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Zum ersten Mal in dieser Woche saß Noel in einem Klassenzimmer. Sie hatten ihn hierher geschickt, damit er sich bewegte und nicht noch mehr lernte. Hatte er zumindest gedacht.
Und doch saß er hier und machte einen theoretischen Test über Tennispratiken. Die Fragen waren eigentlich recht einfach und Noel war sich ziemlich sicher, dass er positiv abschneiden würde.
Audrey saß zwei Tische vor ihm, ihr Baseballschläger lehnte neben ihr. Sie hatte ihm vorher bereits erklärt, dass sie ihn mitnehmen würde, falls der Lehrer unangenehm war. 
Mr Sanchester allerdings benahm sich gesittet und saß nur vorne an seinem Tisch. Audrey hätte ihm wohl Schlimmeres zugetraut. Niemand hier konnte den Lehrer wirklich leiden, was wohl auch an der Eieruhr lag, die er ständig bei sich trug und zum Zeitstoppen benutzte.
Beispielsweise wenn man auf die Toilette musste. Man durfte maximal fünf Minuten brauchen. Was etwas sich schwierig gestaltete, wenn die Toilette vier Minuten entfernt lag.
Hier waren Männer bevorzugt, weil die Welt sexistisch war.
Auch jetzt klingelt die verhasste Uhr wieder, um zu signalisierern, dass die Zeit um war. Sie gaben den Test ab und gingen Mittagessen.
Noel hatte sich mittlerweile angewöhnt, sein Mittagessen auf einen Teller zu geben und diesen mit auf sein Zimmer zu nehmen. Hier gab es zu viele Gesichter, die er nicht sehen wollte. Manchmal war eines davon Audrey.
Am Nachmittag bekamen sie den Test zurück. Mr Sanchester rief jeden Schüler einzeln auf. Als Noel an der Reihe war, erfuhr er die tragische Nachricht. Minusnullkommafünf von dreißig Punkten. Dabei war der Test doch so einfach gewesen...
"Wie kann so was wie dich sich ein Tennisspieler nennen!", begann der Lehrer empört. "Du kannst ja nicht mal den Schläger richtig halten! Beim nächsten Test musst du besser abschneiden! Solch ein Verhalten ist hier nicht zu dulden!"
Jetzt schrie der Lehrer schon fast laut wie seine Eieruhr. Dabei wäre Noel die Uhr sogar lieber gewesen.
"Wenn ich das nächste Mal ein Tenniscamp leite, hoffe ich nicht mehr auf so etwas wie dich zu treffen!"
Mit hängenden Schultern schlich Noel zu seinem Platz zurück, wo er seine Antworten mit denen von Audrey verglich. Sie waren beinahe identisch. Mit dem Unterschied, dass Audrey 28 von 30 Punkten hatte.
"Ich glaube, er kann dich nicht leiden", sagte sie.
"Ach wirklich?"
"Oder er kann deine Schrift nicht lesen", sinnierte Audrey. Noel sah auf seinen sauberen Blockbuchstaben hinunter. "Ja, vielleicht." 

An diesem Tag schwänzte Noel das Training. Offensichtlich reichten Tennis-Fähigkeiten sowieso nicht aus. Nicht das es ihm etwas ausmachte, nicht Tennis spielen zu können. Er hasst den Sport ohnehin.
Deshalb lag er lieber mit Denver im Bett und rauchte. Am späten Nachmittag kam Audrey, um sie zu ärgern. 
"Wieso schwänzt ihr jetzt beide?"
"Ich wurde gedemütigt. Meine Ehre erlaubt es mir nicht, dort wieder aufzutauchen", sagte Noel.
"Ist mein Grund noch wichtig?"
"Ja", erwidert Audrey dumpf.
"Okay. Ich will nicht." Denver sah nachdenklich an die Decke und fügte hinzu: "Und Gerard Way spielt auch kein Tennis."
"Tust du alles, was Gerard Way auch tut?"
"Nein", begann Denver. "Ich kann nicht singen. Und ich habe auch keine Band."
Audrey warf ihm einen Seitenblick zu. "Gerard Way auch nicht mehr."
Denver sah an erneut an die Decke. Es wirkte, als hätte die Worte ihn so geschockt, dass er erneut ins Koma fiel.
"Was ist jetzt los?" fragte Noel verwirrt und sah vom Stockbett nach unten.
"Gerard Ways Band hat sich 2013 aufgelöst. Die Fans kommen damit nicht wirklich klar."
"Gut gemacht, Audrey", entgegnete Noel sarkastisch.
"Jetzt hält er wenigstens den Mund", antwortete sie. Als Zigarette abgebrannt war, wachte er allerdings wieder auf.
"Denver, dass kann nicht jedes Mal passieren, wenn jemand irgendetwas sagt, das dich schockt. Stell dir vor, du fährst gerade Auto!"
"Du bist schlecht für meine Gesundheit. Also bitte bleib in meinem Leben, Audrey."
Noel machte große Augen. "Moment mal. War das grade sowas wie ein Kompliment?"
Denver sah verwirrt zu ihm hinauf. "Denever."
Eine unbeschreibliche Stille erfüllt den Raum.
Audrey brach sie als erstes. "Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast."


NoelWhere stories live. Discover now