss Allerzeiten geschenkt hätte.

Ich will zu ihr.

Stattdessen stecke ich hier erst einmal fest und damit kann ich mich ehrlich gesagt nur sehr schwer abfinden. Mir gefällt es hier nicht. Die kleine Videokamera beobachtet jede meiner Bewegungen und allein aus Trotz starre ich direkt hin. Ich passe nicht hierher, auch wenn mir das keiner von denen glauben wird. Ich habe Angst vor dem Verhör, weil ich die Nacht, in der Hollyn gestorben ist, nicht wieder aufrollen möchte, auch wenn ich muss. Ich bin nach wie vor nicht ganz ehrlich zu Sydney gewesen, was diese Party vor acht Monaten angeht, und ich will wirklich nicht über Dinge reden, über die ich nicht einmal mit ihr reden konnte.

Ich will hier weg.

Die schwere Tür wird plötzlich geöffnet und der Officer, der mich vorhin so grob von Sydney weggezerrt und meine Hände in Handschellen gelegt hat, tritt ein. Er sieht ziemlich entspannt für jemanden aus, der angeblich mit einem Mörder in einem Raum steckt. Ihm scheint das Ganze nicht wirklich viel auszumachen, aber immerhin ist das auch sein Job.

Ich glaube, ich bin eher derjenige von uns, der sich unwohl fühlt und vor Angst kaum atmen kann.

Den Namen des Officers kenne ich nicht, aber ich beschließe, ihn gedanklich Officer Redhead zu nennen, weil seine Haare ein noch satteres Rot besitzen als das von Gavin. Er hat außerdem einen kleinen gestutzten Schnurrbart, wie es nur die Leute vor hundert Jahren getragen haben, aber er scheint sich damit sehr wohl zu fühlen. Sein Auftreten ist entspannt und sicher.

Hinter ihm betritt ein anderer Kerl den Raum, den ich bisher noch nicht gesehen habe. Er ist viel kleiner als der andere und reibt sich ständig die Glatze, auf der ein paar Schweißperlen zu sehen sind. Offenbar scheint das eines seiner ersten Verhöre überhaupt zu sein.

»Mr Avens«, ist Officer Redheads Begrüßung, auf die ein Räuspern meinerseits folgt. »Es freut mich, dass Sie endlich hier sind. Es hat eine Weile gedauert, aber deswegen will ich mich gar nicht beschweren.«

Ich erwidere nichts.

Ein seltsam aussehendes Gerät wird von dem Kerl mit der Glatze vor mir aufgebaut. Schon bevor er es mir erklärt, weiß ich, dass es sich hierbei um ein Funkgerät handelt, das dieses Gespräch aufnehmen soll. Ich muss wirklich aufpassen, was ich gleich sage.

Dean Walker | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt