Einige Augenblicke schaute ich den Jungs hinterher, bis sie von der Dunkelheit verschluckt wurden. Es dauerte, bis ich realisierte, dass sie nun wirklich weg waren, jedoch spürte ich nun die Schmerzen intensiver als zuvor. Obwohl ich wirklich erleichtert war, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten und setzte mich mit angezogenen Beinen auf den kalten Kies. Mein Gesicht vergrub ich in meinen Händen. Warum musste so etwas immer mir passieren? Warum konnte man das überhaupt so leicht mit mir anstellen? Warum konnte ich mich nicht einmal wehren? Konnte man mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich tat doch niemandem weh, wenn ich nicht redete. Machte es wirklich so viel Spaß, andere Leute zu verletzen? Ich verstand das nicht. War ich wirklich so unausstehlich, dass ich so etwas verdient hatte? Anscheinend schon. Ich fing an zu schluchzen. Hoffentlich bemerkten meine Eltern nichts von den Verletzungen und wie schlecht es mir ging. Wenn sie fragten, warum ich so spät gekommen bin, würde ich sagen, dass die Carter mal wieder überzogen hat. Ich wollte meine Eltern zwar nicht anlügen, doch was sein musste, musste eben sein. Sie sollten sich keine Sorgen machen, erst recht nicht wegen mir.

Ich versuchte gar nicht mit dem Weinen aufzuhören, es hätte sowieso nicht funktioniert. Fest entschlossen zog ich schließlich eine Haarnadel aus meinem Dutt, was sich durch meine zitternde Hand als äußerst schwierig erwies.

Ich brauchte eine Ewigkeit dafür. Viel zu lange fummelte ich kraftlos in meinem Dutt herum, doch als ich es endlich schaffte, rammte ich mir die Haarnadel sofort in meine andere Handfläche. Ich hasste mich so sehr. Warum lebte ich überhaupt noch? Es wäre doch für jeden so viel besser, wenn ich einfach nicht existieren würde. Aber dann würden sich die Jungs ein neues Mobbingopfer suchen und das wollte ich auch nicht. Ich wünschte niemandem, dass er selbst erfuhr, wie es sich anfühlte, so behandelt zu werden. Das verdiente kein Mensch.

Weitere Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen und ich erhöhte den Druck auf meine Handfläche. Ich hasste mich einfach. Ich hasste mich. In Gedanken wiederholte ich diesen Satz immer leiser, bis ich ganz damit aufhörte. Es half mir, mich zu beruhigen. Die Hand, in der ich die Haarnadel verkrampft hielt und in meine andere Hand drückte, entspannte sich langsam. Ich konnte hier nicht ewig so sitzen, schließlich musste ich auch noch irgendwie meine Tasche finden. Bei diesem Gedanken stiegen mir erneut die Tränen in die Augen, doch ich wischte sie sofort wieder mit meiner schmerzenden Hand weg. Mit der anderen Hand steckte ich mir immer noch zitternd die Haarnadel wieder in den Dutt zurück und stand dann vorsichtig auf. Ich fühlte mich total kraftlos. Fast hätte ich es nicht einmal geschafft aufzustehen, ohne danach sofort zurück auf den Boden zu sinken. Die leichte Nässe in meinem Gesicht ließ mich den kalten Wind stärker spüren.

Mit wackeligen Beinen stand ich nun in dem finsteren Park und seufzte. Theo hatte die Tasche in die Nähe vom Bach geworfen. Hoffentlich fiel ich in dieser Dunkelheit dann nicht aus Versehen hinein. Vorsichtig lief ich also durch die Wiese in Richtung Bach. Den Weg kannte ich zum Glück, aber in der Dunkelheit war ich ihn noch nie gelaufen.

Ich zitterte immer noch am ganzen Körper. Alles tat mir weh. Doch ich versuchte es zu ignorieren und konzentrierte mich stattdessen auf den Boden unter mir. Angespannt setzte ich einen Fuß vor den anderen. Jeden Moment sollte der Bach kommen und tatsächlich, ich bemerkte den Abhang unter mir, der zum Bach hin abfiel. Erleichtert atmete ich auf und rieb meine eiskalten Hände aneinander, um sie etwas aufzuwärmen.

Mein kleiner Hoffnungsschimmer löste sich in Luft auf, als ich realisierte, dass ich kein Platschen nach dem Wurf gehört hatte. Die Tasche musste also auf den Boden gelandet sein.

Aus der Ferne ertönte ein Geräusch, das sich nach kämpfenden Tieren anhörte. Ich schauderte. Langsam wurde mir das Ganze etwas zu unheimlich. Ich musste so schnell es ging die Tasche finden. Aber wie? Sie konnte praktisch überall sein. Vor Frustration und Verzweiflung stiegen mir wieder Tränen in die Augen, die ich aber sofort mit meinen Händen wieder wegwischte. Erst jetzt bemerkte ich, wie kalt mir eigentlich am ganzen Körper war. Ich zitterte und meine Zehen fühlten sich schmerzhaft gefroren an. Ich bewegte sie, doch es half nicht. Wieder hörte ich diese Tiere und meine Verzweiflung wuchs. Ich setzte mich langsam in Bewegung und machte vorsichtig einen Schritt nach dem anderen. Meine Hände steckte ich in meine Jackentasche, um sie zu wärmen. Wider Erwarten stieß meine rechte Hand dabei auf etwas Kaltes. Mein Handy! Erleichterung durchströmte meinen ganzen Körper. Ich erinnerte mich wieder daran, wie ich es vorhin aus der Tasche geholt hatte, da ich die Uhrzeit prüfen wollte. Anscheinend hatte ich es danach einfach in meiner Jackentasche verstaut. Wieder stiegen mir Tränen in die Augen, diesmal aber vor Erleichterung. Warum konnte ich meine Tränen nie unterdrücken? Völlig aufgelöst holte ich mein Handy aus der Tasche und schaltete es ein. Ich hatte nur noch neun Prozent, aber das sollte ausreichen, wenn ich mich beeilte. Ungeduldig suchte ich auf dem Handy die Taschenlampenfunktion. Das war der Nachteil, wenn man diese nie benutzte. Man wusste nicht, wo sie war. Als ich endlich das kleine Symbol dafür sah, atmete ich auf und klickte darauf. Nur noch acht Prozent.

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