KAPITEL 20 | SYDNEY

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»Sydney, ich ...« Er verzieht das Gesicht ein wenig schmerzhaft. »Es tut mir leid.«

Fast hätte ich gelacht, weil die Entschuldigung ihm offensichtlich viel Mühe gekostet hat. Gedankenverloren entferne ich die kleinen Blätter von seinem Pullover und aus seinem Haar, eigentlich nur, weil ich ihn ein wenig zappeln lassen will. Das Merkwürdige ist, dass ich ihm bereits vor seiner Entschuldigung verziehen habe. Eigentlich schon bevor ich ihn überhaupt gesehen habe.

Mir fällt wieder ein, dass wir nicht alleine auf dem Friedhof sind, also drehe ich den Kopf zu der alten Frau herum, die jetzt nicht mehr weint. Stattdessen glaube ich sogar, dass sie bei unserem Anblick lächeln muss.

»Ich hätte nicht gehen sollen«, gebe ich zu, weil mich dieser Gedanke die letzten zwei Tage ziemlich gequält hat.

Doch Dean schüttelt den Kopf und streicht mir dabei über die Haare, die mir auf den Rücken fallen. »Sydney, ich habe dich quasi angefleht, mich in Ruhe zu lassen. Ja, ich war wegen Gavin verletzt, aber es war trotzdem nicht richtig, deswegen dich zu verletzen. Ich wusste einfach nicht mehr weiter und habe kurz mit dem Gedanken gespielt ...«

Fassungslos lasse ich von ihm ab. »Du wolltest dich der Polizei stellen?«

»Früher oder später muss ich es tun«, entgegnet er leise. »Wie lange soll ich denn so weitermachen? Ich kann so nicht mehr weitermachen.«

Seine Augen werden glasig und er will den Blick abwenden, aber ich hindere ihn daran, indem ich meine Hände an seine hohen Wangenknochen lege.

»Du musst deine Gefühle nicht verstecken«, stelle ich klar. »Nicht vor mir.«

Er nickt, als ihm eine Träne über die Wange läuft und an meinen Händen haltmachen muss.

Eigentlich ist das, was er gerade gesagt hat, noch schlimmer als das, was vor zwei Tagen passiert ist. Denn vor zwei Tagen wollte er mich nur nicht in seine Pläne einweihen und jetzt gibt er einfach auf. Natürlich kann ich verstehen aus welchen Gründen, aber er muss doch trotzdem sehen, dass er nicht allein ist. Er hat Bronwyn, jetzt auch Peter, mich und so schwer es mir fällt, das zu sagen, aber er hat auch Candice.

Was Dean jetzt noch fehlt, ist ein bisschen Vertrauen, Mut und ein gut ausgefeilter Plan. Denn der Kerl, der vor mir steht, ist kein Vergleich zu dem, der an meiner Tür gehämmert und aus meinem Fenster gesprungen ist.

»Okay, eins nach dem anderen«, stelle ich klar. Seine Mundwinkel heben sich kaum merklich, weil er genau weiß, dass ich ihn gleich anherrschen werde. »Du wirst auf keinen Fall eine weitere Nacht an diesem mehr als gruseligen Ort verbringen, hörst du? Mir egal, wo du schläfst, aber auf jeden Fall nicht bei den Toten.«

Jetzt grinst er doch. »Peter hat mir um ehrlich zu sein vorgeschlagen, dass ich in der Lagerhalle seiner Eltern schlafen könnte. Sie steht leer und es gibt sogar Leitungswasser.«

»Was ein Luxus«, murmele ich. »Trotzdem besser als das hier. Und? Wieso bist du nicht dort?«

Er sieht mich schweigend an und sein Gesicht schreit dabei fast schon die Frage »Ist das nicht offensichtlich?«.

»Ist es, weil du ihm nicht traust?«, frage ich. »Er ist derjenige, der während eures Gesprächs herausfinden konnte, wo du bist, Dean. Er hat mir bei meiner Suche geholfen.«

»Stimmt, das macht ihn so viel vertrauensvoller.«

»Spar dir den Sarkasmus«, gebe ich zurück. »Du hast noch Leute, die hinter dir stehen. Candice würde für dich wahrscheinlich durchs Feuer gehen, Bronwyn sagt selbst, sie unterstützt dich, wo sie nur kann, Peter habe ich bereits gedroht, dass er ja nicht so wie Gavin enden soll, und ich ...« Ich lasse den Satz unbeendet in der Luft hängen.

Herausfordernd sieht mich an. »Und du ...?«

»Und ich würde alles für dich tun.« Und ich bin selbst überrascht, wie sehr diese Worte der Wahrheit entsprechen. »Ich meine, ja, du gehst mir manchmal tierisch auf die Nerven, aber trotzdem bedeutest du mir viel.«

Dean grinst endlich wieder so breit, wie ich es von ihm gewohnt bin, und das bringt auch mich zum Lächeln. Der zweite Teil meines Geständnisses scheint ihn nicht aus der Bahn zu werfen, im Gegenteil, er muss sich sichtlich bemühen nicht auch noch loszulachen. Das ist der Dean, bei dem ich dabei bin, mich hoffnungslos in ihn zu verlieben.

»Als ich gerade gesagt habe, dass ich mich stellen will, meinte ich das ernst.« Er lächelt immer noch und strotzt nur so vor Selbstsicherheit. »Ich habe nichts falsch gemacht, Sydney, und ich laufe bereits seit fast acht Monaten davon. Warum sollte ich mich länger verstecken?«

»Weil Hunters und Xanders Aussagen gegen dich stehen«, entgegne ich. »Es steht zwei gegen einen und auch wenn du nicht verurteilt wirst, kommst du mit Bewährung wieder raus und dann geht das Spiel von vorne los. Kolin wird sich mit Sicherheit irgendetwas Neues einfallen lassen, womit er dich von deinen Eltern abspalten kann.« Dass mein Exfreund ausgerechnet die Aufmerksamkeit von Deans Eltern braucht, ist mir immer noch schleierhaft.

Dean schüttelt jedoch zufrieden den Kopf. Er weiß offenbar etwas, das ich nicht weiß, und lässt sich genügend Zeit mit seiner Antwort. »Der Grund, warum ich mit Peter geredet habe, ist, weil er mir bekannt vorgekommen ist. Er war in der Nacht, in der Hollyn ermordet wurde, auch dabei, aber wir kannten uns kaum, deshalb habe ich nicht auf ihn geachtet. Er hat mehr gesehen, als du denkst, und kann richtige Aussagen gegenüber der Polizei machen.«

Ich kann nicht glauben, dass er mir das erst jetzt sagt. »Wieso rückst du damit denn erst jetzt raus?« Ich hole aus und haue ihm mit voller Wucht auf den Arm.

Er hält jedoch nur lachend meine Hand fest und drückt einen federleichten Kuss darauf. »Wie gesagt, ich traue eben ab jetzt niemandem.«

»Gar keinem?« Mir wird bewusst, wie nah wir voreinander stehen. Hoffentlich spürt er mein Herz nicht, das laut gegen meine Rippen pocht und laut in meinen Ohren widerhallt. Ich weiß wirklich nicht, ob ich es hasse oder liebe, wenn mein Körper bei seiner Nähe verrücktspielt.

»Na ja«, flüstert er, »nicht gar keinem

Lächelnd entferne ich ein Blatt aus seinen Haaren, das ich vorhin nicht gesehen habe. »Lass uns noch mal zu Peter gehen. Ich habe das Gefühl, er wird unser neuer bester Freund.«

»Er ist wirklich nicht so übel«, gibt Dean zu und greift plötzlich nach meiner Hand, während wir den Friedhof verlassen.

Seine Hand ist viel kälter als meine, weswegen ich sie sanft drücke, in der Hoffnung, dass sie wärmer wird. Der Gedanke, dass er womöglich die ganze Nacht gefroren hat, besorgt mich, aber andererseits hat Dean eine extrem harte Schale und hält mehr durch, als man denkt. Das ist eines der Dinge, die ich irgendwie an ihm mag. Er protzt nicht mit seinen Muskeln oder gibt mit seiner körperlichen Kraft an, nein, er zieht völlig verrückte Dinge durch und kann dabei meistens sogar noch lachen. Ich bewundere ihn für alles, was er in den acht Monaten durchgestanden hat und wünsche mir insgeheim genauso mutig zu sein.

Ich muss ihn wohl zu lange von der Seite angestarrt haben, denn er dreht jetzt lächelnd den Kopf zu mir. »Sydney?«

»Mhm?«, mache ich nur, während ich abwechselnd von seinen Augen zu seinen schön geschwungenen Lippen wechsele. Ich sollte mich wirklich zusammenreißen.

Er lächelt noch ein wenig breiter und drückt mir einen sanften langen Kuss auf die Wange, so als wüsste er, dass ich mir das insgeheim gewünscht habe. Gott, er kann wirklich Gedanken lesen. Plötzlich wandern seine Lippen von meiner Wange zu meinem Ohr, woraufhin sich eine Gänsehaut auf meinem gesamten Körper ausbreitet, die absolut nichts mit der Kälte zu tun hat.

»Ich verspreche dir«, flüstert er in mein Ohr, »dass ich dich ab jetzt nie wieder ausschließen werde. Du wirst immer die Erste sein, die über alles Bescheid weiß, weil du die einzige Person bist, der ich vertrauen kann.«

Und damit sind unsere persönlichen Probleme und unser Streit vor zwei Tagen wohl fürs Erste abgehakt.

Dean Walker | ✓Where stories live. Discover now